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OVG Bremen Beschluss vom 25.02.2016 - 1 B 9/16 - Konsum und Abbau von Cannabis im Blut

OVG Bremen v. 25.02.2016: Konsum und Abbau von Cannabis im Blut


Das OVG Bremen (Beschluss vom 25.02.2016 - 1 B 9/16) hat entschieden:
Eine THC-Konzentration im Blutserum von 2,0 ng/ml kann nicht auf einen einmaligen Konsum 17,5 Stunden vor der Blutentnahme zurückzuführen sein. Der Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum stellt insofern einen „Risikogrenzwert“ dar. Die Rechtsprechung geht ganz überwiegend davon aus, dass das Trennungsvermögen nicht angenommen werden kann, wenn der im Blutserum eines Verkehrsteilnehmers festgestellte THC-Wert über 1,0 ng/ml liegt.


Siehe auch Der aktive THC-Wert als Nachweis von gelegentlichem Cannabiskonsum und Stichwörter zum Thema Cannabis


Gründe:

Die Beschwerde, bei der das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe prüft (§ 146 Abs. 4 S. 6 VwGO), bleibt erfolglos.

Das Oberverwaltungsgericht gelangt bei der in einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung ebenso wie das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 29.10.2015 das gegenläufige Suspensivinteresse des Antragstellers überwiegt. Der gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gerichtete Rechtsbehelf des Antragstellers wird voraussichtlich erfolglos bleiben; zudem besteht ein besonderes öffentliches Vollzugsinteresse.

Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 StVG i. V. m. § 46 Abs. 1 S. 1 Fahrerlaubnis-​Verordnung – FeV – ist einem Fahrerlaubnisinhaber, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist, die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nach Nr. 9.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13, 14 FeV ist die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu verneinen, wenn regelmäßig Cannabis eingenommen wird (Nr. 9.2.1). Wird gelegentlich Cannabis eingenommen, kommt es darauf an, ob der Betreffende in der Lage ist, Cannabiskonsum und das Fahren zu trennen (Nr. 9.2.2). Nach diesem Maßstab kann die Entziehungsverfügung vom 29.10.2015 rechtlich nicht beanstandet werden.

Die Behauptung des Antragstellers, er habe am Abend des 9.4.2015 nach einem länger zurückliegenden Konsum im Jahr 2011 erst- und einmalig wieder Cannabis konsumiert, es habe sich gleichsam um einen "Ausrutscher" gehandelt, kann ihm nicht abgenommen werden. In der Blutprobe, die ihm am 10.4.2015 um 15.35 Uhr im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges entnommen wurde, ist eine THC-​Konzentration im Blutserum von 2,0 ng/ml festgestellt worden (Toxikologischer Befundbericht des Klinikums Bremen-​Mitte vom 27.4.2015). Da THC im Blutserum bei einem Einzelkonsum nur 6 bis 12 Stunden nachweisbar ist (vgl. TÜV-​Gutachten vom 22.9.2015), kann die Behauptung des Antragstellers, er habe am Abend des Vortags – 17,5 Stunden vor der Blutentnahme – einmalig Cannabis konsumiert, nicht zutreffen. Die Nachweisdauer wird teilweise sogar noch deutlich geringer veranschlagt (4 – 6 Stunden, vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.2014 – 3 C 3/13 – Blutalkohol 2015, 151 <154>). Bei Konzentrationen ab 2,0 ng/ml ist, sofern kein regelmäßiges Konsummuster gegeben ist, davon auszugehen, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden hat (vgl. Empfehlung der Grenzwertkommission, Blutalkohol 2015, 322).

Der Antragsteller hat damit entweder sowohl am Abend des 9.4. als auch am Morgen des 10.4. Cannabis konsumiert – dann läge kein einmaliger, sondern ein gelegentlicher Konsum vor – oder er hat seinerzeit sogar regelmäßig Cannabis eingenommen. Bei regelmäßigem Konsum von Cannabis speichert sich das THC im Körper und es verlangsamt sich dementsprechend der Abbauprozess (vgl. OVG Münster, B. v. 9.7.2015 – 16 B 616/15 – juris, Rn 5). In jedem Fall kann die Behauptung des Antragstellers, am Abend des 9.4.2015 sei ein einmaliger "Ausrutscher" erfolgt, nicht der Wahrheit entsprechen. Eine schlüssige und plausible Erklärung seines damaligen Konsumverhaltens hat der Antragsteller nicht geliefert. Unter diesen Umständen drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass seinerzeit zumindest ein gelegentlicher Konsum bestanden hat.

Bei gelegentlichem Cannabiskonsum ist die Kraftfahreignung nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13, 14 FeV nur gegeben, wenn hinreichend sicher zwischen Konsum und Fahren getrennt werden kann. Die Rechtsprechung geht ganz überwiegend davon aus, dass ein solches Trennungsvermögen nicht angenommen werden kann, wenn der im Blutserum eines Verkehrsteilnehmers festgestellte THC-​Wert über 1,0 ng/ml liegt (vgl. die Nachweise in dem Urteil des BVerwG vom 23.10.2014, a.a.O. <157>). Das OVG Bremen hat sich nach Auswertung einschlägiger Studien, die sich mit den Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die verkehrsrelevante Leistungsfähigkeit befassen, ebenfalls dieser Beurteilung angeschlossen (B. v. 20.7.2012 – 2 B 341/11 – NJW 2012, 3526 <3527>). Ihr liegt maßgeblich die Erwägung zugrunde, dass die Teilnahme gelegentlicher Cannabis-​Konsumenten am motorisierten Straßenverkehr nur dann hingenommen werden kann, wenn gewährleistet ist, dass durch die vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann. Das bedeutet, dass auch die Möglichkeit einer solchen cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausgeschlossen sein muss. Der Normgeber verfolgt mit der Regelung in Nr. 9.2.2 das Ziel, Risiken für die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Cannabis-​Konsumenten unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes soweit wie möglich auszuschließen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2014, a.a.O., <155>). Der Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum stellt insofern einen "Risikogrenzwert" dar. Bei gelegentlichem Cannabiskonsum ist die Kraftfahreignung nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13, 14 FeV nur gegeben, wenn hinreichend sicher zwischen Konsum und Fahren getrennt werden kann. Die Rechtsprechung geht ganz überwiegend davon aus, dass ein solches Trennungsvermögen nicht angenommen werden kann, wenn der im Blutserum eines Verkehrsteilnehmers festgestellte THC-​Wert über 1,0 ng/ml liegt (vgl. die Nachweise in dem Urteil des BVerwG vom 23.10.2014, a.a.O. <157>). Das OVG Bremen hat sich nach Auswertung einschlägiger Studien, die sich mit den Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die verkehrsrelevante Leistungsfähigkeit befassen, ebenfalls dieser Beurteilung angeschlossen (B. v. 20.7.2012 – 2 B 341/11 – NJW 2012, 3526 <3527>). Ihr liegt maßgeblich die Erwägung zugrunde, dass die Teilnahme gelegentlicher Cannabis-​Konsumenten am motorisierten Straßenverkehr nur dann hingenommen werden kann, wenn gewährleistet ist, dass durch die vorangegangene Einnahme von Cannabis eine Beeinträchtigung der verkehrsrelevanten Eigenschaften unter keinen Umständen eintreten kann. Das bedeutet, dass auch die Möglichkeit einer solchen cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausgeschlossen sein muss. Der Normgeber verfolgt mit der Regelung in Nr. 9.2.2 das Ziel, Risiken für die Sicherheit des Straßenverkehrs durch Cannabis-​Konsumenten unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes soweit wie möglich auszuschließen (BVerwG, Urt. v. 23.10.2014, a.a.O., <155>). Der Wert von 1,0 ng/ml im Blutserum stellt insofern einen "Risikogrenzwert" dar.

Die jüngst von der Grenzwertkommission vertretene Auffassung, bei gelegentlichen Cannabiskonsumenten sei das Trennungsvermögen erst ab einer THC-​Konzentration von 3,0 ng/ml oder mehr im Blutserum zu verneinen (Blutalkohol 2015, 323), ist vor diesem Hintergrund – jedenfalls nach derzeitigem Sachstand – nicht nachvollziehbar. Abgesehen davon, dass der Maßstab für die Risikobewertung rechtlicher Natur ist (BVerwG, Urt. v. 23.10.2014, a.a.O. <155>), fehlt in dieser Empfehlung jegliche Auseinandersetzung mit den vorhandenen Erkenntnissen, nach denen bereits ab einer Blutkonzentration von 1,0 ng/ml von der Möglichkeit verkehrsrelevanter Beeinträchtigungen ausgegangen werden muss (vgl. dazu etwa näher OVG Bremen, B. v. 20.07.2012, a.a.O., <3527>). Die Grenzwertkommission weist an anderer Stelle ihrer Empfehlung darauf hin, dass bei gelegentlichem/einmaligem Konsum und einer Blutkonzentration ab 2,0 ng/ml davon ausgegangen werden muss, dass der letzte Konsum innerhalb weniger Stunden vor der Blutentnahme stattgefunden hat. Dass bei einem nur wenige Stunden zurückliegenden Konsum nach obigem Gefährdungsmaßstab die Möglichkeit einer cannabisbedingten Beeinträchtigung der Fahrsicherheit ausgeschlossen werden kann, kann nach derzeitigen Erkenntnisstand nicht angenommen werden. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Grenzwertkommission an dem sog. analytischen Grenzwert von 1,0 ng/ml ausdrücklich festhält (Blutalkohol 2015, 323). Bei Erreichen dieses Grenzwertes wird angenommen, dass entsprechend dem Charakter von § 24a Abs. 2 StVG als eines abstrakten Gefährdungsdelikts unter der Wirkung eines berauschenden Mittels am Straßenverkehr teilgenommen wurde (vgl. dazu König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 24a StVG, Rn 21a).

In Interesse der Verkehrssicherheit ist es geboten, die Entziehungsverfügung sofort durchzusetzen. Die geltend gemachten persönlichen Belange des Antragstellers, die durchaus Gewicht haben, müssen dahinter zurückstehen. Sollte sich eine Verhaltensänderung beim Antragsteller abzeichnen, wofür das TÜV-​Gutachten vom 22.9.2015 einen Hinweis bieten könnte, könnte dieser Sachverhalt nur in einem Wiedererteilungsverfahren Berücksichtigung finden. In diesem Zusammenhang wird insbesondere von Bedeutung sein, ob von einer hinreichend verlässlichen Verhaltensänderung ausgegangen werden kann. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Entziehungsverfügung konnte dies nicht angenommen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.