Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin Beschluss vom 15.01.2016 - 3 Ws 594/15 - 141 AR 562/15 - Wiedereinsetzung bei Krankheit
KG Berlin v. 15.01.2016: Anforderungen an ein Wiedereinsetzungsgesuch wegen Versäumung der Berufungshauptverhandlung infolge Krankheit
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 15.01.2016 - 3 Ws 594/15 - 141 AR 562/15) hat entschieden:
Beruht das Ausbleiben des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung auf einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die zur Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit geführt haben soll, sind dem Gericht mit dem Wiedereinsetzungsantrag die hierfür maßgeblichen Tatsachen so vollständig und umfassend mitzuteilen, dass dieses allein aufgrund der Ausführungen beurteilen kann, ob dem Antragsteller ein Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar war oder nicht. Anders als bei der Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO trifft das Gericht im Wiedereinsetzungsverfahren keine Aufklärungspflicht, auch wenn es Anlass hat, anzunehmen, das Ausbleiben des Angeklagten könnte entschuldigt sein.
Siehe auch Die Berufungshauptverhandlung im Strafverfahren und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten hat den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und für die Erteilung einer Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von 18 Monaten festgesetzt. Die dagegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO mit der Begründung verworfen, der Angeklagte sei der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden worden ist. Ferner hat er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung mit der Begründung beantragt, er sei verhandlungsunfähig erkrankt gewesen. Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag mit dem angefochtenen Beschluss als unzulässig verworfen. Die dagegen fristgerecht (§ 311 Abs. 2 StPO) eingelegte und nach §§ 329 Abs. 7, 46 Abs. 3 StPO statthafte sofortige Beschwerde des Angeklagten hat keinen Erfolg.
Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung zu Recht als unzulässig verworfen. Zur Zulässigkeit eines solchen Antrags ist es nach § 45 Abs. 1, 2 Satz 1 StPO erforderlich, dass innerhalb der Wochenfrist, die hier mit Zustellung des Verwerfungsurteils beginnt (§ 329 Abs. 7 StPO), umfassend ein Sachverhalt vorgetragen wird, der ein Verschulden des Angeklagten an der Säumnis ausschließen soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Auflage, § 45 Rn. 5 m. N.). Ferner sind die Hinderungsgründe in dem Wiedereinsetzungsverfahren glaubhaft zu machen.
Beruht das Ausbleiben - wie hier - auf einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die zur Verhandlungs- und/oder Reiseunfähigkeit geführt haben soll, sind dem Gericht mit dem Wiedereinsetzungsantrag die hierfür maßgeblichen Tatsachen so vollständig und umfassend mitzuteilen, dass dieses allein aufgrund der Ausführungen beurteilen kann, ob dem Antragsteller ein Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar war oder nicht. Anders als bei der Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO trifft das Gericht im Wiedereinsetzungsverfahren keine Aufklärungspflicht, auch wenn es Anlass hat, anzunehmen, das Ausbleiben des Angeklagten könnte entschuldigt sein. Es obliegt vielmehr allein dem Antragsteller, die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen mitzuteilen (vgl. Senat, Beschluss vom 2. November 2009 - 3 Ws 624/09 -) und glaubhaft zu machen.
Dieser umfassenden Informationspflicht genügt nicht, wer lediglich ein Attest übersendet, in dem ihm von einem Arzt Verhandlungs- oder Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juli 2007 - 3 Ws 310/07 - m.w.N.). Die mit dem am 15. September 2015 per Fax übermittelten Wiedereinsetzungsantrag zu den Akten gereichten ärztlichen Bescheinigungen vom 21. August 2015, in denen lediglich mitteilt wird, der Angeklagte sein „wegen gesundheitlicher Probleme für die nächsten 14 Tage nicht verhandlungsfähig“ bzw. sei „vom 21. 08. 2015 bis zum 02.09.2015 arbeitsunfähig erkrankt“ reichen daher weder zur Darlegung einer Verhinderung der Teilnahme an der Hauptverhandlung noch zu deren Glaubhaftmachung aus.
Auch der weitere Vortrag im Beschwerdeverfahren und die zur Glaubhaftmachung zu den Akten gesandte ärztliche Bescheinigung vom 7. Oktober 2015 führt nicht zur Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages. Aus letzterer ergibt sich lediglich, dass der Angeklagte wegen eines starken bronchialen Infektes vom 21.08. - 02.09. 2015 arbeitsunfähig geschrieben war. Auch dieses weitere Attest reicht als Grundlage für die Entscheidung, ob dem Angeklagten ein Erscheinen in der Hauptverhandlung zumutbar war, nicht aus. Bei einem bronchialen Infekt handelt es sich um eine Erkrankung der Bronchien, ggf. auch der weiteren Atemwege. Die Symptome dieser Erkrankung können in unterschiedlichen Ausprägungen auftreten, die nicht zwangsläufig mit einer Verhandlungsfähigkeit verbunden sind. Auch der Zusatz, es handele sich um einen starken bronchialen Infekt, lässt allein ohne Schilderung der konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigung durch die Erkrankung nicht erkennen, ob der Angeklagte tatsächlich derart beeinträchtig war, dass es ihm nicht zumutbar war, an der Hauptverhandlung teilzunehmen.
Soweit in der Beschwerdebegründung konkrete Symptome wie Fieber, Husten, Durchfall und Erbrechen vorgetragen worden sind, handelt es lediglich um Angaben des Angeklagten selber, die nicht glaubhaft gemacht worden sind und daher bei der Entscheidung keine Berücksichtigung finden können.
Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob der weitere Vortrag bezüglich der Erkrankung und deren Symptomen im Beschwerdeverfahren nicht schon deswegen unbeachtlich ist, weil Art und Umfang der von der Erkrankung ausgehenden Beeinträchtigungen innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 StPO anzugeben sind (so Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. Rn.6) und es sich insoweit nicht um eine zulässige Ergänzung des nicht weiter prüfbaren ursprünglichen Vorbringens, sondern um einen neuen Tatsachenvortrag zu bislang nicht erwähnten Krankheitssymptomen handelt, mit dem die eigentliche Antragsbegründung in unzulässiger Weise nach Ablauf der Wochenfrist nachgeholt werden soll (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 28. August 2014 - 4 Ws 70/14 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.