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Landgericht Mühlhausen Beschluss vom 19.01.2016 - 3 Qs 9/16 - Erwerb eines tschechischen Führerscheins während laufender Sperrfrist
LG Mühlhausen v. 19.01.2016: Erwerb eines tschechischen Führerscheins während laufender Sperrfrist
Das Landgericht Mühlhausen (Beschluss vom 19.01.2016 - 3 Qs 9/16) hat entschieden:
Eine während einer laufenden Sperrfrist in Tschechien erteilte Fahrerlaubnis berechtigt nicht zum Gebrauch derselben im deutschen Inland; die Teilnahme damit am öffentlichen Straßenverkehr in Deutschland ist strafbares Fahren ohne gültige Fahrerlaubnis.
Siehe auch EU-Führerschein - Fahren ohne Fahrerlaubnis und Stichwörter zum Thema EU-Führerschein
Gründe:
I.
Der mehrfach, insbesondere wegen Straßenverkehrsdelikten vorbestrafte Beschwerdeführer wurde vom Amtsgericht Northeim am 23.03.2007, rechtskräftig seit dem 04.05.2007, der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr schuldig gesprochen. Zudem wurde seine Fahrerlaubnis entzogen und angeordnet, dass ihm vor Ablauf des 22.12.2007 keine neue erteilt werden darf.
Bis dahin war der Betroffene, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik hat, im Besitz einer deutschen Fahrerlaubnis. Eine solche hat er seither nie wieder erlangt.
Stattdessen ließ sich der Beschwerdeführer am 04.10.2007 und damit noch während der laufenden Sperrfrist von der tschechischen Republik eine Fahrerlaubnis erteilen. Ob der Beschwerdeführer zuvor, zumindest vorübergehenden Aufenthalt in der Tschechei genommen hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls weist der Führerschein mit der Nummer .... einen tschechischen Wohnort aus.
Wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr verurteilte ihn das Amtsgericht Heiligenstadt am 09.10.2008, rechtskräftig sei dem gleichen Tage, zu einer Geldstrafe und entzog dem Betroffenen seine (tschechische) Fahrerlaubnis. Sogleich ordnete es eine Sperre zur Wiedererteilung bis zum 08.10.2009 an. Vom Vorwurf des Fahrens ohne Fahrerlaubnis sprach das Gericht den Beschwerdeführer mit folgender Begründung frei:
"Soweit dem Angeklagten vorgeworfen wurde, am 24.02.2008 öffentliche Straßen ohne eine gültige Fahrerlaubnis befahren zu haben, ist der Angeklagte freizusprechen. Er war im Besitz einer tschechischen Fahrerlaubnis, die durch Urteil des Amtsgerichts Northeim vom 23.03.2007 erteilte Sperre für die Fahrerlaubnis war bereits am 22.12.2007 abgelaufen."
Nach Rechtskraft der Entscheidung wurde der Führerschein über das Kraftfahrtbundesamt Flensburg an die ausstellende Behörde nach Tschechien versandt. Die dortige Fahrerlaubnisbehörde händigte den Führerschein zu einem nicht bekannten Zeitpunkt ganz offensichtlich wieder an den Betroffenen aus.
Mit Urteil vom 13.07.2011 sprach das Amtsgericht Heiligenstadt den Beschuldigten wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis schuldig und verhängte eine isolierte Sperrzeit gemäß § 69a Abs. 1 StGB bis zum 12.03.2013. In den Entscheidungsgründen führte der Richter nunmehr aus, dass die tschechische Fahrerlaubnis wegen der Erteilung während einer von einem deutschen Gericht ausgesprochenen Sperrzeit im Inland keine Gültigkeit besitze.
Im hiesigen Verfahren wurde der Beschwerdeführer am 27.07.2015 gegen 11.01 Uhr von zwei Polizeibeamten in Breitenbach abermals als Fahrzeugführer eines Kraftfahrzeuges im öffentlichen Straßenverkehr festgestellt, wobei er wiederum nur im Besitz des vorgenannten tschechischen Führerscheins war.
Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Mühlhausen wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) ein Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten ein. Mit Verfügung vom 19.11.2015 beantragte der zuständige Dezernent beim Amtsgericht - Ermittlungsrichter - Mühlhausen aus "deklaratorischen Gründen" die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO.
Diesem Antrag kam das Gericht durch Beschluss vom 25.11.2015 nach, wobei ein etwaiger deklaratorischer Charakter der Entscheidung nicht zu entnehmen ist.
Zwecks Beschlagnahme des Führerscheins begaben sich die Polizeibeamten Brand und Thomas am 09.12.2015 zur Wohnanschrift des Beschuldigten nach Breitenbach. Dort beobachteten diese, wie der Beschuldigte wiederum als Fahrzeugführer eines Pkws von der Hinterdorfstraße kommend auf sein Grundstück fuhr. In der weiteren Folge der Maßnahme wurde der tschechische Führerschein, ausgestellt am 04.10.2007, beschlagnahmt. Zuvor musste der Beschuldigte, der mehrfach verbal ausfallend gegenüber den Polizeikräften geworden ist, wiederholt zur Ordnung ermahnt werden. Diesen Sachverhalt nahm die Staatsanwaltschaft Mühlhausen zum Anlass ein weiteres Verfahren gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG einzuleiten (Az.: 285 Js 40279/16).
Mit Schreiben vom 14.12.2015 hat der Verteidiger des Beschuldigten gegen den Beschluss vom 25.11.2015 Beschwerde eingelegt.
Dieser hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und sie dem Landgericht - Beschwerdekammer - Mühlhausen zur Entscheidung vorgelegt.
Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Beschwerde des Beschuldigten ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Die angegriffene Entscheidung des Amtsgerichts erweist sich als rechtmäßig und ist nicht zu beanstanden.
Nach § 111a Abs. 1 S. 1 StPO kann die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen werden, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Fahrerlaubnis nach § 69 StGB entzogen werden wird. Erforderlich hierfür ist ein dringender Tatverdacht einer rechtswidrigen Tat i.S.d. § 69 Abs. 1 StGB und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht den Beschuldigten für ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen halten und ihm daher die Fahrerlaubnis entziehen werde (vgl. StPO, Meyer-Goßner, 55. Auflage, 2012, § 111a Rdnr. 2).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Der Beschuldigte ist nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen des Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG dringend verdächtig. Er wurde bei der von ihm nicht bestrittenen Fahrt vom 27.07.2015 als Fahrzeugführer festgestellt, ohne berechtigt zu sein, mit seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
Um in Deutschland auf öffentlichen Straßen ein Kraftfahrzeug zu führen, bedarf es nach § 2 Abs. 1 StVG grundsätzlich einer von einer deutschen Behörde ausgestellten deutschen Fahrerlaubnis. Eine EU-Fahrerlaubnis berechtigt nach § 28 Abs. 1 FeV ebenfalls dazu, Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen, wenn keine der Einschränkungen nach § 28 Abs. 2 bis 4 FeV vorliegt. Nach § 28 Abs. 4 Ziffer 4 FeV gilt die generelle Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV so insbesondere nicht für Inhaber einer EU-Fahrerlaubnis, denen aufgrund einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung keine Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Ein solcher Fall liegt hier vor. Dem Beschuldigten wurde mit Urteil des Amtsgerichts Northeim vom 23.03.2007 die (damals deutsche) Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist bis zum 22.12.2007 angeordnet. Während dieser Sperrfrist wurde dem Beschwerdeführer die tschechische EU-Fahrerlaubnis ausgestellt, obwohl ihm aufgrund der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung des Amtsgerichts keine Fahrerlaubnis erteilt werden durfte, § 28 Abs. 4 Ziffer 4 FeV.
Demzufolge ist er seither nicht berechtigt, mit der tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen. Hierfür wäre vielmehr Voraussetzung gewesen, dass er nach Ablauf der jeweiligen Sperrfristen einen Antrag gemäß § 28 Abs. 5 FeV auf Anerkennung bei der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde in Deutschland stellt. Dies ist jedoch nicht geschehen.
§ 28 Abs. 4 Ziffer 4 FeV ist auch nicht europarechtswidrig. Der Europäische Gerichtshof hat diese Norm in verschiedenen Entscheidungen vielmehr als vereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht anerkannt. Im Beschluss vom 03.07.2008 (Az. C-225/07, Fall: "Möginger", zitiert nach "juris") hat der EuGH für die vorliegende Fallkonstellation, also dass von einer EU-Fahrerlaubnis, die während des Laufs einer von einem deutschen Gericht ausgesprochenen Sperrfrist ausgestellt wurde, in Deutschland nach Ablauf der Sperrfrist Gebrauch gemacht wird, die Versagung der Anerkennung nach § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV ausdrücklich für mit EU-Recht vereinbar erklärt.
Demnach war der Angeklagte zur Tatzeit nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis, die ihn zum Führen eines PKW in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt hätte. Daher folgt die fehlende Fahrerlaubnis bereits aus § 28 Abs. 4 Nr. 4 FeV selbst und bedarf keines zusätzlichen Verwaltungsaktes der zuständigen Fahrerlaubnisbehörde.
Der Beschuldigte handelte auch vorsätzlich. Vor der Entscheidung des EuGH im Fall "Möginger" war die Rechtslage für derartige wie die vorliegende Konstellation höchst umstritten. Seither ist die Rechtslage aber klar. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte seit der Verurteilung durch das Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt aus dem Jahr 2011 auch wusste, dass seine tschechische Fahrerlaubnis ihn nicht berechtigt, in Deutschland ein Fahrzeug zu führen. Er wurde auf diesen Umstand ausdrücklich im Urteil hingewiesen. Seither hat er auch keinerlei positive Auskünfte hinsichtlich seiner Fahrtberechtigung von der für ihn zuständigen Fahrerlaubnisbehörde erhalten. Eine Nachfrage dort ergab, dass kein Antrag auf Zuerkennung gemäß § 28 Abs. 5 FeV gestellt worden ist.
Nach alledem ist von einem dringenden Tatverdacht hinsichtlich des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gemäß § 21 StVG auszugehen.
Obgleich dieser Tatbestand keine Katalogtat im Sinne des § 69 Abs. 2 StGB darstellt, ist mit dringender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis am Ende der Hauptverhandlung gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzogen werden wird. Wie dargelegt, weiß der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2011, dass er nicht berechtigt ist, Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen. Gleichwohl hat er am 27.07.2015 ohne Skrupel wieder einen Pkw im Straßenverkehr geführt. Diese Verhaltensweise offenbart, dass der Beschuldigte nicht bereit ist, geltende Regeln einzuhalten und dazu neigt, seine Interessen vor die der anderen Verkehrsteilnehmer zu stellen. Wie schwerwiegend seine charakterlichen Mängel sind, zeigt sich auch daran, dass der Beschwerdeführer trotz des gerichtlichen Hinweises im Urteil vom 13.07.2011 sowie der Einleitung des hiesigen Ermittlungsverfahrens wegen der Tat vom 27.07.2015 am 09.12.2015 wieder am innerdeutschen Verkehr teilnahm. Demgemäß besteht die dringende Annahme, dass er zum Führen eines Kraftfahrzeuges nicht geeignet ist und ihm deswegen (abermals) die Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB entzogen werden wird.
Nach alledem erweist sich die angegriffene Entscheidung als rechtmäßig. Dem Beschuldigten war gemäß § 111a StPO die Fahrerlaubnis vorläufig zu entziehen, wobei der angegriffenen Entscheidung nicht nur deklaratorischer Charakter zukommt. Zum einen ist eine solche Einschränkung dem Beschluss vom 25.11.2015 nicht zu entnehmen, auch wenn der Antrag der Staatsanwaltschaft ursprünglich auf eine solche Feststellung abzielte. Zum anderen hätte es einer solchen Einschränkung auch nicht bedurft, da in der erneuten Aushändigung des Führerscheins durch die tschechische Fahrerlaubnisbehörde nach Ende des Jahres 2008 ein nach außen tretender (neuer) staatlicher Hoheitsakt zu erblicken ist, dem es nunmehr gilt, wirksam zu begegnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.