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OLG Hamm Beschluss vom 31.03.2015 - I-9 W 15/15 - Rechtsschutzbedürfnis für Feststellungsklage nach Anerkennung der Schadensersatzpflicht durch gegnerische Haftpflichtversicherung

OLG Hamm v. 31.03.2015: Rechtsschutzbedürfnis für Feststellungsklage nach Anerkennung der Schadensersatzpflicht durch gegnerische Haftpflichtversicherung


Das OLG Hamm (Beschluss vom 31.03.2015 - I-9 W 15/15) hat entschieden:
  1. Das für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist zu verneinen, wenn der gegnerische Haftpflichtversicherer mit Wirkung für die bei ihm Versicherten die Schadensersatzpflicht für die angemeldeten und die zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden anerkannt hat und mit Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat.

  2. Beruhen die Behauptungen des Klägers, durch den Unfall sei eine bestimmte Verletzung mit bestimmten Folgen eingetreten, allein auf seinen Angaben und enthalten die hierzu vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen keine dahingehende Aussage, verneint vielmehr die die von der Gegenseite vorgelegte und auf einer Auswertung vorhandener radiologischer Untersuchungen und der durchgeführten körperlichen Untersuchung des Geschädigten beruhende ärztliche Stellungnahme die Unfallursächlichkeit, veranlasst das bestehende Beweisrisiko die wirtschaftlich vernünftig denkende Partei, die die Kosten des Prozesses selbst zu tragen hat, zu einer vorläufig maßvollen Bemessung des verlangten Schmerzensgeldbetrages.

Siehe auch Feststellungsinteresse - Feststellungsklage - Zukunftsschaden und Schuldbekenntnis nach einem Unfall und Regulierungsverhalten und Zahlungen der Versicherung als deklaratorisches Schuldanerkenntnis?


Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten Ersatz seines materiellen und immateriellen Schadens und begehrt umfassend Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für einen von dem Beklagten zu 1) verschuldeten Verkehrsunfall vom 05.06.2011, für den die volle Haftung der Beklagten außer Streit steht. Die Beklagte zu 2) hat mit Schreiben vom 18.12.2013 die bereits angemeldeten und die zukünftigen unfallbedingten materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche des Klägers auch für den Beklagten zu 1) mit der Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils dem Grunde nach anerkannt und auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Soweit für das Beschwerdeverfahren noch von Belang, hat das Landgericht dem Kläger für einen - über vorprozessual bereits geleistete 10.000,- EUR hinaus - geltendgemachten Schmerzensgeldbetrag von weiteren 50.000,- EUR ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt und Prozesskostenhilfe für den beabsichtigten Feststellungsantrag versagt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers.


II.

Die sofortige Beschwerde des Klägers ist unbegründet.

1. Mit zutreffender Begründung hat das Landgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe für den beabsichtigten Feststellungsantrag versagt, weil die Klage insoweit mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist und die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg verspricht, § 114 ZPO.

§ 256 ZPO macht die Zulässigkeit einer Feststellungsklage von einem rechtlichen Interesse abhängig. Reklamiert der Kläger eine Anspruchsbefugnis, erschließt sich dieses Interesse, anders als das bei einer Leistungsklage regelmäßig der Fall ist, noch nicht aus der bloßen Existenz des Anspruchs, sondern setzt darüber hinaus ein Verhalten des Beklagten voraus, das die geltend gemachte Befugnis in Frage stellt. Denn eine Feststellungsklage ist ungeeignet, einen vollstreckbaren Titel zu verschaffen und damit dem Kläger ein Instrument zur Durchsetzung seines Anspruchs in die Hand zu geben. Sie kann nur dazu dienen, ein streitiges Rechtsverhältnis zu definieren (BGH NJW-​RR 2010, 750; Foerste in Musielak, ZPO, 11. Aufl., § 256 Rdnr. 9) oder eine - mangels der Leistungsbereitschaft der Gegenseite drohende - Anspruchsverjährung zu hemmen (BGH NJW 1985, 1711; Greger in Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 256 Rdnr. 9). Eben das ist aber im vorliegenden Fall entbehrlich, weil die Beklagte zu 2) mit Wirkung für den bei ihr nach A.1.1.4 AKB versicherten Beklagten zu 1) mit Schreiben vom 18.12.2013 ihre Schadensersatzpflicht für die angemeldeten und die zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 05.06.2011 anerkannt hat und mit Wirkung eines rechtskräftigen Feststellungsurteils auf die Einrede der Verjährung verzichtet hat. Damit ist die Rechtsposition des Klägers mit der Wirkung eines Feststellungsurteils langfristig festgeschrieben.

2. Soweit der Kläger Prozesskostenhilfe für ein weiteres Schmerzensgeld von 60.000,- EUR, also insgesamt 120.000,- EUR, begehrt, hat das Landgericht auch diesem Antrag zu Recht nicht entsprochen.

Unstreitig hat der Kläger ein Rasanztrauma mit - inzwischen mit einer Höhenminderung verheilten - Kompressionsfrakturen der III. und IV. Brustwirbelkörper, eine Ellenbogenprellung links, beidseitigen Fingerschürfungen und einer Wadenprellung links erlitten. Die Verletzungen sind konservativ behandelt worden. Der Kläger verblieb 2 Tage in stationärer Behandlung. Anschließend wurde die Behandlung ambulant fortgesetzt. Als Folgeschäden der Kompressionsfrakturen drohten ihm, so der Kläger, soweit nicht bereits eingetreten, u.a. Dysbalancen, Arthrose, neurologische Ausfälle und Polyneuropathien. Nach seiner Behauptung habe er unfallbedingt auch Verletzungen der Halswirbelsäule erlitten, die maßgebend dafür gewesen seien, dass er seinen selbstständig geführten Textilreinigungsbetrieb habe aufgeben müssen (Schriftsatz vom 04.08.2014, Bl. 48 GA). An anderer Stelle (Schriftsatz vom 05.09.2014, Bl. 61 GA) behauptet der Kläger, die Einschränkungen im Bereich der Brustwirbelsäule hätte zur Betriebsaufgabe geführt. Die unfallbedingten täglichen Kopf- und Wirbelsäulenschmerzen seien schmerzmittelresistent. Unfallbedingt leide er an Kribbelparästhesien der oberen Extremitäten bis hin zu einer gestörten Feinmotorik der Hände. Eine Ausbreitung der Parästhesien und ein Angewiesensein auf einen Rollstuhl seien vorhersehbar. Auch die Psyche sei stark angegriffen.

Die Angemessenheit des verlangten Schmerzensgeldes von 120.000,- EUR hat der Kläger im Wesentlichen damit begründet, dass ihm die Rollstuhlpflicht drohe. Dahingehende Anhaltspunkte lassen sich weder dem Ärztlichen Bericht des Dr. u der Chirurgischen Abteilung des N - K - Hospitals in H vom 28.12.2012, noch den Fachärztlichen Stellungnahmen des Dr. L vom 04.12.2012 und 22.05.2013 oder dem Bericht der Dr. Q vom 14.09.2011 über eine MRT Untersuchung vom selben Tage entnehmen.

Unsubstantiiert ist der Sachvortrag des Klägers, was die Folgen der verheilten Kompressionsfrakturen anbetrifft. Welche der genannten Folgen der Kompressionsfrakturen bereits eingetreten ist und welche, ggf mit welchem Wahrscheinlichkeitsgrad, in Zukunft möglich sind, lässt der Kläger offen. Unsubstantiiert ist auch der Vortrag zu den behaupteten psychischen Folgen des Unfalls.

Die vorgenannten Umstände können daher für die Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes gegenwärtig nicht berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund ist der vom Landgericht bislang als angemessen angesehene Schmerzensgeldbetrag von 60.000,- EUR mehr als ausreichend. Sofern sich im weiteren Verlauf ggfalls nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abzeichnet, dass eine oder mehrere der als möglich bezeichneten Folgeschäden in Zukunft mit einem noch zu bestimmenden Grad der Wahrscheinlichkeit drohen, kann das Landgericht dem bereits im vorliegenden Verfahren bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Rechnung tragen, anderenfalls solche in Zukunft möglichen Folgen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes aber auch ausklammern. Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldanspruchs ist in besonders gelagerten Fällen die Geltendmachung eines weiteren Schmerzensgeldes für im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung theoretisch denkbare, aber erst und zu einem späteren Zeitpunkt eintretende Folgebeeinträchtigungen aufgrund des immateriellen Vorbehalts möglich.

3. Unabhängig davon erscheint die Geltendmachung eines Schmerzensgeldes von 120.000,- EUR bei der gegenwärtigen Tatsachengrundlage mit Blick auf § 114 Abs. 2 ZPO bedenklich. Die unmittelbar nach dem Unfall veranlassten körperlichen Untersuchungen des Klägers im N - K - Hospital in H haben ausweislich des Berichts vom 28.12.2011 keinen Hinweis auf eine Verletzung der Halswirbelsäule ergeben. Ob die durch das MRT vom 14.09.2011 nachgewiesenen Befunde der Halswirbelsäule, Steilstellung der HWS und Diskopathien, unfallbedingt sind, ist vom Kläger zu beweisen, wobei ihm die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zu Gute kommt. Eine Aussage zu der Unfallbedingtheit dieser Verletzungen mit den diesen vom Kläger zugeordneten Folgeerscheinungen ist durch keine der vom Kläger eingereichten Ärztlichen Stellungnahmen getroffen. Angesichts des Ergebnisses der sich eindeutig gegen eine Unfallbedingtheit der Halswirbelsäulenbeschwerden aussprechenden Ärztlichen Stellungnahme der im Auftrag der Beklagten zu 2) tätig gewordenen Dr. W vom 27.10.2012 hätte eine Partei, die die Kosten des Prozesses selbst bestreiten muss, bei verständiger Würdigung des bestehenden Beweisrisikos sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Zurückhaltung auferlegt, und sich die Geltendmachung eines höheren Schmerzensgeldes mit Blick auf das Ergebnis des einzuholenden medizinischen Gutachtens im Wege der Klageerhöhung vorbehalten. Darin liegt keine Schlechterstellung der bedürftigen Partei, der das Institut der Prozesskostenhilfe entgegenwirken soll. Denn gerade die wirtschaftlich denkende nicht bedürftige Partei, die im (Teil-​) Unterliegensfalle (zumindest teilweise) nicht nur die eigenen Kosten und die Gerichtskosten tragen muss, sondern auch die Kosten des Gegners und die Sachverständigenkosten zu tragen hat, würde ihr Prozessrisiko minimieren und die zwischen den Parteien streitige Frage des Umfangs der unfallbedingten Verletzungen und deren Folgen zunächst auf einen Streitgegenstand - oder falls erforderlich auf mehrere Streitgegenstände - mit einem möglichst niedrigen, gleichwohl aber revisiblen Gegenstandswert beschränken.

4. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.