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OLG Hamm Urteil vom 02.09.2016 - I-9 U 14/16 - Beweislast bei Begegnungsunfall mit einem Radfahrer

OLG Hamm v. 02.09.2016: Beweislast des Radfahrers für Unfallursache bei Gegenverkehr


Das OLG Hamm (Urteil vom 02.09.2016 - I-9 U 14/16) hat entschieden:
Dem geschädigten Radfahrer obliegen Darlegung und Beweis, dass sein Sturz auf einer 3 m breiten Straße durch ein sich im Gegenverkehr näherndes Kraftfahrzeugs mitbeeinflusst worden und daher nicht ein zufälliges Ereignis ist.


Siehe auch Radfahrer-Unfälle - Verkehrsunfall mit Fahrradbeteiligung und Stichwörter zum Thema Fahrrad und Radfahrer


Gründe:

I.

Die Klägerinnen nehmen die Beklagten aus einem Verkehrsunfallereignis vom 09.05.2013 in Anspruch, bei dem ihre Versicherungsnehmerin, Frau C, zu Schaden kam.

Die Klägerinnen sind die gesetzliche Kranken- bzw. Pflegekasse von Frau C und haben aufgrund der Folgen des Unfalls Kranken- und Pflegeleistungen an ihr Kassenmitglied, die verunglückte Frau C, erbracht.

Die zum Unfallzeitpunkt 75-​jährige Geschädigte befuhr mit ihrem Fahrrad den T-​Weg in H in Fahrtrichtung G. Aus entgegengesetzter Richtung näherte sich die Beklagte zu 2) in Begleitung ihrer Schwester, der Beklagten zu 1), und Halterin des Pkw Mercedes-​Benz steuerte, welcher wiederum bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist.

Dieses Fahrzeug weist eine Breite von 1,70 m auf. Die Straße ist an der Unfallstelle nach den Feststellungen der Polizei, die insoweit unstreitig sind, 3 m breit. Zu beiden Seiten schließt sich ein teils mit Schotter, teils mit Rasen bedeckter unbefestigter Seitenstreifen an. Auf der aus Fahrtrichtung der Beklagten zu 2) gesehen rechts liegenden Fahrbahnseite befindet sich ein Bewässerungsgraben, welcher ca. 0,80 m vom asphaltierten Bereich entfernt verläuft.

Als sich die Geschädigte auf ihrem Fahrrad und der ihr entgegenkommende Pkw noch in einigem Abstand voneinander befanden, geriet die Geschädigte mit ihrem Fahrrad ins Straucheln und stürzte mit dem Kopf auf die asphaltierte Fahrbahn. Eine Berührung zwischen Pkw und Fahrrad fand nicht statt. Die Beklagte zu 2) vollführte mit ihrem Fahrzeug eine Ausweichbewegung nach rechts auf das Bankett, von wo aus das Fahrzeug in den Bewässerungsgraben rutschte und in einer Entfernung von 15 m von der Sturzstelle zum Stehen kam.

Die Geschädigte erlitt durch den Sturz schwere Kopfverletzungen, u. a. eine Subarachnoidalblutung mit kleinen Coup-​Contre-​Blutungen, wodurch sie ins Koma fiel. Unmittelbar nach dem Unfall wurde sie in das Krankenhaus N im niederländischen U verbracht, wo sie bis zum 12.05.2013 medizinisch überwacht wurde. Im Anschluss erfolgte für den Zeitraum vom 13.05.2013 bis zum 17.05.2013 eine Verlegung innerhalb des Krankenhauses auf die neurochirurgische Station zur Weiterbehandlung. Es folgten weitere stationäre Behandlungen in zwei Hospitälern in H. Nach ihrer Entlassung aus dem Klinikum lebte die Geschädigte zunächst in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung, im Anschluss daran im Pflegeheim E in H, wo sie am 21.09.2014 verstarb.

Die Klägerin zu 1) wendete als Krankenkasse Behandlungskosten für die stationäre und weitere ärztliche Behandlungen der Geschädigten in Höhe von insgesamt 40.281,56 EUR auf. Der Klägerin zu 2) entstanden für Pflegeleistungen Kosten in Höhe von 21.240,38 EUR.

Bis zum 09.06.2015 zahlte die Beklagte zu 3) jeweils ¼ der ursprünglich geltend gemachten Behandlungs- und Pflegekosten an die Klägerinnen. Des Weiteren wurden 1/4 der vorgerichtlichen Anwaltskosten zu einem Streitwert von 13.000,00 EUR gezahlt.

Die Klägerinnen haben behauptet, die Beklagte zu 2) sei mit unangemessener Geschwindigkeit gefahren und habe die Fahrbahn dabei so mittig befahren, dass die Geschädigte sich genötigt gefühlt habe, auf den unbefestigten Seitenstreifen auszuweichen, wo sie dann in Straucheln geraten und zum Sturz gekommen sei. Auf der Fahrbahn habe reger Fahrrad- und Personenverkehr durch Feiertagsausflügler geherrscht. Die Beklagte zu 2) habe mit ihrem Fahrzeug den Sicherheitsabstand nicht eingehalten, so dass die Geschädigte habe befürchten müssen, der Verkehrsraum werde für sie ohne ein Ausweichmanöver ihrerseits zu eng. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) ihr Fahrzeug in den Straßengraben habe lenken müssen, um die auf dem Asphalt liegende Geschädigte nicht zu überfahren, zeige, dass sie mit unangemessener Geschwindigkeit gefahren sei, da ihr Fahrzeug ansonsten zuvor ohne Weiteres durch ein Bremsmanöver hätte zum Stehen gebracht werden können. Sie vertreten die Ansicht, dass sich der Unfall aus diesem Grunde trotz fehlender Berührung bei Betrieb des Pkw ereignet habe.

Die Klägerinnen haben beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) einen Betrag in Höhe von 14.306,49 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;

  2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin zu 1) sämtliche Kosten in voller Höhe zu ersetzen, die ihr in Zukunft für ihr Kassenmitglied C aus Anlass des Unfalls vom 09.05.2013 in H, T-​Weg, entstehen werden;

  3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) einen Betrag in Höhe von 15.930,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;

  4. an die Klägerinnen weitere 1.127,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz für die ihnen durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie sind dem klägerischen Vorbringen entgegengetreten und haben behauptet, die Beklagte zu 2) sei in Anbetracht der Breite des Weges und der Tatsache, dass sie zuvor in engem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang einen Spaziergänger mit Hund wahrgenommen habe, mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 - 30 km/h gefahren. Dabei habe sie sich äußerst rechts gehalten. Die rechten Räder ihres Fahrzeugs hätten sich im Bereich des Übergangs vom Asphalt auf den Seitenstreifen befunden. Sie haben des Weiteren behauptet, der Sturz habe seine Ursache in einer plötzlichen körperlichen Beeinträchtigung der Frau C gehabt, ohne dass der von der Beklagten zu 2) gesteuerte Pkw hier eine Rolle gespielt habe. Die Beklagte zu 2) habe ihr Fahrzeug nur deshalb in den Graben gelenkt, weil sie der gestürzten Geschädigten habe ausweichen wollen, und das Fahrzeug dabei nicht abgebremst worden sei. Sie sind der Ansicht, dass die Straßenbreite ausgereicht habe, um einander gefahrlos unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes zu passieren.

Das Landgericht hat die Beklagte zu 2) persönlich angehört und die Klage mit Urteil vom 18.12.2015 mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch der Klägerinnen aus den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bestehe nicht, weil nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Überzeugung feststehe, dass sich der Unfall bei Betrieb des von der Beklagten zu 2) geführten Fahrzeuges ereignet habe. Die bloße Anwesenheit eines Fahrzeuges an der Unfallstelle genüge diesem Erfordernis nicht, vielmehr müsse das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben. Für einen solchen Beitrag trügen die Klägerinnen die Beweislast.

Ein solcher Verursachungsbeitrag des von der Beklagten zu 2) geführten Fahrzeuges könne vorliegend nicht festgestellt werden, auch wenn es zur Haftung allein aus der Betriebsgefahr nicht erforderlich sei, dass sich die Verkehrsteilnehmer berührten, sondern auch bereits ein aus dem Schrecken resultierender Sturz ausreichen könne. Auch wenn das Merkmal "bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges" weit auszulegen sei, so dass auch eine Ausweichbewegung erfasst werde, welche objektiv nicht erforderlich sei, lasse sich eine solche hier nicht feststellen. Es sei vielmehr genauso denkbar, dass die Geschädigte mit ihrem Rad zwischen der Asphaltdecke und dem Seitenstreifen ins Straucheln geraten sei und daraufhin gestürzt sei, ohne dass dies im Zusammenhang mit dem Pkw stehe. Die Tatsache, dass die Beklagte zu 2) ca. 15 m hinter der Sturzstelle mit ihrem Fahrzeug im Straßengraben zum Stehen gekommen sei, rechtfertige nicht den Schluss, dass sie zuvor mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Zum Einen handele es sich nicht um eine lange Strecke, zum Anderen habe die Beklagte zu 2) dem Gericht glaubhaft geschildert, dass sie aufgrund des Sturzes geschockt gewesen sei und während des Ausweichmanövers schlichtweg nicht gebremst habe.

Gegen diese Entscheidung richten sich die Berufungen der Klägerinnen, mit der sie ihre Ausgangsanträge in teils abgewandelter Form weiter verfolgen.

Sie sind die Auffassung, dass das Merkmal "bei Betrieb des Kraftfahrzeuges" hier erfüllt sei, da der für die verunfallte Geschädigte verbleibende Platz auf der Fahrbahn zu gering gewesen sei. Bei einer Fahrbahnbreite von 3 m und einer Breite des Kraftfahrzeuges von 1,70 m seien für sie nur 1,30 m Platz verblieben, um das entgegenkommende Fahrzeug der Beklagten zu passieren. Bei einer solchen Sachlage habe die Beklagte zu 2) den erforderlichen Sicherheitsabstand, wie er für das Überholen eines Radfahrers durch ein Kfz einzuhalten sei, nicht einhalten können. Die Gefährdungssituation im Begegnungsverkehr sei dabei vergleichbar. Bei dieser unstreitigen Ausgangslage sei ein Ausweichen der Frau C in jedem Fall notwendig gewesen. Diese sei aufgrund des sich nähernden Fahrzeuges und eines Ausweichens auf den unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten. Eine andere Erklärung sei angesichts der körperlich vollständig gesunden und verkehrstüchtigen Konstitution der Geschädigten nicht denkbar. Die Beklagte zu 2) sei unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 S. 1 u. 2 StVO mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren, was aus Gründen des Anscheinsbeweises bereits schon offensichtlich sei. Bei einer von der Beklagten zu 2) in der mündlichen Verhandlung angegebenen Ausgangsgeschwindigkeit von 20 km/h betrage der Anhalteweg auch unter Zugrundelegung einer großzügigen Reaktionszeit von 1 Sekunde lediglich 7,50 m. Da das Fahrzeug jedoch erst 15 m hinter der Sturzstelle im Seitengraben zum Stehen gekommen sei und laut Auskunft der Beklagten zu 2) diese erst nach vorne ohne zu bremsen das Fahrzeug nach rechts gelenkt habe, sei der tatsächliche Anhalteweg um Einiges länger. Unterstrichen werde diese Tatsache auch dadurch, dass das Fahrzeug über den 0,80 m breiten Seitenstreifen vollständig in den Seitengraben gerutscht sei und nicht etwa, was mit dem Schadensbild auch nicht vereinbar sei, langsam in den Graben gerollt sei.

Da die Beklagte zu 2) in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, dass ihr die Geschädigte auf dem Fahrrad in ca. 30 - 35 m Entfernung durch ihre unsichere Fahrweise aufgefallen sei, liege auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 2 StVO vor, da sie ihre Geschwindigkeit dementsprechend sofort hätte reduzieren müssen.

Die Klägerinnen beantragen - nach Abrechnung des Klinikums U anstelle des ursprünglichen Feststellungsantrages zu Ziffer 2) -,
in Abänderung des Urteils des Landgerichts Münster vom 18.12.2015
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 14.306,49 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 1) 21.206,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Schriftsatzes vom 04.05.2016 zu zahlen;

  3. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin zu 2) 15.930,62 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2015 zu zahlen;

  4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, weitere 1.127,76 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die den Klägerinnen durch die vorgerichtliche Tätigkeit ihrer Prozessbevollmächtigten entstandenen Kosten zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, die Erwägungen der Klägerinnen in der Berufungsbegründung stünden im Widerspruch zu den nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts. Dieses habe nämlich nicht festgestellt, dass die Geschädigte überhaupt auf dem unbefestigten Seitenstreifen gestürzt sei. Ferner habe es festgestellt, dass die Beklagte zu 2) im Zeitpunkt der Annäherung an die Geschädigte äußerst rechts gefahren sei. Auch sei die von ihr geschilderte Fahrgeschwindigkeit von 20 - 23 km/h in Anbetracht des herrschenden Verkehrsaufkommens und der Fahrbahnbreite glaubhaft. Eine Ausweichbewegung der Radfahrerin sei angesichts dieser Geschwindigkeit und der Entfernung zwischen Rad und Pkw von 30 - 35 m ausgeschlossen. Insoweit hätten die Klägerinnen nicht bewiesen, dass überhaupt ein Ausweichmanöver stattgefunden habe.

Auch zu einer Unterschreitung des Sicherheitsabstandes sei es letztlich nie gekommen, da die Beklagte zu 2) soweit nach rechts auf den Seitenstreifen ausgewichen sei, dass sie letztlich sogar in den Graben gerutscht sei. Der Abstand zwischen Pkw und Fahrrad müsse daher zwischen 2,30 m und 2,50 m betragen haben. Als es zum Sturz gekommen sei, habe die Beklagte zu 2) mit ihrem Fahrzeug bereits die Geschädigte passiert, so dass sie den Sturz selbst nicht mehr habe wahrnehmen können. So sei auch die Entfernung von 15 m zwischen der Sturzstelle und der Endstellung des Pkw im Graben zu erklären, da der Pkw noch 6,5 bis 7,5 m im Graben gerutscht sei. Die Unfallschilderung der Beklagten zu 2) stehe daher im Einklang mit den örtlichen und technischen Begebenheiten.


II.

Die Berufungen der Klägerinnen haben keinen Erfolg, da die angefochtene Entscheidung weder auf einer Rechtsverletzung i. S. d. § 546 ZPO beruht noch nach § 529 ZPO zugrundeliegende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen, § 513 Abs.1 ZPO.

1. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Behauptungen der Klägerinnen in Bezug auf die Fahrweise der Beklagten zu 2) vor dem Unfall lediglich auf Vermutungen beruhen, die jedoch in der Klageschrift nicht als solche kenntlich gemacht worden sind. Wären die Klägerinnen ihrer Pflicht zu wahrheitsgemäßem Vortrag aus § 138 Abs. 1 ZPO nachgekommen, so hätten sie ausführen müssen, dass das Fahrverhalten der Geschädigten und der Beklagten zu 2) vor dem Unfall nicht näher bekannt sind, sich insbesondere auch aus der polizeilichen Ermittlungsakte hinreichende Anhaltspunkte für den Hergang nicht ergeben. Damit ist die Klage an sich bereits als unschlüssig anzusehen, weil Anknüpfungspunkte für eine Haftung der Beklagten aus der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr nach den §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG nicht vorgetragen werden können. Erst in zweiter Instanz hat die Klägerin hinreichend deutlich gemacht, dass sie sich im Wesentlichen in ihrer Unfalldarstellung auf Indizien stützt. Allerdings tragen weder diese Indizien noch die Angaben der Beklagten zum beiderseitigen Fahrverhalten vor dem Unfall den Schluss, dass sich die vom Beklagtenfahrzeug ausgehende Betriebsgefahr beim Sturz der Geschädigten ausgewirkt hat.

Wie das Landgericht zutreffend ausführt, setzt das haftungsbegründende Tatbestandsmerkmal "bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges" grundsätzlich voraus, dass sich in dem jeweiligen Unfallgeschehen eine von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr realisiert hat und das Schadensgeschehen dadurch insgesamt mitgeprägt wurde (BGH, Urteil vom 26.04.2005, Az.: VI ZR 168/04, zitiert nach juris). Dabei muss die Unfallursache im Betrieb des Kraftfahrzeuges begründet sein, d.h., dieses muss durch seine Funktion als Fortbewegungs- und Transportmittel das Unfallgeschehen in irgendeiner Form mit beeinflusst haben. Bei einem Unfallgeschehen ohne tatsächliche Berührung der Verkehrsteilnehmer, wie es auch vorliegend der Fall ist, setzt der BGH weitergehend voraus, dass das Fahrzeug durch seine Fahrweise zur Entstehung des Unfalls beigetragen haben muss. Die bloße Anwesenheit eines in Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle reiche hierzu nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 04.05.1976, Az.: VI ZR 193/74, zitiert nach juris). Bei Betrieb des Kraftfahrzeuges geschehe ein Unfall jedoch auch dann, wenn er unmittelbar durch ein Verhalten des Verletzten oder eines Dritten ausgelöst werde, dieses Verhalten aber seinerseits in zurechenbarer Weise durch das Kraftfahrzeug mitverursacht werde. Eine solche weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals entspreche dem weiten Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG (BGH, Urteil vom 19.04.1988, Az.: VI ZR 96/87, zitiert nach juris). Somit genüge es für die Annahme des Merkmals "bei Betrieb" grundsätzlich auch, wenn der Unfall sich infolge einer Abwehr- oder Ausweichreaktion der verunfallten Person ereigne, auch wenn diese zwar objektiv nicht erforderlich gewesen sei, jedoch im Zusammenhang des konkreten Verkehrsgeschehens subjektiv vertretbar erscheine (vgl. OLG Celle, Urteil vom 07.06.2001, Az.: 14 U 210/00, zitiert nach juris; vgl. aber weitergehend BGH, U.v. 21.09.2010 - IV ZR 263/09 - NJW 2010, 3713 und U.v. 21.09.2010 - VI ZR 265/09 - SVR 210, 466, wonach auch subjektiv die Ausweichreaktion nicht erforderlich sein muss oder sich für den Fahrer des anderen Fahrzeugs aus seiner Sicht als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden.).

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Auswirkung der Betriebsgefahr bei dem Unfallgeschehen bei den Klägerinnen liege.

Es hat insoweit festgestellt, dass die Geschädigte die 3 m breite und asphaltierte Straße aus ihrer Sicht äußerst rechts befahren habe. Sodann sei sie, als sich Pkw und Fahrrad noch in einigem Abstand zueinander befunden hätten, ins Straucheln geraten und gestürzt. Die Beklagte zu 2) habe sodann ihr Fahrzeug in den rechtseitigen Graben gelenkt, um die auf der Straße liegende Geschädigte nicht zu überfahren. An diese Feststellungen ist der Senat grundsätzlich nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Dies gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen gebieten.

Auf der Basis der vom Landgericht getroffenen Feststellungen lässt sich ein Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten nicht herstellen.

Weder die in der vom Landgericht und vom Senat beigezogenen Ermittlungsakte festgehaltenen Angaben der Beklagten zu 1) und 2) und weiterer Zeugen ergeben einen Anhaltspunkt dafür, dass die Geschädigte dem Fahrzeug der Beklagten zu 2) mit ihrem Fahrrad ausgewichen und auf dem unbefestigten Seitenstreifen in Straucheln geraten ist, noch lässt sich ein derartiges Ausweichmanöver aus der Breite der asphaltierten Fahrbahn oder der Endlage der Geschädigten oder ihres Fahrrades nach dem Sturz herleiten.

Die Beklagte zu 1) hat angegeben, dass sie ein Straucheln der Geschädigten mit ihrem Fahrrad bereits in einer Entfernung von 30 - 35 m gesehen habe. Ein in solcher Entfernung befindliches Fahrzeug hätte der Geschädigten sicherlich noch keinen Anlass gegeben, prophylaktisch auf den Seitenstreifen auszuweichen. Ein geringerer Abstand kann jedoch zu Lasten der Beklagten nicht angenommen werden, weil ein solcher geringerer Abstand weder bewiesen noch unstreitig ist.

Es ist den Klägerinnen zuzugeben, dass bei einer Fahrbahnbreite von 3 m und einer Breite des Beklagtenfahrzeugs von 1,70 m die verbleibende asphaltierte Fahrbahnfläche von 1,30 m einem Radfahrer durchaus hätte Anlass geben können, auf den Seitenstreifen auszuweichen, zumal auch im Begegnungsverkehr ein gewisser Sicherheitsabstand zugunsten des Fahrradfahrers einzuhalten ist, wobei die genaue Größe dieses Abstandes letztendlich dahinstehen kann.

Es verbleibt jedoch bei der Feststellung, dass bereits ein Ausweichmanöver der Geschädigten, mag es auch plausibel sein, sich letztlich nicht feststellen lässt und insbesondere nicht zwingend aus der Fahrbahnbreite abgeleitet werden kann. Denn um eine diesbezügliche Überzeugung nach § 286 ZPO zu gewinnen, müssten alle anderen denkbaren Unfallvarianten ausgeschlossen sein.

Dass die Geschädigte trotz guter Gesundheit und Konstitution in ihrem Alter von 75 Jahren und angesichts des regen Verkehrs auf der Straße auch aus anderen Ursachen ins Straucheln geraten sein könnte, lässt sich in keiner Weise ausschließen.

Die in der Ermittlungsakte dokumentierten Unfallspuren lassen keine andere Schlussfolgerung zu. Die auf Bl. 9 der Ermittlungsakte befindlichen Fotos von dem auf dem Rasen liegenden Fahrrad stellen offenbar nicht die Endlage desselben dar, da dies weder von den unfallaufnehmenden Polizeibeamten so festgehalten worden ist, noch das Fahrrad in die Monobildskizze eingezeichnet wurde, obgleich die Endstellung des Fahrrades sicherlich ein wesentlicher und in eine solche Skizze aufzunehmender Umstand ist. Gegen die Vermutung, dass auf den fraglichen Fotos die Endlage des Fahrrades nach dem Sturz festgehalten worden ist, spricht auch, dass sich die Geschädigte nach dem Sturz unstreitig mitten auf der Fahrbahn des T-​Weges befunden hat, während das Fahrrad auf den Fotos ersichtlich auf der rechten Seite, und zwar schnurgerade entlang dem Rasenrand liegt. Wäre das Fahrrad bei dem Sturz auf die rechte Seite gefallen, hätte dies auch auf die Geschädigte zutreffen müssen. Es erscheint daher wesentlich wahrscheinlicher, dass das Fahrrad von den zur Unfallstelle geeilten Hilfskräften des Rettungsdienstes oder der Polizei von der Fahrbahn genommen und zur Seite geschafft worden ist, um die Fahrbahn frei zu machen.

Dass die Beklagte zu 2) entgegen ihren eigenen Angaben nicht äußerst rechts, sondern mittig auf der Fahrbahn gefahren ist und hierdurch die Geschädigte zu einem Ausweichen gezwungen hat, ist ebenfalls weder durch objektive Unfallspuren noch die Angaben der Beklagten zu 2) erhärtet.

Schließlich ergibt sich weder aus den Feststellungen des Landgerichts noch aus vorliegenden Indizien ein Hinweis auf eine unangepasste Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeuges vor dem Unfall. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Angaben der Beklagten zu 2), sie sei angesichts des regen Fußgänger- und Radfahreraufkommens sowie der schmalen Fahrbahn mit einer Geschwindigkeit von rd. 20 - 30 km/h gefahren, für plausibel angesehen hat. Spuren auf der Fahrbahn oder am Seitengraben, welche Rückschlüsse auf eine vor dem Unfall innegehaltene Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs zulassen könnten, sind von der Polizei nicht dokumentiert. Es fehlen daher auch objektive Anknüpfungspunkte für die Einholung eines verkehrsanalytischen Sachverständigengutachtens zu diesen Fragen. Da es weder eine Kollisionsstelle noch eine gesicherte Position, aus der heraus das Beklagtenfahrzeug in den Straßengraben gelenkt wurde, noch eine dokumentierte Endlage des Fahrrades gibt, lässt sich der Unfall nicht weiter durch ein Sachverständigengutachten aufklären. Die Geschädigte selbst hat, wie der Prozessbevollmächtigte der Klägerinnen im Senatstermin einräumte, niemals eine Aussage zu dem Unfall machen können.

Die Berechnungen zum Bremsweg, welche die Klägerinnen in ihrer Berufungsbegründung anstellen, sind obsolet, weil die Beklagte zu 2) angegeben hat, in der Situation nicht gebremst zu haben, was ihr nicht widerlegt werden kann. Insoweit geht auch ihre Argumentation fehl, die Ausgangsgeschwindigkeit des Fahrzeuges habe deutlich höher liegen müssen als von der Beklagten zu 2) angegeben, weil das Fahrzeug nach 15 Metern im Graben zum Stehen gekommen sei. Denn wenn das Fahrzeug ungebremst in den Graben gerutscht und dort nur weiter gerollt ist, lassen sich aus einer Entfernung von 15 Metern keinerlei Rückschlüsse auf eine überhöhte Geschwindigkeit ziehen. Denn die von der Beklagten zu 2) konzedierte Ausgangsgeschwindigkeit von maximal 23 km/h kann auch vor dem Hintergrund der geringen Fahrbahnbreite und des regen Verkehrs auf der Straße nicht als überhöht bewertet werden. Diese lässt vielmehr ein sicheres Passieren der Verkehrsteilnehmer unter Einhaltung eines Sicherheitsabstandes durchaus zu.

Letztendlich könnte eine exakte Ermittlung der Ausgangsgeschwindigkeit noch nicht das fehlende Glied in der Kausalkette ersetzen, da auch in diesem Fall nicht sicher feststellbar wäre, dass der Sturz der Geschädigten in Reaktion auf das Fahrverhalten des Beklagtenfahrzeuges erfolgt ist.

Auch die vom Senat im Hinblick auf die sehr knappe Protokollierung der erstinstanzlichen Angaben der Beklagten zu 2) wiederholte Anhörung derselben hat keine anderen Erkenntnisse gezeitigt. Zwar hat die Beklagte zu 2) vor dem Senat, wie auch schon in der Berufungserwiderung, einen Sachverhalt angegeben, der mit allen bisherigen Darstellungen nicht in Einklang zu bringen ist und insbesondere in erheblichem Widerspruch zu den eigenen Angaben der Beklagten zu 2) zum Unfallhergang in der Ermittlungsakte und auch in der Klageerwiderung steht. Danach will sie nämlich nicht der vor ihr am Boden liegenden Geschädigten ausgewichen sein, sondern vielmehr bereits zuvor ihr Fahrzeug auf das Bankett gelenkt und die Geschädigte mit ihrem Fahrrad passiert haben, bevor diese hinter ihrem Fahrzeug gestürzt sei. Wenngleich diese Darstellung eher einen Zusammenhang des Sturzes mit der Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs nahelegen könnte, würde sich daraus jedoch noch immer keine hinreichende Überzeugung i. S. d. § 286 ZPO vom Hergang des Unfalls herleiten lassen. Denn auch in diesem Fall könnte der Sturz aus anderen, nicht mit dem Kraftfahrzeug der Beklagten zu 1) zusammenhängenden Ursachen erfolgt sein.

Letztlich vermag sich der Senat jedoch auch von dieser Unfallschilderung der Beklagten zu 2) in keiner Weise zu überzeugen. Denn die Beklagte zu 2) hat, insoweit übereinstimmend mit der Beklagten zu 1), im polizeilichen Ermittlungsverfahren angegeben, dass sie der am Boden liegenden Geschädigten mit ihrem Fahrzeug ausgewichen sei, um diese nicht zu überfahren. Exakt so hat sie dies auch ausweislich der Zeugenangaben in der Ermittlungsakte den Zeugen gegenüber geschildert. Diese Schilderung erfolgte knapp einen Monat nach dem Unfallereignis und somit in noch frischer Erinnerung an das Geschehen. Es ist für den Senat insbesondere nicht nachvollziehbar, dass sich die Erinnerung an das schockierende Erlebnis durch Zeitablauf so verändern kann, dass die Beklagte zu 2) nunmehr diesen Sturz gar nicht gesehen haben will. Auch lässt sich bei Zugrundelegung dieser Unfallversion kaum erklären, warum das Fahrzeug der Beklagten, wenn sie der Geschädigten schon aus großer Entfernung hin auf das Bankett ausgewichen sein will, überhaupt in den Graben gerutscht ist. Eine plötzliche Ausweichbewegung vor einem am Boden liegenden Menschen dürfte hier eine wesentlich plausiblere Erklärung darstellen.

Letztlich kann offenbleiben, welche der von der Beklagten zu 2) geschilderten Unfallversionen die Zutreffende ist. Denn beide Varianten ergeben keinen hinreichenden Anknüpfungspunkt für einen Zusammenhang zwischen der vom Beklagtenfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr und dem Sturz der Geschädigten.

Insoweit kommt den Klägerinnen auch keine Beweiserleichterung, etwa im Sinne eines Anscheinsbeweises zugute. Voraussetzung für die Annahme einer solchen Beweiserleichterung ist ein typischer Geschehensablauf, d. h. ein Sachverhalt, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann. Dieser Sachverhalt muss entweder unstreitig oder durch Vollbeweis erwiesen sein (BGH, NJW 1982, 2448). Dies beurteilt der Richter nach der Lebenserfahrung. Hierbei ist Vorsicht am Platze, bloße Wahrscheinlichkeit genügt nicht, auch auf noch so aussagekräftige Indizien kann ein Anscheinsbeweis nicht gestützt werden. Der behauptete Vorgang muss vielmehr zu jenen gehören, die schon auf den ersten Blick nach einem durch Regelmäßigkeit, Üblichkeit und Häufigkeit geprägten Muster abzulaufen pflegen (BGH, NJW 1991, 230/231). Wie der Senat bereits erschöpfend ausgeführt hat, lässt sich eben kein Sachverhalt als feststehend betrachten, aus dem der Schluss zu ziehen wäre, dass die Geschädigte in Reaktion auf den Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) gestürzt ist, sei es auch in einer Fehlreaktion. Vielmehr lassen sich diverse andere Ursachen für diesen Sturz in Erwägung ziehen. Die bloße Anwesenheit des Fahrzeuges auf der Fahrbahn des T-​Weges genügt jedoch, wie ebenfalls bereits ausgeführt, für eine Haftung der Beklagten nicht.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO und berücksichtigt die unterschiedliche Beteiligung der Klägerinnen.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidung allein für die Klägerin zu 1) revisibel sein könnte.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 ZPO. Vielmehr handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung.