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Landgericht Frankfurt (Oder) Urteil vom 20.03.2015 - 11 O 86/13 - Kollision eines Personenkraftwagens mit einem eine Fußgängerfurt durchfahrenden Radfahrer
LG Frankfurt (Oder) v. 20.03.2015: Kollision eines Personenkraftwagens mit einem eine Fußgängerfurt durchfahrenden Radfahrer
Das Landgericht Frankfurt (Oder) (Urteil vom 20.03.2015 - 11 O 86/13) hat entschieden:
Überquert eine Radfahrerin eine Fußgängerfurt ohne abzusteigen mit erheblich höherer Geschwindigkeit und beachtet sie zudem § 25 Abs. 3 StVO nicht, ist im Falle einer Kollision mit einem Kfz, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass dieses die zulässige Geschwindigkeit überschritten hat, die alleinige Haftung der Radfahrerin gegeben.
Siehe auch Radfahrer-Unfälle und Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aus einem Verkehrsunfall, der sich am 24.08.2010, um 13.20 Uhr auf der O. Straße in Richtung Stadtzentrum B. auf Höhe der K.-Z.-Straße ereignet hat.
Der Erstbeklagte befuhr mit dem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw Golf, amtl. Kennzeichen ..., die O. Straße in Richtung W.. Die Klägerin fuhr mit ihrem Fahrrad auf dem Radweg in Richtung Innenstadt aus der Richtung W. kommend. Vor ihr befuhr ihr Ehemann... mit dem Fahrrad den Radweg. Zwischen dem Radweg und der Fahrbahn befindet sich eine Baumreihe. In Höhe der aus ihrer Sicht rechtseitigen Einmündung zur K.-Z.-Straße beabsichtigten beide die Fahrbahn über die Fußgängerfurt zu überqueren. Vor dem Überweg befindet sich ein Baustellenschild. Nachdem ihr Ehemann diese überquert hatte, kam es beim Überqueren der Fußgängerfurt durch die Klägerin zur Kollision mit dem von dem Erstbeklagten geführten Pkw. Die Klägerin zog sich eine proximale Unterschenkelfraktur links mit Trümmerfraktur des Schienbeinkopfes und Mehrfragmentfraktur des Fibulakopfes zu. Sie befand sich einen Monat lang in stationärer Behandlung, ihr wurde eine Knieprothese eingesetzt. Anschließend unterzog sie sich vom 21.10.2010 bis 13.11.2010 einer Reha-Behandlung in der M... Klinik H.... Sie klagt weiterhin über erhebliche Schmerzen im Wirbelsäulenbereich, über linksseitige Durchblutungsstörungen sowie Taubheitsgefühle in der Hand auf Grund des ständigen Gebrauchs der Gehhilfen. Da sie ihr rechtes Knie schonen muss, liegt das Gewicht auf der Hand und es kommt zu einer einseitigen Belastung der linken Körperhälfte.
Das Amtsgericht B. - Strafrichter - sprach den Erstbeklagten vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung frei.
Die Klägerin behauptet, sie habe sich mit ihrem Fahrrad zum Straßenrand begeben, dort angehalten und die Straße - soweit möglich - eingesehen. Da sie kein Fahrzeug habe erkennen können, sei sie wieder aufgestiegen und habe Fahrrad fahrend den Überweg überquert. Kurz vor der Mittelinsel habe sie der Pkw in dem hinteren Bereich ihres Fahrrades erfasst. Er sei mit deutlicher Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h in diesem Bereich gefahren und habe sie ungebremst erfasst. Weiterhin sei die Betriebsgefahr durch die besonderen Straßenverhältnisse erhöht. Aufgrund ihrer Verletzungen, der Dauer der Heilbehandlung und der fortbestehenden Beeinträchtigungen halte sie unter Berücksichtigung einer 20%igen Mithaftungsquote ein Schmerzensgeld von 9.600,- € für gerechtfertigt. Weiterhin beanspruche sie für das komplett zerstörte, sechs bis achte Jahre alte Fahrrad mit einem Neuwert von ca. 600,- € und einem Zeitwert von 200,- € und eine Unkostenpauschale von 25,- € materiellen Schadensersatz in Höhe von 180,- € (80 % von 225,- €). Durch den Unfall sei das Fahrrad irreparabel zerstört worden, der gesamte hintere Rahmen verzogen.
Der Kläger beantragt,
- die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie 180,- € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit 12.02.2011 zu zahlen,
- die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird,
- es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sind, als Gesamtschuldner ihr 80 % der künftigen materiellen und immaterieller Schäden zu ersetzen, welche ihr aus dem Verkehrsunfall vom 24.08.2012 entstanden sind und nicht entstehen werden, jedoch soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, die Klägerin habe die Fußgängerfurt nicht vorfahrtberechtigt benutzen dürfen. Der Blick auf die Fußgängerfurt sei durch den rechtsseitigen Baumbewuchs beeinträchtigt gewesen. Daher hätte sie vor Überquerung der Fußgängerfurt besondere Aufmerksamkeit walten lassen müssen, um den fließenden Verkehr nicht zu behindern. Sie bestreiten mit Nichtwissen, dass sie vor dem Überqueren von dem Fahrrad abgestiegen sei. Aus der Unfallaufnahme sei das Gegenteil ersichtlich. Sie habe sich zu dem unachtsamen Fahrmanöver hinreißen lassen, um den Anschluss an ihren vorausfahrenden Ehemann nicht zu verlieren. Die Kollision sei weder örtlich noch zeitlich vermeidbar gewesen. Die fehlenden Bremsspuren ließen sich mit einer geistesgegenwärtigen Ausweichbewegung erklären. Abgesehen davon verfüge das Fahrzeug über ABS.
Das Gericht hat die Strafakten beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht. Das Gericht hat gemäß dem Beweisbeschluss vom 18.10.2013 Beweis durch Vernehmung des Herrn ... und durch Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens erhoben. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Sitzungsniederschrift vom 18.02.2014 (Bl. 107 ff.), das Gutachten des Dipl.-Ing. ... vom 02.07.2014 (Bl. 140 ff.), seine gutachterliche Stellungnahme vom 09.12.2014 (Bl. 217 ff.) und auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig. Insbesondere steht der Klägerin das erforderliche besondere Interesse an der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden zu, gem. § 256 Abs. 1 ZPO. Das ist anzunehmen, wenn auch nur die entfernte Möglichkeit künftiger weiterer Folgeschäden besteht (Reichold in: Thomas/Putzo, 34. Aufl. (2013), § 256 Rn. 14). Weitere Schäden können nicht ausgeschlossen werden.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von den Beklagten weder Schadensersatz und Schmerzensgeld noch die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Verkehrsunfall verlangen, gem. §§ 7, 18 StVG, 823, 421 BGB, § 115 Abs. I Nr. 1 VVG nicht beanspruchen. Bei seiner Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile hat das Gericht nach §§ 9 StVG, 254 BGB nur solche Umstände heranzuziehen, die sich nachweislich unfallursächlich ausgewirkt haben (vgl. KG NZV 2010, 254). Ist das Maß der Verursachung und des Verschuldens auf der einen Seite so groß, dass demgegenüber die von der anderen Partei zu verantwortende Mitverursachung nicht ins Gewicht fällt, so kann der Schaden allein der einen Partei auferlegt werden.
Die Klägerin muss sich einen gewichtigen Verstoß gegen §§ 2 Abs. 1, 2 StVO vorwerfen lassen. Als Radfahrerin hatte sie auf der Fußgängerfurt nichts zu suchen. Sie hätte absteigen und ihr Fahrrad schieben müssen. Ihre Fahrweise war in besonderem Maße gefahrenträchtig, weil sie wegen der erheblich höheren Geschwindigkeit im Vergleich zu Fußgängern, die zum Überqueren ansetzen mochten, für den Kraftfahrer überraschend auftauchen und dessen Reaktionsvermögen überfordern konnte. Genau dieses Risiko hat sich im vorliegenden Fall verwirklicht, denn der Erstbeklagte ist zu spät auf die Klägerin aufmerksam geworden (vgl. OLG Hamm, NZV 1996, 449).
Zudem hat sie die Anforderungen des § 25 Abs. 3 StVO nicht eingehalten. Grundsätzlich genießen Fahrzeuge auf der Fahrbahn den absoluten Vorrang vor allen anderen Verkehrsteilnehmern. Dieser Grundsatz dient der Flüssigkeit des Straßenverkehrs und stellt eine ganz entscheidende Einschränkung für Fußgänger und nicht die Fahrbahn benutzende Verkehrsteilnehmer dar, wie an mehreren Vorschriften der Straßenverkehrsordnung zu belegen ist. So haben Fußgänger nach § 25 Abs. 3 StVO die Fahrbahn unter Beachtung des Vorrangs des Straßenverkehrs zu überschreiten. Derjenige, der von einem anderen Straßenteil auf die Fahrbahn einfährt, muss eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen (§ 10 StVO). Vor diesem Hintergrund entlastet sie die mangelnde Einsehbarkeit des Radwegs die Klägerin nicht, die auch vom Sachverständigen ... auf S. 20 seines Gutachtens für möglich angesehen wird. Im Gegenteil.
Ihr ist zudem der Beweis eines Mitverursachungsbeitrags des Erstbeklagten am Verkehrsunfall nicht gelungen. Insbesondere konnte sie nicht beweisen, dass der Erstbeklagte die am Unfallort höchst zulässige Geschwindigkeit überschritten hat. Die Aussage des Zeugen ... war unergiebig. Er hat bekundet, dass seine Frau mit einer Gruppe junger Frauen mit dem Fahrrad unterwegs gewesen sei. Er sei mit dem Fahrrad vorausgefahren. Als er die Straße bereits überquert habe, habe er ein Geräusch gehört, sich umgedreht und seine Frau auf der Straße liegen gesehen. Die informatorisch angehörte Klägerin hat erklärt, sie habe beabsichtigt, die O. Straße zu überqueren. Hierzu habe sie angehalten, nach links und rechts geschaut. Es sei recht viel Gegenverkehr unterwegs gewesen. Das letzte, woran sie sich noch erinnern könne, sei, dass sie noch einmal nach links geschaut habe und dort niemanden gesehen habe. In der polizeilichen Unfallaufnahme wird protokolliert, dass sie nicht an der weißen Haltelinie der Fußgängerfurt angehalten habe, sondern ohne Halt auf die Fahrbahn der O. Straße aufgefahren sei. Auf Vorhalt dieser Aussage hat sie erklärt, dass sie nicht wisse, wie es zu dieser Aussage gekommen sei; mit ihr habe niemand gesprochen.
Nach den Feststellungen des Sachverständigen ... ist eine Überschreitung der im Unfallbereich zulässigen Geschwindigkeit von 50 km/h nicht nachweisbar. Die Ausgangsgeschwindigkeit des Pkw ... habe zwischen 47 bis 55 km/h und seine Anstoßgeschwindigkeit ca. 25 km/h betragen (hinsichtlich der Einzelheiten wird auf seine Ausführungen auf S. 17-19 des Gutachtens verwiesen). Selbst wenn man zuungunsten des Erstbeklagten eine Zufahrtgeschwindigkeit von 55 km/h unterstellen würde, hätte er allein durch die Sichtbarriere des im Orientierungsbereich liegenden Bewuchses keine Möglichkeit gehabt, früher die Überquerung der Fahrbahn durch die Klägerin wahrzunehmen bzw. unfallvermeidend einzugreifen. Insofern könne festgestellt werden, dass das Unfallgeschehen bei Ausnutzung der im Unfallbereich zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h durch keinen Kraftfahrer hätte vermieden werden können.
Das Gericht folgt den nachvollziehbar und plausibel dargestellten Feststellungen des Sachverständigen. Er hat sie aufgrund der Angaben der Beteiligten, der Unfall- und Kontaktspuren sowie der Anstoßkonstellation ermittelt und auf die Fragen der Klägerin nochmals in seiner gutachterlichen Stellungnahme bekräftigt.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.