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OLG Düsseldorf Urteil vom 13.10.2015 - I-1 U 179/14 - Wendeunfall und Verdienstausfall bei Beschädigung eines Taxis

OLG Düsseldorf v. 13.10.2015: Haftungsverteilung bei Kollision eines Wendenden mit einem mit überhöhter Geschwindigkeit Herannahenden und Verdienstausfall bei Beschädigung eines Taxis


Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 13.10.2015 - I-1 U 179/14) hat entschieden:
  1. Kollidiert ein Wendender mit einem Herannahenden, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 50 % überschreitet (hier: 45 km/h bei erlaubten 30 km/h), so trifft den Wendenden ein höherer Haftungsanteil (hier: 2/3), wenn er das herannahende Kraftfahrzeug trotz dessen überhöhter Geschwindigkeit hätte erkennen und den Unfall vermeiden können.

  2. Der Verdienstausfall nach Beschädigung eines gewerblich genutzten Fahrzeugs ist konkret zu berechnen, eine abstrakte Berechnung der Nutzungsausfallschäden ist nicht möglich. Zwar greift die Beweiserleichterung des § 252 S. 2 BGB, der Geschädigte muss aber hinreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung auf Grundlage des § 287 ZPO liefern. Legt er notwendige Belege für eine Schadensschätzung nicht vor, scheidet eine solche aus.

Siehe auch Wenden und Verdienstausfall - Gewinnentgang - bei Unfallbeshädigung eines Taxifahrzeugs


Gründe:

Die Parteien streiten um materiellen Schadensersatz (insgesamt: 6.731,25 €) aus einem Verkehrsunfall, der sich am 04.04.2009 in Düsseldorf ereignete. Der Zeuge K befuhr als Taxifahrer mit dem Taxi Mercedes-​Benz des Klägers die Joseph-​Gockeln-​Straße, auf der eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gilt. Auf Höhe einer Einfahrt an der Hausnummer ... kam es zur Kollision mit dem von dem Beklagten zu 1) geführten Pkw Ford der Beklagten zu 2), welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist. Streitig war zwischen den Parteien insbesondere, ob der Beklagte zu 1) einen Wendevorgang durchführte und ob dieser bereits beendet war sowie ob sich der Zeuge K mit überhöhter Geschwindigkeit der Unfallstelle näherte. Neben den unstreitigen Positionen der Reparaturkosten (5.196,30 €), der Abschleppkosten (170 €), der Kostenpauschale (25 €) und der Kosten des Feuerwehreinsatzes (89,95 €) verlangt der Kläger Verdienstausfall i. H. v. 1.250 € für die Zeit vom 04.04. bis 16.04.2009. Hierzu behauptet er, dass der Ausfall des Taxis zu dem Verlust von mindestens 50 € pro Schicht geführt habe. Da Doppelschichten gefahren worden seien, seien 25 Schichten á 50 € zu berücksichtigen.

Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache i. H. v. 2.740,63 € stattgegeben sowie 334,75 € als außergerichtliche Rechtsanwaltskosten zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Parteien für die Folgen des Unfallgeschehens jeweils zu 50 % hafteten. Hieraus ergebe sich aus den unstreitigen Schadenspositionen ein zuzusprechender Gesamtbetrag i. H. v. 2.740,63 €. In Bezug auf den verlangten Ersatz des Verdienstausfalls i. H. v. 1.250 € sei die Klage abzuweisen, da ein entgangener Gewinn trotz der mehrfachen gerichtlichen Hinweise nicht schlüssig dargetan sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren unter Berücksichtigung einer Haftungsquote der Beklagten von 75 % weiterverfolgt.

Mit der Anschlussberufung begehren die Beklagten die weitergehende Klageabweisung in Bezug auf einen Teil der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berechnung nur netto sowie auf Grundlage des bis zum 31.07.2013 geltenden RVG).

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Die zulässige Anschlussberufung der Beklagten ist im Ergebnis unbegründet.

I.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts haften die Beklagten als Gesamtschuldner für die Folgen des streitgegenständlichen Unfalls i. H. v. 2/3.

1. Was die jeweiligen von dem Landgericht festgestellten Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten angeht, werden diese in tatsächlicher Hinsicht in der Berufungsinstanz von keiner der Parteien angegriffen.

a) Damit steht zum einen fest, dass der Beklagte zu 1) einen Wendevorgang durchführte, der noch nicht beendet, sondern erst etwa zur Hälfte vollzogen war. Der Kollisionswinkel betrug ca. 90° (S. 10 des Gutachtens vom 22.06.2011). Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-​Ing. H hätte der Beklagte zu 1) zum Wendebeginn und -entschluss den von hinten herannahenden Mercedes-​Benz erkennen können. Folglich lässt sich – auch ohne die Anwendung der Grundsätze des Anscheinsbeweises (vgl. dazu Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 9 StVO, Rn. 59) – feststellen, dass er seinen hohen Sorgfaltsanforderungen, die § 9 Abs. 5 StVO an ihn stellt ("Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen”) nicht nachgekommen ist.

b) Auf Seiten des Klägers fällt ins Gewicht, dass sich der Zeuge K mit überhöhter Geschwindigkeit der Unfallstelle genähert hat. Seine Ausgangsgeschwindigkeit betrug nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-​Ing. H 45-​60 km/h. Bei der Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h hätte er den Unfall zeitlich (bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 45 km/h) bzw. räumlich (bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h) vermeiden können (vgl. S. 10 f. des Gutachtens vom 22.06.2011).

2. Die Abwägung der unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 17, 18 StVG ergibt hier eine höhere Haftung des wendenden Beklagten zu 1); die mit 2/3 angemessen erscheint.

a) Den Beklagten zu 1) trafen vorliegend die gesteigerten Sorgfaltspflichtanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO. Wenden erfordert äußerste Sorgfalt (König in Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 43. Auflage 2015, § 9 StVO Rn. 50). In der Regel trifft den Wendenden daher die alleinige Haftung (Burmann in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, § 9 StVO, Rn. 59). Fährt der Wendende zunächst in eine Grundstücksausfahrt und biegt sodann wieder auf die Fahrbahn ein, kommt in der Regel seine alleinige Haftung in Betracht (Grüneberg, Haftungsquoten, Rn. 261). Eine Mithaftung des anderen Verkehrsteilnehmers wird aber auch hier z. B. bei einer überhöhten Geschwindigkeit oder einer Fehlreaktion trotz Erkennens des Wendevorganges anzunehmen sein (Grüneberg, a. a. O.). Allerdings muss der Wendende grundsätzlich mit einer Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit in gewissem Maße rechnen (König in Hentschel, StVR, § 9 StVO Rn. 50; so auch ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Urteil vom 08.09.2009 – I-​1 U 196/08).

b) Diese Grundsätze führen dazu, dass trotz der vorliegend feststellbaren Geschwindigkeitsüberschreitung des klägerischen Fahrzeugs von 50 % (45 km/h bei erlaubten 30 km/h) eine höhere Haftung der Beklagten angemessen ist. Zwar war die Überschreitung der Geschwindigkeit nicht nur geringfügig. Andererseits bleibt es dabei, dass § 9 Abs. 5 StVO von dem Wendenden das höchste Maß an Sorgfalt abverlangt und der fließende Verkehr – trotz eigenen Sorgfaltspflichtverstoßes – den Vorrang vor dem Wendenden hat. Der Beklagte zu 1) hätte das herannahende Klägerfahrzeug trotz dessen überhöhter Geschwindigkeit – in der Berufungsinstanz unstreitig – erkennen und den Unfall vermeiden können. Den Wendenden trifft daher der höhere Haftungsanteil, welcher hier mit 2/3 angemessen ist (so bei einer Kollision zwischen einem Wendenden und einem Herannahenden mit einer Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 50 % auch OLG Köln, Urteil vom 17.03.1999 – 13 U 82/98). Der Senat hat bei einer Kollision zwischen einem Grundstücksabbieger und einem mit um 30 % überhöhter Geschwindigkeit Entgegenkommenden eine Haftungsverteilung von 75./.25 zu Lasten des Grundstücksabbiegers angenommen (Senat, Urteil vom 12.01.2013, I-​1 U 225/12). Hier lag die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit des Herannahenden höher, so dass eine höhere Mithaftung (1/3) gerechtfertigt ist.

II.

Streitig ist bei der Schadenshöhe lediglich die Position des Verdienstausfalls. Das Landgericht hat insoweit zu Recht die Klage abgewiesen, so dass die Berufung in diesem Punkt unbegründet ist.

1. Der Verdienstausfall nach Beschädigung eines gewerblich genutzten Fahrzeugs ist konkret zu berechnen, eine abstrakte Berechnung der Nutzungsausfallschäden ist nicht möglich (Jahnke in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 249 BGB Rn. 240 mit Hinweis auf BGH NJW 2008, 913, BGH NJW 1978, 812; OLG Düsseldorf NZV 1999, 472, OLG Hamm r+s 2000, 452; LG Halle NZV 2003, 34). Bei Taxi- und Mietwagenunternehmen kommt eine abstrakte Nutzungsausfallentschädigung nicht in Betracht; vielmehr bemisst sich der Schaden nach entgangenem Gewinn, Vorhaltekosten oder Miete eines Ersatzfahrzeugs (Jahnke, a. a. O. § 249 BGB Rn. 241 mit Hinweis auf KG NJOZ 2011, 592, KG NZV 2007, 244).

Hinsichtlich des hier allein geltend gemachten Verdienstausfalls (entgangener Gewinn) greift zwar die Beweiserleichterung des § 252 S. 2 BGB, wonach als entgangen der Gewinn gilt, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Auch auf Grundlage des § 287 ZPO gilt, dass insoweit die Schadenshöhe geschätzt werden kann. Der Geschädigte muss aber hinreichende Anhaltspunkte für eine solche Schätzung liefern, also auch ausreichende Schätzungsunterlagen vorlegen (Senat, Urteil vom 08.10.2013 – I-​1 U 226/12 m. w. N.). Die Ausgangs- und Anknüpfungstatsachen für die Schadensschätzung muss der Selbstständige darlegen und beweisen. Bei Fehlen ausreichender Grundlagen für eine Schadensschätzung ist die Klage abzuweisen (Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, 4. Auflage 2015, § 5 Rn. 94). Legt der Geschädigte notwendige Belege für eine Schadensschätzung nicht vor, scheidet eine solche aus. Ein Beweisantritt durch Sachverständigengutachten ersetzt in diesem Fall keinen schlüssigen Vortrag, sondern ist als Ausforschungsbeweis unzulässig (Senat, a. a. O.).

2. Damit wird deutlich, dass eine pauschale Berechnung von 50 € pro Schicht, wie sie der Kläger zunächst vorgenommen hat, offensichtlich unzulässig ist. Doch auch nach den mehrfachen und detaillierten Hinweisen des Landgerichts ist es dem Kläger nicht gelungen, ausreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung vorzulegen.

a) So berechnet der Kläger zwar nunmehr einerseits seine Umsätze konkret, zieht aber andererseits die ersparten Aufwendungen lediglich mit einer Pauschale von 12 % ab, obwohl das Landgericht bereits mit der Terminsladung vom 02.07.2012 darauf hingewiesen hatte, dass ein pauschaler Ansatz im Hinblick auf den Ausfall des Taxis nicht in Betracht komme, sondern der Kläger vielmehr zur Schadenshöhe konkret vortragen müsse (Bl. 173 GA). Konkrete Berechnung und abstrakte Schätzung schließen sich gegenseitig aus und dürfen nicht miteinander vermengt werden (Jahnke, Der Verdienstausfall im Schadensersatzrecht, § 5 Rn. 94 unter Hinweis auf KG Berlin, Urteil vom 26.01.2004 – 12 U 8954/00 = NZV 2005, 148).

b) Auch die von dem Kläger vorgelegten betriebswirtschaftlichen Auswertungen für die Jahre 2009 bis Juni 2013 (Bl. 250 ff. GA) stellen keine geeignete Grundlage für eine Schadensschätzung dar. Diesen lassen sich zwar die Jahresumsätze für 2009 – 2012 entnehmen. Zweifelhaft ist aber, ob an ersparten Aufwendungen lediglich die "Kfz-​Kosten” (hierbei dürfte es sich um die Spritkosten handeln) abzuziehen sind, oder ob auch in den Personalkosten umsatzabhängige Kosten enthalten sind. Ob die nach dem Vortrag des Klägers zur Verfügung stehenden 60 Fahrer fest angestellt sind – womit die Personalkosten auch beim Ausfall eines Taxis anfielen – oder lediglich abhängig vom Umsatz bezahlt werden, teilt der Kläger nicht mit.

c) Fraglich ist darüber hinaus, wie es sich auswirkt, dass der Kläger über 20 Taxen verfügt. Die Beklagten haben zu Recht bestritten, dass der Ausfall des streitgegenständlichen Taxis nicht (zumindest teilweise) durch die übrige Fahrzeugflotte habe aufgefangen werden können. Zu dem konkreten Einsatz der Fahrzeuge, insbesondere zu deren Auslastung, hat der Kläger aber nichts vorgetragen. Auch aus diesem Grunde lässt sich vorliegend nicht ermitteln, wie sich der Ausfall eines Taxis konkret auf den Verdienst des Klägers ausgewirkt hat.

d) Eine konkrete Berechnung des Verdienstausfalls hätte angesichts des kurzen geltend gemachten Zeitraums von 13 Tagen die Vorlage der einzelnen monatlichen Umsätze vor und nach dem Unfall erfordert. Nur so hätte sich ermitteln lassen, ob es überhaupt in dem streitgegenständlichen Zeitraum zu einer – nicht auf sonstigen Gründen beruhenden – Umsatzeinbuße gekommen ist. Den vorgelegten Jahresabrechnungen lässt sich dies nicht entnehmen.

e) Schließlich hat der Kläger auch zu dem geltend gemachten Zeitraum nicht ausreichend vorgetragen, obwohl das Landgericht zutreffend darauf hingewiesen hat, dass es auch insoweit einer konkreten Darlegung bedarf (Hinweisbeschluss vom 24.04.2013, Bl. 225 GA). Soweit er auf die in dem Schadens-​Gutachten angegebene Reparatur- oder Wiederbeschaffungsdauer verweist, kann dies nicht genügen. Denn diese Angabe stellt nur eine Prognose des Sachverständigen dar, die sich nicht realisieren muss. So ist hier, da der Kläger über eine eigene Reparaturwerkstatt verfügt, durchaus denkbar, dass der Wagen schneller als geschätzt repariert werden konnte. Auch ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger sich mit einer kostengünstigen Teilreparatur begnügt hat und den Wagen deshalb bereits nach kürzerer Zeit wieder einsetzen konnte. In beiden Fällen könnte der Kläger einen Gewinnausfall nur für den Zeitraum verlangen, in dem ihm das Fahrzeug tatsächlich nicht zur Verfügung stand. Wann das Fahrzeug aber wieder repariert war und zum Einsatz kam oder ab wann ein Ersatzfahrzeug zur Verfügung stand, hat der Kläger nicht dargetan.

f) Der Verweis darauf, dass das Unfallereignis nunmehr so lange zurück liege und er daher keine detaillierten Angaben mehr machen könne, vermag den Kläger nicht zu entlasten, zumal die entsprechenden Hinweise des Gerichts bereits früh erfolgt sind.

III.

1. Der materielle Schaden des Klägers beläuft sich damit unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 2/3 auf 3.654,17 €.

2. Ausgehend hiervon ergeben sich – netto sowie unter Zugrundelegung der RVG-​Gebühren, die bis zum 31.07.2013 galten, wie die Anschlussberufung zu Recht einwendet – außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. 338,50 €. Dieser Wert liegt aber aufgrund der höheren Haftungsquote als vom Landgericht angenommen über dem von dem Landgericht zugesprochenen Betrag, so dass die Anschlussberufung im Ergebnis unbegründet ist.

3. Die zuerkannten Zinsansprüche folgen aus §§ 286, 288, 291 ZPO.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da ein Zulassungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht gegeben ist.