Das Verkehrslexikon

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OVG Hamburg Beschluss vom 22.05.2002 - 3 Bs 71/02 - Anordnung zur Beibringung des ärztlichen Gutachtens kein Verwaltungsakt

OVG Hamburg v. 22.05.2002: Anordnung zur Beibringung des ärztlichen Gutachtens kein Verwaltungsakt


Das OLG Hamburg (Beschluss vom 22.05.2002 - 3 Bs 71/02) hat entschieden:
Eine auf § 46 Abs 3 iVm §§ 11 bis 14 FeV gestützte Anordnung zur Beibringung eines ärztlichen Gutachtens stellt keinen Verwaltungsakt, sondern eine nicht vollstreckbare, lediglich der Sachverhaltsaufklärung dienende vorbereitende Maßnahme dar, die erst im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens nach einer Entziehung der Fahrerlaubnis überprüft werden kann und gegen die auch die Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes in aller Regel unzulässig ist.


Siehe auch Ist die MPU-Anordnung ein selbständig anfechtbarer Verwaltungsakt? und Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

Die Beschwerde ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bereits deshalb zu Recht abgelehnt, weil das Begehren - was das Verwaltungsgericht offen gelassen hat - unzulässig ist. Unzulässig ist das Begehren mit sämtlichen in der Beschwerdeschrift vom 6. März 2002 formulierten Anträgen (Hauptantrag und Hilfsanträgen). Denn die an den Antragsteller gerichtete und von ihm angegriffene Anordnung der Antragsgegnerin vom 18. Januar 2002, gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 14 Abs. 1, 11 Abs. 2 Satz 3 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) ein fachärztliches Gutachten zur Klärung der Frage beizubringen, ob bei ihm die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes vorliegt, stellt keinen Verwaltungsakt, sondern lediglich eine nicht vollstreckbare, der Sachverhaltsaufklärung dienende behördliche Verfahrenshandlung dar, die einen Verwaltungsakt (die Entziehung der Fahrerlaubnis) nur vorbereitet und erst im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens nach dem Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung überprüft werden kann (§ 44 a Satz 1 VwGO). Dementsprechend ist vorbeugender vorläufiger Rechtsschutz auch nicht gegen die drohende Entziehung der Fahrerlaubnis (gerichtet auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin gemäß § 123 VwGO, den drohenden Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung einstweilen zu unterlassen) zulässig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der das Beschwerdegericht folgt, ist eine auf § 15 b Abs. 2 StVZO a.F. gestützte Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens kein Verwaltungsakt, sondern eine nicht vollstreckbare, lediglich der Sachverhaltsaufklärung im Hinblick auf die später zu treffende Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis dienende vorbereitende Maßnahme, die jedenfalls in aller Regel erst im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens nach Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung überprüft werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.11.1969, BVerwGE Bd. 34 S. 248; Beschl. v. 17.5.1994, Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 23; Urt. v. 27.9.1995, BVerwGE Bd. 99 S. 249, 251; Urt. v. 5.7.2001, Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 29 S. 5; OVG Hamburg, Urt. v. 30.5.1996 - OVG Bf VI (VII) 4/95 -). Für eine wie hier gemäß § 46 Abs. 3 i.V.m. §§ 14 Abs. 1 Satz 2, 11 Abs. 2 Satz 3 FeV ergangene Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens gilt nichts anderes (siehe den Wortlaut in §§ 11 Abs. 2, 13 und 14 FeV "zur Vorbereitung" sowie die amtl. Begr. zu § 11 FeV - Verkehrsblatt 1998 S. 1068 -, wonach die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens - wie bereits durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts festgelegt - nur zusammen mit einer anschließend ablehnenden Entscheidung - Entziehung oder Versagung der Fahrerlaubnis - angefochten werden kann; OVG Münster, Beschl. v. 22.1.2001, VRS Bd. 100 S. 394; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, § 11 FeV Rdnr. 26 und § 46 FeV Rdnr. 15; Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 44 a Rdnr. 9). Dementsprechend scheidet - gemäß § 44 a Satz 1 VwGO - auch die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vor dem Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung zumindest in aller Regel als unzulässig aus, weil im Eilverfahren nicht weitergehender Rechtsschutz erlangt werden kann als im Klageverfahren (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.3.1997, Buchholz 310 § 44 a VwGO Nr. 7 S. 2; VGH Mannheim, Beschl. v. 10.4.1980, VRS Bd. 58 S. 476; Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 1285).

Bei Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass das Begehren des Antragstellers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit sämtlichen Anträgen (Hauptantrag und Hilfsanträgen) unzulässig ist. Vorläufiger Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO (gerichtet auf die Feststellung, dass der Widerspruch des Antragstellers vom 3.2.2002 gegen die Anordnung der Antragsgegnerin vom 18.1.2002 aufschiebende Wirkung habe) scheidet mangels Vorliegens eines Verwaltungsakts aus. Der Zulässigkeit vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO steht entgegen, dass die Anordnung vom 18. Januar 2002 nicht als solche, sondern erst im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens nach dem Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung als Vorfrage überprüft werden kann. Denn beim Antragsteller liegt nicht etwa ein Ausnahmefall vor, der - insbesondere im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG grundrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtschutz - die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt rechtfertigt. 4 Allerdings darf der Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung von Verfahrenshandlungen (§ 44 a Satz 1 VwGO) im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG grundrechtlich gewährleisteten effektiven Rechtsschutz für die Rechtsuchenden nicht zu unzumutbaren Nachteilen führen, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig zu beseitigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.10.1977, BVerfGE Bd. 46 S. 166, 178; Beschl. v. 25.10.1988, BVerfGE Bd. 79 S. 69, 74 f.; BVerfG, Kammerbeschluss v. 24.10.1990, NJW 1991 S. 415, 416; Eyermann, a.a.O., § 44 a Rdnr. 16; Stelkens in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 44 a Rdnr. 29). Ebenso ist gegen einen drohenden Verwaltungsakt (hier: die Entziehung der Fahrerlaubnis) die Gewährung vorbeugenden - auch vorläufigen - Rechtsschutzes (gerichtet auf die Verpflichtung der Behörde, den drohenden Erlass eines Verwaltungsakts - einstweilen - zu unterlassen) ausnahmsweise dann zulässig, wenn es dem Rechtsuchenden auf Grund besonderer Umstände nicht zuzumuten ist, sich auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung (siehe insbesondere §§ 42, 68, 80 und 123 Abs. 5 VwGO) als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verweisen zu lassen (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.4.1971, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 90 S. 29; Urt. v. 8.9.1972, BVerwGE Bd. 40 S. 323, 326; Urt. v. 3.6.1983, Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 130 S. 22; Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 Rdnrn. 162, 165 f.; Redeker/v. Oertzen, VwGO, 13. Aufl. 2000, § 42 Rdnr. 162). Derartige besondere Voraussetzungen sind beim Antragsteller aber nicht gegeben. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es in Fällen der vorliegenden Art (nämlich wenn die Verkehrsbehörde gegenüber dem Fahrerlaubnisinhaber die Beibringung eines Gutachtens angeordnet hat) überhaupt Fallgestaltungen gibt, in denen ihm das Abwarten einer die Fahrerlaubnis entziehenden Verfügung auf Grund besonderer Umstände nicht zuzumuten ist. Jedenfalls liegt eine derartige Fallgestaltung beim Antragsteller nicht vor; effektiven Rechtsschutz kann er auch noch nach dem Erlass einer Fahrerlaubnisentziehungsverfügung erlangen.

Dem Fahrerlaubnisinhaber (und damit auch dem Antragsteller) steht nämlich die Möglichkeit offen, die Rechtswidrigkeit der Anordnung zur Gutachtenbeibringung im Rahmen der gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten geltend zu machen. Wenn seine Weigerung, das Gutachten beizubringen, wegen der geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Anordnung berechtigt ist, kann die auf die unterlassene Vorlage des Gutachtens gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis keinen Bestand haben (vgl. BVerwG, Urt. v. 5.7.2001, Buchholz 442.16 § 15 b StVZO Nr. 29). Zudem hat gemäß § 80 Abs. 1 VwGO der Widerspruch gegen die Verfügung, mit der die Fahrerlaubnis entzogen wird, aufschiebende Wirkung, sofern die Verkehrsbehörde nicht nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung anordnet. Da der in einem solchen Fall durch § 80 Abs. 5 VwGO eingeräumte gerichtliche Rechtsschutz gegebenenfalls sehr schnell gewährt werden kann, führt auch der Umstand, dass der Antragsteller Berufskraftfahrer ist, nicht zur Unzumutbarkeit dieser Rechtsschutzmöglichkeit. Demgemäß werden durch die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, nicht etwa vollendete Tatsachen geschaffen. Zwar ist dem Antragsteller einzuräumen, dass die dem Fahrerlaubnisinhaber abverlangte Entscheidung, sich entweder einer für rechtswidrig gehaltenen Begutachtung zu unterziehen oder es auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ankommen zu lassen, für diesen misslich ist, weil er häufig nicht genau wissen kann, wie die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanforderung im Rahmen eines gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichteten Rechtsschutzverfahrens vom Gericht letztlich beurteilt werden wird. Die fehlende Gewissheit in der Einschätzung der Rechtslage, die im Rechtsleben häufig vorkommt und durch eine rechtsanwaltliche Beratung gemildert werden kann, lässt die dem Fahrerlaubnisinhaber aufgegebene Entscheidung, sich der Begutachtung zu unterziehen oder zumindest die Beibringung des Gutachtens zu unterlassen und es damit auf die Entziehung der Fahrerlaubnis ankommen zu lassen, jedoch nicht als unzumutbare Belastung erscheinen. Selbst die Durchführung eines gerichtlichen Eilverfahrens wäre im Übrigen nicht geeignet, die Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu präjudizieren. Die Forderung etwa, die Fahrerlaubnis dürfe erst dann entzogen werden, wenn zuvor eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung über die Rechtmäßigkeit der Gutachtenanforderung vorliegt, verbietet sich aus Gründen der Verkehrssicherheit von vornherein. Vielmehr ist die fehlende Gewissheit über die Rechtmäßigkeit der Anordnung zur Gutachtenbeibringung vom Rechtsuchenden angesichts des insbesondere in § 44 a Satz 1 VwGO zum Ausdruck gekommenen öffentlichen Interesses daran, dass der Abschluss anhängiger Verwaltungsverfahren und insbesondere die Aufklärung des Sachverhalts nicht durch vorherige Rechtsbehelfe verzögert wird (vgl. Pietzcker in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 1 Rdnr. 165; Eyermann, a.a.O., § 44 a Rdnr. 1), hinzunehmen. Auch im Falle des Antragstellers ist zu berücksichtigen, dass die mit der Anordnung der Gutachtenbeibringung bezweckte Sachverhaltsaufklärung mit wachsender zeitlicher Verzögerung immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird. Angemerkt sei noch, dass der Nachteil, den der Antragsteller durch die Begutachtung erleiden würde, nicht von besonderem Gewicht ist. Dass er dabei insbesondere drei Urinproben unter Sichtkontrolle eines Arztes oder einer ärztlichen Hilfsperson abzugeben hat, verstößt entgegen seiner Auffassung nicht etwa schon für sich genommen gegen die Menschenwürde.

Da das Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bereits unzulässig ist, kommt es nicht darauf an, ob § 14 FeV verfassungswidrig ist. Der Antrag des Antragstellers auf Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des § 14 FeV ist auch deshalb unzulässig, weil es sich bei der Fahrerlaubnis-Verordnung nicht um ein förmliches Gesetz (vgl. zu diesem Erfordernis BVerfG, Urt. v. 20.3.1952, BVerfGE Bd. 1 S. 184, 201), sondern um eine Rechtsverordnung handelt.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 154 Abs. 2 VwGO, 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG.