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Landgericht Ellwangen Urteil vom 09.05.2016 - 4 O 21/16 - Keine Erheblichkeit des Sachmangels bei Behebung durch Software-Update

LG Ellwangen v. 09.05.2016: Keine Erheblichkeit des Sachmangels bei Behebung durch ein Software-Update für ca. 100,00 €


Das Landgericht Ellwangen (Urteil vom 09.05.2016 - 4 O 21/16) hat entschieden:
Die Erheblichkeitsprüfung erfordert eine umfassende Interessenabwägung, im Rahmen derer vor allem der für die Mangelbeseitigung erforderliche Aufwand zu berücksichtigen ist. Die Erheblichkeit eines Mangels ist in der Regel zu bejahen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung mindestens 5 % der vereinbarten Gegenleistung ausmachen. Das Software-Update, so wie es mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmt ist, verursacht keine höheren Kosten als 100,00 €. Setzt man diese Kosten ins Verhältnis zum Kaufpreis des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so liegt der Mangelbeseitigungsaufwand vorliegend bei ca. 0,28 % des Kaufpreises und damit unterhalb der Bagatellgrenze.


Siehe auch „Schummelsoftware“ und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Rückabwicklung eines PKW-​Kaufvertrages.

Am 26.04.2014 bestellte der Kläger bei der Beklagten Ziff. 1 – einer unabhängigen Händlerin, welche Fahrzeuge der Marke ... vertreibt – verbindlich einen PKW der Marke ... zum Preis von 35.782,41 € (Anl. K1). Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 mit 2,0 Liter Hubraum ausgestattet. Die Finanzierung erfolgte aufgrund Darlehensantrags des Klägers vom 26.04.2014 durch die Beklagte Ziff. 2 (Anl. K3, K5).

Das Fahrzeug wurde am 05.09.2014 an den Kläger übergeben und auf ihn zugelassen (Anl. K2). Durch E-​Mail der ...-​Kundenbetreuung vom 15.10.2015 (Anl. K6) wurde dem Kläger mitgeteilt, dass das erworbene Fahrzeug vom sogenannten "Abgas-​Skandal" betroffen ist. ...

Das Fahrzeug des Klägers befindet sich dennoch in einem technisch sicherem Zustand, kann uneingeschränkt im Straßenverkehr genutzt werden und verfügt nach wie vor über alle erforderlichen Genehmigungen. Insbesondere ist die für das Fahrzeug erteilte EG-​Typgenehmigung unverändert wirksam und wurde nicht aufgehoben.

Sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA 189 werden auf Kosten der ... technisch überarbeitet. Die Umsetzung dieser Maßnahmen hat bereits begonnen. Auch das Fahrzeug des Klägers wird hiervon betroffen sein, wobei derzeit noch nicht klar ist, wann dies konkret der Fall sein wird. Die technischen Maßnahmen können nämlich nur nach entsprechender Instruktion des Herstellers vorgenommen werden. Da eine Vielzahl von Fahrzeugen und Motorvarianten von den Maßnahmen betroffen sind, erfordert deren Durchführung eine Gesamtkoordination und einen abgestimmten Zeitplan. Die Vornahme der technischen Maßnahmen erfolgt in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-​Bundesamt. Dieses hat den von der ... vorgelegten Zeit- und Maßnahmenplan für angemessen erachtet.

Am 17.10.2015 verlangte der Kläger von der Beklagten Ziff. 1 eine Nachbesserung des Fahrzeugs. Mit Anwaltsschreiben vom 18.11.2015 wurde die Beklagte Ziff. 1 unter Fristsetzung zum 18.12.2015 erneut zur Nachbesserung aufgefordert (Anl. K7). Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18.11.2015 wurde die Beklagte Ziff. 2 über das Schreiben des Klägers an die Beklagte Ziff. 1 informiert (Anl. K8).

Mit Schreiben vom 23.11.2015 teilte die Beklagte Ziff. 1 mit, dass eine Nachbesserung derzeit noch nicht möglich sei und verzichtete auf die Einrede der Verjährung (Anl. K9). Durch Anwaltsschreiben vom 14.01.2016 erklärte der Kläger gegenüber beiden Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag (Anl. K 10, K 11). Die Beklagte Ziff. 1 lehnte mit Schreiben vom 20.01.2016 eine Rücknahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs ab (Anl. K 13).

Der Kläger trägt vor, er habe sich beim Kauf des Fahrzeugs auf die besonders niedrigen Immissionswerte des darin verbauten Bluetec-​Motors verlassen und auf die umweltverträgliche Motorausstattung ausdrücklich Wert gelegt. Er ist der Ansicht, das von ihm erworbene Fahrzeug sei mangelhaft, da vorsätzlich in die Elektronik des Fahrzeugs eingegriffen worden sei, um die zugesicherten Abgaswerte zu manipulieren. Der Kläger bezweifelt, dass die vom Hersteller angestrebte konkrete Art der Nachbesserung Erfolg hat und behauptet, mit jeder Software-​Veränderung steige der Verbrauch des Fahrzeugs erheblich an.

Der Kläger ist außerdem der Ansicht, die Beklagte Ziff. 2 sei zur Rückzahlung der bisher geleisteten Darlehensraten in Höhe von insgesamt 7.225,00 € verpflichtet, da der PKW-​Kaufvertrag gemäß § 358 Abs. 4 BGB ein mit dem Darlehensvertrag verbundener Vertrag sei und sich der Rücktritt gegen beide Verträge richte. Im Rahmen des Rückzahlungsverlangens gegenüber der Beklagten Ziff. 2 lässt sich der Kläger unter Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Fahrleistung des Fahrzeugs von 24.230 km gezogene Nutzungen in Höhe von 3.467,99 € anrechnen sowie Kosten für aufgebrachte Winterreifen in Höhe von 350,00 €, weshalb er noch einen Betrag in Höhe von 4.107,01 € ersetzt verlangt.

Der Kläger macht darüber hinaus vorgerichtliche Anwaltskosten in Gestalt einer 1,3-​Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von "bis 40.000,00 €" nebst Auslagenpauschale und 19 % Mehrwertsteuer, mithin 1.590,91 € geltend.

Die Beklagte Ziff. 1 hat der ... mit Schriftsatz vom 14.04.2016 (Bl. 39 f. d. A.) den Streit verkündet. Die Streitverkündete hat mit Schriftsatz vom 15.04.2016 (Bl. 41 d. A.) ihren Beitritt zum Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten erklärt.

Der Kläger beantragt:
  1. Die Beklagte Ziff. 1 wird verurteilt zur Rückholung des PKW ... mit der Fahrgestell-​Nummer ... Zug um Zug gegen Zahlung von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.225,00 € nebst Vorlage eines Zahlungsnachweises, dass der Betrag in Höhe von 7.225,00 € von der Beklagten Ziff. 2 an den Kläger bezahlt ist, nebst 1.590,91 € außergerichtliche Anwaltskosten, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2016.

  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte Ziff. 1 mit der Rückholung des Fahrzeugs gemäß Antrag Ziffer 1 sich im Verzug befindet.

  3. Die Beklagte Ziff. 2 wird verurteilt, an den Kläger 4.107,01 € zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.01.2016.
Die Beklagten beantragen:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte Ziff. 1 erachtet den PKW des Klägers als nicht mangelhaft. Sie behauptet, der Kläger habe beim Kauf des Fahrzeugs nicht zum Ausdruck gebracht, dass er ein Fahrzeug mit einem bestimmten Schadstoffausstoß oder einer bestimmten Emissionsklasse erworben wolle.

Das Thema "Immissionswerte" sei auch nicht Gegenstand der Gespräche im Vorfeld des Vertragsabschlusses gewesen. Die Fahrzeuge erhielten im Rahmen der bereits laufenden Maßnahmen zur Nachbesserung ein Software-​Update, für welches rund eine halbe Stunde Arbeitszeit erforderlich sei und das in einer Vertragswerkstatt durchgeführt werde. Die hierfür anfallenden Kosten lägen deutlich unter 100,00 €. Sie ist der Ansicht, die vom Kläger gesetzte Frist zur Nacherfüllung von vier Wochen sei zu kurz bemessen und daher nicht angemessen.

Die Beklagte Ziff. 2 ist der Ansicht, der Kläger habe keinen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Darlehensraten, da er Einwendungen gegen den Darlehensvertrag nicht geltend machen könne. § 359 BGB gewähre ausschließlich ein Recht zur Verweigerung künftiger Leistungen, nicht jedoch das Recht auf Rückforderung bereits geleisteter Zahlungen. Ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung bestehe nicht, da der Rücktritt den finanzierten Vertrag nur mit Wirkung ex nunc in ein Abwicklungsverhältnis überführe.

Hinsichtlich des weiteren Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 19.04.2016 (Bl. 43 ff. d. A.) verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 23, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Ellwangen folgt aus § 29 ZPO, da sich das streitgegenständliche Fahrzeug beim Kläger befindet.

II.

Die Klage ist unbegründet.

1. Die Voraussetzungen für den vom Kläger geltend gemachten Rückabwicklungsanspruch liegen nicht vor, §§ 433, 434 Abs. 1, 437 Nr. 2 Alt. 1, 323 BGB.

a) Zwischen den Parteien kam ein Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug Marke ... zustande, § 433 BGB.

b) Das Fahrzeug ist auch mangelhaft. Es kann offen bleiben, ob der Kläger im Rahmen des Kaufvertrages tatsächlich angegeben hat, dass es ihm darauf ankomme, ein Fahrzeug mit einem niedrigen Schadstoffausstoß bzw. einer bestimmten Emissionsklasse zu erwerben. Denn jedenfalls weist das Fahrzeug keine Beschaffenheit auf, die bei Sachen gleicher Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten darf, § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB.

Beim streitgegenständlichen Fahrzeug wurde unstreitig eine Manipulations-​Software eingesetzt, welche dafür sorgt, dass der PKW im Prüfstandsbetrieb andere Immissionswerte vortäuscht, als tatsächlich im Normalbetrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr erzielt werden. Die Verwendung einer solchen Manipulations-​Software ist nach Art. 5 Abs. 2 der Fahrzeugemissionen-​Verordnung unzulässig.

c) Weiter kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger der Beklagten Ziff. 1 eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Denn jedenfalls steht dem Rücktritt des Klägers vom Kaufvertrag die Unerheblichkeit der Pflichtverletzung gemäß § 323 Abs. 5 S. 2 BGB entgegen.

Die Erheblichkeitsprüfung erfordert eine umfassende Interessenabwägung, im Rahmen derer vor allem der für die Mangelbeseitigung erforderliche Aufwand zu berücksichtigen ist (vgl. Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 323 Rn. 32). Die Erheblichkeit eines Mangels ist in der Regel zu bejahen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung mindestens 5 % der vereinbarten Gegenleistung ausmachen (vgl. BGH NJW 2014, 3229).

Das Software-​Update, so wie es mit dem Kraftfahrt-​Bundesamt abgestimmt ist, verursacht keine höheren Kosten als 100,00 €. Setzt man diese Kosten ins Verhältnis zum Kaufpreis des streitgegenständlichen Fahrzeugs, so liegt der Mangelbeseitigungsaufwand vorliegend bei ca. 0,28 % des Kaufpreises und damit unterhalb der Bagatellgrenze. Zwar hat der Kläger in Zweifel gezogen, dass sich das Problem derart einfach durch ein Software-​Update lösen lasse. Dieser Vortrag ist jedoch unbeachtlich, da er lediglich ins Blaue hinein erfolgt, ohne dass der Kläger ausführt, warum die Durchführung des mit dem Kraftfahrt-​Bundesamt abgestimmten Software-​Updates nicht dazu in der Lage sein soll, das Problem zu beheben. Die Behauptung des Klägers, mit jeder Software-​Veränderung steige der Verbrauch des Fahrzeugs erheblich an, ist zu pauschal und daher unsubstantiiert. Insbesondere ist im Rahmen der Erheblichkeit auch zu berücksichtigen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug trotz des Mangels technisch sicher, fahrbereit und uneingeschränkt nutzbar ist. Darüber hinaus wurde die EG-​Typgenehmigung nicht entzogen.

2. Da der Kläger vom Kaufvertrag nicht wirksam zurückgetreten ist, besteht auch kein Anspruch des Klägers auf Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten Ziff. 1.

3. Da die Voraussetzungen für eine Rückabwicklung nicht vorliegen, hat der Kläger auch keine Ansprüche gegen die Beklagte Ziff. 2 hinsichtlich des verbundenen Vertrages.

4. Die geltend gemachten Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.

III.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 709 S. 2 ZPO.