Das Verkehrslexikon

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OLG Celle Beschluss vom 18.08.2015 - 2 Ss (OWi) 240/15 - Zustellung des Bußgeldbescheides und 6-Monats-Verjährung

OLG Celle v. 18.08.2015: Zustellung des Bußgeldbescheides ist Voraussetzung der 6-Monats-Verjährung


Das OLG Celle (Beschluss vom 18.08.2015 - 2 Ss (OWi) 240/15) hat entschieden:
  1. Fehlt es an einer wirksamen Zustellung des Bußgeldbescheides, kommt es nicht zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate nach §§ 26 Abs. 3 StVG, 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG. Allerdings können andere Tatbestände des § 33 OWiG (innerhalb der dreimonatigen Frist) die Verjährung weiterhin unterbrechen.

  2. Ein Zustellungsmangel wird durch das Faxen des Bescheides von dem Betroffenen an den Verteidiger auch nicht gem. § 51 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 8 VwZG durch einen nachträglichen tatsächlichen Zugang beim Empfangsberechtigten geheilt. Es entspricht st. Rspr. der hiesigen Bußgeldsenate, das eine wirksame Zustellung an den Verteidiger jedenfalls voraussetzt, dass der Bußgeldbescheid erkennbar an ihn adressiert ist.

Siehe auch Verjährung von Verkehrsordnungswidrigkeiten und Zustellung des Bußgeldbescheides und Verjährungsunterbrechung


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h zu einer Geldbuße von 120 € verurteilt. Die Betroffene beruft sich auf Verjährung. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Wegen der dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Tat vom 27.03.2014 wurde die Betroffene mit Schreiben vom 16.04.2014 durch die Bußgeldbehörde angehört. Dieses Schreiben war an die Adresse der Betroffenen I. Z. in S. gerichtet. Auf die Anfrage der Bußgeldbehörde an die Meldebehörde in S. zur Überprüfung der Meldedaten teilte diese am 28.04.2014 mit, dass die Betroffene aus der Wohnung in S. am 01.12.2013 ausgezogen und zum selben Zeitpunkt in die Straße A. d. L. in W. eingezogen sei. Die Bußgeldbehörde adressierte den Bußgeldbescheid vom 16.05.2014, mit dem gegen die Betroffene ein Bußgeld in Höhe von 156 € und ein Fahrverbot von einem Monat Dauer wegen einer beharrlichen Pflichtverletzung verhängt wurde, an die Adresse in W. Dort wurde der Bußgeldbescheid am 21.05.2014 zugestellt und von einer Hausangestellten der Eltern der Betroffenen entgegengenommen. Nach Einspruch durch den Verteidiger der Betroffenen ging die Akte am 08.07.2014 beim Amtsgericht ein. Eine durch das Gericht eingeholte Einwohnermeldeamtsauskunft ergab, dass die Betroffene bis zum 30.04.2014 an der Adresse in W. gewohnt hat und dann an die Adresse in S. verzogen ist. Am 11.08.2014 erfolgte sodann die Terminierung für den 24.10.2014. Dieser Termin wurde am 23.10.2014 wegen Erkrankung der Betroffenen aufgehoben. Erst am 22.12.2014 erfolgte eine erneute Terminierung für den 13.03.2015, die dann später wieder verschoben wurde auf den 20.04.2015. Die Betroffene beruft sich auf Verjährung, weil der Bußgeldbescheid nicht wirksam zugestellt worden sei und daher keine Verlängerung der Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 2. HS StVG auf sechs Monate erfolgt sei. Daher sei drei Monate nach dem 16.04.2014 Verjährung eingetreten; auf die weiteren Unterbrechungstatbestände wie den Eingang der Akten beim Amtsgericht am 08.07.2014 komme es nicht an. Tatsächlich habe Betroffene den Bußgeldbescheid zu keinem Zeitpunkt erhalten. Lediglich ihrem Verteidiger sei von der Mutter der Betroffenen der Bußgeldbescheid zugefaxt worden.

Das Original des Bußgeldbescheides sei daraufhin vernichtet worden.

Im angefochtenen Urteil vertritt das Amtsgericht die Auffassung, dass keine Verjährung eingetreten sei, da sich spätestens mit Eingang der Akten bei Gericht die Verjährungsfrist gemäß § 26 Abs. 3 StVG von zuvor drei auf sechs Monate verlängert habe. Spätestens die auf den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid folgende nächste verjährungsunterbrechende Handlung markiere den Übergang von dem summarischen Verfahren in das sich anschließende prüfungsintensivere gerichtliche Verfahren mit der Folge einer Verlängerung der Verjährungsfrist.

Mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde beruft die Betroffene sich weiterhin auf den Eintritt der Verjährung und beantragt die Zulassung der Rechtsbeschwerde, u. a. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen, da ein klärendes Wort zur mangelnden Verlängerung der Verjährungszeit auf sechs Monate ohne wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides nicht mehr gesagt werden müsse. Allein das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung könne der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 5 OWiG nicht zum Erfolg verhelfen.

II.

1. Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Zwar gilt nach § 80 Abs. 5 OWiG, dass grundsätzlich im Rechtsbeschwerdeverfahren nur solche Verfahrenhindernisse relevant sind, die nach Erlass des angefochtenen Urteils eingetreten sind. Die Verfolgungsverjährung ist jedoch im Zulassungsverfahren dann zu prüfen, wenn es wegen dieser Frage geboten ist, die Rechtsbeschwerde zuzulassen (vgl. dazu Göhler-​Seitz, 16. Aufl., § 80 Rdnr. 24). Dies ist hier der Fall. Die vom Amtsgericht vertretene Auffassung widerspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Frage der Verlängerung der Verjährung gemäß § 26 Abs. 3 2. HS StVG. Zwar rechtfertigt allein eine Fehlentscheidung eine Zulassung der Rechtsprechung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht, sondern nur dann, wenn eine Wiederholungsgefahr besteht (vgl. dazu Göhler-​Seitz, a. a. O., § 80 Rdnr. 5 ff.; OLG Oldenburg, DAR 2012, 93). Von einer solchen Wiederholungsgefahr ist hier auszugehen, da die maßgebliche Rechtsfrage bereits höchstrichterlich entschieden worden ist (vgl. dazu grundlegend BGHSt 45, 261 sowie nachfolgend etwa OLG Bamberg, Beschluss vom 12.12.2005, 3 Ss (OWi) 1354/05), diese Rechtsprechung dem Amtsgericht aufgrund des vorherigen Hinweises durch den Verteidiger bekannt war und der Amtsrichter trotzdem von dieser Entscheidung abgewichen ist. Ein Sicherungsbedürfnis ist daher in diesem Ausnahmefall zu bejahen (vgl. auch KK-​Senge, OWiG, 4. Aufl., § 80 Rdnr. 15).

2. Nach § 80 a Abs. 3 Satz 1 OWiG war das Verfahren daher zugleich dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.

3. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde war das angefochtene Urteil aufzuheben und das Verfahren einzustellen.

Bereits vor Urteilsverkündung war Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 OWiG eingetreten.

a) Die Verjährungsfrist betrug für den verfahrensgegenständlichen Verstoß drei Monate gemäß § 26 Abs. 3 HS 1 StVG. Zu einer Verlängerung der Verjährungszeit auf sechs Monate ist es nicht gekommen, denn der Bußgeldbescheid ist nicht innerhalb von zwei Wochen ab Erlass wirksam zugestellt worden. Sowohl für die Verlängerung der Frist auf sechs Monate gemäß § 26 Abs. 3 HS 2 StVG als auch für die Unterbrechung der Verjährung nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG ist nicht nur ein wirksamer Bußgeldbescheid, sondern auch dessen wirksame Zustellung erforderlich (vgl. dazu BGHSt 45, 261; OLG Celle, NZV 2012, 45; OLG Bamberg, a. a. O.; Göhler-​Gürtler, a. a. O., § 33 Rdnr. 35 a; a. A.: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 26 StVG Rn 7). Eine wirksame Zustellung des Bußgeldbescheides liegt hier nicht vor. Nach dem Vortrag der Betroffenen und nach der Auskunft des Einwohnermeldeamtes W. sowie der Stadt S. vom 07.08.2014 wohnte die Betroffene ab dem 30.04.2014 in S.

b) Der Zustellungsmangel ist durch das Faxen des Bescheides von der Mutter der Betroffenen an den Verteidiger auch nicht gemäß § 51 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 8 VwZG durch einen nachträglichen tatsächlichen Zugang beim Empfangsberechtigten geheilt worden. Es entspricht ständiger Rechtsprechung der hiesigen Bußgeldsenate, dass eine wirksame Zustellung an den Verteidiger jedenfalls voraussetzt, dass der Bußgeldbescheid erkennbar an ihn adressiert ist (vgl. OLG Celle, a. a. O.). Hier war der Bußgeldbescheid jedoch an die Betroffene adressiert. Nach Aktenlage hat die Betroffene selbst den Bußgeldbescheid zu keinem Zeitpunkt erhalten. Es ist auch nicht erkennbar, dass weitere Aufklärungsmaßnahmen dazu Erfolg versprechen würden.

c) Damit ist es nicht zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist auf sechs Monate gekommen.

Anders als die Verteidigung meint, ist Verjährung damit allerdings nicht schon drei Monate nach dem Datum der Anhörung am 16.04.2014 eingetreten. Denn die weiteren Unterbrechungstatbestände des § 33 Abs. 1 OWiG entfalten ihre Wirkung unabhängig davon, ob die Zustellung des Bußgeldbescheides wirksam war. So ist auch das OLG Bamberg in der von der Verteidigung zitierten Entscheidung davon ausgegangen, dass durch den Eingang der Akten beim Amtsgericht gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 OWiG, sofern diese innerhalb der Dreimonatsfrist erfolgt, die Verjährung - erneut - wirksam unterbrochen wird. Eine solche Verjährungsunterbrechung durch Eingang der Akten beim Amtsgericht ist auch hier erfolgt. Der Eingang der Akten beim Amtsgericht war am 08.07.2014, mithin innerhalb der Dreimonatsfrist seit dem 16.04.2014. Eine weitere Verjährungsunterbrechung kann durch eine nachfolgende Terminsanberaumung erfolgen, vgl. OLG Bamberg, a. a. O. Auch dies ist geschehen, nämlich durch die Terminierung am 11.08.2014. Die nächste Unterbrechungshandlung, nämlich die nächste Anberaumung einer Hauptverhandlung gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG, erfolgte dann jedoch erst am 22.12.2014, mithin zu einem Zeitpunkt, als die Dreimonatsfrist seit dem 11.08.2014 bereits abgelaufen war. Die Verjährungsfrist endete daher am 10.11.2014.

Wegen dieses Verfahrenshindernisses war das Verfahren daher gemäß §§ 46 OWiG i. V. m. 260 Abs. 3 StPO einzustellen.

Gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. 354 Abs. 1 StPO konnte die Einstellung des Verfahrens durch den Senat selbst ausgesprochen werden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 467 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG. Nachdem der Verteidiger bereits frühzeitig auf den Eintritt der Verfolgungsverjährung hingewiesen hatte, sind keine Gründe ersichtlich, die es unbillig erscheinen lassen würden, von einer Auferlegung der notwendigen Auslagen der Betroffenen auf die Landeskasse abzusehen (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO).