Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OVG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 15.12.2015 - OVG 1 B 14.13 - Ausnahmegenehmigung aus gesundheitlichen Gründen von der Helmtragepflicht

OVG Berlin-Brandenburg v. 15.12.2015: Ausnahmegenehmigung aus gesundheitlichen Gründen von der Helmtragepflicht


Das OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 15.12.2015 - OVG 1 B 14.13) hat entschieden:
Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms für Motorradfahrer steht im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde. Dieses ist durch die Rn. 96 ff VwV-StVO nicht dahin gehend eingeschränkt, dass eine solche Befreiung schon aufgrund der Vorlage eines ärztlichen Attests zwingend zu erteilen wäre.


Siehe auch Schutzhelm für Motorradfahrer und Stichwörter zum Thema Verkehrsverwaltungsrecht


Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms für Motorradfahrer.

Er ist im Besitz der Fahrerlaubnis Klasse 3 (jetzt Klasse CE nebst eingeschlossenen Klassen) sowie Klasse A (Krafträder). Das Bezirksamt Reinickendorf von Berlin hatte ihm bereits einmal eine bis zum 31. Dezember 2011 befristete Ausnahmegenehmigung zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Führen von Krafträdern erteilt. Am 3. Februar 2012 beantragte er erneut die Erteilung einer solchen Befreiung und legte hierzu eine fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie R. K... vor, wonach der Kläger von der Pflicht zum Tragen des Schutzhelms vorerst für ein Jahr befreit werden müsse. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 13. März 2012 ab. Die begehrte Ausnahmegenehmigung könne nach pflichtgemäßem Ermessen der Behörde nur bei einem dringenden Bedarf erteilt werden, an dessen Nachweis strenge Anforderungen zu stellen seien. Eine solche Dringlichkeit habe der Kläger nicht dargetan. Denn er sei auch ohne die Ausnahmegenehmigung in seiner Mobilität nicht eingeschränkt, da er auch eine Fahrerlaubnis der Klasse B besitze.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass er einen Anspruch auf die beantragte Befreiung habe. Als Inhaber einer Fahrerlaubnis für Motorräder habe er das Recht, diese im Straßenverkehr zu führen, ohne dass die begehrte Ausnahme durch eventuell konkurrierende Fahrerlaubnisse obsolet werde. Da aufgrund des ärztlichen Attests feststehe, dass ihm das Tragen eines Sturzhelms nicht möglich sei, sei das behördliche Ermessen auf Null reduziert. Dies ergebe sich aus den Randnummern 96 und 97 der Verwaltungsvorschrift zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b Straßenverkehrs-​Ordnung (VwV-​StVO). Dies sei bislang auch die Verwaltungspraxis des Bezirksamtes gewesen, das ihm unter identischen Voraussetzungen schon einmal eine Ausnahmegenehmigung erteilt habe. Daher könne er sich auf das Prinzip des Bestandschutzes berufen. Ferner liege ein Eingriff in sein Eigentum vor, weil er bei Versagung der begehrten Ausnahmegenehmigung seine Motorräder nicht mehr im öffentlichen Straßenverkehr führen könne.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2012, dem Kläger zugestellt am 31. Mai 2012, wies das Bezirksamt den Widerspruch mit der Begründung zurück, die Helmpflicht diene zwar in erster Linie den Interessen des Kraftfahrers, denn sie solle ihn bei Stürzen vor schweren Kopfverletzungen schützen. Daneben habe sie aber auch den Zweck, die Allgemeinheit vor den finanziellen Folgen zu bewahren, die entstehen könnten, wenn Schwerverletzte längerer oder dauernder Pflege bedürften oder wenn als Folge eines Unfalls eine berufliche Tätigkeit nicht oder nur noch eingeschränkt möglich sei. Sofern nachgewiesen sei, dass das Tragen eines Schutzhelmes aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sei, habe die Behörde die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander abzuwägen. Dem hohen Schutzinteresse vor schweren Unfallfolgen, dem die Helmpflicht diene, müsse ein entsprechend hoch zu bewertendes Interesse, gerade ohne Schutzhelm fahren zu dürfen, gegenüber stehen. Wegen des überragenden öffentlichen Schutzinteresses sei die Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Daher sei auch bei Vorlage eines fachärztlichen Attestes zu bewerten, ob ein Antragsteller auf die Benutzung eines Motorrads angewiesen sei oder das Risiko durch die Benutzung anderer Verkehrsmittel vermeidbar wäre. Der Kläger habe zwar eine fachärztliche Bescheinigung vorgelegt, wonach sein gesundheitlicher Zustand das Tragen eines Schutzhelms nicht zulasse. Er habe jedoch keine Interessen geltend gemacht, die eine Inkaufnahme der Gefahren, die aus dem Fahren eines Motorrades ohne Schutzhelm entstehen können, rechtfertigen könnten. Für notwendige Fahrten könne er seine beiden Kraftfahrzeuge nutzen.

Hiergegen hat der Kläger am 22. Juni 2012 Klage erhoben, mit der er sein bisheriges Vorbringen weiter vertieft. Ferner hat er ein ärztliches Attest des Dr. med. R... vom 12. Oktober 2012 eingereicht, wonach ihm aufgrund einer empfindlichen Narbenbildung hinter- und oberhalb des rechten Ohres das Tragen eines Motorradhelms nur mit Schmerzen möglich sei, weshalb eine Befreiung von der Helmpflicht gewährt werden sollte. Aufgrund dieses Attests hat der Beklagte die gesundheitlichen Gründe des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nicht mehr in Zweifel gezogen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 16. April 2013 abgewiesen und die Berufung wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung zugelassen. In den Entscheidungsgründen hat das Gericht ausgeführt: Die Behörde habe die Ausnahmegenehmigung zur Befreiung von der in § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO vorgeschriebenen Helmpflicht zu Recht abgelehnt. Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO stehe in ihrem Ermessen. Im Rahmen der Ermessensausübung seien auch bei Vorliegen der gesundheitlichen Gründe, die dem Tragen eines Schutzhelms entgegenstünden, die widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange umfassend zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Die Ermessenserwägungen des Bezirksamtes seien nicht zu beanstanden. Die öffentlichen Belange und die des Klägers seien ausreichend gewürdigt und in nicht zu beanstandender Weise gewichtet sowie die Grenzen des Ermessens beachtet worden. Die Notwendigkeit einer solchen umfassenden Abwägung ergebe sich aus den bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zu § 46 StVO, wonach die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nur in besonders dringenden Fällen gerechtfertigt sei und an den Nachweis dieser Dringlichkeit strenge Anforderungen zu stellen seien. Es liege auf der Hand, dass die besondere Dringlichkeit einer Ausnahmegenehmigung nicht bereits mit dem Verweis auf gesundheitliche Gründe dargetan sei, sondern erst als Ergebnis einer umfassenden aller für und gegen die Erteilung der begehrten Ausnahme sprechenden Belange festgestellt werden könne. Aus dem Wortlaut von § 46 Abs. 1 StVO („in bestimmten Einzelfällen“) gehe hervor, dass die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nur beim Vorliegen einer besonderen Ausnahmesituation möglich sei. Gleiches folge aus dem Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts. Des Weiteren gebiete der Schutzzweck von § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO, neben den gesundheitlichen Gründen des Betreffenden auch seine (sonstigen) privaten Interessen gegen die öffentlichen Belange abzuwägen. Die Vorschrift bezwecke auch, die Allgemeinheit vor den finanziellen Folgen zu bewahren, die entstehen könnten, wenn Schwerverletzte längerer oder dauernder Pflege bedürften oder wenn als Folge eines Unfalls eine berufliche Tätigkeit nicht oder nur noch eingeschränkt möglich sei. Auch könne nach einem Verkehrsunfall in vielen Fällen weiterer Schaden für Dritte abgewendet werden, wenn ein beteiligter Motorradfahrer dank seines Schutzhelms bei Bewusstsein bliebe, die Unfallstelle räumen, Rettungsdienste alarmieren und Sofortmaßnahmen ergreifen könne. Zudem müssten die (finanziellen) Verletzungsfolgen aufgrund eines fehlenden Schutzhelmes unter Umständen vom Unfallgegner getragen werden. Von daher dürfe bei der Prüfung einer Ausnahmegenehmigung von der Helmpflicht nicht allein auf die gesundheitlichen Belange des betreffenden Motorradfahrers abgestellt werden. Im vorliegenden Fall habe das Bezirksamt die Belange des Klägers als weniger gewichtig ansehen dürfen, weil er außer seinem allgemeinen Interesse, Motorrad zu fahren, keine darüber hinaus gehenden besonderen Gründe geltend gemacht habe, aufgrund der er auf das Fahren mit einem Motorrad angewiesen sei. Insbesondere werde er bei einem Verzicht auf das Motorradfahren in seiner Mobilität nur unwesentlich eingeschränkt, weil er im Besitz der Fahrerlaubnis Klasse B sei und über zwei Autos verfüge. Sofern die Behörde in der Vergangenheit bei gleicher Sachlage ihr Ermessen anders ausgeübt und dem Kläger eine befristete Ausnahmegenehmigung erteilt habe, verstoße dies weder gegen das Willkürverbot noch gegen den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung (Art. 3 Abs. 1 GG). Es bleibe der Behörde unbenommen, eine bestehende Verwaltungspraxis aus sachlichen Gründen aufzugeben. Dies gelte insbesondere, wenn die Behörde - wie hier - erkannt habe, dass ihre bisherige Ermessensausübung rechtswidrig gewesen sei und aufgezeigt habe, weshalb in Zukunft an die Befreiung von der Helmpflicht strengere Anforderungen gestellt werden würden. Ein Vertrauen des Klägers auf das Festhalten an der bisherigen Ermessenspraxis sei daher nicht schutzwürdig. Bestandsschutz genieße der Kläger auch deswegen nicht, weil die bisherige Ausnahmegenehmigung durch Zeitablauf geendet habe. Angesichts der aufgezeigten Erwägungen sei ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Klägers aus Art. 2 Abs. 1 GG gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Eine Verletzung des Grundrechts auf Schutz des Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) komme von vornherein nicht in Betracht.

Im Übrigen erscheine zweifelhaft, ob die in den Verwaltungsvorschriften niedergelegten Anforderungen an ein ärztliches Attest, um aus gesundheitlichen Gründen von der Schutzhelmtragepflicht befreit zu werden, mit dem Schutzzweck von § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO und der Regelung des Ausnahmetatbestandes in § 46 Abs. 1 Nr. 5b StVO vereinbar seien. Denn nach Rn. 97 VwV-​StVO sei in der ärztlichen Bescheinigung nur ausdrücklich zu bestätigen, dass der Antragsteller aufgrund des ärztlichen Befundes von der Helmtragepflicht befreit werden müsse; die Diagnose brauche aus der Bescheinigung nicht hervorzugehen. Damit sei der Behörde von vornherein die Möglichkeit genommen, die Plausibilität der ärztlichen Bescheinigung zu prüfen und ggf. weitere Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen (etwa Untersuchung durch einen Amtsarzt oder Arzt mit verkehrsmedizinischer Zusatzqualifikation) und eine Einzelfallabwägung unter Berücksichtigung des konkreten gesundheitlichen Belangs vorzunehmen. Die Entscheidung, ob ein Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen einen Helm tragen könne, sei damit allein und abschließend in die Beurteilung eines Arztes gestellt. Mit dem Erfordernis einer behördlichen Ermessensentscheidung lasse sich dies kaum vereinbaren.

Gegen das dem Kläger am 25. April 2013 zugestellte Urteil richtet sich die im angegriffenen Urteil zugelassene und am 22. Mai 2013 eingelegte Berufung, die der Kläger mit dem am 19. Juni 2013 bei dem Oberverwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz mit den bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumenten begründet hat: Das der Behörde in § 46 StVO eingeräumte Ermessen werde über die entsprechende Verwaltungsvorschrift definiert. Das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung der Rn. 96 und 97 VwV zu § 46 StVO verkannt. Diese Normen enthielten nicht nur die Anforderungen an den Nachweis der gesundheitlichen Gründe, sondern stellten bereits den vom Gesetzgeber geschaffenen Ausnahmetatbestand dar. Danach sei der Ermessensspielraum des Beklagten bei Vorliegen eines ärztlichen Attestes, welches das Tragen eines Schutzhelms - wie hier - verneine, auf die Erteilung der Ausnahmegenehmigung begrenzt.

Der Kläger hat keinen ausdrücklichen Berufungsantrag gestellt. Nach den Ausführungen der Berufungsbegründung begehrt er sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. April 2013 zu ändern und dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 13. März 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2012 eine Ausnahmegenehmigung zur Befreiung von der Pflicht zum Tragen eines Schutzhelms beim Führen von Krafträdern zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das Urteil aus den darin angeführten Gründen für richtig.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte sowie des Verwaltungsvorgangs, der Gegen​stand der Beratung gewesen ist, Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte nach Anhörung der Beteiligten über die Berufung gemäß § 130a Satz 1 VwGO durch Beschluss entscheiden, weil er das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

I. Die Berufung ist zulässig. Zwar hat der Kläger innerhalb der hier am 25. Juni 2013 abgelaufenen zweimonatigen Frist des § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO keinen ausdrücklichen Berufungsantrag gestellt, obwohl die Begründung der Berufung neben den im Einzelnen anzuführenden Gründen der Anfechtung (Berufungsgründe) gemäß § 124a Abs. 3Satz 4 einen bestimmten Antrag enthalten muss, der Voraussetzung für eine zulässige Berufung ist (§ 124a Abs. 3 Satz 5 VwGO). Diesem Antragserfordernis wird jedoch genügt, wenn in der Berufungsbegründung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass, in welchem Umfang und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten will. Es reicht aus, dass sich der Inhalt des Berufungsantrages aus dem fristgerechten Berufungsvorbringen ergibt (st.Rspr. des BVerwG, vgl. nur Beschluss vom 10. März 2011 - 2 B 37.10 -, juris Rn. 10 ff. m.w.N.). So verhält es sich auch hier. Denn an dem Ziel der Berufung, die begehrte Ausnahmegenehmigung zu erhalten, bestehen keine Zweifel.

II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die begehrte Befreiung von der Pflicht, beim Fahren eines Motorrads einen Schutzhelm zu tragen, noch einen Anspruch auf erneute Bescheidung durch den Beklagten.

Rechtsgrundlage des klägerischen Begehrens ist § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b, Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 21a Abs. 2 Satz 1 Straßenverkehrs-​Ordnung (StVO). Danach können die Straßenverkehrsbehörden in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen u.a. von den Vorschriften über das Tragen von Schutzhelmen (§ 21a StVO) genehmigen.

Wie sich bereits aus der Wendung „können … in bestimmten Einzelfällen“ ergibt, steht die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung im Ermessen der Behörde (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. März 1997 - 3 C 2.97 -, juris Rn. 26 [zu § 46 Abs. 2 Satz 1 StVO]; OVG Nordrhein-​Westfalen, Urteil vom 23. August 2011 - 8 A 2247/10 -, juris Rn. 75; OVG Mecklenburg-​Vorpommern, Beschluss vom 24. Juni 2015 - 1 O 218/15 -, juris Rn. 5; VG Bremen, Urteil vom 14. März 2013 - 5 K 1171/11 -, juris Rn. 16 ff. m.w.N. [jeweils zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StVO]; OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Februar 2015 - 12 LA 137/14 -, juris Rn. 3 [zur Gurtanlegepflicht]; sowie König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Auf. 2015, § 46 StVO Rn. 23 ff. sowie § 21a Rn. 18). Dies sieht der Kläger im Grunde ebenso.

Entgegen seiner Ansicht ist das behördliche Ermessen bei Vorliegen eines ärztlichen Attests im Sinne von Rn. 97 VwV-​StVO zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO (Abdruck u.a. bei Hentschel/König/Dauer, a.a.O., Rn. 13) auch nicht auf Null reduziert. Die insoweit maßgeblichen Verwaltungsvorschriften lauten:
„96 II. Ausnahmen von der Schutzhelmtragepflicht

Von der Schutzhelmtragepflicht können Personen im Ausnahmewege befreit werden, wenn das Tragen eines Schutzhelmes aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist.

97 III. Voraussetzungen

Die in Nummer I und II genannten Voraussetzungen gesundheitlicher Art sind durch eine ärztliche Bescheinigung nachzuweisen. In der ärztlichen Bescheinigung ist ausdrücklich zu bestätigen, daß der Antragsteller aufgrund des ärztlichen Befundes von der Gurtanlege- bzw. Helmtragepflicht befreit werden muß. Die Diagnose braucht aus der Bescheinigung nicht hervorzugehen.

98 IV. Geltungsdauer und Auflagen

Die Ausnahmegenehmigungen sind widerruflich und befristet zu erteilen.

(…).“
Aus der den Wortlaut des § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO wiederholenden Formulierung in Rn. 96 VwV-​StVO („können“) geht eindeutig hervor, dass die angefochtene Entscheidung im Ermessen der Behörde steht. Entgegen der Ansicht des Klägers wird dieses Ermessen auch nicht durch Rn. 97 VwV-​StVO eingeschränkt, sondern (umgekehrt) erst eröffnet, wenn die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Befreiung von der Schutzhelmtragepflicht in der dort bestimmten Art und Weise nachgewiesen sind. Soweit es dort heißt, „daß der Antragsteller aufgrund des ärztlichen Befundes von der Gurtanlege- bzw. Helmtragepflicht befreit werden muß“, so bezieht sich dies ersichtlich nur auf den ärztlichen Befund, d.h. auf die Anforderungen an die Einschätzung des attestierenden Arztes. Nicht aber kann daraus der Schluss gezogen werden, dass das Ermessen der Straßenverkehrsbehörde durch die ärztliche Einschätzung im Wege einer Ermessensreduzierung auf Null dahin gehend „begrenzt“ wäre, dass eine Ausnahmegenehmigung bereits dann zwingend erteilt werden müsste, wenn der in Rn. 97 VwV-​StVO genannte ärztliche Nachweis vorliegt. Aus der Verwaltungsvorschrift Rn. 99 VwV-​StVO folgt nichts anderes. Denn diese Vorschrift macht lediglich die Dauer der Ausnahmegenehmigung von einer ggf. ärztlich attestierten Besserungsfähigkeit des Gesundheitszustands des jeweiligen Antragstellers abhängig, ohne dass das behördliche Ermessen im Übrigen eingeschränkt oder sogar auf Null reduziert wäre. Insoweit verkennt der Kläger die Bedeutung der vorgenannten Verwaltungsvorschriften, wenn er meint, dass „der Gesetzgeber selbst durch die Schaffung des Ausnahmetatbestandes der Befreiung von der Helmpflicht eine entsprechende Interessenabwägung bereits vorgenommen“ habe.

Ebenso wenig trifft die Ansicht des Klägers zu, dass es nach der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts „niemals zu einer Ausnahmegenehmigung kommen würde“. Denn - wie im Bescheid vom 13. März 2013 ausgeführt - hält die Straßenverkehrsbehörde „eine Ausnahmegenehmigung gemeinhin (für) gerechtfertigt, wenn persönlichen Belangen einzelner Verkehrsteilnehmer dem allgemeinen Interesse gegenüber Vorrang zu gewähren ist.“ Diesen Nachweis der Dringlichkeit hatte die Behörde den Angaben des Klägers nicht entnehmen können.

Hiergegen ist aus Sicht der Verwaltungsgerichte nichts einzuwenden. Denn das Gericht kann eine Ermessensentscheidung gemäß § 114 Satz 1 VwGO nur eingeschränkt daraufhin überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Deshalb wäre hier - selbst bei Vorliegen einer ermessensfehlerhaften Entscheidung des Beklagten - grundsätzlich auch nur ein Bescheidungsurteil nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO in Betracht gekommen (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 12. Oktober 2015 - 11 CE 15.2150 -, juris Rn. 16 [zu § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVO]; vgl. aber VG Köln, Urteil vom 15. September 2006 - 11 K 5135/05 -, juris Rn. 29 [zur Gurtanlegepflicht]).

Die in den angefochtenen Bescheiden angestellten Erwägungen der Straßenverkehrsbehörde lassen freilich keine der Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte bei einer Ermessensentscheidung unterfallenden Fehler erkennen. Die Behörde hat das ihr eingeräumte Ermessen zutreffend erkannt, dessen Grenzen beachtet sowie die maßgeblichen öffentlichen Belange, insbesondere die Schutzfunktion der Helmtragepflicht und die geltend gemachten Interessen des Klägers in nicht zu beanstandender Weise gewichtet und gegeneinander abgewogen. Insoweit kann gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden (vgl. zu weiteren etwa in Betracht kommenden Kriterien für die Ermessensausübung: VG Augsburg, Urteil vom 27. Juni 2000 - Au 3 K 00.466 -, juris Rn. 20 f.). Hier durfte die Behörde ihrer Ermessensentscheidung den Umstand beanstandungsfrei zugrunde legen, dass der Kläger in seiner Mobilität wegen der Benutzbarkeit anderer Kraftfahrzeuge nicht unzumutbar eingeschränkt ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 52 Abs. 2 i.V.m. § 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).