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OLG Celle Beschluss vom 29.12.2014 - 321 SsBs 37/14 - Fahrlässige Rauschfahrt und Inhaltsangaben des Bußgeldbescheids

OLG Celle v. 29.12.2014: Fahrlässige Rauschfahrt und Inhaltsangaben des Bußgeldbescheids


Das OLG Celle (Beschluss vom 29.12.2014 - 321 SsBs 37/14) hat entschieden:
  1. Mängel der Informationsfunktion beeinträchtigen die Rechtswirksamkeit des Bußgeldbescheides grundsätzlich nicht, denn ein solcher ist für sich allein nicht so schwerwiegend, dass er nicht - etwa durch Akteneinsicht des Verteidigers - geheilt werden könnte.

  2. Für die Annahme von Fahrlässigkeit reicht bei einer Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG die Feststellung einer über dem Grenzwert der jeweiligen Substanz im Blut liegenden Wirkstoffkonzentration allein nicht aus. Es ist vielmehr die Vorstellung des Betroffenen unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel vom Tatgericht festzustellen.

Siehe auch Fahrlässigkeit und drogenbedingte Rauschfahrt und Stichwörter zum Thema Drogen


Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeuges unter Wirkung eines berauschenden Mittels (THC) zu einer Geldbuße von 300 € unter Gewährung von Ratenzahlung verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 02.07.2013 gegen 18:35 Uhr die Landesstraße 343 in Diepenau/Lavelsloh mit dem Wohnmobil mit dem amtlichen Kennzeichen MI.... Bei einer polizeilichen Kontrolle fiel auf, dass der Betroffene eine blasse Gesichtsfarbe und gerötete Bindehäute hatte. Die Analyse einer dem Betroffenen entnommen Blutprobe ergab, dass dieser eine THC Konzentration von 1,3 mg/mL und eine THC COOH Konzentration von 8,1 mg/mL aufwies.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, mit der er erstrebt, das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einzustellen und im Übrigen die Verletzung sachlichen Rechtes rügt.


II.

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat im überwiegenden Umfange Erfolg.

1. Ein Verfahrenshindernis liegt indes nicht vor. Entgegen der von der Verteidigung erhobenen Rüge bildet der Bußgeldbescheid eine taugliche Grundlage für die Durchführung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens, denn er erfüllt die Voraussetzungen des § 66 OWiG.

a) Nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG muss der Bußgeldbescheid die Bezeichnung der Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Ordnungswidrigkeit und die angewendeten Bußgeldvorschriften benennen.

Dem Bußgeldbescheid kommen im Wesentlichen zwei Funktionen zu: Zum einen wird durch ihn der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht abgegrenzt, daneben hat der Bußgeldbescheid eine Informationsfunktion, sodass der Betroffene ohne Akteneinsicht und ohne Einholung des Rats eines Rechtskundigen in die Lage versetzt werden soll, zu erkennen, welcher konkrete Vorwurf gegen ihn erhoben wird (vgl. hierzu Kurz in KK OWiG, 4. Aufl., § 65 Rdnrn. 5 u. 6 m. w. N.).

Da in dem Bußgeldbescheid des Landkreises Nienburg/Weser vom 14.10.2013 sowohl die Person des Fahrers als auch das geführte Kraftfahrzeug sowie Tatzeit und Ort genau bestimmt sind und zudem auch der für erfüllt erachtete Ordnungswidrigkeitentatbestand angeführt wird, wird der Bußgeldbescheid seiner Funktion, die dem Betroffenen zur Last gelegte Tat von anderen geschichtlichen Lebensvorgängen abzugrenzen, gerecht.

b) Soweit in dem Umstand, dass in dem Bußgeldbescheid die konkrete Höhe der gemessenen THC Konzentration nicht mitgeteilt worden ist, ein Mangel zu sehen sein könnte, beträfe dieser allein die Informationsfunktion des Bußgeldbescheides. Mängel der Informationsfunktion beeinträchtigen die Rechtswirksamkeit des Bußgeldbescheides jedoch grundsätzlich nicht, denn ein solcher ist für sich allein nicht so schwerwiegend, dass er nicht etwa durch Akteneinsicht des Verteidigers geheilt werden könnte (vgl. hierzu Kurz in KK OWiG, § 66 Rdnrn. 42 u. 43).

c) In diesem Zusammenhang ist anzumerken: Die Verteidigung bezieht sich für ihre Rechtsauffassung, die Wirkstoffkonzentration müsse im Bußgeldbescheid angegeben werden, auf Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi Verfahren, 3. Aufl., Rdnr. 550. Dies geht indes fehl. Die zitierte Literaturstelle bezieht sich ihrerseits auf eine Entscheidung des OLG Hamm vom 11.02.2010 (NZV 2010, 270 ff.). Das OLG Hamm gelangte in dieser Entscheidung bei einem Bußgeldbescheid, der keine Angaben über die gemessene Wirkstoffkonzentration enthielt, jedoch nicht zu dem Ergebnis, der Bußgeldbescheid leide an einem wesentlichen inhaltlichen Mangel mit der Folge seiner Unwirksamkeit, sondern lediglich dazu, dass bei einem solchen inhaltlichen Mangel eine Beschränkung des Einspruchs allein auf die Rechtsfolgen unzulässig ist, mit der Folge, dass der Bußgeldrichter eigene Feststellungen zum äußeren und inneren Tatbestand des § 24a StVG treffen muss.

2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch mit der erhobenen Sachrüge Erfolg, denn die Feststellungen des angefochtenen Urteiles zur subjektiven Tatseite tragen den Schuldspruch nicht und können daher anders als diejenigen zur objektiven Tatseite, dazu unter 3. keinen Bestand haben.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme hierzu ausgeführt:
„Fahrlässigkeit im Sinne des § 24a Abs. 2 StVG setzt voraus, dass der Betroffene die Möglichkeit der fortbestehenden Wirkung des Rauschmittelkonsums bei Fahrtantritt entweder für möglich gehalten oder jedenfalls hätte erkennen können und müssen.

Für die Annahme von Fahrlässigkeit reicht die Feststellung einer über dem Grenzwert der jeweiligen Substanz im Blut liegenden Wirkstoffkonzentration allein nicht aus. Es ist vielmehr die Vorstellung des Betroffenen unter Würdigung sämtlicher zur Verfügung stehender Beweismittel vom Tatgericht festzustellen (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 20.08.2010 - 2 Ss-​Owi 166/10; OLG Celle, Beschluss vom 09.12.2008 - 322 SsBs 247/08 m.w.N.).

Fahrlässigkeit ist daher ohne weiteres anzunehmen, wenn der Betroffene sich in zeitlicher Nähe zum Cannabiskonsum an das Steuer eines Kraftfahrzeugs setzt. An der Erkennbarkeit der fortwährenden Wirkung des Betäubungsmittels zu Tatzeitpunkt kann es demgegenüber fehlen, wenn zwischen Drogenkonsum und Fahrt eine größere Zeitspanne liegt (vgl. OLG Celle a.a.O.). Eine solche zeitliche Nähe vermochte das Amtsgericht indes nicht festzustellen. Ausreichende Feststellungen zum Zeitpunkt des Konsums konnten mangels Einlassung des Betroffenen nicht getroffen werden. Aus dem Gesichtspunkt der zeitlichen Nähe können daher auch keine Rückschlüsse auf die innere Vorstellung des Betroffenen zur Tatzeit gezogen werden.

Die Voraussehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung kann im vorliegenden Fall auch nicht auf einen besonders hohen Messwert gestützt werden. Bei einer verhältnis-​mäßig geringen Überschreitung (1,3 ng/ml THC) ist dies nicht möglich (vgl. OLG Frankfurt a.M., a.a.O. m.w.N.).

In einem solchen Fall hätte es näherer Ausführungen bedurft, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der Konsum noch Auswirkungen haben konnte. Möglich ist dabei auch das Heranziehen sonstiger Beweisanzeichen, etwa drogenbedingter Ausfallerscheinungen.

Eine solche eingehende Würdigung enthält das angefochtene Urteil nicht. Zwar wurde eine „blasse Gesichtsfarbe“ und „gerötete Bindehäute“ festgestellt, die Anlass der polizeilichen Kontrolle gewesen sei. Derartige Beweisanzeichen sprechen aber nicht zwingend für einen Konsum von Cannabis. Es hätte daher weiterer Ausführungen bedurft, etwa zum Zustand und dem Verhalten des Betroffenen bei der Polizeikontrolle, bei der üblicherweise ein Rombergtest durchgeführt wird, und der körperlichen Untersuchung anlässlich der ärztlichen Blutentnahme.

Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass in der neuen Verhandlung ergänzende tatsächliche Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Betroffenen tragen.“
Diesen zutreffenden Ausführungen tritt der Senat bei.

3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind indes rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Der Senat verwirft insoweit die weitergehende Rechtsbeschwerde des Betroffenen auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet.