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Landgericht Essen Beschluss vom 02.12.2015 - 13 S 79/15 - Regulierungsermessen des Versicherers und Rückstufung im Schadensfreiheitsrabatt
LG Essen v. 02.12.2015: Regulierungsermessen des Versicherers und Rückstufung im Schadensfreiheitsrabatt
Das Landgericht Essen (Beschluss vom 02.12.2015 - 13 S 79/15) hat entschieden:
Eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung und damit ein Überschreiten des dem Versicherer zustehenden Ermessens ist nicht gegeben, wenn der geltend gemachte Schadensersatzanspruch weder eindeutig noch leicht nachweisbar unbegründet ist und die Kosten eines von dem Unfallgegner etwaig betriebenen Gerichtsverfahrens außer Verhältnis zum geltend gemachten Schadensumfang gestanden hätten.
Siehe auch Regulierungsvollmacht und Regulierungsermessen der eigenen Haftpflichtversicherung bei der Abwicklung gegnerischer Schadensersatzansprüche und Stichwörter zum Thema Kfz-Versicherung
Gründe:
Die Kammer ist nach vorläufiger Beratung einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Ferner hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich; es ist auch keine mündliche Verhandlung geboten.
I.
Der Kläger nimmt die beklagte KFZ-Haftpflichtversicherung auf Unterlassung der Rückstufung des Schadensfreiheitsrabatts in Anspruch, welche die Beklagte anlässlich der Regulierung eines Schadens in Höhe von 1.173,51 € an die Anspruchstellerin, die Fa. Gebr. ... & Co. GmbH, gegen den Widerspruch des Klägers zum 01.01,2015 vorgenommen hatte.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger bereits deswegen kein Anspruch zustehe, weil sein Begehren - die Unterlassung der Rückstufung - auf eine unmöglich gewordene Leistung gerichtet sei, nachdem die Beklagte die Rückstufung - unstreitig - bereits vor Klageerhebung vorgenommen hatte.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren auf Unterlassung der Rückstufung sowie nunmehr hilfsweise auf Rücknahme der Rückstufung oder hilfsweise auf Feststellung der Nicht-Berechtigung der Rückstufung weiterverfolgt. Er rügt insbesondere die fehlerhafte rechtliche Würdigung des Amtsgerichts, das zu Unrecht sowie ohne erforderlichen vorherigen gerichtlichen Hinweis den Klageantrag wegen Beanspruchung einer unmöglich gewordenen Leistung zurück- und dementsprechend rechtsfehlerhaft die Klage als unbegründet abgewiesen habe.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg, weil das Amtsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen hat.
Ausgehend von den erstinstanzlich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, die, da Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit im Sinne der §§ 520 Abs. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht ersichtlich sind, gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrundezulegen sind, steht dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf "Unterlassung", "Rücknahme" oder Feststellung der unberechtigten Rückstufung unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Es kann zunächst dahinstehen, ob der ursprünglich gestellte Klageantrag auf Unterlassung der Rückstufung auf eine unmöglich gewordene Leistung gerichtet war und ob - was zweifelhaft erscheint - ein vorheriger gerichtlicher Hinweis nach den Ausführungen in der Klageerwiderung vom 07.05.2015, wonach der Antrag aufgrund seines Inhalts ohnehin zurückzuweisen ist, nicht erforderlich gewesen ist. Denn unabhängig von der Frage, ob der - unter Beachtung der Grenzen aus § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO einer Auslegung zugängliche (Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, Vor § 128 Rn. 25 und § 253 Rn. 13; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl. 2015, § 253 Rn. 40 und § 308 Rn. 4, jeweils m.w.N.) - Klageantrag auf Unterlassung der Rückstufung (vgl. LG Stuttgart, Urteil vom 04.12.2009 - 12 S 11/09), auf Rückgängigmachung der Rückstufung (vgl. AG Düsseldorf, Urteil vom 17.10.2011 - 47 C 6137/11) oder auf Feststellung der unberechtigten Rückstufung (vgl. LG Köln, Urteil vom 19.04.2011 - 11 S 289/09; AG Ratingen, Urteil vom 06.07.2011 - 8 C 85/11; AG Düsseldorf, Urteil vom 07.04.2009 - 48 C 7891/08) lauten muss, steht dem Kläger vorliegend gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer vertraglichen Pflicht aus § 280 Abs. 1 BGB (i.V.m. § 100 VVG und A.1.1.4 AKB 2008) zu.
Voraussetzung für einen solchen Anspruch wäre eine Verletzung von Pflichten oder Nebenpflichten aus dem Versicherungsvertrag durch die Beklagte. Eine solche Pflichtverletzung - die fehlerhafte und damit pflichtwidrige Regulierung des Unfallschadens der Anspruchstellerin - hat der Kläger aber vorliegend nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt.
Die Vollmacht des Kfz-Haftpflichtversicherers aus Ziffer A.1.1.4 AKB 2008 (früher § 10 Abs. 5 AKB), im Namen der versicherten Person alle im Rahmen der Schadensregulierung zweckmäßig erscheinenden Erklärungen abzugeben, ist grundsätzlich nicht beschränkt (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl. 2015, AKB 2008 A.1.1. Rn. 20f. m.w.N.). Diese Vollmacht gibt dem Versicherer im Innenverhältnis zu seinem Versicherungsnehmer die Befugnis, die Schadensregulierung nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen und unabhängig von Weisungen des Versicherungsnehmers vorzunehmen. Insbesondere kann der Versicherungsnehmer dem Versicherer kein Regulierungsverbot auferlegen. Die Pflicht des Versicherers aus dem Versicherungsvertrag ist nach Eintritt des Versicherungsfalles darauf gerichtet, nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage begründete Schadensersatzansprüche im Rahmen des übernommenen Risikos zu befriedigen und unbegründete Ansprüche abzuwehren. Ob der Versicherer freiwillig zahlt, oder ob er die Zahlung ablehnt und es darauf ankommen lässt, ob der geschädigte Dritte seine Ansprüche gerichtlich geltend macht, entscheidet er grundsätzlich nach seinem eigenen Ermessen. Diesem Ermessen sind lediglich dort Grenzen gesetzt, wo die Interessen des Versicherungsnehmers - etwa im Falle einer drohenden Rückstufung in eine schlechtere Schadensfreiheitsklasse - berührt werden und wo diese deshalb die Rücksichtnahme des Versicherers verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 20.11.1980 - IVa ZR 25/80; LG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2009 - 22 S 160/09 (Rn. 6, zitiert nach juris); LG Köln, Urteil vom 19.04.2011 - 11 S 289/09 (Rn. 4, zitiert nach juris)). Dem folgend verletzt der Versicherer die sich aus dem Versicherungsvertrag ergebende Pflicht, auf die Interessen seines Versicherungsnehmers Rücksicht zu nehmen, wenn er eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung durchführt. Eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung liegt vor, wenn die vom Unfallgegner geltend gemachten Ansprüche nach den gegebenen Beurteilungsgrundlagen eindeutig und leicht nachweisbar unbegründet sind, der Versicherer also ohne Prüfung der Sach- und Rechtslage "auf gut Glück" den Geschädigten befriedigt, wobei bei der Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Versicherers über die Frage der Schadensregulierung abzustellen ist. Dabei darf der Versicherer im Rahmen seiner Ermessensentscheidung auch Gesichtspunkte der Prozessökonomie wie etwaige (Prozess-) Kosten und die absolute Höhe des Anspruchs berücksichtigen. Die Darlegungs- und Beweislast für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Versicherers trägt der Versicherungsnehmer (vgl. zum Vorstehenden: OLG Hamm, Beschluss vom 31.08.2005 - 20 W 28/05; LG Köln, Urteil vom 19.04.2011 - 11 S 289/09 (Rn. 4, zitiert nach juris); LG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2009 - 22 S 160/09 (Rn. 6f., zitiert nach juris); LG Hagen, Beschluss vom 11.06.2013 - 7 S 15/13; AG Köln, Urteil vom 28.01.2009 - 269 C 293/08 (Rn. 12, zitiert nach juris); AG Düsseldorf, Urteil vom 17.10.2011 - 47 C 6137/11 (Rn. 6, zitiert nach juris); Prölss/Martin/Knappmann, a.a.O., AKB 2008 A.1.1 Rn. 23; Bruck/Möller/Koch, VVG, 9. Aufl. 2013, § 100 VVG Rn. 91).
In Anwendung dieser Grundsätze lässt sich vorliegend eine schuldhafte Pflichtverletzung der Beklagten nicht feststellen.
Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass es vorliegend zu einer Berührung der beiden beteiligten Fahrzeuge gekommen war bzw. eine solche jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, als der Kläger sein Fahrzeug hinter dem - wegen eines vorschriftswidrig abbiegenden Fahrzeugs - eine Vollbremsung vollziehenden Fahrzeug der Anspruchstellerin vollständig abbremsen musste. Weiter hat der ... in seinem Gutachten vom 19.11.2014 festgestellt, dass die von dem Unfallgegner behaupteten und durch den Gutachter ... mit Schadengutachten vom 18.09.2014 festgestellten Schäden, die bei dieser Berührung entstanden sein sollen, mit diesem unstreitigen Unfallhergang kompatibel sind. Hinzu kommt, dass diese Schäden, wie nicht zuletzt anhand der vom Gutachter ... gefertigten Lichtbilder ersichtlich (Fotoanlage zum Dekra-Gutachten vom 18.09.2014, Bl. 47-50 d.A.), ohne genauere Untersuchung nicht ohne weiteres erkennbar waren, weswegen es nicht abwegig erscheint, dass diese Schäden vom Kläger und Frau ... als Fahrerin des Anspruchsteller-Fahrzeugs unmittelbar nach dem Unfall vor Ort - trotz vom Kläger vorgetragener guter Sichtverhältnisse - nicht sofort erkannt worden sind.
Davon ausgehend, dass es unstreitig eine Berührung gegeben hat bzw. eine solche jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, die von der Anspruchstellerin behaupteten und durch Gutachten vom 18.09.2014 dargelegten Beschädigungen sich zudem widerspruchsfrei mit dieser Berührung vereinbaren lassen und es sich schließlich nicht um deutlich erkennbare Beschädigungen handelt, die in jedem Fall an der Unfallstelle sofort hätten erkannt werden können und müssen, war die Schadensregulierung durch die Beklagte nicht pflichtwidrig. Denn bei dieser Sachlage war der von der Unfallgegnerin gegenüber der Beklagten geltend gemachte Schadensersatzanspruch weder eindeutig noch leicht nachweisbar unbegründet. Vielmehr lagen aus Sicht der Beklagten zum Zeitpunkt der Regulierung zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vor, welche die Sachdarstellung der Anspruchstellerin als nicht völlig fernliegend erscheinen ließen. Hinzu kommt, dass die Anspruchstellerin lediglich einen Schaden in Höhe von 1.173,51 € geltend gemacht hat, weswegen die Beklagte auch aus wirtschaftlichen Überlegungen im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens den Schaden regulieren durfte. Denn ausgehend von diesem Streitwert wären die Kosten eines von der Unfallgegnerin etwaig betriebenen Gerichtsverfahrens unverhältnismäßig hoch gewesen und hätten außer Verhältnis zum geltend gemachten Schadensumfang gestanden. Unter Berücksichtigung und Wertung aller Umstände des vorliegenden Falles ist es daher nicht zu beanstanden, dass die Beklagte bei dieser Sachlage eine Schadensregulierung vorgenommen hat. Eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung und damit ein Überschreiten des der Beklagten zustehenden Ermessens vermag die Kammer darin jedenfalls nicht zu erblicken. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht daraus, dass die Unfallbeteiligten - der Kläger und Frau ... - an der Unfallstelle keine Beschädigungen erkennen konnten und die Gegenüberstellung der Fahrzeuge erst mehr als drei Monate nach dem Unfall am 03.11.2014 erfolgt ist. Denn wie bereits zuvor ausgeführt, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass die hier von der Anspruchstellerin behaupteten und durch Gutachten vom 18.09.2014 dargelegten Heckschäden an der Unfallstelle nicht sofort ohne weiteres erkennbar waren. Auch der Zeitablauf zwischen dem Unfall am 21.07.2014 und der Gegenüberstellung der Fahrzeuge am 03.11.2014 führt allein nicht dazu, dass die Beklagte im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über die Frage der Regulierung die Feststellungen der beiden Gutachter neben den weiteren Umständen des Falles bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigen durfte. Dies gilt nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass der Kläger - abgesehen vom Vortrag des Zeitablaufs - weder hinreichend dargelegt noch irgendwie unter Beweis gestellt hat, dass die Feststellungen in den Gutachten vom 18.09.2014 und insbesondere vom 19.11.2014 eindeutig und leicht nachweisbar unzutreffend sind und die Beklagte dementsprechend, indem sie diese Gutachten bei ihrer Ermessensentscheidung berücksichtigt hat, eine völlig unsachgemäße Schadensregulierung vorgenommen hat.
III.
Nachdem der Kläger auf den gerichtlichen Hinweis vom 28.10.2015 nunmehr seinen Rückstufungsschaden in Höhe von 1.660 € unter Beifügung von Unterlagen dargelegt hat, dürfte es sich bei diesem Betrag sowohl um die für die Frage des Beschwerdewertes i.S.d. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgebliche Beschwer des Klägers als auch um den Streitwert für die zweite Instanz handeln.