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Landgericht Siegen Urteil vom 28.08.2015 - 5 O 311/11 - Geltendmachung weiterer Schmerzensgeldansprüche nach Vergleichsabschluss

LG Siegen v. 28.08.2015: Geltendmachung weiterer Schmerzensgeldansprüche nach erfolgtem Vergleichsabschluss mit Abgeltungsklausel


Das Landgericht Siegen (Urteil vom 28.08.2015 - 5 O 311/11) hat entschieden:
Haben sich die Parteien durch einen geschlossenen Vergleich dahingehend geeinigt, dass mit den vereinbarten Zahlungen sämtliche übrigen materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfallereignis abgegolten sind, können nur dann weitere Ansprüche geltend gemacht werden, wenn die Schäden im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses nicht bekannt und nicht im Sinne der BGH-Rechtsprechung vorhersehbar gewesen sind. - Die Folgen sind dann nicht vorhersehbar, wenn es sich um Verletzungsfolgen handelt, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind.


Siehe auch Abfindungsvergleich / Abfindungserklärung und Schmerzensgeld


Tatbestand:

Der Kläger macht gegen die Beklagten einen weiteren Schmerzensgeldanspruch aus einem Unfall vom 13.07.2004 in W. geltend, bei welchem der Kläger im Rahmen von Ladetätigkeiten des Beklagten zu 1), einem Mitarbeiter der Beklagten zu 2), von einer herabfallenden Gitterbox getroffen und - u.a. an den Armen und Händen - erheblich verletzt wurde. Der Mitverschuldensanteil des Klägers an dem Unfall beträgt unstreitig 25 %.

Es wurden in der Folge diverse Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers erstellt. In einem ersten Rentengutachten vom 09.06.2005 (Bl. 77 ff. der Beiakte) stellten die Ärzte Dr. D. und Dr. K. fest, dass eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung der Beweglichkeit im linken Handgelenk, eine ausgeprägte Minderung der Kraft im Bereich der linken Hand sowie belastungsabhängige Beschwerden bestünden sowie im linken Handgelenk beim Röntgen eine Stufe in der Radiusgelenkfläche von ca. 1 mm vorliege und der Gelenkspalt zwischen Radius und 1. Handwurzelreihe gering verschmälert sei. Die MdE wurde aktuell mit 30%, für die Zukunft mit 20 % bewertet. In einer weiteren Stellungnahme vom 04.07.2005 (Bl. 57 ff. d.A.) stellten die vorgenannten Ärzte dieselben MdE-​Werte fest und gaben u.a. an, dass kein Nachweis einer wesentlichen posttraumatischen Veränderung vorliegen. In einem zweiten Rentengutachten vom 26.09.2006 (Bl. 118 d.A.) bezifferte der Arzt Dr. H. die MdE auch künftig mit 30 % und stellte eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung im linken Handgelenk mit rezidivierenden Belastungsschmerzen und beginnenden posttraumatischen arthrotischen Veränderungen sowie eine deutliche Kraftminderung der linken Hand/Arm fest. Aus einem neurologischen Gutachten der Ärztin Dr. R. vom 18.09.2006 Bl. 109 ff. d.A.) ergab sich, dass bereits 2001 eine OP wegen eines Karpaltunnelsyndroms stattgefunden hatte.

Bereits im Verfahren 5 O 288/06 des Landgerichts Siegen machte der Kläger materielle und immaterielle Schadensersatzansprüche aus dem Unfall gegen die Beklagten geltend, wobei schon von einer unfallbedingten Dauerbeeinträchtigung von 20 % MdE ausgegangen wurde. Das Verfahren endete am 26.06.2007 durch einen Vergleich, der u.a. folgende Klausel enthielt:
2. [...] Darüber hinaus sind sämtliche übrigen materiellen und immateriellen Schadensersatzansprüche des Klägers aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 13.07.2004 abgegolten, es sei denn, dass diese nicht bekannt und/oder im Sinne der BGH-​Rechtsprechung nicht vorhersehbar waren.
Am 19.01.2008 wurde bei dem Kläger wegen zunehmender Beschwerden eine Arthroskopie am linken Handgelenk durchgeführt und eine fortgeschrittene posttraumatische Arthrose festgestellt. Am 19.01.2009 erfolgte eine Karpaldachspaltung und Neurolyse des Nervus Medianus sowie am 24.06.2009 schließlich eine vollständige Handgelenksversteifung links mit Arthrodesenplatte und Spongiosaplastik. Die Platte wurde bei geheilter Arthrodese am 31.01.2011 wieder entfernt.

Wegen der Eingriffe und der posttraumatischen Arthrose war der Kläger in der Zeit vom 19.01.2009 bis zum 04.10.2010 sowie vom 17.01.2011 bis zum 03.04.2011 und ab dem 06.08.2011 zunächst bis auf weiteres krankgeschrieben. Es traten neuropatische Schmerzen auf.

Der Kläger behauptet, der notwendige Einsatz der Arthrodesenplatte sowie die Versteifung des linken Handgelenks sei nicht vorhersehbar gewesen, weshalb ihm ein weiteres Schmerzensgeld (Streitwertangabe: 7.500,- EUR) zustehe. Die Schwere der Folgeschäden sei ihm erst im Jahre 2008 bekannt geworden.

Der Kläger beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger für die bei dem Unfall am 13.07.2004 gegen 16:10 Uhr in der Werkstraße 32 in 57234 Wilnsdorf erlittenen Verletzungen über das bereits gezahlte Schmerzensgeld hinaus ein weiteres angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen,

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 342,48 EUR Nebenkosten (nicht anrechenbare Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 W RVG) zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Beschwerden des Klägers seien bereits vorhersehbar gewesen bzw. hätten bereits Vorgelegen. Sie erheben darüber hinaus die Einrede der Verjährung mit der Begründung, dass der Kläger bereits 2007 die Beschwerden gehabt habe, die zur Arthroskopie im Januar 2008 geführt hätten.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 21.01.2013 (Bl. 130 f. d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 20.08.2013 (Bl. 154 ff. d.A.) sowie das Ergänzungsgutachten vom 15.08.2014 (Bl. 222 ff. d.A.) des Sachverständigen Dr. Sch. sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.08.2015 (Bl. 248 ff. d.A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie den Inhalt der beigezogenen Verfahrensakte 5 O 288/06 des Landgerichts Siegen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

I.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes gegen die Beklagten gem. §§ 823 Abs. 1, 253 BGB oder gemäß einer anderen Anspruchsgrundlage zu.

Der Geltendmachung weiterer immaterieller Schadensersatzansprüche steht der zwischen den Parteien am 26.06.2007 im Verfahren 5 O 288/06 geschlossene Vergleich entgegen. Darin haben sich die Parteien dahingehend geeinigt, dass mit den vereinbarten Zahlungen sämtliche übrigen materiellen und immateriellen Schadensansprüche aus dem streitgegenständlichen Unfall abgegolten sein sollten. Weitere Ansprüche können nach der Abgeltungsklausel nur dann geltend gemacht werden, wenn Schäden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht bekannt und nicht im Sinne der BGH-​Rechtsprechung vorhersehbar waren. Dies ist aber vorliegend nicht der Fall.

Folgen sind nach der BGH-​Rechtsprechung dann nicht vorhersehbar, wenn mit ihnen nicht oder nicht ernstlich gerechnet werden musste und die deshalb zwangsläufig bei der Bemessung des (ursprünglichen) Schmerzensgeldes unberücksichtigt bleiben müssen (BGH, NJW-​RR 2006, 712 m.w.N.). Nur wenn es sich um Verletzungsfolgen handelt, an die auch ein mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung beauftragter Sachverständiger nicht zu denken brauchte, die aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit schließlich doch eingetreten sind, darf angenommen werden, dass diese vom Streit- und Entscheidungsgegenstand eines vorausgegangenen Schmerzensgeldprozesses nicht erfasst sind und damit ihrer Geltendmachung die Rechtskraft nicht entgegensteht (BGH, NJW 1980, 2754). Maßgebend ist, ob sich eine Verletzungsfolge als derart naheliegend darstellte, dass sie schon damals bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt werden konnte (BGH, NJW-​RR 2006, 712). Die Frage der Erkennbarkeit beurteilt sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (BGH, NJW-​RR 2006, 712 m.w.N.).

Vorliegend waren die Unfallfolgen, auf die der Kläger nunmehr weitere Schmerzensgeldansprüche stützt, nämlich den Einsatz der Arthrodesenplatte und die Notwendigkeit der Versteifung des Handgelenks sowie die fortschreitende Arthrose im Sinne der dargelegten BGH-​Rechtsprechung vorhersehbar. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den Feststellungen des Sachverständigen Dr. Sch., an dessen fachlicher Kompetenz die Kammer keine Zweifel hat. Dieser hat insbesondere im Rahmen seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass ein Sachverständiger bei einer Einschätzung der künftigen Unfallfolgen ein Fortschreiten der Arthrose bis hin zur Versteifung hätte berücksichtigen müssen. Bereits in seinem Gutachten und dem Ergänzungsgutachten hat der Sachverständige ausgeführt, dass sich bereits aus dem Rentengutachten des Dr. H. aus dem Jahre 2006 ergebe, dass zum damaligen Zeitpunkt schon eine beginnende Arthrose festgestellt worden sei. Nachvollziehbar hat er in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass eine Verschlimmerung der Arthrose gerade die Natur der Erkrankung ausmacht und zudem, dass eine Arthrose die Hauptursache für eine Versteifungsoperation sei. Hinsichtlich der letztlich erfolgten Versteifung des Handgelenks mittels Arthrodesenplatte hat der Sachverständige überdies ausgeführt, dass die in dem ersten Rentengutachten der Ärzte Dr. D. und Dr. K. angegebene Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks schon im Jahr 2006 fast eine komplette Versteifung dargestellt habe, da nur noch Wackelbewegungen möglich gewesen seien. Dies ergebe sich auch aus den Erhebungen in dem Messblatt, welches dem Gutachten beilag. Da auch Wackelbewegungen noch sehr schmerzhaft seien, sei mit der Notwendigkeit einer späteren- nach dem Verständnis der Kammer also ärztlicherseits bewusst herbeigeführten - kompletten Versteifung des Handgelenks zu rechnen gewesen.

Bei seiner schriftlichen Begutachtung hat der Sachverständige weitere Punkte angeführt, die für eine frühzeitige Erkennbarkeit des späteren Eintritts der nunmehr vorliegenden Folgeschäden sprechen. So sei eine posttraumatische Arthrose eine der häufigsten Komplikationen nach distaler Radiusfraktur. Auch die im ersten Rentengutachten erwähnte Stufe in der Gelenkfläche und die Verschmälerung des Gelenkspaltes seien Hinweise auf eine Arthrose.

Unter Betrachtung all dieser Umstände und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Sachverständigen ist die Kammer davon überzeugt, dass ein im Jahr 2007 mit der Beurteilung des Ausmaßes und der voraussichtlichen weiteren Entwicklung des Schadens beauftragter Sachverständiger mit der fortschreitenden Arthrose und der späteren Notwendigkeit der künstlichen Versteifung des Handgelenks ernstlich gerechnet hätte und diese künftigen Folgen als derart naheliegend erachtet hätte, dass sie bereits bei der ursprünglichen Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt worden wären.

Nicht entscheidend ist insoweit, dass die Ärzte Dr. D. und Dr. K. im Jahr 2005 noch mit einer Verbesserung des Zustandes gerechnet haben (geringere künftige MdE) und keine wesentliche posttraumatische Veränderung festgestellt haben. Denn zum einen waren die Ärzte nicht explizit beauftragt, mögliche künftige Schäden zu analysieren, zum anderen wurde eine beginnende Arthrose jedenfalls ein Jahr später, also bereits ein Jahr vor Abschluss des Vergleiches, durch Dr. H. ausdrücklich festgestellt. Abzustellen war vorliegend auf einen objektiven Sachverständigen, nicht auf die damaligen mit der Sache befassten Ärzte. Es kommt weder entscheidend darauf an, was diese damals in ihre Berichte und Stellungnahmen aufgenommen bzw. nicht aufgenommen haben, noch auf die Vorstellungen und Erwartungen der Parteien. Ob bestimmte ärztliche Unterlagen aus Sicht der Parteien Vergleichsgrundlage geworden sind, kann angesichts der Formulierung der Abgeltungsklausel dahinstehen. Auf die Kenntnisse des Klägers wäre es lediglich im Rahmen der Frage der Verjährung angekommen, die sich vorliegend aber wegen des einem weiteren Anspruch entgegenstehenden Vergleichs nicht mehr stellt.

II.

Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache sind auch die geltend gemachten Nebenkosten nicht begründet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

IV.

Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.