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Landgericht Berlin Urteil vom 04.03.2015 - 42 S 236/14 - Ersatz der unfallbedingten Mietwagenkosten nach der Schwacke-Liste

LG Berlin v. 04.03.2015: Ersatz der unfallbedingten Mietwagenkosten nach der Schwacke-Liste


Das Landgericht Berlin (Urteil vom 04.03.2015 - 42 S 236/14) hat entschieden:
Der für einen Unfall-Mietwagen angemessene Normaltarif kann auf der Grundlage der Pauschale für die gemietete Fahrzeugklasse des jeweiligen PLZ-Gebietes nach dem jeweils geltenden Schwacke-Mietpreisspiegel berechnet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es zulässig, zur Bestimmung des Normaltarifs in Ausübung richterlichen Ermessens gemäß § 287 ZPO auf den "Schwacke-Automietpreisspiegel" als Schätzgrundlage zurückzugreifen. Geeigneter Anknüpfungspunkt hierfür ist der sogenannte gewichtete Normaltarif bzw. der Tarif "Modus" für die Fahrzeugklasse und das jeweilige Postleitzahlengebiet des Geschädigten.


Siehe auch Der Unfallersatztarif und Ersatz der unfallbedingten Mietwagenkosten


Gründe:

Die am 17. November 2014 eingegangene Berufung der Beklagten, die mit am 18. Dezember 2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz begründet wurde, richtet sich gegen das ihr am 04. November 2014 zugestellte Urteil des Amtsgerichts Mitte vom 30. Oktober 2014, auf dessen Tatbestand Bezug genommen wird.

Die Beklagte verfolgt mit der Berufung ihren erstinstanzlichen Antrag auf vollständige Klageabweisung bezüglich der von der Klägerin geltend gemachten Mietwagenkosten in Höhe von nunmehr noch 694,86 €, weiter. Sie beanstandet die Anwendung der Schwacke-​Liste und die Nichtberücksichtigung der von ihr vorgetragenen Ersatzangebote.

Von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1 analog ZPO abgesehen.

Die Berufung ist gemäß § 511 ZPO statthaft und zulässig, insbesondere sind die Fristen der §§ 517, 520 Abs. 2 ZPO eingehalten. Auch in der Sache hat das Rechtsmittel zumindest teilweise Erfolg.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung von weiteren Mietwagenkosten in Höhe von 541,39 € gemäß §§ 249, 398 BGB i.V.m. § 115 VVG.

Diese berechnen sich wie folgt:

Die Wochenpauschale beträgt nach dem Schwacke-​Mietpreisspiegel des Jahres 2012 im "modus" 630,00 €. Dies hat die Beklagte nicht bestritten. In der Berufungsbegründung hat sie außerdem die Ausführungen des Amtsgerichts zu der Dauer der Mietzeit nicht angegriffen.

2 x 630,00 € = 1.260,00 €
Haftungsreduzierung (22,00 € x 14): 308,00 €
Zustell- Abholkosten: 46,00 €
   
  = brutto 1.614,00 €
  = netto 1.356,30 €
   
1356,30 € netto abzüglich 15 % = 1.179,39 €
abzüglich - 638,00 €
  = 541,39 €


Zu dem gemäß § 249 Abs. 2 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören bei der Beschädigung eines Fahrzeuges aufgrund eines Verkehrsunfalls grundsätzlich auch die Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges für die Dauer der Reparatur des Unfallfahrzeuges. Der Geschädigte kann hiernach Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger und wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Von mehreren erhältlichen Tarifen muss er sich dabei gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB auf den günstigeren verweisen lassen (BGH, NJW 2007, 3782.) Als Mindestbetrag der zu ersetzenden Mietwagenkosten ist dabei der am Markt übliche Normaltarif zu ersetzen.

Dieser Schaden kann auf der Grundlage der Pauschale für die gemietete Fahrzeugklasse des jeweiligen PLZ-​Gebietes nach dem jeweils geltenden Schwacke-​Mietpreisspiegel berechnet werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es zulässig, zur Bestimmung des Normaltarifs in Ausübung richterlichen Ermessens gemäß § 287 ZPO auf den "Schwacke-​Automietpreisspiegel" als Schätzgrundlage zurückzugreifen. Geeigneter Anknüpfungspunkt hierfür ist der sogenannte gewichtete Normaltarif bzw. der Tarif "Modus" für die Fahrzeugklasse und das jeweilige Postleitzahlengebiet des Geschädigten (BGH, NJW 2006, 2693; OLG Köln, NZV 2007, 199). Klargestellt hat der Bundesgerichtshof auch, dass eine Schätzung aufgrund anderer Listen und/oder Tabellen wie etwa dem Mietpreisspiegel des Fraunhofer Instituts oder eine Schätzung nach dem arithmetischen Mittel beider Listen, ebenfalls nicht rechtsfehlerhaft ist (BGH, NJW-​RR 2010, 1251). Entscheidend kommt es nur darauf an, ob mit konkreten Fall Tatsachen aufgezeigt sind, dass die geltend gemachten Mängel der jeweils beanstandeten Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Solche konkreten Tatsachen hat die Beklagte nicht hinreichend dargelegt. Sie trägt die dem Gericht bereits bekannten generellen Angriffe gegen die Methodik der Erhebung der Mietpreise nach Schwacke-​Liste vor. Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, allgemein gehaltenen Angriffen gegen eine Schätzungsgrundlage nachzugehen. Vielmehr sind Einwendungen gegen die Methodik einer als Schätzgrundlage in Frage kommenden Übersicht nur dann beachtlich, wenn zugleich dargelegt ist, dass sie sich auf den zu entscheidenden Fall konkret auswirken. Danach stehen die allgemeinen Einwendungen der Beklagten einer Heranziehung des Schwacke-​Automietpreisspiegels nicht entgegen, weil sie sich mit dessen allgemeinen Erhebungs- und Auswertungsmethoden kritisch auseinandersetzt, ohne Anhaltspunkte für deren fehlende Eignung in den vorliegenden Einzelfällen zu bieten. Nachdem der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, dass es sich bei "Schwacke" um eine zulässige Schätzgrundlage handelt, bedarf es dazu keiner weiteren Ausführungen durch das Berufungsgericht.

Der Umstand, dass es möglicherweise auch günstigere Angebote gegeben hätte, veranlasst das Berufungsgericht ebenfalls nicht zu einer weiteren Sachaufklärung. Es geht schließlich nicht darum, das absolut günstigste Angebot zu finden, sondern um die Frage, ob die von der Klägerin verlangten Mietpreise den im Sinne des § 249 BGB "erforderlichen" Mietpreis darstellen. Daran besteht kein Zweifel, nachdem der Bundesgerichtshof die Schwackeliste als zulässige Schätzgrundlage angesehen hat. Der Geschädigte muss auch im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB keine Marktforschung betreiben, um den günstigsten Anbieter ausfindig zu machen. Denn er ist nicht gehalten, zu Gunsten des Schädigers zu sparen und nur dasjenige Angebot anzunehmen, welches er auch angenommen hätte, wenn er es selbst bezahlen müsste.

Die Beklagte hat auch kein konkretes Angebot dargelegt, von dem feststeht, dass dieses bei gleichen Bedingungen günstiger gewesen wäre. Der allgemeinen Behauptung, es habe am Berliner Flughafen Tegel bei der Firma … ein Mietwagen der relevanten Klasse zu einem Preis in Höhe von 614,83 € brutto angemietet werden können, lässt sich nicht entnehmen, ob dieses Angebot mit den konkreten Konditionen des tatsächlich gemieteten Fahrzeugs übereinstimmt, da jegliche Angaben dazu fehlen. So kann nicht festgestellt werden, dass dieses Fahrzeug ebenfalls zugestellt und abgeholt worden wäre und ob keine weiteren Nebenkosten angefallen wären. Die Beklagte hat dieses "Angebot" nicht näher beschrieben, so dass eine Vergleichbarkeit nicht vorliegt. Hinsichtlich des Hinweises auf abstrakte Angebote aus dem Internet, die gegoogelt werden können, ist anzumerken, dass diese Internet-​Screenshots nicht unbedingt ein konkretes Angebot eines direkten Vergleichsfahrzeugs darstellen; rechtlich gesehen handelt es sich dabei um eine invitatio ad offerendum oder um eine bloße Werbeaussage. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung kann davon ausgegangen werden, dass die auf der Ausgangsseite der Internetpräsenz von Mietwagenfirmen bzw. nach Eingabe einiger weniger Anfrageinformationen (z.B. Mietzeitspanne) vorgestellten Fahrzeuge teilweise bei konkreter Anfrage, also nach vollständigem "Durchklicken" der Buchungsseiten, nicht wirklich verfügbar sind, so dass auf eine höhere oder niedrigere Klasse oder auch auf einen anderen Anmietstützpunkt ausgewichen oder eine Wartezeit eingeplant werden muss. Zudem ist solchen Angeboten nicht zu entnehmen, inwieweit sie mit der tatsächlich erfolgten Anmietsituation vergleichbar sind. Es steht ebenfalls nicht fest, ob und welche konkreten Zusatzkosten bei tatsächlicher Anmietung entstehen. Auch erschließt sich die tatsächliche Verfügbarkeit des konkret angemieteten Modells zu der Zeit, während welcher der Geschädigte das Mietfahrzeug benötigte, nicht. Denn die von der Beklagten vorgelegte Preisrecherche bei … Autovermietung hat im Februar 2014 stattgefunden, während der Geschädigte das Ersatzfahrzeug im September/Oktober 2012 gemietet hatte.

Die Beklagte hat jedoch zurecht eingewendet, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten nach dem sogenannten Unfallersatztarif hat. Auch ein genereller Zuschlag von 20 % ist insofern nicht gerechtfertigt. Die Klägerin hat die Schadensersatzforderung nur so weit und in der Höhe erworben, wie sie dem Geschädigten … zugestanden hat. Ob der Klägerin eine spezielle Unfallersatzmiete (wie es aus der Rechnung vom 16. Oktober 2012 hervorgeht) zusteht, hängt deshalb davon ab, ob der Zedent einen entsprechenden Schadensersatzanspruch hat. Es ist somit auf den Geschädigten abzustellen und nicht auf die Belange der Klägerin.

Der Umfang des Schadenersatzanspruchs bestimmt sich jedoch - wie bereits ausgeführt - nach § 249 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, wobei der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung als Herstellungsaufwand nur den Ersatz der objektiv erforderlichen Mietwagenkosten verlangen darf (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BGHZ 132, 373 ff. m. w. N.; BGHZ 163, 19 = NJW 2005, 1933; BGH NJW 2006, 1506; BGH VersR 2006, 133). Als erforderlich sind dabei nur diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf (vgl. etwa BGH, MDR 2005, Seite 331 f.; 332 ff.; NJW 2005, 1041 ff.; 1043 ff.). Der Geschädigte ist zudem unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbeseitigung zu wählen (vgl. BGH a.a.O. m. w. N.). Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietwagenpreis ersetzt verlangen kann (BGH, Urteil vom 13.06.2006 - VI ZR 161/05 - ).

Im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung kann der Geschädigte oder dessen Rechtsnachfolger den übersteigenden Betrag nur dann ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt - zumindest auf Nachfrage - kein wesentlich günstigerer "Normaltarif" zugänglich war (BGH, NJW 2005, 1933 ff). Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage der Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 BGB, sondern um eine Anspruchsvoraussetzung, für die der Geschädigte die Beweislast trägt (BGH, NJW 2006, 2622).

Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Bundesgerichtshof gegenüber der früheren Rechtsprechung nunmehr schärfte Grundsätze an die Anmietung von Ersatzfahrzeugen zu Unfallersatztarifen aufstellt, muss dem Geschädigten eine gewisse Mitverantwortung bei der Anmietung von Unfallersatzfahrzeugen aufgebürdet werden (BGH NJW 2006, 2621; BGH NJW 2006, 2693). Zu einer Nachfrage nach einem günstigen Tarif ist ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter schon unter dem Aspekt des Wirtschaftlichkeitsgebots gehalten, wenn er Bedenken gegen die Angemessenheit des ihm angebotenen Unfallersatztarifs haben muss, die sich aus der Differenz der Höhe des ihm angebotenen Mietpreises und den vergleichsweise wesentlich niedrigeren sonstigen Mietpreisen ergibt. Je nach Lage des Einzelfalls kann es auch erforderlich sein, sich anderweitig nach günstigeren Tarifen zu erkundigen, wobei es insbesondere eine Rolle spielt, wie schnell der Geschädigte ein Ersatzfahrzeug benötigt.

Hier vorliegend hätte der Mietpreis von über 2.000,00 € für gerade mal 2 Wochen durchaus Veranlassung zur Nachfrage gegeben. Die Klägerin hat dazu jedoch nichts vorgetragen. Ihre allgemeinen Ausführungen zu ihrer Kalkulation ersetzten nicht den konkreten Sachvortrag zu der Anmietsituation. Sie hat insbesondere nichts dazu vorgetragen, inwieweit sich der Geschädigte nach anderen Tarifen erkundigt hat und auch nicht dazu, was ihm daraufhin mitgeteilt worden ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass der Geschädigte unter besonderem Anmietdruck gestanden hat, da er das Fahrzeug der Klägerin um 15:15 Uhr, also während der ganz üblichen Geschäftszeiten gemietet hat.

Den Zuschlag wegen der Haftungsreduzierung hat die Beklagte dem Grunde nach nicht angegriffen. Die Zustell- und Abholgebühren sind zu erstatten, nachdem die Klägerin substantiiert vorgetragen hat, dass das Mietfahrzeug durch Personal der Klägerin dem Geschädigten in die Reparaturwerkstatt verbracht und nach Ende der Mietzeit von dort wieder abgeholt worden ist und die Beklagte dies nicht bestritten hat (§ 138 Abs. 3 ZPO). Der Abschlag von 15 % wegen der ersparten Aufwendungen folgt bereits aus dem Urteil des Amtsgerichts.

Die außergerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten sind nach einem Geschäftswert von nur bis zu 600,00 € zu berechnen.

Der Zinsantrag ist gemäß §§ 288, 292 BGB gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Nebenentscheidung folgt aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).



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