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Amtsgericht Berlin-Mitte Urteil vom 17.09.2014 - 21 C 3207/13 - Regress aus einer Kraftfahrthaftpflichtversicherung nach unerlaubtem Entfernen

AG Berlin-Mitte v. 17.09.2014: Regress aus einer Kraftfahrthaftpflichtversicherung nach unerlaubtem Entfernen


Das Amtsgericht Berlin-Mitte (Urteil vom 17.09.2014 - 21 C 3207/13) hat entschieden:
Hinterlässt die mitversicherte Fahrerin nach einem Parkunfall und 20-minütiger Wartezeit lediglich einen Zettel mit dem Geständnis der Unfallversachung und der Telefonnummer des Halters, jedoch ohne den dessen oder den eigenen Namen, steht dem den Schaden regulierenden Haftpflichtversicherer ein entsprechender Regressanspruch zu.


Siehe auch Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort - Unfallflucht - im Versicherungsrecht und Obliegenheitsverletzungen / Leistungsfreiheit und Regress der Kfz-Versicherung


Tatbestand:

Die Parteien streiten um Regress aus einer Kraftfahrthaftpflichtversicherung.

Die Klägerin ist Kfz-​Haftpflichtversicherer des von dem Beklagten zu 1) gehaltenen Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen ... . Die Beklagte zu 2) verursachte am 30.05.2011 als Fahrerin des bei der Klägerin versicherten Fahrzeuges auf dem Parkplatz des Möbelhauses I. in T.-​Sch. einen Verkehrsunfall. Die Beklagte zu 2) parkte rückwärts aus und stieß dabei gegen das Heck eines anderen parkenden Fahrzeuges. Danach sahen sich die Beklagten den generischen Schaden an. Sie stuften den Schaden als geringfügig ein und warteten etwa 20 min. Danach klemmten die Beklagte zu 2) einen von ihr beschriebenen Zettel an die Windschutzscheibe des beschädigten Fahrzeuges auf welchem sinngemäß stand; "Bin beim rückwärts ausparken gegen ihr Auto gefahren. Bitte rufen Sie mich zurück. .... Es handelte sich um die Telefonnummer des Beklagten zu 1). Weder der Name der Beklagten noch das amtliche Kennzeichen ihres Fahrzeuges waren erwähnt. Danach fuhren die Beklagten vom Parkplatz weg.

Der Halter und Eigentümer des anderen Fahrzeuges (Geschädigter) konnte die Beklagten unter der angegebenen Nummer nicht erreichen und alarmierte anschließend die Polizei zur Unfallaufnahme.

Aufgrund eines polizeilichen Anschreibens meldete sich der Beklagte zu 1) am 06.06.2011 telefonisch bei der Polizei. Die Klägerin erfuhr vom Verkehrsunfall erst durch eine am 16.06.2011 unterzeichnete und am 27.06.2011 bei ihr eingegangene Schadensanzeige. Das gegen die Beklagten geführte Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde gegen die Zahlung eines Betrages von 500 € gemäß § 153a Abs. 1 ZPO eingestellt.

Im Zuge der Schadensregulierung zahlte die Klägerin an den Geschädigten einen Betrag von 1.735,35 €. Weiter entstandene Kosten für eine Akteneinsicht beziffert sie auf 33,00 €. Mit der Klage begehrt die Klägerin vollständigen Ersatz dieser Kosten.

Die Klägerin meinen, die Beklagten haben allein mit dem Hinterlassen des Zettels an der Windschutzscheibe die für sie nach E.1.3 AKB und F.1 AKB geltenden Obliegenheiten nicht erfüllt. Sie hätten sich nicht vom Unfallort entfernen dürfen. Ferner habe der Beklagte gegen seine gemäß E.1.1 AKB bestehende Anzeigepflicht verstoßen, da er das Schadensereignis der Klägerin habe anzeigen müssen. Die Beklagten hätten ihre Obliegenheiten auch vorsätzlich verletzt, da die Verpflichtung nach einem Unfall am Ort des Geschehens auf die Polizei zu warten, eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht sei. Auch an ein arglistiges Verhalten der Beklagten sei zu denken. Ungeachtet davon sei die Obliegenheitsverletzung jedenfalls kausal für die Feststellung des Versicherungsfalls sowie des Umfangs der Leistungspflicht. Der Klägerin sei durch das Verhalten der Beklagten jede Möglichkeit genommen, festzustellen, ob die Beklagte zu 2) im Zeitpunkt des Verkehrsunfalls überhaupt

fahrtüchtig gewesen sei. Die Klägerin beantragt:
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 1.768,35 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2012 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen:
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten meinen, die Klage sei ausweislich der neusten Rechtssprechung des BGH (Urt. v. 09.01.2013 - 4 ZR 197/11) bereits deshalb abweisungsreif, da die Hinweise in E.1 und E.7 AKB keine ausreichende drucktechnische Gestaltung i.S.v. § 28 Abs. 4 VVG enthalten.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 1.768,35 € aus §§ 116 VVG, 426 Abs. 1 und 2 BGB; E.1.3, E.7.1, F.1 AKB.

Der Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagten aus §§ 116 VVG, 426 Abs. 1 und 2 BGB besteht, da die Klägerin gemäß E.7.1 AKB von ihrer Verpflichtung zur Leistung befreit ist, weil die Beklagten ihre Aufklärungspflichten gemäß E.1.3, F.1 AKB vorsätzlich verletzt haben und ihnen der Kausalitätsgegenbeweis (E.7.2 AKB) nicht gelungen ist.

Die Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung gemäß E.7.1 AKB ist nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil möglicherweise keine ausreichende drucktechnische Gestaltung der AKB i.S.v. § 28 Abs. 4 VVG vorlag. Denn die diesbezügliche Rechtssprechung des BGH (Urt. v. 09.01.2013 - 4 ZR 197/11) findet hier keine Anwendung. Sie konkretisiert die Belehrungspflicht gemäß § 28 Abs. 4 VVG. Diese Belehrungspflicht erstreckt sich aber gerade nicht auf Obliegenheiten, die beim Eintritt des Versicherungsfalls spontan zu erfüllen sind (so genannte Spontanobliegenheiten), wie die in E.1.3 AKB enthaltene Wartepflicht nach einem Verkehrsunfall (Burmann, in: Burmann et al., Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 28 Rn. 16; Rixecker, in: Römer/Langheid, Versicherungsvertragsgesetz, 4. Aufl. 2014, § 28 Rn. 109).

Die Befreiung von der Verpflichtung zur Leistung nach E.7.1 AKB setzt voraus, dass die Beklagten ihre Aufklärungspflichten gemäß E.1.3, F.1 AKB vorsätzlich verletzt haben. Dies ist der Fall. Bei einer Unfallflucht wird das Aufklärungsinteresse des Versicherers durch § 142 StGB reflexartig mitgeschützt (BGH NJW 1987, 2374; NJW 2013, 936). Der Tatbestand des § 142 StGB ist auch erfüllt. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 153a Abs. 1 ZPO steht dem nicht entgegen. Objektiv sind die Beklagten nicht den in § 142 StGB normierten Pflichten nachgekommen. Der verursachte Schaden ist angesichts der Schadenshöhe nicht unerheblich. Subjektiv ist - auch bei eindeutiger Haftungslage - bei einer objektiv erfüllten Verkehrsunfallflucht von einer Vorsatztat auszugehen, da die Verpflichtung, nach einem Unfall am Ort des Geschehens auf die Polizei zu warten, eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht ist (BGH r+s 1978, 64; NJW 1986, 1100). Darin liegt zugleich eine vorsätzliche Verletzung der Aufklärungspflichten gemäß E.1.3, F.1 AKB.

Den Beklagten ist der Kausalitätsgegenbeweis (E.7.2 AKB) nicht gelungen. Sie konnten nicht nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der klägerischen Leistungspflicht ursächlich war. Die Verkehrsunfallflucht ist in der Regel stets kausal für das Feststellungsinteresse des Versicherers, da der Versicherer regelmäßig keine Möglichkeit mehr hat, die Fahrtüchtigkeit des Versicherten zu überprüfen (Kornas, NJW-​Spezial 2013, 9, 10 m.w.N.). Zur Begründung des Kausalitätsgegenbeweises fehlt es im Übrigen an substantiierten Vortrag.

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 286, 288 BGB begründet.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1,100 Abs. 4, 281 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.



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