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Landgericht Ravensburg Urteil vom 12.05.2016 – 6 O 67/16 - Zur Rückabwicklung des Kaufvertrags wegen angeblicher „Schummelsoftware“
LG Ravensburg v. 12.05.2016: Zum Anspruch auf Rückabwicklung eines PKW-Kaufvertrages wegen Verwendung von Manipulationssoftware
Das Landgericht Ravensburg (Urteil vom 12.05.2016 – 6 O 67/16) hat entschieden:
- Es stellt einen Mangel eines Kfz dar, wenn in ihm eine Umschaltlogik verbaut wurde, die bewirkt, dass das Fahrzeug im Prüfstandsbetrieb andere Abgaswerte erzeugt als es im normalen Straßenverkehr emittiert. Ein Rücktritt ist jedoch ausgeschlossen, weil die Pflichtverletzung unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist
- Auch wenn als wahr unterstellt, dass der Käufer sich über die besondere Schadstoffarmut der Bluemotion-Reihe mit dem Verkäufer unterhalten hat, haben die Parteien damit diesbezüglich keine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne von §434 Abs. 1 S. 1 BGB getroffen.
- Der Hersteller (Lieferant) ist im Verhältnis zum Käufer nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers. Daher muss sich der selbständige Vertragshändler ein mögliches arglistiges Verhalten einzelner Personen im Volkswagenkonzern nicht zurechnen lassen, wenn er die Täuschung weder kannte noch kennen musste.
Siehe auch Erheblichkeit der Pflichtverletzung bei der „Schummelsoftware“ und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht
Tatbestand:
Die Parteien streiten - als Teil der sog. VW-Abgas-Manipulalionsaffäre - um die Rückabwicklung eines zwischen dem Kläger und der Beklagten am 13.03.2013geschlossenen Kaufvertrags über einen PKW VW Golf.
Der Kläger bestellte bei der Beklagten, die als VW-Vertragshändlerin in ... ein Autohaus betreibt, einen PKW VW-Golf Plus 1,6 TOl Bluemotion, Fahrzeugidentifizierungs-Nr. ...
Dieses Fahrzeug ist von Unreqelrnäßiqkeiten betroffen, die im Sommer 2015 in den Medien publik wurden, wobei die genauen Einzelheiten zwischen den Parteien streitig sind.
Der Kläger forderte die Beklagte über seinen Prozessbevollmächtigten vorgerichtlich mehrfach zur Nachbesserung auf (vgl. Anwaltsschreiben vom 22.10. und 26.11.2015; Anlage K2). Diesen Nachbesserungsverlangen kam die Beklagte bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht nach. Mit Anwaltsschriftsatz vom 26.01.2016 (Anlage K4) erklärte der Kläger den Rücktritt vom Kaufvertrag, verbunden mit der Aufforderung zur Rückzahlung des Kaufpreises Zug-um-Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs (Anlage K4). Zwischenzeitlich fuhr der Kläger mit dem Fahrzeug, das im Zeitpunkt seiner Bestellung einen Kilometerstand von 6.902 Kilometer aufwies, zumindest 68.100 Kilometer.
Der Kläger behauptet, sein Fahrzeug sei mit einer unzulässigen "Schummel-Software" ausgestattet und damit mangelhaft. Die Beklagte habe sein Fahrzeug innerhalb einer angemessenen Nachbesserungsfrist nicht nachgebessert, weshalb er zum Rücktritt berechtigt sei. Im Übrigen müsse sich die Beklagte jedenfalls aus Treu und Glauben ein arglistiges Verhalten des VW-Konzerns zurechnen lassen. Ausgehend von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs von 200.000 Kilometer berechnet der. Kläger eine Nutzungsentschädigung in Höhe van 5.518,00 €, die er sich auf den Kaufpreis anrechnen lässt.
Der Kläger beantragt:
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.282,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.02.2016 zu zahlen, Zug um Zug gegen Rückgabe des PKWs VW Golf Plus 1.6 TOl, Fahrzeugidentifizierungs-Nr. ....
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe
von 958, 19 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte stellt bereits das Vorliegen eines Mangels in Abrede, da das Fahrzeug nicht mit einer .Schummel-Software" ausgestattet sei, sondern lediglich über zwei unterschiedliche Abgasrückführungs-Modi als motorinterne Maßnahmen verfüge. Jedenfalls seien die gesetzten Nachbesserungsfristen nicht angemessen gewesen. Schließlich sei der Mangel nicht erheblich und müsse sich die Beklagte ein arglistiges Verhalten des VW-Konzerns, das bereits für sich genommen in Abrede gestellt wird, jedenfalls nicht zurechnen lassen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.04.2016 (BI. 53/56 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg, weil das vom Kläger erworbene Fahrzeug zwar mangelhaft im Sinne von §434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB ist, der Mangel jedoch unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist.
1. Das vom Kläger erworbene Fahrzeug ist mangelhaft im Sinne von § 434 Abs. 1 $.2 Nr. 2 BGB. Auch nach den Darlegungen des beklagten Autohauses ist darin eine Umschaltlogik verbaut, die bewirkt, dass das Fahrzeug lm Prüfstandsbetrieb andere Abgaswerte erzeugt als es im normalen Straßenverkehr emittiert. Der Kläger durfte erwarten, dass er ein Fahrzeug erwirbt, das die Gewähr dafür bietet, dass die Vermeidung schädlicher Emissionen im Straßenverkehr mit derselben Effektivität wie auf dem Prüfstand erfolgt. Das ist bei dem klägerischen Fahrzeug wegen der von der Beklagten geschilderten innermotorischen Maßnahme der Abgasrückführung des Dieselmotors EA 189 EU5 in zwei Betriebsmodi nicht der Fall, weil hier nur im Abgasrückführungs-Modus 1 relativ viele Abgase zurückgeführt werden, was beim Abgasrückführungs-Modus 0 im normalen Fahrbetrieb nicht der Fall ist. Auch wenn die Kammer den Vortrag des Klägers als wahr unterstellt, dass er sich über die besondere Schadstoffarmut der Bluemotion-Reihe mit dem Verkäufer ... unterhalten hat, haben die Parteien damit diesbezüglich keine Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne von §434 Abs. 1 S. 1 BGB getroffen.
2. Auf die Frage, ob der Kläger in seinen Anwaltsschreiben vom 22.10. und 26.11.2015 angemessene Nachbesserungsfristen gesetzt hat, kommt es nicht an, weil durch eine unangemessene Fristsetzung jedenfalls eine angemessene Frist in Gang gesetzt wird (BGH NJW 1985, 2640; Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl. 2016, §,323, Rn. 14) und diese nach Auffassung der Kammer zwischenzeitlich abgelaufen ist, nachdem eine Nachbesserung auch zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht erfolgt ist.
3. Ein Rücktritt des Klägers ist jedoch ausgeschlossen, weil der Mangel! die Pflichtverletzung unerheblich im Sinne von § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB ist.
a) Nach der Norm des § 323 Abs. 5 S. 2 BGB ist der Rücktritt ausgeschlossen, wenn die in der Mangelhaftigkeit der Kaufsache liegende Pflichtverletzung unerheblich ist, d. h. wenn der Mangel geringfügig ist (BGH NJW 2011, 2872). Die Beurteilung, ob eine Pflichtverletzung unerheblich im Sinne der Norm ist, erfordert eine umfassende Interessenabwägung (BGH NJW 2013,1365).
aa) In deren Rahmen ist zunächst zu berücksichtigen, dass ein Mangel im Sinne von § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB und kein solcher nach §434 Abs. 1 S. 1 BGB vorliegt. Denn der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung indiziert regelmäßig die Erheblichkeit der Pflichtverletzung (BGH NJW-RR 2010, 1289).
bb) Die Erheblichkeit kann auch nicht mit der Schwere des Verschuldens begründet werden. Zwar ist anerkannt, dass bei Arglist eine unerhebliche Pflichtverletzung in der Regel zu verneinen ist (BGH NJW 2006, 1960). Ein solches Verhalten macht der Kläger der Beklagten selbst aber gerade ausdrücklich nicht zum Vorwurf. Vielmehr geht er davon aus, dass sich die Beklagte ein arglistiges Verhalten des Volkswagenkonzerns (jedenfalls nach Treu und Glauben) zurechnen lassen müsse. Dabei übersieht der Kläger jedoch, dass der Hersteller (Lieferant) anerkannter Maßen im Verhältnis zum Käufer nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers ist (st. BGH-Rspr.; vgl. z. B. BGH NJW 2008,2837 und 2009, 2674; Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl. 2016, § 278, Rn. 13). Damit muss sich die Beklagte ein mögliches arglistiges Verhalten einzelner Personen im Volkswagenkonzern nicht zurechnen lassen, weil diese Dritte im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB sind und die Beklagte die Täuschung weder kannte noch kennen musste.
cc) Somit ist für die Beurteilung der Unerheblichkeit beim Vorliegen eines behebbaren Mangels auf das Verhältnis der Mangelbeseitigungskosten zum Kaufpreis abzustellen (BGH NJW 2014, 3229; Palandt-Grüneberg,. BGB; 75. Aufl. 2016, § 323, Rn. 32). Dabei ist mit dem BGH davon auszugehen, dass die Erheblichkeitsschwelle im Regelfall bereits dann überschritten wird, wenn die Reparaturkosten mindestens 5% der vereinbarten Gegenleistung ausmachen (BGH NJW 2014,3229; zur Gegenansicht, die von unterschiedlichen höheren Grenzwerten ausgeht, vgl. die vorstehende BGH- Entscheidung und z. B. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 1042). Denn dem Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 323 BGB ist dadurch Rechnung zu tragen, dass man den Grenzwert für die Erheblichkeitsschwelle möglichst gering ansetzt, um den Rücktritt als Regelfall zu ermöglichen.
(1) Nach dem Vortrag der Beklagten ist dieser Grenzwert ausgehend von behaupteten Mängelbeseitigungskosten van 100,00 € und einem Kaufpreis van 17.800,00 € weit unterschritten, da die Mängelbeseitigungskosten weniger als 1% des Kaufpreises betragen würden und die Rechtsprechung des BGH eingreifen würde, wonach Mängelbeseitigungskosten von unter 1% stets unerheblich sind (BGH NJW 2005, 3490).
(2) Selbst wenn man aber mit dem Kläger von Mängelbeseitigungskosten von 1.100,00€ zzgl. Mehrwertsteuer ausgeht, mithin von einem Reparaturaufwand von 7,4% der Anschaffungskosten ausgeht, kommt man zu dem Ergebnis, dass Unerheblichkeit vorliegt, weshalb es nicht der angebotenen Einholung eines Sachverständigengutachtens bedurfte. Insoweit erscheint es der Kammer zunächst zweifelhaft, die Kosten für die Entwicklung eines Software-Updates für die betroffenen Motoren zu berücksichtigen und diese auf den einzelnen Pkw herunterzurechnen. Vielmehr ist auf die reinen Reparaturkosten für die Beklagte abzustellen. Diese werden auch nach dem Vortrag des Klägers die 5%-Grenze nicht überschreiten. Es kommt hinzu, dass im Rahmen der Gesamtabwägung auch zu berücksichtigen ist, dass das Kraftfahrtbundesamt die Typengenehmigung der betroffenen Fahrzeuge nicht sofort widerrufen hat, sondern dem Volkswaqenkonzern die Möglichkeit eingeräumt hat, den Mangel nachzubessern, was zeigt, dass den Käufern die Durchführung der vorgesehenen Reparaturmaßnahmen zuzumuten ist. Schließich kommt hinzu, dass der Kläger durch den Mangel in keiner Weise in der Nutzung seines Fahrzeugs beeinträchtigt ist.
4. Nachdem der Kläger nicht wirksam vom Vertrag zurückgetreten ist, steht ihm auch kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten zu.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.