Das Verkehrslexikon

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OVG Saarlouis Beschluss vom 14.06.2016 - 1 B 133/16 - Anordnung eines ärztlichen Gutachtens

OVG Saarlouis v. 14.06.2016: Anforderungen an die Anordnung eines fachärztlichen Gutachtens


Das OVG Saarlouis (Beschluss vom 14.06.2016 - 1 B 133/16) hat entschieden:
Die Tatsachen, auf die die Behörde ihre Zweifel an der Kraftfahreignung stützt, sind in der Anordnung, ein ärztliches Gutachten beizubringen, substantiiert darzulegen. Eine Anordnung auf einen bloßen Verdacht hin, sozusagen „ins Blaue hinein“ ist nicht zulässig.


Siehe auch Drogen-Screening und Facharztgutachten im Fahrerlaubnisrecht


Gründe:

Die Beschwerde gegen den im Tenor bezeichneten Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig und begründet.

Die Antragstellerin hält der auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis in ihrer Beschwerdebegründung vom 11.5.2016 entgegen, dass bereits die ihr zu Grunde liegende Gutachtenanordnung rechtswidrig sei. Diese basiere auf der nicht erwiesenen Annahme, sie habe mehrfach Betäubungsmittel zum Eigenkonsum via Internet bestellt. Von dem entsprechenden Tatverdacht sei sie schon vor Ergehen der Anordnung rechtskräftig freigesprochen worden. Die Anordnung entbehre damit in tatsächlicher Hinsicht einer tragfähigen Grundlage und habe ihrerseits nicht befolgt werden müssen.

Nach dem Ergebnis der im Eilrechtschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage sind die erhobenen Einwände nicht von der Hand zu weisen. Die auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken. Dies führt im Rahmen der Abwägung der beteiligten Interessen zum Erfolg der Beschwerde.

In der Rechtsprechung ist seit langem geklärt, dass die Fahrerlaubnisbehörde aus der Weigerung eines Fahrerlaubnisinhabers, sich auf Fahreignung untersuchen zu lassen, bzw. aus der nicht fristgerechten Beibringung eines geforderten Eignungsgutachtens nur dann nach § 11 Abs. 8 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen darf, wenn die Anordnung der Untersuchung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist.

Die verfahrensgegenständliche Anordnung vom 2.12.2015, ein ärztliches Gutachten beizubringen, ist auf § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV gestützt. Die Vorschrift setzt voraus, dass Tatsachen die Annahme begründen, dass Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes eingenommen werden. Nach § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV hat die Behörde dem Betroffenen in der Gutachtenanforderung die Gründe für die Zweifel an seiner Fahreignung mitzuteilen. Erforderlich ist eine substantiierte Darlegung unter Angabe der Tatsachen, auf denen die Eignungszweifel beruhen.2 An die Begründung der Eignungszweifel sind strenge Anforderungen zu stellen, denn die Gutachtenaufforderung ist nicht selbständig anfechtbar, weswegen dem Betroffenen - mit Blick auf die in § 11 Abs. 8 FeV vorgesehenen rechtlichen Konsequenzen - die Möglichkeit gegeben werden muss, sich frühzeitig Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Anordnung rechtmäßig ist.3 Die Beibringung eines Gutachtens darf nur aufgrund konkreter Tatsachen und nicht auf einen bloßen Verdacht hin „ins Blaue hinein“ verlangt werden. Ob ausreichende Tatsachen vorliegen, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.4 Diesen Anforderungen wird die Anordnung des Antragsgegners vom 2.12.2015 nicht gerecht.

In den Gründen der Anordnung wird - ohne Angabe eines Aktenzeichens - als Tatsache in den Raum gestellt, dass die Antragstellerin laut einer polizeilichen Mitteilung vom 19.5.2015 unter ihrer Wohnadresse in mindestens drei Fällen via Internet Amphetamin, Marihuana und Ecstasy bestellt hat. Schon dies ist falsch. Denn es heißt in der besagten Mitteilung lediglich, dass die Antragstellerin in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft B-​Stadt mit dem Aktenzeichen 24 Js 2413/15 beschuldigt werde, entsprechende Bestellungen aufgegeben zu haben. Da der Anordnung keine Ablichtung der Mitteilung des Landespolizeipräsidiums beigefügt war, konnte die Antragstellerin die aufgezeigte Diskrepanz zwischen dem Inhalt der Mitteilung und dessen Wiedergabe in der Gutachtenanordnung nicht erkennen und damit nicht nachvollziehen, welche Tatsachen Anlass zu den behaupteten Eignungszweifeln geben könnten.

Selbst den Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin vom 15.12.2015, sie sei in dem unter dem Aktenzeichen 69 Cs 31 Js 586/15 (221/15) geführten Strafverfahren durch Urteil des Amtsgerichts B-​Stadt vom 21.9.2015 von den nunmehr seitens des Antragsgegners erhobenen Vorwürfen freigesprochen worden, hat der Antragsgegner nicht zum Anlass genommen, sich zunächst selbst Klarheit über den Sachverhalt zu verschaffen, sondern unbeirrt an seiner Anordnung festgehalten, wobei er der Antragstellerin nunmehr „zum besseren Verständnis“ immerhin eine Kopie der polizeilichen Mitteilung zur Verfügung gestellt hat.

Eine so begründete Gutachtenanordnung wird weder in formeller Hinsicht den oben aufgezeigten Darlegungserfordernissen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV gerecht noch genügt sie den materiell-​rechtlichen Anforderungen des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV, wonach Tatsachen die Annahme eines Konsums sogenannter harter Drogen begründen müssen. Sie erging ohne eigene Erkenntnisse des Antragsgegners zu den Hintergründen und damit der Berechtigung des in der polizeilichen Mitteilung formulierten Verdachts der Einnahme von Betäubungsmitteln. Ihre Aufrechterhaltung basiert auf der Annahme, die Mitteilung des Verdachts, die Antragstellerin habe Betäubungsmittel bestellt, die mangels gegenteiliger Erkenntnisse zum Eigenkonsum bestimmt gewesen sein dürften, stelle sich ungeachtet des - behördlicherseits keiner Überprüfung unterzogenen - Einwands der Antragstellerin, sie sei bereits im Vorfeld der Gutachtenanordnung rechtskräftig vom Tatverdacht freigesprochen worden, als Tatsache im Sinn des § 14 Abs. 1 Satz 1 FeV dar. Eine so begründete Gutachtenanordnung genügt den rechtlichen Anforderungen nicht, muss daher nicht befolgt werden und vermag einer auf § 11 Abs. 8 FeV gestützten Entziehung der Fahrerlaubnis keine Grundlage zu bieten.

Der Senat nimmt vom seinem Bemühen, zur Abrundung der rechtlichen Würdigung mit Blick auf den bereits erwähnten Freispruch und den Vortrag der Antragstellerin, das in der polizeilichen Mitteilung genannte Verfahren 24 Js 2413/15 sei inzwischen mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, die entsprechenden Strafakten beizuziehen, Abstand, da deren kurzfristige Überlassung nicht möglich war. Dies ist indes unschädlich. Die Akten lagen dem Verwaltungsgericht vor und aus der zusammenfassenden Wiedergabe im erstinstanzlichen Beschluss5 und dem erfolgten Freispruch bzw. der Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO ergibt sich, dass zwar Postsendungen mit Betäubungsmitteln, die an die Antragstellerin adressiert waren, abgefangen wurden, der Nachweis, dass sie die entsprechenden Bestellungen aufgegeben hatte, aber nicht geführt werden konnte, was möglicherweise damit im Zusammenhang stehen mag, dass ihr Freund als Konsument von Betäubungsmitteln bekannt sein soll.

Nach derzeitigem Sachstand spricht mithin nichts dafür, dass sich die auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Entziehung der Fahrerlaubnis im Hauptsacheverfahren als rechtmäßig erweisen wird, so dass die Abwägung der privaten Interessen der Antragstellerin gegen das öffentliche Interesse an dem Ausschluss ungeeigneter Kraftfahrer vom motorisierten Verkehr zu Gunsten der Antragstellerin ausgehen muss.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2, 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Nrn. 1.5 und 46.3 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.



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