Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht München Beschluss vom 13.05.2016 - M 6 S 16.1438 - Entziehung der Fahrerlaubnis bei Ecstasy-Konsum

VG München v. 13.05.2016: Entziehung der Fahrerlaubnis trotz des Ablaufs der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“


Das Verwaltungsgericht München (Beschluss vom 13.05.2016 - M 6 S 16.1438) hat entschieden:
Die Kammer folgt dem Urteil des VG München vom 9. Dezember 2015 (M 6b K 15.1592) in vollem Umfang. Dabei ist es rechtlich unerheblich, dass es sich um den Konsum von Cannabis oder Ecstasy handelt. Gerade der Konsum harter Drogen ist geeignet, die Problematik der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ deutlich vor Augen zu führen. Denn während der gesamten Zeit vom Vorfalls bis zum Entzugsbescheid durfte der Betrtoffene weiter ungehindert als Führer eines Kraftfahrzeugs am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, obwohl er sich wegen der Einnahme einer sog. harten Droge, MDMA (Ecstasy), als fahrungeeignet erwiesen hat. Das ist unter dem Aspekt der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nicht akzeptabel.


Siehe auch Abstinenzbehauptung und verfahrensrechtliche Einjahresfrist und Stichwörter zum Thema Drogen


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die sofort vollziehbare Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S. Am ... Oktober 2013 gab der Antragsteller nach einer Verkehrskontrolle gegenüber der Polizei an, einen Joint und ca. a...g MDMA eingenommen zu haben. Das Protokoll hierzu vom selben Tag wurde von ihm unterschrieben. Der ärztliche Untersuchungsbericht zur Blutentnahme am ... Oktober 2013 enthält folgende ergänzende Angaben: „Fr. ...10.2013 23:00 – Sa. ...10.2013 00:00 MDMA zu b...g Sa. ...10.2013 13:00 ... Joint“. Auf der vom Antragsteller unterschriebenen Betroffenenanhörung vom ... Oktober 2013 war angekreuzt: „Ich möchte mich nicht zur Sache äußern“.

Das Gutachten des Instituts A... vom ... Januar 2014 erbrachte einen positiven Nachweis für Cannabinoide (THC) mit einer quantitativen Bestimmung von ca. a... µg/L (µg/L entspricht ng/ml) THC und ca. b... µg/L THC-​Carbonsäure (jeweils unterhalb des Kalibrationsbereichs). Ein sicherer Nachweis auf das Vorliegen von Amphetaminen, insbesondere auf MDMA, sei nicht gefunden worden.

Mit Schreiben vom ... August 2015 forderte das Landratsamt Starnberg als Fahrerlaubnisbehörde des Antragsgegners den Antragsteller auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV zur Vorlage eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens bis ... Dezember 2015 auf. Es sollte die Frage geklärt werden, ob insbesondere nicht zu erwarten sei, dass der Antragsteller das/die bisher konsumierte(n) Betäubungsmittel(n) zukünftig einnehmen werde und/oder zukünftig ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von den bisher konsumierten Betäubungsmitteln führen werde. Falls der Antragsteller das Gutachten nicht rechtzeitig beibringe oder sich weigere, sich begutachten zu lassen, werde von seiner Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen (§ 11 Abs. 8 FeV). Es müsse damit rechnen, dass die Fahrerlaubnis kostenpflichtig entzogen werde.

Mangels Vorlage des geforderten Gutachtens entzog die Fahrerlaubnisbehörde dem Antragsteller mit am ... März 2016 zugestelltem Bescheid vom 25. Februar 2016 die Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S (Nr. 1 des Bescheids), ordnete die Abgabe des Führerscheins innerhalb einer Woche nach Zustellung des Bescheids an (Nr. 2), drohte für den Fall der nicht fristgerechten Abgabe des Führerscheins ein Zwangsgeld in Höhe von a... EUR an (Nr. 3) und ordnete in Nr. 4 des Bescheids die sofortige Vollziehung der Nrn. 1 und 2 an. Nr. 5 enthält Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FeV wurde mit der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens begründet, § 11 Abs. 8 FeV.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde auf Seite 4 des Bescheids im Wesentlichen damit begründet, dass der Antragsteller am ... Oktober 2013 unter Drogeneinfluss ein Kraftfahrzeug geführt und den Konsum von MDMA zugegeben habe.

Die Fahrerlaubnisbehörde hat den Führerschein des Antragstellers am ... März 2016 erhalten.

Der Bevollmächtigte des Antragstellers erhob für diesen mit Schriftsatz vom ... März 2016 am ... März 2016 Klage gegen den Bescheid zum Bayerischen Verwaltungsgericht München (M 6 K 16.1437) und beantragte außerdem,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Starnberg vom 25. Februar 2016 ohne Sicherheitsleistung und unbefristet anzuordnen.
Zur Begründung wurde auf die zum ... Oktober 2013 nachgewiesenen THC und THC-​Carbonsäure – Werte sowie darauf hingewiesen, dass der Antragsteller in den letzten ... Jahren und ... Monaten seitdem seine Fahreignung unwiderleglich unter Beweis gestellt habe, da er – so ergänzend in einem weiteren Schriftsatz vom ... Mai 2016 vorgetragen – in der Zwischenzeit beim Führen von Fahrzeugen im Straßenverkehr nicht negativ aufgefallen sei. Die Gutachtensanordnung sei nicht rechtmäßig, weil nach der langen Zeit nicht mehr anlassbezogen und verhältnismäßig gewesen.

Der Beklagte legte mit Schriftsatz vom ... April 2016, bei Gericht eingegangen am ... Mai 2016, seine Behördenakte vor und beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss vom 12. Mai 2016 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren und im Verfahren M 6 K 16.1437 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.


II.

Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist teilweise zulässig, im Übrigen unbegründet und daher insgesamt ohne Erfolg.

1. Der Antrag ist gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom ... März 2016 gegen die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids vom 25. Februar 2016 enthaltene Entziehung seiner Fahrerlaubnis der Klassen B, L, M und S und hinsichtlich der in Nr. 2 des Bescheids enthaltenen, fristmäßig konkretisierten, Verpflichtung zur Ablieferung des Führerscheins (§ 47 Abs. 1 Satz 2 Fahrerlaubnis-​Verordnung – FeV –; BayVGH, B.v. 22.9.2015 – 11 CS 15.1447 – juris) begehrt. Der uneingeschränkt gestellte Antrag ist insoweit zutreffend gestellt, dass der Antragsteller auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in Nr. 3 enthaltenen Zwangsgeldandrohung (welche gemäß Art. 21 a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes – VwZVG – bereits kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist; § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO) begehrt. Außerdem ist der Antrag noch dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller ebenfalls die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der in Nr. 5 des Bescheids enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verfahrens begehrt (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO).

2. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist allerdings hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids bereits unzulässig. Denn der Führerschein des Antragstellers gelangte am ... März 2016 zur Akte der Fahrerlaubnisbehörde. Damit ist die Verpflichtung aus Nr. 2 des Bescheids erfüllt. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Fahrerlaubnisbehörde das in Nr. 3 des Bescheids angedrohte Zwangsgeld entgegen der Vorschrift des Art. 37 Abs. 4 Satz 1 VwZVG gleichwohl noch beitreiben wird. Daher fehlt es dem Antragsteller für einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinsichtlich der Nr. 3 des Bescheids am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).

Nicht erledigt hingegen hat sich die Verpflichtung zur Abgabe des Führerscheins in Nr. 2 des Bescheids selbst, denn sie stellt den Rechtsgrund für das vorläufige behalten dürfen dieses Dokuments für die Fahrerlaubnisbehörde dar (BayVGH, B.v. 12.2.2014 – 11 CS 13.2281 – juris).

3. Im Übrigen ist der Antrag zulässig, aber unbegründet.

3.1 Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheids vom 25. Februar 2016 genügt den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.

Nach dieser Vorschrift ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat. An den Inhalt der Begründung sind dabei allerdings keine zu hohen Anforderungen zu stellen (Schmidt in: Eyermann, VwGO – Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 43).

Dem genügt die ersichtlich auf den vorliegenden Einzelfall abstellende Begründung auf Seite 4 des Bescheids. Die Fahrerlaubnisbehörde hat dargelegt, warum sie konkret im Fall des Antragstellers im Interesse der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs die sofortige Vollziehung anordnet.

3.2 Hinsichtlich der in Nr. 4 des Bescheids vom 25. Februar 2016 angeordneten sofortigen Vollziehung war die aufschiebende Wirkung der Klage vom ... März 2016 bzgl. der Nrn. 1 und 2 nicht wiederherzustellen. Gleiches gilt hinsichtlich einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage zur Nr. 5 des Bescheids.

3.2.1 Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt zum einen, wenn die Behörde nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten angeordnet hat. Die aufschiebende Wirkung entfällt aber auch dann, wenn dies gesetzlich angeordnet ist (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 - 3 VwGO).

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 - 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen, im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ganz oder teilweise wiederherstellen. Das Gericht trifft dabei eine originäre Ermessensentscheidung. Es hat bei der Entscheidung über die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abzuwägen zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehung ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO allein mögliche, aber auch ausreichende summarische Prüfung, dass der Rechtsbehelf offensichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens dagegen nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer Interessensabwägung.

3.2.2 Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war der Antrag abzulehnen, weil sich die in Nr. 1 des Bescheids vom 25. Februar 2016 enthaltene Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers nach der hier gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung als rechtmäßig darstellt und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzt, so dass die hiergegen erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich ohne Erfolg bleiben wird (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Dem Antragsteller war nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 46 Abs. 1 FeV die Fahrerlaubnis zwingend zu entziehen, weil er sich nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV durch die Einnahme von Betäubungsmitteln im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (ausgenommen Cannabis) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat, ohne dass es zunächst einer Begutachtung bedurft hätte, § 11 Abs. 7 FeV. Somit erweist sich der streitgegenständliche Bescheid vom 25. Februar 2016 – als gebundene Entscheidung – jedenfalls als im Ergebnis rechtmäßig.

Die Einnahme eines Betäubungsmittels im Sinne der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV, konkret MDMA (Ecstasy), steht zur Überzeugung der erkennende Kammer durch die eigenen Einlassungen des Antragstellers gegenüber der Polizei am ... Oktober 2013 und den hierzu außerdem im ärztlichen Untersuchungsbericht vom ... Oktober 2013 protokollierten Angaben unter Berücksichtigung des Gutachtens des Instituts A... vom ... Januar 2014 fest. Die Angaben sind hinsichtlich des Zeitpunkts bzw. Zeitraums des jeweiligen Konsums eines Joints und des MDMA (mit der zusätzlichen Detailangabe eines Konsums von c... Gramm zu viert) so präzise, dass keine Zweifel an deren Richtigkeit bestehen. Hinsichtlich des Joints wird die Angabe durch das Ergebnis des Gutachtens vom ... Januar 2014 nochmals bestätigt. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die protokollierten Angaben nicht auch hinsichtlich des MDMA zutreffend sein sollten.

Der Antragsteller kann den Nachweis der Wiedererlangung seiner durch die Einnahme von MDMA verlorenen Fahreignung auch nicht im Rahmen des vorliegend strittigen Entziehungsverfahrens erbringen. Erst in einem Neuerteilungsverfahren hat er die Möglichkeit des Nachweises einer einjährigen Abstinenz von Betäubungsmitteln im Sinne der Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV und der anschließenden Vorlage eines im Ergebnis für ihn positiven medizinisch-​psychologischen Gutachtens.

Die aus der Akte der Fahrerlaubnisbehörde ersichtlichen Angaben unterliegen im Hinblick auf die hier relevanten Normen des Fahrerlaubnisrechts als präventiven Sicherheitsrechts auch keinerlei Verwertungsverbot, worauf die Fahrerlaubnisbehörde im Schreiben vom ... Oktober 2015 an den Bevollmächtigten des Antragstellers zutreffend hingewiesen hat.

Auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Gutachtensfrage im Schreiben vom ... Oktober 2015 kommt es daher vorliegend nicht an. Diese könnte allerdings insofern rechtlichen Bedenken begegnen, als bei Betäubungsmitteln nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV nur eine Prognose zu erstellen ist, ob mit einer zukünftigen Einnahme zu rechnen ist, nicht dahingehend, ob zu erwarten sei, dass der Antragsteller ein Kraftfahrzeug unter deren Einfluss führen werde. Auf ein Trennungsvermögen im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV bei Cannabis kommt es bei den sog. harten Drogen nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV gerade nicht an.

Dabei ist zu beachten, dass die vorliegende Entscheidung ohne Anwendung der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ getroffen wird. Hierzu hat die ehemalige Kammer 6b des Bayerischen Verwaltungsgerichts München in ihrem Urteil vom 9. Dezember 2015 (M 6b K 15.1592) Folgendes ausgeführt:
„1.1.4 Unter Beachtung der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ seit seinem Beschluss vom 9. Mai 2005 – 11 CS 04.2526 – würde nun Folgendes gelten:

Der Kläger hat in einem Telefonat mit der Fahrerlaubnisbehörde am ... Januar 2013 behauptet, ca. neun Monate Abstinenzdauer belegen zu können. Damit hat er auch eine entsprechende Abstinenzbehauptung aufgestellt und hierzu außerdem zunächst den Abstinenznachweis der ... GmbH vom ... August 2012 über drei Monate Abstinenz vor dem 25. Juli 2012 vorgelegt. Von dieser Abstinenzbehauptung ist der Kläger bislang nicht abgerückt und es ist auch sonst nichts Gegenteiliges bekannt. Vielmehr hat er nachfolgend bis in die jüngste Zeit weitere Abstinenznachweise der ... GmbH vorgelegt und seine Abstinenzbehauptung damit quasi erneuert und bekräftigt, indem er zuletzt über 11 Monate zusammenhängende aktuelle Abstinenz nachweisen konnte.

Daher könnte ausschließlich wegen der seit Beginn der behaupteten Abstinenz verstrichenen Zeit nicht mehr ohne weiteres von seiner Fahrungeeignetheit ausgegangen werden. Die Fahrerlaubnisbehörde wäre vielmehr gehalten, den Kläger im Hinblick auf eine etwaige Wiedererlangung der Fahreignung zunächst zu einem engmaschigen, behördlich überwachten Drogenscreening mit anschließender medizinisch-​psychologischer Untersuchung auf der Grundlage des § 14 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 1 FeV aufzufordern, allerdings ohne jegliches Ermessen (vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 11 CS 15.145 – und B.v. 24.6.2015 – 11 CS 15.802 – jeweils für Fälle sog. harter Drogen).

Ob aber § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV auf Fälle der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ohne weiteres generell anwendbar ist, wäre noch zu klären. Denn bei § 14 Abs. 2 Nr. 2 FeV geht es um die Klärung der Frage, ob der Betroffene noch abhängig ist oder – ohne abhängig zu sein – weiterhin die in Absatz 1 genannten Mittel oder Stoffe einnimmt. Für Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV hingegen kommt es bei gelegentlicher Einnahme von Cannabis grundsätzlich auf die Trennung von Konsum und Fahren an, nicht lediglich auf die bloße Einnahme als solche.

1.1.5 Die erkennende Kammer folgt mit vorliegendem Urteil jedoch nach reiflicher Überlegung dieser Rechtsprechung nicht mehr und gibt ihre eigene ständige Rechtsprechung in dieser Hinsicht hiermit auf.

Denn die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs verlangt danach, einen Fahrerlaubnisinhaber, der sich als fahrungeeignet erwiesen hat, so lange von der aktiven Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr als Führer eines Kraftfahrzeugs auszuschließen, bis er den positiven Nachweis der Wiedererlangung seiner Fahreignung erbracht hat. Es ist demgegenüber nicht hinzunehmen, einem Fahrerlaubnisinhaber bis zum Abschluss des Nachweises seiner einjährigen Abstinenz und nachfolgend noch für die Zeitdauer zur Erstellung eines medizinisch-​psychologischen Gutachtens seine Fahrerlaubnis zu belassen und ihm damit eine weitere Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr zu ermöglichen, wenn er selbst seine Fahrungeeignetheit zuvor unter Beweis gestellt hat. Dies widerspricht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, fahrungeeignete Kraftfahrzeugführer vom öffentlichen Straßenverkehr bis zum Nachweis ihrer Fahreignung auszuschließen. Es ist der bisherigen ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seit dem Beschluss vom 9. Mai 2005 zwar zuzugestehen, dass ein Fahrerlaubnisinhaber nach Ablauf der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“, die seit Beginn der behaupteten Abstinenz verstrichen sein muss, seine Fahreignung möglicherweise wiedererlangt haben kann. Damit er zur Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr wieder zugelassen werden kann, ist jedoch der abschließende positive Nachweis seiner Fahreignung zwingend erforderlich, nachdem das Fahrerlaubnisrecht ein Rechtsinstitut etwa einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bis zum Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung, vergleichbar etwa § 111a Strafprozessordnung – StPO –, nicht kennt. Es ist auch kein rechtlich durchgreifendes Argument dafür ersichtlich, warum ein Fahrerlaubnisinhaber nach Ablauf der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ – innerhalb derer er ohnehin fahrungeeignet weiter am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hat – bis zum Abschluss des Fahreignungsüberprüfungsverfahrens nach Nachweis seiner einjährigen Abstinenz und abgeschlossener medizinisch-​psychologischer Begutachtung besser gestellt werden sollte als ein Fahrerlaubnisbewerber, dem – z.B. nach vorheriger Entziehung der Fahrerlaubnis innerhalb der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ bei ansonsten gleicher Sachlage – erst dann eine Fahrerlaubnis neu erteilt werden kann, wenn er den positiven Nachweis seiner Fahreignung erbracht hat. Letztlich hängt es oft von Zufälligkeiten, wie insbesondere auch der Arbeitsbelastung der zuständigen Fahrerlaubnisbehörden, oder auch dem eigenen Verhalten des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers, z.B. indem er mit Rechtsbehelfen den Eintritt der Rechtskraft ordnungswidrigkeiten- oder strafrechtlicher Entscheidungen und damit deren Mitteilung an die Fahrerlaubnisbehörden verzögert, ab, ob eine Fahrerlaubnisbehörde bzw. im Falle der Einlegung eines Widerspruchs nachfolgend noch die Widerspruchsbehörde innerhalb der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ eine entsprechende Entscheidung zur Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. ggf. zur Zurückweisung eines dagegen gerichteten Widerspruchs erlassen kann oder nicht. Solches kann und darf jedoch nicht zulasten der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs gehen (in diesem Sinne auch: VGH BW, B.v. 7.4.2014 – 10 S 404.14, wonach im Rahmen eines Fahrerlaubnisentziehungsverfahrens ohne Beachtung einer „verfahrensrechtlichen“ Jahresfrist bzw. sonstiger starrer zeitlicher Vorgaben grundsätzlich vom Fortbestand einer zuvor festgestellten oder feststellbaren Fahrungeeignetheit auszugehen ist, solange der materielle Nachweis der Wiedererlangung der Fahreignung nicht erbracht worden ist [vgl. BayVGH, B.v. 27.2.2015 – 11 CS 15.145]; vgl. auch: Künzl/Sinner, Verwaltungs- und arbeitsrechtliche Fragen des Suchtmittelkonsums von Kraftfahrern, NZA-​RR 2013, Heft 11, S. 561, 563, die zudem einen überzeugenden Vergleich zur Entziehung der Fahrerlaubnis nach dem Punktsystem – heute Fahreignungs-​Bewertungssystem – ziehen).

1.1.6 In jüngster Zeit hat zudem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in einem Urteil vom 17. November 2015 – 11 BV 14.2738 – die Rechtsauffassung vertreten, dass es innerhalb des Zeitraums, in dem eine Tat noch im Fahreignungsregister eingetragen und daher berücksichtigungsfähig ist, nicht vorgesehen sei, dass die einmal wegen Alkoholmissbrauchs verloren gegangene Fahreignung allein durch Zeitablauf zurückgewonnen werden könne. Denn wenn in der Vergangenheit fahrerlaubnisrechtlicher Alkoholmissbrauch vorgelegen habe, führe dies zum Ausschluss der Fahreignung. Durch ein medizinisch-​psychologisches Gutachten sei zu klären, ob – je nach individuellen Erfordernissen – eine stabile Alkoholabstinenz vorliege oder Prophylaxestrategien hinsichtlich des Trennungsvermögens entwickelt worden seien und ob der Einstellungswandel stabil und motivational gefestigt sei (Rn. 42).

Hinsichtlich der Einnahme von Betäubungsmitteln, hier ganz konkret bzgl. der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, kann nichts anderes gelten.

1.1.7 An Fällen wie dem vorliegenden wird die Problematik der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ deutlich, weil betreffende Fahrerlaubnisinhaber trotz feststehenden Verlustes ihrer Fahreignung weiterhin – wenn auch (so allerdings aktuell nicht beim Kläger) unter „Überwachung“ durch ein Drogenscreening – mit einem Kraftfahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen dürfen, bis letztlich erst nach erheblicher Zeit ein medizinisch-​psychologisches Gutachten eine Aussage zur Fahreignung trifft, auf der die Fahrerlaubnisbehörde ihr weiteres Vorgehen aufbauen kann. Kommt dann ggf. noch die Problematik der Rüge unzureichender und damit nicht (sogleich) verwertbarer Gutachten hinzu, verschärft sich die Lage im Hinblick auf die Zeitdauer bis zur Klärung der Frage der Fahreignung nochmals, ebenso wenn es – anders als hier – um harte Drogen mit womöglich noch erheblich stärkerem Suchtpotential geht, denen ein Betreffender u.U. trotz Drogenscreenings nicht zu widerstehen vermag.

Vor diesem Hintergrund ist der Wille des Gesetzgebers absolut nachvollziehbar, solche Fahrerlaubnisinhaber von der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr gänzlich auszuschließen, bis sie die Wiedererlangung ihrer Fahreignung unter Beweis gestellt haben. Dann würden auch Verzögerungen des Verfahrens gleich welcher Art (z.B. bei der Erbringung der Abstinenznachweise wegen Nichtwahrnehmung kurzfristig angesetzter Screeningtermine aufgrund angeblicher Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit, u.U. mit bloßer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eines Arztes) zu ihren Lasten gehen und in manchen Fällen wäre wohl auch eine höhere Kooperationsbereitschaft der Betreffenden zu erwarten als es in vielen Fällen, die der Kammer schon zur Entscheidung vorgelegen haben, der Fall war.

Die hier nun vertretene Rechtsauffassung würde voraussichtlich für die praktischen Rechtsanwendung durch die Fahrerlaubnisbehörden eine ebenso große Vereinfachung und Erleichterung bringen wie die kürzlich erfolgte Aufgabe der bislang ebenfalls ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Nichttrennung von Konsum und Fahren im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV erst ab einem Wert von über 2,0 ng/ml THC i.S. gegeben sei (s.o. unter Nr. 1.1.2).“
Die hier erkennende Kammer folgte dem in vollem Umfang. Dabei ist es rechtlich unerheblich, dass es sich im zitierten Urteil um Cannabis mit sich daraus eventuell noch ergebenden Zusatzproblemen gehandelt hat. Gerade der vorliegende Fall ist erneut geeignet, die Problematik der sog. „verfahrensrechtlichen Einjahresfrist“ deutlich vor Augen zu führen. Denn während der gesamten Zeit des Vorfalls am ... Oktober 2013 bis zum Bescheid vom 25. Februar 2016 durfte der Antragsteller weiter ungehindert als Führer eines Kraftfahrzeugs am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen, obwohl er sich wegen der Einnahme einer sog. harten Droge, MDMA (Ecstasy), als fahrungeeignet erwiesen hat. Das ist unter dem Aspekt der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nicht akzeptabel.

3.2.3 Da somit die sofortige Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis der summarischen gerichtlichen Überprüfung standhält, verbleibt es auch bei der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids enthaltenen Verpflichtung, den Führerschein abzuliefern. Diese – im Bescheid hinsichtlich der Frist konkretisierte – Verpflichtung ergibt sich aus § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FeV.

3.2.4 Rechtliche Bedenken gegen die in Nr. 5 des Bescheids enthaltenen Festsetzungen zu den Kosten des Verwaltungsverfahrens wurden weder vorgetragen noch sind solche sonst ersichtlich.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

5. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes – GKG – i.V.m. den Empfehlungen in den Nrn. 1.5 Satz 1 sowie 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14).