Das Verkehrslexikon

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BGH Beschluss vom 13.01.2016 - 4 StR 532/15 - Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle ohne Zahlungsbereitschaft

BGH v. 13.01.2016: Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle ohne Zahlungsbereitschaft als vollendeter Betrug


Der BGH (Beschluss vom 13.01.2016 - 4 StR 532/15) hat entschieden:
  1. Beim Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle kommt ein vollendeter Betrug nur dann in Betracht, wenn der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen seiner Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. - Können keine Feststellungen dazu getroffen werden, ob der Tankvorgang vom Kassenpersonal bemerkt wurde, ist mangels Irrtumserregung vom Tatbestand des versuchten Betrugs auszugehen.

  2. Die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 StGB verlangt hinsichtlich aller Tatumstände zumindest bedingten Vorsatz, d.h. der Täter muss insoweit die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als nahe liegende Möglichkeit erscheinen lassen und sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfinden.

Siehe auch Straßenverkehrsgefährdung / gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr und Tankbetrug - unentgeltliche Entwendung von Kraftstoff auf Tankstellen


Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls, Betrugs und vorsätzlicher "Straßenverkehrsgefährdung" in Tateinheit mit (vorsätzlichem) Fahren ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt sowie die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von vier Jahren keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel erzielt den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen vollendeten Betrugs kann nicht bestehen bleiben.

a) Nach den von der Strafkammer zu dem Fall II.2 der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen fuhr der Angeklagte mit dem zuvor entwendeten Pkw Opel Corsa zu einer Tankstelle, betankte das Fahrzeug und fuhr anschließend - wie von vornherein geplant - ohne Bezahlung der eingefüllten Treibstoffmenge davon.

b) Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen vollendeten Betrugs. Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist von einem Tanken an einer Selbstbedienungstankstelle auszugehen. In derartigen Fällen setzt die Annahme der Tatvollendung voraus, dass der Täter durch (konkludentes) Vortäuschen seiner Zahlungsbereitschaft bei dem Kassenpersonal einen entsprechenden Irrtum hervorruft, der anschließend zu der schädigenden Vermögensverfügung (Einverständnis mit dem Tankvorgang) führt. Mangels Irrtumserregung liegt jedoch kein vollendeter Betrug vor, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. In einem solchen Fall ist vielmehr regelmäßig vom Tatbestand des versuchten Betrugs auszugehen, wenn das Bestreben des Täters - wie im vorliegenden Fall - von Anfang an darauf gerichtet war, das Benzin unter Vortäuschung einer nicht vorhandenen Zahlungsbereitschaft an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten (BGH, Urteil vom 5. Mai 1983 - 4 StR 121/83, NJW 1983, 2827; Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 497/12, StV 2013, 511 mwN). Da das Landgericht trotz des Geständnisses des Angeklagten und unter Heranziehung der Lichtbilder der Überwachungskamera keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Tankvorgang vom Kassenpersonal bemerkt wurde, geht der Senat zugunsten des Angeklagten davon aus, dass dies nicht der Fall war; er ändert den Schuldspruch in versuchten Betrug ab. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Die Schuldspruchänderung entzieht der im Fall II.2 der Urteilsgründe verhängten Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten und der Gesamtstrafe die Grundlage.

2. Durchgreifenden Bedenken begegnet auch die Verurteilung des Angeklagten wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a sowie Nr. 2 Buchst. b und d StGB im Fall II.3 der Urteilsgründe.

a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen fuhr der Anklagte, obwohl er damit rechnete, infolge der zuvor konsumierten Betäubungsmittel nicht mehr fahrtüchtig zu sein, mit dem von ihm entwendeten Opel Corsa, in dem drei Begleiter saßen, nach M. . Als sich Polizeibeamte mit einem Streifenwagen schräg vor den an einer rotlichtzeigenden Ampel haltenden PKW setzten, beschloss der Angeklagte, sich durch Flucht der Kontrolle und einer Festnahme zu entziehen. Er scherte nach links in den Bereich des Gegenverkehrs aus, fuhr mit hoher Geschwindigkeit von deutlich mehr als 50 km/h über die Kreuzung und streifte beim Wiedereinscheren den bei Rotlicht haltenden BMW des Zeugen H. , der wirtschaftlichen Totalschaden in Höhe von 1.600 € erlitt. Unter Missachtung zweier weiterer "Rot" anzeigender Ampeln fuhr er auf der L. weiter; er beabsichtigte, nach rechts in die H. Straße abzubiegen. Zur gleichen Zeit überquerte vor ihm die im neunten Monat schwangere P. mit ihrem fünfjährigen Sohn und ihrer neunjäh- rigen Tochter die Fahrbahn der L. , da die dortige Lichtzeichenanla- ge für sie "Grün" zeigte. Die Tochter bemerkte das heranrasende Fahrzeug und zog Mutter und Bruder in Richtung der Verkehrsinsel in der Fahrbahnmitte. Der Angeklagte fuhr knapp (UA 8: "haarscharf") an den drei Fußgängern vorbei; ohne die Reaktion des Mädchens wären die Fußgänger von dem PKW des Angeklagten erfasst worden. P. erlitt einen Schock und musste ins Krankenhaus. Der Angeklagte bog nach rechts ab, zog die Handbremse und sprang aus dem noch rollenden Auto; dieses beschädigte noch zwei parkende Fahrzeuge, an denen jeweils ein Schaden von ca. 2.500 € entstand.

Der Angeklagte hat eingeräumt, unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln ohne die erforderliche Fahrerlaubnis gefahren zu sein. Er hat aber bestritten, bemerkt zu haben, dass er andere Fahrzeuge touchiert, "rote Ampeln" überfahren und Fußgänger gefährdet habe.

b) Damit sind die Voraussetzungen der vom Landgericht angenommenen sog. Vorsatz-Vorsatz-Kombination in den Varianten des § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a sowie Nr. 2 Buchst. b und d StGB nicht belegt. Zwar hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte trotz seines Bestrebens, sich dem polizeilichen Zugriff zu entziehen, aufgrund des vorangegangenen Drogenkonsums (relativ) fahruntüchtig war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. April 1994 - 4 StR 130/94, NStZ 1995, 88, und vom 2. Juni 2015 - 4 StR 111/15) und dies auch billigend in Kauf nahm. Es hat jedoch keine Feststellungen zu einer (auch nur bedingt) vorsätzlichen Herbeiführung des im Tatbestand des § 315c Abs. 1 StGB in allen Varianten vorausgesetzten konkreten Gefahrerfolgs getroffen; dies kann der Senat auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen.

Solcher Feststellungen zum subjektiven Tatbestand hätte es indes für den im angefochtenen Urteil getroffenen Schuldspruch bedurft: Das Landgericht hat nicht berücksichtigt, dass die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 StGB - anders als in § 315c Abs. 3 Nr. 1 StGB - hinsichtlich aller Tatumstände zumindest bedingten Vorsatz verlangt. Der Vorsatz des Täters muss deshalb nicht nur die Fahrunsicherheit, sondern auch die konkrete Gefahr umfassen. Der Täter muss insoweit die Umstände kennen, die den Gefahrerfolg im Sinne eines Beinaheunfalls als nahe liegende Möglichkeit erscheinen lassen und sich mit dem Eintritt dieser Gefahrenlage zumindest abfinden (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2014 - 4 StR 365/14, zfs 2014, 713; Hentschel/König/ Dauer-König, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 315c Rn. 48).

Soweit die Strafkammer den Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b (falsches Überholen) und Buchst. d StGB (zu schnelles Fahren an Straßenkreuzungen) verurteilt hat, fehlt es darüber hinaus schon an der Feststellung, dass der Angeklagte hinsichtlich dieser beiden sog. Todsünden vorsätzlich gehandelt hat.

Die Aufhebung erfasst die für sich gesehen rechtsfehlerfreie Verurteilung des Angeklagten im Fall II.3 der Urteilsgründe wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (vgl. KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 353 Rn. 12) sowie die Anordnung der isolierten Sperrfrist gemäß § 69a Abs. 1 Satz 3 StGB.

3. Auch soweit das Landgericht keine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB getroffen hat, kann das Urteil keinen Bestand haben. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 14. Dezember 2015 Folgendes ausgeführt:
"Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte bereits im Alter von 14 Jahren Marihuana und mit 15 Jahren Amphetamin, die er in der Folgezeit mit Unterbrechungen regelmäßig einnahm (UA S. 3). Der Angeklagte wurde am 17. Juli 2014 nach Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG aus dem Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 23. April 2012 aus der Haft entlassen, brach die Therapie jedoch nach einem Tag ab und hielt sich, weil er über keinen festen Wohnsitz verfügte, bei verschiedenen Freunden auf. Die Zurückstellung der Vollstreckung wurde widerrufen und Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Der Angeklagte konsumierte wiederum regelmäßig Marihuana und Amphetamin in Mengen von ca. jeweils 1 Gramm täglich; den erheblichen Konsum von Marihuana und Amphetamin zeigt auch die Auswertung der am 29. August 2014 entnommenen Blutprobe des Angeklagten (UA S. 5, 8).

Bei der Frage der Prüfung der (rauschmittelbedingten) Fahruntüchtigkeit bei der Fahrt in M. wurde auch berücksichtigt, dass der Angeklagte Langzeitkonsument (zumindest von Cannabis) ist (UA S. 8-9). In der Strafzumessung ist die Strafkammer von einem chronischen Konsum von THC und Amphetamin ausgegangen (UA S. 10).

Diese Ausführungen hätten die Strafkammer zu der Prüfung drängen müssen, ob bei dem Angeklagten die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gegeben sind. Dass sie von einem chronischen Konsum von Betäubungsmitteln ausgegangen ist, machte die Auseinandersetzung damit erforderlich, ob bei dem Angeklagten ein Hang im Sinne von § 64 StGB vorliegt. Dieser chronische Konsum legt zudem nahe, dass auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen einem gegebenenfalls anzunehmenden Hang und der Begehung der Taten bestand, ... Dass der Angeklagte im Juli 2014 eine Therapie gemäß § 35 BtMG nach nur einem Tag abbrach (UA S. 4) und anschließend erneut den Betäubungsmittelkonsum aufnahm (UA S. 5), steht der Erfolgsaussicht einer Anordnung des Maßregelvollzugs im Sinne des § 64 StGB nicht entgegen."
Dem schließt sich der Senat an.

4. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter hat die Gelegenheit, die erforderlichen Feststellungen zu der - durch das Fahrverhalten des Angeklagten verursachten - konkreten Gefährdung der Fußgänger im Sinne des § 315c Abs. 1 StGB genauer als bisher geschehen zu treffen (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524; Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 435/12, NStZ 2013, 167; OLG Hamm DAR 2015, 399, 400).