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OLG Stuttgart Beschluss vom 22.06.2015 - 1 Ss 325/15 - Anforderungen an tatrichterliche Sachverhaltsfeststellungen zum Rotlichtverstoß

OLG Stuttgart v. 22.06.2015: Anforderungen an tatrichterliche Sachverhaltsfeststellungen zum q qualifizierten Rotlichtverstoß


Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 22.06.2015 - 1 Ss 325/15) hat entschieden:
  1. Die tatgerichtliche Entscheidung muss so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung sowohl hinsichtlich der objektiven als auch der subjektiven Tatbestandsmerkmale entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung - oder dem Absehen - von Nebenfolgen zugrunde liegen.

  2. Wird lediglich der Wortlaut des Bußgeldtatbestandes, hier zum qualifizierten Rotlichtverstoß, wiedergegeben und fehlen weitere Ausführungen zum Sachverhalt wie z.B. der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie bzw. des Einfahrens in den geschützten Kreuzungsbereich, die dem Senat ein überprüfbares Bild des Tatgeschehens vermitteln könnten, so ergibt sich auch nicht, ob ein einfacher oder qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt.

Siehe auch Urteilsanforderungen und Protokoll im Bußgeldverfahren und Der qualifizierte Rotlichtverstoß


Gründe:

I.

Mit der angefochtenen Entscheidung verurteilte das Amtsgericht Ludwigsburg den Betroffenen wegen einer Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Missachtens des Rotlichts der Lichtzeichenanlage, wobei es zu einem Unfall kam, zu der Geldbuße von 240 EUR und zu einem Fahrverbot von einem Monat.

Der Betroffene erhebt die Verfahrens- und Sachrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist statthaft und zulässig eingelegt, § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG. Das angefochtene Urteil ist auf die Sachrüge des Beschwerdeführers aufzuheben, § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG in Verbindung mit § 349 Abs. 4 StPO.

1. Die Ausführungen des Amtsgerichts hinsichtlich des festgestellten Sachverhalts halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

In Bußgeldsachen sind zwar an die schriftlichen Urteilsgründe keine zu hohen Anforderungen zu stellen, für den Inhalt der Urteilsgründe kann aber grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten (§ 267 StPO i.V.m. § 71 OWiG). Das ist eine Konsequenz aus der Tatsache, dass auch im Bußgeldverfahren die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachbeschwerde hin sind (KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 71 Rnr. 106 m.w.N.). Das Urteil muss so beschaffen sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht zur Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung sowohl hinsichtlich der objektiven als auch der subjektiven Tatbestandsmerkmale entnehmen kann, welche Feststellungen der Tatrichter getroffen hat und welche tatrichterlichen Erwägungen der Bemessung der Geldbuße und der Anordnung (oder dem Absehen) von Nebenfolgen zugrunde liegen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 71 Rn. 42). Unerlässlich ist die Angabe der für erwiesen erachteten Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit gesehen werden, und zwar hinsichtlich des Sachverhalts sowie des Ortes und der Zeit; dies bedeutet bei einer Verkehrsordnungswidrigkeit eine hinreichende Wiedergabe der Örtlichkeit, der Verkehrsregelung und der besonderen Verkehrssituation (vgl. Göhler, a.a.O., § 71 Rn. 42a). Diesen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil nicht, da lediglich der Wortlaut des Bußgeldtatbestandes (Mißachten des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage) wiedergegeben wird. Weitere Ausführungen zum Sachverhalt, die dem Senat ein überprüfbares Bild des Tatgeschehens vermitteln könnten, fehlen. So ist insbesondere der Zeitpunkt des Überfahrens der Haltelinie bzw. des Einfahrens in den geschützten Kreuzungsbereich nicht dargestellt; es ergibt sich aus dem Urteil auch nicht, ob ein einfacher oder qualifizierter Rotlichtverstoß vorliegt (vgl. hierzu Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 23. Aufl., § 37 StVO Rn. g, h). Unzureichend ist weiter die bloße Feststellung, es sei zu einem „Unfall“ gekommen, da zum einen die Art des Unfalls, insbesondere das Vorliegen einer Sachbeschädigung, offen bleibt und sich zum anderen den Feststellungen nicht entnehmen lässt, ob der von § 1 Abs. 2 StVO vorausgesetzte tatbestandliche Erfolg in den Schutzbereich einer von dem Betroffenen verletzten Sorgfaltspflicht fiel (vgl. hierzu OLG Hamm, Beschluss vom 15. August 2013, III-3 RBs 74/13, 3 RBs 74/13, juris Rn. 10).

2. Auf der Rechtsfolgenseite genügt es bei Verhängung eines Regelfahrverbots zwar grundsätzlich, wenn sich der Tatrichter dieser Möglichkeit ausweislich der Entscheidungsgründe bewusst war (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 25 StVG Rn.19 mwN). Vorliegend wurde allerdings der Rechtsfolgenbemessung Nr. 132.2 BKatV zugrunde gelegt, ohne dass im Urteil das Vorliegen einer hierfür notwendigen Sachbeschädigung festgestellt worden wäre. Auch hier kommt es des Weiteren auf den Pflichtwidrigkeitszusammenhang an (vgl. insoweit OLG Celle, Beschluss vom 1. November 2011, 311 SsBs 109/11, juris Rn. 17f.; OLG Hamm a.a.O, juris Rn. 16; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. August 2007, 1 Ss 115/07, zitiert nach juris).

Das angefochtene Urteil unterliegt wegen durchgreifender Darlegungsmängel der Aufhebung.