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Landgericht Berlin Urteil vom 01.12.2015 - 19 O 17/15 - Arglist des Verkäufers bei vom Tachostand abweichender höherer Laufleistung

LG Berlin v. 01.12.2015: Zur Arglist des Verkäufers bei vom Tachostand abweichender höherer Laufleistung


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 01.12.2015 - 19 O 17/15) hat entschieden:
  1. Hat der Verkäufer eines Gebrauchtwagens keine positive Kenntnis von einer etwaigen höheren Laufleistung, so kommt ein Vorliegen von Arglist nur dann in Betracht, wenn er eine höhere Laufleistung des Fahrzeuges selbst für möglich gehalten hat und dennoch lediglich die Laufleistung gemäß des Tachostandes angegeben hat.

  2. Der Verkäufer eines gebrauchten Fahrzeugs, das er seinerseits selbst angekauft hat, darf grundsätzlich auf die vom damaligen Verkäufer angegebene Laufleistung vertrauen, soweit sich nicht Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit aufdrängen. Nur in einem solchen Fall ist auch von einer Untersuchungspflicht bzw. Nachforschungspflicht auszugehen.

Siehe auch Stichwörter zum Thema Autokaufrecht und Autokauf - Gewährleistung und Garantie beim Gebrauchtwagenkauf


Tatbestand:

Die Klägerin kaufte von dem Beklagten unter dem 17.05.2011 einen PKW der Marke BMW X5 mit Erstzulassung 18.05.2003.

Laut Kaufvertrag (Anlage K 1) betrug der Kilometerstand 113.748.

Die Beklagte hatte ihrerseits diesen PKW unter dem 26.03.2011 aufgekauft.

Der entsprechende Kaufvertrag (Anlage B 1) wies einen Kilometerstand vom 113.000 aus.

Die Beklagte ließ unter dem 21.04.2011 bei der BMW-​Niederlassung in ... den Fahrzeugschlüssel auslesen; die Auslesung erbrachte einen Kilometerstand von 113.744 (Anlage B 2).

Die Klägerin behauptet, das Fahrzeug habe tatsächlich zum Zeitpunkt des Ankaufs durch sie bereits eine Fahrleistung von mindestens 450.000 km besessen.

Dies ergebe sich aus den Datenbanksystem von BMW Deutschland, in welchem im Zusammenhang mit einer Reparatur des Fahrzeuges am 16.03.2007 bereits ein Kilometerstand von 347.975 vermerkt worden sei sowie unter Berücksichtigung der voraussichtlich danach noch erfolgten Laufleistung.

Die Beklagte habe sie, die Klägerin, über diese tatsächliche Laufleistung des Fahrzeuges getäuscht bzw. sie im Unklaren über die ihr, der Beklagten, zur Verfügung stehenden Informationen gelassen.

Die Beklagte hätte den höheren Kilometerstand auch bei bloßer Betrachtung des Fahrzeuges im Hinblick auf dessen Abnutzungsgrad erkennen können.

Sie, die Klägerin, habe daher einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten, welcher sich einerseits aus dem Minderwert des Fahrzeugs sowie aus Aufwendungen für durchgeführte Reparaturen ergebe.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 25.980,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.564,26 EUR zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bestreitet die behauptete höhere Laufleistung des Fahrzeuges.

Eine solche sei ihr jedenfalls nicht bekannt gewesen und sei für sie auch nicht erkennbar gewesen.

Im Hinblick auf die Angaben des Vorbesitzers des Fahrzeuges ihr gegenüber sowie aufgrund der Schlüsselauslesung habe sie vielmehr davon ausgehen dürfen, dass die vom Tacho angezeigte Laufleistung zutreffend sei.

Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze nebst den Anlagen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Gewährleistungsansprüche bzw. Schadensersatzansprüche aufgrund einer arglistigen Täuschung der Beklagten stehen der Klägerin nicht zu, da eine solche arglistige Täuschung auf Seiten der Beklagten nicht festgestellt werden kann.

Sonstige Gewährleistungsansprüche der Klägerin sind verjährt.

Im Hinblick auf die Verjährungsvorschriften des § 438 BGB kommen unstreitig Gewährleistungsansprüche bzw. Schadensersatzansprüche der Klägerin nur dann in Betracht, wenn die Beklagte ein Mangel des Fahrzeuges arglistig verschwiegen hat (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs. 2, Abs. 2 Satz 1 BGB).

Nach der Behauptung der Klägerin liegt vorliegend ein Mangel des Fahrzeugs darin, dass die tatsächliche Laufleistung - entgegen der Anzeige des Tachos - tatsächlich weitaus höher ist.

Es kann insoweit dahingestellt bleiben, ob diese Behauptung der Klägerin zutreffend ist, da bereits eine arglistige Täuschung auf Seiten der Beklagten nicht festgestellt werden kann.

Eine Täuschung der Beklagten kommt vorliegend dergestalt in Betracht, das diese eine tatsächlich höhere Laufleistung des Fahrzeuges gegenüber der Klägerin verschwiegen hat.

Unproblematisch kann in diesem Zusammenhang eine Aufklärungspflicht der Beklagten bejaht werden, da es sich bei der Laufleistung eines Fahrzeuges um eine wesentliche Eigenschaft handelt und der Käufer daher nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicher Weise Aufklärung erwarten darf.

Im Rahmen der zu fordernden Arglist auf Seiten der Beklagten muss Vorsatz vorliegen, wobei bedingter Vorsatz genügt.

Dies bedeutet, dass der Handelnde, also die Beklagte, die Unrichtigkeit seiner Angaben kennen oder zumindest für möglich halten muss (BGH NJW 2001, 2326; 2007, 3067 Rnr. 29).

Bedingter Vorsatz ist insoweit gegeben, wenn der Handelnde, obwohl er mit der möglichen Unrichtigkeit seiner Angaben rechnet, ins Blaue hinein unrichtige Behauptungen aufstellt (ständige Rechtsprechung des BGH, siehe u.a. BGH NJW 2008, 644).

Auf den vorliegenden Fall übertragen ist zunächst festzuhalten, dass eine positive Kenntnis von einer etwaigen höheren Laufleistung auf Seiten der Beklagten nicht dargetan oder sonstwie ersichtlich ist - eine Manipulation des Tachos durch die Beklagte behauptet die Klägerin selbst nicht. In Betracht käme daher ein Vorliegen von Arglist auf Seiten der Beklagten nur dann, wenn diese zumindest eine höhere Laufleistung des Fahrzeuges selbst für möglich gehalten hat und dennoch lediglich die Laufleistung gemäß des Tachostandes angegeben hat.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die Beklagte selbst das Fahrzeug erst relativ kurz vor dem Ankauf durch die Klägerin ihrerseits angekauft hatte und hierbei vom damaligen Verkäufer eine Laufleistung von 113.000 km angegeben worden ist.

Auf solcherlei Angaben darf die Beklagte grundsätzlich vertrauen, soweit sich nicht Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit aufdrängen.

Nur in einem solchen Fall ist sodann auch von einer Untersuchungspflicht bzw. Nachforschungspflicht auf Seiten der Beklagten auszugehen.

Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang meint, die weitaus höhere Laufleistung hätte sich aufgrund des sonstigen Erhaltungszustandes des Fahrzeuges der Beklagten aufdrängen müssen bzw. sei eine solche weitaus höhere Laufleistung ohne Weiteres für die Beklagte erkennbar gewesen, vermag das Gericht dem nicht zu folgen.

Denn selbst KFZ-​Händler mit eigener Werkstatt und dem heute üblichen Apparaten an Diagnosegeräten sind in der Regel nicht in der Lage, eine einigermaßen zuverlässige Aussage über die Gesamtlaufleistung gebrauchter Fahrzeuge zu machen (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf 2009, Rnr. 1448).

Zutreffend mag insoweit sein, dass die eigenen Erkenntnis- und Prüfungsmöglichkeiten eines Händlers in der Regel besser sind als die des privaten Durchschnittskäufers.

Ein solcher Vorsprung an Sach- und Erfahrungswissen des Händlers reicht in den meisten Fällen jedoch nicht aus, um sich ein einigermaßen verlässliches Bild von der tatsächlichen Laufleistung von Fahrzeug und/oder Motor zu machen.

Ohne Motormessung, welche von einem Händler im Hinblick auf die nicht unerheblichen Kosten nicht verlangt werden kann, fällt in der Regel sogar einem KFZ-​Sachverständigen eine annähernd genaue Beurteilung schwer (Reinking/Eggert, a.a.O., Rnr. 1453).

Der äußerlich sichtbare Allgemeinzustand des Autos liefert oft nur vage Anhaltspunkte.

Soweit die Klägerin bzw. der Klägervertreter zuletzt in der mündlichen Verhandlung nochmals darauf abgestellt hat, dass nach (bestrittener) Behauptung, die Laufleistung hier fast viermal so hoch gewesen sein soll, mag es zutreffend sein, dass in einem solchen Fall aufgrund des äußeren Erhaltungszustandes zumindest Zweifel bei der Beklagten hätten aufkommen können.

Allerdings fehlt es in diesem Zusammenhang an jeglichem substantiierten Vortrag der Klägerin dahingehend, wie konkret der äußere Erhaltungszustand des streitgegenständlichen Fahrzeuges seinerzeit gewesen ist.

Sie beschränkt sich vielmehr darauf, allgemein vorzutragen, dass gewisse Teile eines Fahrzeuges den Verschleiß unterliegen und daher eine höhere Laufleistung erkennbar gewesen sein solle. Dies reicht jedoch nicht aus, um eine solche Erkennbarkeit im konkreten Fall feststellen zu können.

Die Klägerin hätte hier konkret vortragen müssen, welche Gebrauchs- und Verschleißspuren am streitgegenständlichen Fahrzeug vorhanden gewesen sind, anhand derer die Beklagte sodann hätte die höhere Laufleistung erkennen können.

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen dass solcherlei Gebrauchs- und Verschleißspuren nicht allein von der Laufleistung des Fahrzeuges abhängen.

Maßgebend ist in diesem Zusammenhang zudem das Alter des Fahrzeuges, da Verschleißerscheinungen auch unabhängig davon auftreten, ob und wie intensiv das Fahrzeug genutzt wird. Vorliegend handelte es sich beim Ankauf durch die Klägerin um ein 8 Jahre altes Fahrzeug, weshalb unabhängig von der konkreten Laufleistung von nicht unerheblichen Gebrauchs- und Verschleißspuren auszugehen ist.

Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Maß solcher Gebrauchs- und Verschleißspuren auch maßgeblich davon abhängt, in welcher Form das Fahrzeug genutzt wurde sowie welche Erhaltungs- und Pflegemaßnahmen ergriffen wurden.

Auch etwaige Abnutzungserscheinungen, beispielsweise am Motor, sind nicht ausschließlich auf die tatsächliche Laufleistung zurückzuführen, sondern auch darauf, in welcher Form das Fahrzeug gefahren worden ist.

So ist davon auszugehen, dass etwa bei ausgeprägt sportlicher Fahrweise, bei welcher das Fahrzeug oftmals in die oberen Drehzahlbereiche gebracht wird, eine stärkere Abnutzung des Motors erfolgt als bei einer gemäßigten Fahrweise, so dass Motoren mit identischer Laufleistung völlig unterschiedliche Abnutzungsspuren vorweisen können.

Letztlich fehlt aber insbesondere auch hier jeglicher konkreter Vortrag auf Seiten der Klägerin dahingehend, in welcher Form beim streitgegenständlichen Fahrzeug Abnutzungsspuren vorhanden gewesen sind, welche sodann als so ausgeprägt oder ungewöhnlich qualifiziert werden könnten, dass ein Rückschluss auf eine Kenntnis einer höheren Laufleistung auf Seiten der Beklagten möglich wäre oder zumindest festgestellt werden könnte, dass sich auf Seiten der Beklagten ein Verdacht in diese Richtung hätte aufdrängen müssen.

In der Gesamtschau kann vorliegend daher eine arglistige Täuschung der Beklagten nicht festgestellt werden, weshalb die Klage abzuweisen war.

Die Rechtsausführungen der Klägerseite im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 16.11.2015 führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Die eingereichte Entscheidung des OLG Oldenburg ist auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im dortigen Fall hatte es sich um einen Mangel gehandelt, der selbst bei oberflächlicher Sichtprüfung vom Autohändler hätte erkannt werden können. Im vorliegenden Fall war jedoch die behauptete höhere Laufleistung nicht ohne Weiteres erkennbar, jedenfalls fehlt es am Vortrag der Klägerseite, woran im konkreten Fall dies hätte erkannt werden können (s.o.)

Soweit der Schriftsatz neuen Tatsachenvortrag enthält, ist dieser gemäß § 296a ZPO verspätet. Gründe für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung liegen nicht vor.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91 Abs. 1, 709 Satz 1 und 2 ZPO.



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