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OLG Bamberg Beschluss vom 02.04.2015 - 2 Ss OWi 251/15 - Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen bei standardisiertem Messverfahren

OLG Bamberg v. 02.04.2015: Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen bei standardisiertem Messverfahren und dessen Überprüfung durch Sachverständigengutachten


Das OLG Bamberg (Beschluss vom 02.04.2015 - 2 Ss OWi 251/15) hat entschieden:
  1. Auch dann, wenn die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes auf einem standardisierten Messverfahren beruht, muss sich aus den Urteilsgründen regelmäßig ergeben, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist oder ob und inwieweit er sie für widerlegt angesehen hat.

  2. Hat das Amtsgericht zur Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung einen Sachverständigen beauftragt, um sich der Korrektheit der Messung im konkreten Einzelfall zu versichern, und sich dessen Gutachten angeschlossen, so müssen in den Urteilsgründen die Ausführungen des Sachverständigen in einer zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergegeben werden, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen-

Siehe auch Standardisierte Messverfahren und Der Sachverständigenbeweis im Straf- und OWi-Verfahren


Gründe:

I.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen mit Urteil vom 17.11.2014 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h, begangen am 21.04.2013 auf der BAB A 9 im Abschnitt 500 bei km 1.1, Fahrtrichtung München, zu einer Geldbuße von 240.- EUR und verhängte gegen ihn ein mit einer Anordnung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer eines Monats.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg hat mit Antragsschrift vom 19.02.2015 Aufhebung des Urteils nebst den zugrunde liegenden Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen - und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht beantragt.


II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat auf die Sachrüge hin - zumindest vorläufigen - Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht mehr bedarf. Die bisherigen Feststellungen sowie die Beweiswürdigung des Amtsgerichts tragen schon den Schuldspruch und damit auch die verhängten Rechtsfolgen nicht. Die Urteilsgründe erweisen sich als lückenhaft (§§ 261, 267 Abs. 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG).

1. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht Folgendes ausgeführt:
"Das Gericht hat den in der Hauptverhandlung persönlich anwesenden Betroffenen mit dem Foto des gemessenen Fahrzeugs Bl. 9 d.A., auf welches hinsichtlich der Einzelheiten erneut verwiesen wird, verglichen und hat ihn als Fahrer erkannt. ...

Der Sachverständige Prof. K. hat ausgeführt, dass er die Messung individuell überprüft habe. Da die Überprüfung sich konkret auf diese einzelne Messung bezogen habe, komme es auf die Frage, ob es sich um ein standardisiertes Messverfahren handele, nicht an. Er habe bei seiner Überprüfung festgestellt, dass die Messung in technischer Hinsicht nicht fehlerhaft gewesen sei, weshalb er bestätigen könne, dass das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen ... tatsächlich mit einer Geschwindigkeit von 126 km/h gemessen worden sei. Ein Sicherheitsabschlag von 4 km/h sei bei dem verwendeten Messgerät und bei der gemessenen Geschwindigkeit ausreichend, um alle eventuellen Messungenauigkeiten auszugleichen.

Auch an den Angaben des dem Gericht als äußerst zuverlässig und sachkundig bekannten Sachverständigen Prof. K. besteht keinerlei Anlass zu Zweifeln."
2. Entgegen dem Vorbringen der Rechtsbeschwerde sind die Feststellungen zur Fahrereigenschaft des Betroffenen frei von Rechtsfehlern. Die vom Tatrichter vorgenommene Identifizierung des Betroffenen als Fahrer entspricht den Anforderungen der obergerichtlichen Rechtsprechung (BGHSt 41, 376/382 ff.; BayObLGSt 1998, 22/24). Der Tatrichter hat hier von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Gebrauch gemacht und ausdrücklich wegen der Einzelheiten auf das bei den Akten befindliche Tatfoto Bezug genommen. Der Senat bewertet das bei der verfahrensgegenständlichen Ordnungswidrigkeit gefertigte Lichtbild, welches das Amtsgericht durch prozessordnungsgemäße Bezugnahme zum Gegenstand der Urteilsurkunde gemacht hat, als uneingeschränkt zur Fahreridentifizierung geeignet. Wenn das Amtsgericht bei einem Lichtbild von derart guter Qualität durch Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betroffenen zu der Überzeugung gelangt, der Betroffene sei mit dem auf dem Lichtbild zum Kontrollzeitpunkt abgebildeten Fahrer identisch, dann ist dies im Rechtsbeschwerdeverfahren hinzunehmen. Denn die Identifikation des Fahrers anhand eines uneingeschränkt geeigneten Lichtbildes ist alleinige Aufgabe des Tatrichters.

Insoweit bedurfte es weder der Auflistung von charakteristischen Merkmalen noch ihrer Beschreibung (BGHSt 41, 376, 383). Dass der Betroffene dem Foto die Eignung zur Fahreridentifizierung abspricht, ist eine Wertungsfrage. Das Rechtsbeschwerdegericht könnte aber sogar in Grenzfällen seine Wertung nicht an die Stellung des Tatrichters setzen.

Ergänzend nimmt der Senat wegen der weiteren Begründung zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die in jeder Hinsicht zutreffenden, mit der ständigen Rechtsprechung der Bußgeldsenate des Rechtsbeschwerdegerichts im Einklang stehenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg in ihrer Antragsschrift vom 19.02.2015 Bezug.

3. Den im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen zur Geschwindigkeitsüberschreitung fehlt eine tragfähige Beweisgrundlage.

a) Wenn auch im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken und Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen (BGHSt 39, 291/295, 296). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht (BGH NJW 1982, 2882/2883; StV 1990, 340; vgl. auch KK-​Senge OWiG 4. Aufl. § 71 Rn. 81). In welchem Umfang Ausführungen zur Beweiswürdigung geboten sind, bestimmt sich nach der konkreten Beweislage und der Bedeutung der Beweisfrage unter Berücksichtigung des Tatvorwurfs und des Verteidigervorbringens (vgl. nur OLG Bamberg Beschluss v. 12.12.2012 - 3 Ss OWi 450/12 - Beck RS 2013 00407). Bestreitet der Betroffene die Tat, muss das Urteil erkennen lassen, aufgrund welcher Tatsachenfeststellungen das Gericht diese Einlassung für widerlegt hält (vgl. auch Göhler OWiG 16. Aufl. § 71 Rn. 43; KK-​Senge a.a.O. § 71 Rn. 107). Zwar müssen in den Urteilsgründen nicht alle in der Hauptverhandlung erörterten oder sonst benutzten Beweismittel ausdrücklich benannt werden; das Fehlen einer zumindest gestrafften Darstellung der Einlassung des Betroffenen in den Urteilsgründen sowie ggf. einer Beweiswürdigung, die sich mit den tragenden Beweismitteln und deren Ergebnissen auseinandersetzt, begründet auch in Bußgeldverfahren in aller Regel einen sachlich-​rechtlichen Mangel des Urteils (KK-​Senge a.a.O. § 71 Rn. 107 m.w.N.).

b) Nach diesen Maßstäben erweisen sich vorliegend die Darlegungen im angefochtenen Urteil zur Einlassung des Betroffenen sowie zur Beweiswürdigung als unzureichend und lückenhaft.

Zwar kann dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch entnommen werden, dass der Betroffene hinsichtlich des im Raum stehenden Fahrverbots das Vorliegen eines Härtefalls geltend gemacht hat. Welche konkreten Einwendungen gegen die Zuverlässigkeit der Messung geltend gemacht wurden, im Zuge derer sich das Amtsgericht gehalten sah, die Zuverlässigkeit der Messung durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen, lässt sich dem Urteil jedoch nicht entnehmen. Dies ist rechtsfehlerhaft. Auch dann, wenn die Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes auf einem standardisierten Messverfahren beruht, muss sich aus den Urteilsgründen regelmäßig ergeben, wie sich der Betroffene eingelassen hat und ob der Tatrichter der Einlassung gefolgt ist oder ob und inwieweit er sie für widerlegt angesehen hat. Denn auch bei Feststellung eines Geschwindigkeitsverstoßes im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens besteht die Möglichkeit, dass sich der Betroffene etwa hinsichtlich der Fahrereigenschaft, der Geschwindigkeitsmessung oder der näheren Umstände der Verkehrsordnungswidrigkeit in eine bestimmte Richtung substantiiert verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tatrichter die Bedeutung dieser Einlassung verkannt oder rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (OLG Bamberg DAR 2009, 655; OLG Karlsruhe NZV 2007, 256 f.).

c) Soweit der Tatrichter seine Überzeugung von der Ordnungsgemäßheit der Messung auf das Gutachten des von ihm hinzugezogenen Sachverständigen stützt, werden die Urteilsgründe darüber hinaus den sachlich-​rechtlichen Anforderungen an die Darlegung von Gutachten nicht gerecht.

Hat das Amtsgericht - auch bei Vorliegen eines standardisierten Messverfahrens - zur Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung einen Sachverständigen beauftragt, um sich der Korrektheit der Messung im konkreten Einzelfall zu versichern, und sich dessen Gutachten angeschlossen, so müssen in den Urteilsgründen die Ausführungen des Sachverständigen in einer (wenn auch nur gedrängten) zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergegeben werden, um dem Rechtsbeschwerdegericht die gebotene Nachprüfung zu ermöglichen (OLG Bamberg NZV 2008, 211; OLG Bamberg DAR 2010, 390; Thüringer OLG zfs 2012, 108). Die wesentlichen tatsächlichen Grundlagen, an die die Schlussfolgerungen des Gutachters anknüpfen und die das Gutachten tragende fachliche Begründung müssen sich damit wenigstens insoweit dem Urteil entnehmen lassen, als dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit und sonstigen Fehlerfreiheit erforderlich ist. Diesen Anforderungen genügt die Darstellung des Gutachtens im angefochtenen Urteil, die sich lediglich auf die Mitteilung des Ergebnisses beschränkt, nicht.

Wegen dieser Lückenhaftigkeit der Urteilsgründe sieht sich der Senat außer Stande, allein anhand der Urteilsurkunde zu überprüfen, ob das angefochtene Urteil hinsichtlich der Geschwindigkeitsermittlung frei von Rechtsfehlern ist.

III.

Aufgrund der aufgezeigten Darstellungsmängel ist das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen - ausgenommen die Feststellungen zur Fahrereigenschaft, welche von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind - und in der Kostenentscheidung aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 353 StPO).

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.