Das Verkehrslexikon
OLG Zweibrücken Beschluss vom 16.09.2009 - 1 SsBs 28/09 - Verkehrsbedingte Säumnis des Betroffenen
OLG Zweibrücken v. 16.09.2009: Verkehrsbedingte Säumnis des Betroffenen und Verwerfungsurteil
Das OLG Zweibrücken (Beschluss vom 16.09.2009 - 1 SsBs 28/09) hat entschieden:
Die Urteilsgründe des Tatgerichts müssen sich mit einer verkehrsbedingten Verspätung des Betroffenen auseinandersetzen.
Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Säumnis des Betroffenen bzw. Angeschuldigten in der Hauptverhandlung im OWi- oder Strafverfahren
Gründe:
Durch Bußgeldbescheid der Stadt Ludwigshafen am Rhein vom 12. August 2008 wurde gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 41 km/h ein Bußgeld von 185 € festgesetzt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein durch das angefochtene Urteil vom 19. Mai 2009 verworfen, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung und ohne genügende Entschuldigung zur Hauptverhandlung nicht erschienen sei. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die rechtzeitig und in der Form nach § 79 Abs. 3 OWiG, §§ 341 Abs. 1, 345 Abs. 2 StPO eingelegt und begründet worden ist.
Die Rechtsbeschwerde, die nach rechtskräftiger Versagung der vom Betroffenen in erster Linie erstrebten Wiedereinsetzung zur Entscheidung ansteht (§ 79 Abs. 3 OWiG; § 342 StPO; vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1988, 318; KK-OWiG 3. Aufl. § 74 Rn. 50 f.) ist statthaft nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 OWiG und auch im Übrigen zulässig; das Fehlen eines ausdrücklichen Beschwerdeantrags (§ 79 Abs. 3 OWiG; § 344 Abs. 1 StPO) ist in vorliegendem Fall unschädlich (vgl. nur Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 344 Rn. 2). Das Rechtsmittel führt im Ergebnis zu dem offenbar erstrebten vorläufigen Erfolg.
Mit der Beschwerde wird gerügt, das Amtsgericht habe trotz einer durch den Verteidiger angekündigten und auf ungünstige Verkehrsverhältnisse zurückzuführenden Verspätung des Betroffenen keine ausreichende Wartezeit eingehalten; das Verwerfungsurteil sei daher zu Unrecht ergangen. Diese Rüge führt jedenfalls deshalb zum Erfolg, weil sich die Gründe des angefochtenen Urteils nicht ausreichend mit der bei Erlass der Verwerfungsentscheidung gegebenen Verfahrenslage auseinandersetzen. Das Gericht muss nämlich bei einer solchen Entscheidung in Betracht kommende Einwendungen und Bedenken gegen die Möglichkeit der Einspruchsverwerfung in seinem Urteil erwägen; fehlt es daran, ist das Urteil grundsätzlich aufzuheben, weil das Beschwerdegericht dann nicht beurteilen kann, ob solche Umstände vollständig und rechtsfehlerfrei gewürdigt worden sind (OLG Celle ZfS 2000, 365; OLG Stuttgart ZfS 2002, 253 und NStZ-RR 2003, 273; KK-OWiG, 3. Aufl. § 74 Rn. 39 f.; Göhler, OWiG 15. Aufl. § 74 Rn. 34 und 48d).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Dass die Verteidigung auf eine verkehrsbedingte Verspätung des Betroffenen hingewiesen hatte, wird von der Beschwerde ordnungsgemäß vorgetragen (§ 79 Abs. 3 OWiG; § 344 Abs. 2 S. 2 StPO) und findet sich in den wesentlichen Grundzügen auch durch den Akteninhalt bestätigt. Mit diesem Umstand setzt sich die Urteilsbegründung, die rein formularmäßig abgefasst ist, nicht auseinander. Nicht ausreichend wäre auch eine Bezugnahme des Urteils auf das Sitzungsprotokoll (vgl. OLG Düsseldorf MDR 1991, 227; Göhler a.a.O., § 74 Rn. 34). Erst recht nicht genügen kann es, wenn sich – wie hier - das Protokoll, das derartige Feststellungen enthält, auf demselben Formularvordruck befindet wie das schriftliche Urteil; das Protokoll enthält zudem keinerlei Bewertungen der dort ersichtlichen Verfahrenstatsachen.
Ein derartiger Erörterungsmangel ist zwar dann ausnahmsweise unschädlich, wenn die in Frage stehenden Umstände dem Erlass eines Verwerfungsurteils ganz offensichtlich nicht entgegen stehen konnten (vgl. BayObLG NStZ-RR 1999, 187; OLG Hamm VRS 68 – 1985 -, 55; Göhler a.a.O., § 74 Rn. 48d). Dies war aber hier nicht der Fall. Auch wenn der Betroffene ohne ausreichende Entschuldigung, aber auch ohne grobe Nachlässigkeit oder Mutwilligkeit nicht pünktlich zur Hauptverhandlung erscheint, muss das Gericht nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens, wegen seiner hieraus abzuleitenden Fürsorgepflicht und aufgrund des Ausnahmecharakters der Verwerfungsentscheidung nicht nur eine Wartezeit von grundsätzlich 15 Minuten einhalten; vielmehr ist zusätzlich ein weiterer Zeitraum zuzuwarten, wenn der Betroffene innerhalb dieser Wartezeit mitteilt, dass er sich verspäten, aber noch innerhalb angemessener Zeit erscheinen werde (OLG Frankfurt DAR 2008, 33; OLG Hamm NStZ-RR 2007, 184; KG NZV 2001, 356 und Beschluss vom 13.4.2006, 2 Ss 56/06 – juris; Göhler a.a.O., § 74 Rn. 28).
Mit diesen Grundsätzen hätte sich das Amtsgericht vor Erlass seiner Verwerfungsentscheidung auseinandersetzen müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat danach die Auffassung vertreten, dass auch auf der Grundlage der im Sitzungsprotokoll, in der dienstlichen Erklärung des Amtsrichters vom 3. Juni 2009 (Bl. 129 d.A.) und im Beschluss des Amtsgerichts vom 13. Juli 2009 (Bl. 135 d.A.) festgehaltenen Einzelheiten des Verfahrensablaufs eine weitere Wartezeit einzuhalten gewesen wäre. Dies erscheint auch aus der Sicht des Beschwerdegerichts erwägenswert; die fraglichen Umstände können danach jedenfalls nicht als offensichtlich bedeutungslos abgetan werden.
Im Anschluss an den Erlass des Verwerfungsurteils sind nicht unerhebliche Meinungsverschiedenheiten zwischen Gericht und Verteidiger über bestimmte Einzelheiten des Verhandlungsablaufs aufgetreten, die das weitere Verfahren belasten könnten. Es wird daher von der Möglichkeit der Zurückverweisung an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts (§ 79 Abs. 6 OWiG; § 354 Abs. 2 StPO) kein Gebrauch gemacht. In der neuen Verhandlung wird nunmehr auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden sein (vgl. KK-OWiG a.a.O., § 79 Rn. 165).