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Landgericht Gera Beschluss vom 25.04.2016 - 9 Qs 123/16 - Keine Tatidentität zwischen Rauschfahrt und Drogenbesizt
LG Gera v. 25.04.2016: Rauschfahrt und Drogenbesizt und Fortdauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis
Das Landgericht Gera (Beschluss vom 25.04.2016 - 9 Qs 123/16) hat entschieden:
- Zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln und der zeitgleich begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG liegt verfahrensrechtlich keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, sondern Realkonkurrenz vor, wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren Zusammenhang bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht.
- Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur unter Einwirkung von Cannabinoiden stehende Fahrzeugführer auffallend zügig unterwegs sind, auch wenn die Straße nicht sehr breit ist.
- Bei einem Zeitablauf von mehr als 15 Monaten zwischen Tatbegehung und Beschlussfassung stellt sich die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis als unverhältnismäßig dar, wenn der Angeklagte in dem Zeitraum unbeschadet am Straßenverkehr teilgenommen hat und nicht nachteilig aufgefallen ist.
Siehe auch Tateinheit oder Tatmehrheit bei Fahren unter Drogeneinfluss und sonstigen Verstößen und Zeitablauf seit der Tat und Fortdauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis
Gründe:
I.
Mit Beschluss vom 23.02.2016 hat das Amtsgericht Pößneck, Zweigstelle Bad Lobenstein, dem Angeklagten die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO vorläufig entzogen und die Beschlagnahme des Führerscheines angeordnet, weil er am 13.11.2014 gegen 17.35 Uhr den PKW VW Golf III, amtliches Kennzeichen ..., auf der Schleizer Straße in G. in fahruntüchtigem Zustand geführt hat, obwohl er infolge vorangegangenen Genusses berauschender Mittel fahruntüchtig war. Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 31 d. A. und auf den Inhalt des Strafbefehls des Amtsgerichts Pößneck, Zweigstelle Bad Lobenstein, vom 04.02.2016 (Bl. 26 d.A.), gegen den der Angeklagte Einspruch erhoben hat, verwiesen.
Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Pößneck, Zweigstelle Bad Lobenstein, vom 23.02.2016 hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 17.03.2016 Beschwerde eingelegt. Wegen des Inhalts des Beschwerdeschriftsatzes wird auf Bl. 48-50 d. A. verwiesen.
Mit Verfügung vom 18.03.2016 hat das Amtsgericht der Beschwerde nicht abgeholfen und diese dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Zu Unrecht hat das Amtsgericht dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, da dieser des Fahrens unter Einfluss berauschender Mittel gemäß § 316 Abs. 1 u. 2 StGB hinreichend verdächtig sei.
Die Auffassung der Verteidiger des Angeklagten in seinem Beschwerdeschriftsatz, der Beschluss des Amtsgerichts Pößneck, Zweigstelle Bad Lobenstein, müsse deshalb aufgehoben werden, weil das Verfahren gegen ihn eingestellt werden müsse, weil ein Strafklageverbrauch eingetreten sei, wird von der Kammer aus folgenden Gesichtspunkten nicht geteilt. Zwischen dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln und der zeitgleich begangen Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 2 StVG liegt verfahrensrechtlich keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, sondern Realkonkurrenz vor, wenn das Mitsichführen der Betäubungsmittel im Kraftfahrzeug in keinem inneren Zusammenhang bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht. Entscheidend ist somit der Zweck der Fahrt des Angeklagten, vgl. BGH Beschluss vom 27.04.2004, Az.: 1 StR 466/03, recherchiert in Juris. Danach besteht zwischen beiden Taten - der Rauschtat und dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln - keine Tateinheit, da sich die objektiven tatbestandlichen Ausführungshandlungen dieser beiden Delikte nicht einmal ansatzweise decken, die bei natürlicher Betrachtungsweise - ungeachtet der zeitlichen Überschneidung bei der Tatbegehung - zwei selbständige auf gesonderten Tatentschlüssen beruhende körperliche Willensbetätigungsakte darstellen. Denn nach der Einlassung des Angeklagten in dem Beschwerdeschriftsatz hat er ca. eine halbe Stunde vor Fahrtantritt mit einer anderen Person THC-haltige Betäubungsmittel konsumiert und danach erst die bei ihm sichergestellten Betäubungsmittel erhalten. Soweit er sich weiter dahingehend einlässt, die Fahrt habe zur Verbringung des sichergestellten Marihuanas von Plauen zu seiner Wohnung in G. gedient, ist ihm jedoch entgegenzuhalten, dass die Fahrt zwar dem Ziel der Verbringung/dem Transport gedient haben mag, aber rechtlich anders zu beurteilen ist, als in ausschließlichen „Transport- oder Fluchtfällen", die allein den Zweck haben, den Drogenbesitz aufrechtzuerhalten bzw. abzusichern. Denn der Angeklagte war hier nicht auf einer solchen „Transport- oder Fluchtfahrt", sondern hätte seine tatsächliche Sachherrschaft über das Rauschgift auch dann nicht verloren, wenn er nicht am öffentlichen Straßenverkehr teilgenommen hätte, sondern z. B. mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach G. gefahren wäre oder sich eines Fahrers bedient hätte. Die Entscheidung des Angeklagten sich selbst in das Fahrzeug zu setzen und dieses zu führen, stellt lediglich eine Entscheidung zur Verlagerung des Besitzes dar, als zwangläufige Begleitfolge der mit dem Kraftfahrzeug bewirkten und bezweckten Ortsveränderung des Angeklagten. Die Mitnahme der Betäubungsmittel bezieht sich auch nicht auf die Fahrtätigkeit als solche, denn sie hat dem Angeklagten insbesondere auch nicht dazu gedient, sich durch den Konsum der Drogen als Genuss- oder Aufputschmittel die Fahrt zu erleichtern. Hat der unter Drogeneinfluss stehende Fahrzeugführer die Betäubungsmittel somit nur beiläufig - wie in unserem Fall - bei sich geführt, liegen zwei Taten im strafprozessualen und auch im materiell-rechtlichen Sinne vor, da die objektiven tatbestandlichen Ausführungshandlungen dieser beiden Delikte sich nicht einmal teilweise decken. Es handelt sich um zwei selbständige, auf gesondert gefassten Tatentschlüssen beruhende körperliche Willenbetätigungakte, vgl. Körner-Patzack BtMG, 7. Auflage, Rn. 277 zu den Vorbemerkungen §§ 29 ff..
Der Tatrichter wird somit zu entscheiden haben, ob der Angeklagte wegen einer Straftat nach § 316 Abs. 1, 2. Alternative (unter Einfluss berauschender Mittel) StGB zu verurteilen ist. Zwar steht fest, dass der Angeklagte unter Einfluss von Cannabinoiden ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr geführt hat. Ob und inwieweit der Angeklagte jedoch in der Lage gewesen war, das Fahrzeug sicher zu führen, ergibt sich nicht ohne Weiteres aus dem bisherigen Akteninhalt. Eine mit der 1,1 Promillegrenze nach Alkoholgenuss vergleichbare Grenze absoluter Fahruntüchtigkeit nach Cannabiskonsum ist bislang medizinisch-naturwissenschaftlich nicht begründbar. Bei einer Verurteilung nach § 316 Abs. 1, 2. Alternative muss vielmehr ein erkennbares äußeres Verhalten des Fahrzeugführers festgestellt werden, das auf seine durch den Cannabiskonsum hervorgerufene Fahruntüchtigkeit hindeutet. Als solche Ausfallerscheinungen, die durch den Cannabiskonsum zumindest mit verursacht sein müssen, kommen insbesondere in Betracht: eine auffällige, sei es regelwidrige, sei es besonders sorglose und leichtsinnige Fahrweise, ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen, aber auch ein sonstiges Verhalten, das rauschbedingte Enthemmung und Kritiklosigkeit erkennen lässt, sowie Beeinträchtigungen der Körperbeherrschung, wie z. B. Stolpern und Schwanken beim Gehen, vgl. BGH in BGHSt 31, 42. Bei einer psychotropwirksamen Menge an THC von ca. 36 ng/ml Blut kann daher eine Fahruntüchtigkeit nur bei Hinzutreten rauschbedingter Ausfallerscheinungen angenommen werden, vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1994, 2428 f. Ausweislich des toxikologischen Befundberichts vom 10.12.2014 (Bl. 9-11) hatte der Angeklagte eine THC-Konzentration von 37 ng/ml im Blut. Auch wenn es in der Zusammenfassung des vorgenannten Berichtes heißt, dass die beim Angeklagten festgestellte hohe Konzentration auf einen chronischen Konsum von Cannabis hinweise und daher dessen generelle Fahreignung zu hinterfragen sei, ergibt sich aus dem Feststellungsprotokoll der Polizeibeamten vom 13.11.2014 indes keine der vorgenannten Ausfallerscheinungen, die auf den Cannabiskonsum zurückzuführen sind. Allein der Umstand, dass der Angeklagte auf der engen, etwa 3 m breiten Straße durch auffallend zügiges Fahren aufgefallen sei, kann nicht ausschließlich auf den vorhergehenden Cannabiskonsum zurückgeführt werden, denn es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur unter Einwirkung von Cannabinoiden stehende Fahrzeugführer auffallend zügig unterwegs sind, auch wenn die Straße nicht sehr breit ist. Die Feststellung der Fahruntüchtigkeit setzt zwar nicht stets das Vorliegen eines Fahrfehlers voraus, sondern kann sich auch aus dem Zustand und dem Verhalten des Fahrzeugführers bei einer Kontrolle ergeben. Das setzt aber Auffälligkeiten voraus, die sich unmittelbar auf eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit beziehen, z. B. schwerwiegende Einschränkungen der Wahrnehmung und Reaktionsfähigkeit, mangelnde Ansprechbarkeit, Unfähigkeit zu koordinierten Bewegungen, extrem verlangsamte Reaktion. Allgemeine Merkmale des Drogenkonsums reichen hier nicht aus, wie z. B. gerötete Augen, erweiterte Pupillen, „verwaschene Sprache", verlangsamte oder unsichere Motorik, verzögertes Aufnahmevermögen, schläfriges Erscheinungsbild oder unvermittelte Stimmungsschwankungen, vgl. Fischer StGB, § 316, Rn. 40ff. Die von den Polizeibeamten in dem Feststellungsprotokoll vom 13.11.2014 festgehaltenen Beobachtungen reichen insoweit nicht aus, um von einer Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zweifelsfrei auszugehen. Die Feststellungen des das Blut abnehmenden Arztes in seinem ärztlichen Bericht vom 13.11.2014 beruhen auf dessen Beobachtungen um 18.35 Uhr, somit eine Stunde nach den Feststellungen der Polizeibeamten. Ob und in welchem Rahmen diese verwertbar sind, um beim Angeklagten zur Tatzeit (17.35 Uhr) eine Fahruntüchtigkeit anzunehmen, wird der Tatrichter zu entscheiden haben.
Unabhängig davon, ob der Angeklagte im Sinn des § 316 Abs. 1, 2. Alternative StGB hinreichend verdächtig ist, steht bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der vorläufigen Maßnahme gem. § 111a StPO im Rahmen einer Gesamtschau aller zu berücksichtigenden Umstände der Zeitablauf von mehr als 15 Monaten zwischen Tatbegehung und der Beschlussfassung entgegen. Nach Vorlage des toxikologischen Befundberichts im Dezember 2014 wurde der Schlussbericht durch die Sachbearbeiterin der PI S.-O. am 28.05.2015 (Bl. 19 f.) gefertigt. Danach erfolgten keine weiteren Ermittlungshandlungen, so dass spätestens ab diesem Zeitpunkt - nach Vorlage an die Staatsanwaltschaft - ein Strafbefehl hätte beantragt werden können. Gründe dafür, warum erst im November 2014 eine Umtragung des Verfahrens (Bl. 23 Rs) durch die zuständige Staatsanwältin verfügt worden ist, ergeben sich nicht aus der Akte. Da der Angeklagten mit dem ihm vorgeworfenen Fehlverhalten seit mehr als einem Jahr unbeanstandet am Straßenverkehr teilgenommen hat und auch bis zur vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht mehr nachteilig aufgefallen ist, sind keine dringenden Gründe mehr vorhanden, dass ihm die Fahrerlaubnis endgültig entzogen wird, vgl. LG Mannheim, ZfS 2003, 208. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis stellt sich damit auch als unverhältnismäßig dar, vgl. OLG Hamm, VRS 102, 56ff.
Die vom Verteidiger des Angeklagten beantragte Herausgabe der Fahrerlaubnis geht in Leere, da eine solche ausweislich der Mitteilung der PI S.-O. vom 21.03.2016 anlässlich der am 18.03.2016 erfolgten Durchsuchung nicht aufgefunden und nicht beschlagnahmt werden konnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.