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OLG Celle Beschluss vom 30.06.2016 - 7 W 26/16 - Fahrzeugmangel bei manipulierter Abgassoftware
OLG Celle v. 30.06.2016: Fahrzeugmangel bei softwaregesteuerter Täuschung über die Abgaswerte
Das OLG Celle (Beschluss vom 30.06.2016 - 7 W 26/16) hat entschieden:
- Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgassoftware sind im Sinn des § 434 Abs. 1 BGB mangelbehaftet.
- Eine objektive Unmöglichkeit der Nachbesserung ist auch dann anzunehmen, wenn der Mangel als solcher einschließlich seiner Ursache zwar beseitigt werden kann, dies aber nur unter Zurückbleiben einer technischen und/oder merkantilen Wertminderung möglich ist.
- Der Vertragshändler muss sich das Wissen des Pkw-Herstellers nicht zurechnen lassen.
Siehe auch „Schummelsoftware“ und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht
Gründe:
Die von der Antragstellerin eingelegte sofortige Beschwerde ist gemäß § 567 Abs. 1, § 127 Abs. 2 Satz 2, 3 ZPO zulässig. Sie hat in der Sache auch insoweit Erfolg, als dass sie zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung des Landgerichts führt.
Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin zu 1, ein Autohaus, und gegen die V… AG. Die Antragstellerin hatte im September 2014 von der Antragsgegnerin zu 1 einen Pkw Skoda Yeti 2,0 l TDI erworben, der von dem sogen. Abgasskandal der Antragsgegnerin zu 2 betroffen ist. Diese hatte in Dieselfahrzeugen eine manipulierte Abgassoftware verbaut, die Stickoxidwerte im Prüfstandlauf in gesetzlich unzulässiger Weise optimiert.
Der Abgasskandal, von dem unzählige Fahrzeuge betroffen sind, wirft diverse schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen auf, die bislang in der Rechtsprechung nicht geklärt sind. Für einen derartigen Fall gilt, dass es verfassungsrechtlich unzulässig ist, schwierige und nicht geklärte Rechtsfragen im PKH-Verfahren durchzuentscheiden. Diese Fragen müssen vielmehr einer Klärung im Hauptsacheverfahren zugeführt werden (vgl. etwa Musielak, ZPO, 12. Auflage, § 114, Rdnr. 20).
Hinreichende Erfolgsaussicht für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung ist deshalb bereits dann zu bejahen, wenn der Rechtsstandpunkt der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei aufgrund ihrer Sachdarstellung zumindest vertretbar erscheint. Dies ist hier hinsichtlich des Rücktritts- und Schadensersatzbegehrens der Antragstellerin anzunehmen.
Die Antragstellerin kann die Antragsgegnerin zu 1 gemäß §§ 346, 323, i.V.m. §§ 433, 434, 437 BGB auf Rückabwicklung des in Rede stehenden Fahrzeugs in Anspruch nehmen, wenn die Kaufsache mit einem Sachmangel behaftet ist und die Nacherfüllungsphase erfolglos durchlaufen ist. Die Antragstellerin hat indes davon Abstand genommen, die Antragsgegnerin zu 1 nach § 439 BGB auf Nacherfüllung in Anspruch zu nehmen, sondern hat unmittelbar mit Anwaltsschreiben vom 4. Februar 2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt, weil sie der Ansicht ist, dass eine Nachbesserung des Mangels unmöglich sei (s. Anlage K2)
Fahrzeuge mit einer manipulierten Abgassoftware sind im Sinn des § 434 Abs. 1 BGB mangelbehaftet (vgl. etwa LG Frankenthal, 8 O 208/15, Urteil vom 12.05.2016). Ungeklärt ist indes die Frage, ob dieser Mangel etwa mittels eines Software-Updates folgenlos für das Fahrzeug beseitigt werden kann.
Allgemein gilt, dass eine objektive Unmöglichkeit der Nachbesserung auch dann anzunehmen ist, wenn der Mangel als solcher einschließlich seiner Ursache zwar beseitigt werden kann, dies aber nur unter Zurückbleiben einer technischen und/oder merkantilen Wertminderung möglich ist (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Auflage, Rdnr. 938). Hierauf hat sich die Antragstellerin bereits in ihrem Klageentwurf berufen. Sie hat unter Darlegung im Einzelnen und unter Bezugnahme auf Unterlagen vorgebracht, dass eine Nachbesserung nachteilige Auswirkungen auf das Fahrzeug haben werde (Bl. 13ff. GA), was sie in der Beschwerdeinstanz insbesondere durch Vorlage eines Gutachtens (Anlage BF9) vertieft hat (Bl. 169ff., 230ff. GA). Ferner ist von ihr bereits in dem Klageentwurf im Einzelnen unter Verweis auf Anlagen ausgeführt worden, dass Fahrzeuge, die von dem Abgasskandal betroffen seien, dauerhaft mit einem Makel behaftet seien, was zu einem merkantilen Minderwert führe (Bl. 23ff. GA). Da die von der Antragstellerin als solche schlüssig vorgebrachten und unter Sachverständigenbeweis gestellten Behauptungen, wonach eine Behebung des Mangels ohne das Auftreten von Folgeproblemen nicht möglich sei und es trotz der von den Antragsgegnern angedachten Nachbesserungsmaßnahmen bei dem Fahrzeug zu einer dauerhaften Wertminderung kommen werde, grundsätzlich nur mittels eines Sachverständigengutachtens auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden können (vgl. hierzu den Beweisbeschluss des LG Traunstein vom 10.06.2016, 6 O 1267/18, Anlage BF13), kann vorliegend der beabsichtigen Klage eine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO nicht abgesprochen werden. Denn sollte eine Nachbesserung wegen des Verbleibs nachteiliger Folgen für das Fahrzeug objektiv unmöglich sein, wäre grundsätzlich sowohl das Rücktrittsbegehren gegenüber der Antragsgegnerin zu 1 als auch das Schadensersatzbegehren gegenüber der Antragsgegnerin zu 2 begründet.
Anzumerken ist, dass für den Fall, dass der Mangel folgenlos behoben werden kann, sich das Rücktrittsbegehren der Antragstellerin mit dem Landgericht als derzeit unbegründet darstellt. Denn die Antragstellerin muss sich dann auf das Durchlaufen der Nacherfüllungsphase verweisen lassen. Entgegen ihrer Ansicht ist mit dem Landgericht eine Nachbesserung unbeschadet eines längeren Zuwartens weder unzumutbar noch wegen arglistiger Täuschung entbehrlich. Denn die Antragsgegnerin zu 1 muss sich eine etwaige arglistige Täuschung der Antragsgegnerin zu 2 nicht zurechnen lassen. Demzufolge kommt hier zugunsten der Antragstellerin eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB nicht in Betracht. Der Vertragshändler muss sich das Wissen des Herstellers nicht zurechnen lassen (vgl. Reinking/Eggert, aaO, Rdnr. 4339).
Im Ergebnis kann der Antragstellerin hier aber gemäß § 114 ZPO Prozesskostenhilfe gewährt werden. Die abschließende Entscheidung hierüber, d.h. ob die Antragstellerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten des Verfahrens nicht, nur zur Teil oder nur in Raten aufbringen kann (§ 114 ZPO), bleibt dem Landgericht vorbehalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.