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Verwaltungsgericht Neustadt Beschluss vom 23.03.2017 - 3 L 287/17.NW - Zur Anfechtbarkeit einer der Fahrerlaubnis beigefügten Nebenbestimmung
VG Neustadt v. 23.03.2017: Zur Anfechtbarkeit einer der Fahrerlaubnis beigefügten Nebenbestimmung
Das Verwaltungsgericht VG Neustadt (Beschluss vom 23.03.2017 - 3 L 287/17.NW) hat entschieden:
- Wird eine Fahrerlaubnis nach Überprüfung der Fahreignung des Fahrerlaubnisinhabers unter Auflagen regelmäßiger Kontrolluntersuchungen und der Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung belassen, so sind diese Auflagen als Verwaltungsakte selbständig anfechtbar.
- Der Anfechtbarkeit der einer Fahrerlaubnis beigefügten Nebenbestimmung in Form einer Gutachtensanordnung nach § 11 FeV steht § 44a VwGO nicht entgegen.
Siehe auch Fahrerlaubnis - Führerschein und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein
Gründe:
Der Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 2. März 2017 – mit dem ihr das Recht aberkannt wurde, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch zu machen – und Ziffer 3 des Bescheides (Vorlage des Führerscheins zwecks Eintragung eines entsprechenden Vermerks) gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – wiederherzustellen, hat Erfolg.
Bei der gebotenen Interessenabwägung überwiegen die privaten Interessen der Antragstellerin daran, von dieser Fahrerlaubnis weiterhin in Deutschland Gebrauch machen zu können die öffentlichen Interessen an dem angeordneten Sofortvollzug. Denn die Verfügung vom 2. März 2017 begegnet insoweit durchgreifenden Rechtmäßigkeitsbedenken. Die Antragsgegnerin durfte entsprechend § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV – daraus, dass die Antragstellerin insbesondere das mit der Auflage in Ziffer 1 Unterziffer I in dem Bescheid vom 13. April 2016 geforderte ärztliche Gutachten nicht beigebracht hat, nicht auf die Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 schließen.
Die in Ziffer 1 des Bescheides vom 13. April 2016 mit der Belassung der Fahrerlaubnis verbundenen Auflagen lauten:
„I. Die Beibringung eines ärztlichen Gutachtens eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 zur FeV erfüllt, wird angeordnet. Dieses Gutachten ist uns bis zum 01.03.2017 vorzulegen. Die gewünschte Begutachtungsstelle ist uns spätestens bis zum 15.01.2017 mitzuteilen, damit wir Ihre Fahrerlaubnisakte rechtzeitig dorthin schicken können. Das Gutachten soll die Frage beantworten: „Ist Frau S. trotz ihrer psychiatrischen Probleme weiterhin geeignet Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 sicher zu führen?".
II. Die Beibringung von fachpsychiatrischen Attesten wird angeordnet. Sie sind jeweils spätestens am 15.05.2016, am 15.08.2016, am 16.11.2016 und am 15.02.2017 unaufgefordert bei uns vorzulegen. Die Atteste sollen Aufschluss über den aktuellen psychiatrischen Befund, eine eventuelle Medikation sowie über die Compliance bringen.“
Den Auflagen in Unterziffer II ist die Antragstellerin mit Vorlage der ärztlichen Atteste des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie D. vom 27. April 2016, 22. Juli 2016, 8. November 2016 und vom 16. März 2017 nachgekommen, auch wenn das letzte ärztliche Attest verspätet, und zwar in diesem Eilverfahren, vorgelegt wurde. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vorgelegt wurde von der Antragstellerin das unter Unterziffer I des Bescheides vom 13. April 2016 von ihr geforderte ärztliche Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 zur FeV erfüllt. Die Antragstellerin ist sowohl nach ihrer Widerspruchsbegründung vom 9. März 2017 als auch nach ihrem Vortrag in diesem Eilverfahren nicht willens, ein entsprechendes Gutachten einzuholen.
Die Nichtvorlage des mit Bescheid vom 13. April 2016 angeordneten ärztlichen Gutachtens und damit die Nichterfüllung der Auflage aus Unterziffer I des genannten Bescheides berechtigt die Antragsgegnerin dennoch nicht, der Antragstellerin die Fahrerlaubnis zu entziehen, d. h. ihr das Recht abzuerkennen, von ihrer polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch zu machen, weil der Bescheid vom 13. April 2016 nicht vollziehbar ist. Voraussetzung hierfür ist, dass er entweder bestandskräftig ist (1.) oder für sofort vollziehbar erklärt wurde (2.). Beides ist nicht der Fall.
1. Bestandskräftig ist der Bescheid nicht, weil die Antragstellerin rechtzeitig am 9. Mai 2016 gegen den Bescheid vom 13. April 2016 Widerspruch eingelegt hat. Der gegen den Bescheid vom 13. April 2016 und damit gegen die Auflagen eingelegte Widerspruch ist zulässig. Über ihn wurde noch nicht entschieden.
Bei den Nebenbestimmungen in dem Bescheid vom 13. April 2016 handelt es sich um Auflagen im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 2 Straßenverkehrsgesetz – StVG – und § 23 Abs. 2 Satz 1 FeV. Nach diesen Vorschriften kann die Fahrerlaubnisbehörde einem Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber, der nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist, die Fahrerlaubnis soweit wie notwendig beschränken oder unter den erforderlichen Auflagen erteilen. Bei einer der Fahrerlaubnis beigefügten Auflage handelt es sich um eine solche im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – (s. § 1 Landesverwaltungsverfahrensgesetz – LVwVfG –) und damit um einen mit Widerspruch angreifbaren Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG.
Dies gilt auch für die auf § 11 FeV gestützte einer Fahrerlaubnis beigefügte Anordnung, ein ärztliches Gutachten eines Arztes einer Begutachtungsstelle für Fahreignung, der die Anforderungen nach Anlage 14 zur FeV erfüllt, beizubringen.
Zwar ist nach langjähriger Rechtsprechung die selbständige Anordnung einer Begutachtung nach den §§ 11 – 14 FeV durch die Fahrerlaubnisbehörde keine selbständig mit Widerspruch und Klage anfechtbare Verwaltungsmaßnahme. Ihr fehlt es an der für eine Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO erforderlichen Qualität als Verwaltungsakt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 1994 – 11 B 157/93 – mit Hinweis auf die st. Rspr.; Urteil vom 5. Juli 2001 – 3 C 13/01 –; ausführlich zur FeV vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. Januar 2001 – 19 B 1757/00 – und aus der jüngeren Rspr. z.B. OVG HH, Beschluss vom 22. Mai 2002 – 3 Bs 71/02 –, BayVGH, Beschluss vom 24. Juli 2015 – 11 CS 15.1203 –, VGH BW, Beschluss vom 19. August 2013 – 10 S 1266/13 -, OVG Schleswig, Beschluss vom 11. April 2014 – 2 MB 11/14 –, alle juris und m.w.N.).
Im vorliegenden Fall erfolgte die Anordnung, ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen, aber nicht isoliert, sondern ist als Auflage dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. April 2016, mit dem der Antragstellerin die Fahrerlaubnis belassen wurde, beigefügt. Vorangegangen war ein Verfahren der Antragsgegnerin zur Überprüfung der Fahreignung der Antragstellerin. Im Rahmen jenes Verfahrens hatte die Antragsgegnerin die Antragstellerin aufgefordert, ein ärztliches Gutachten einer Begutachtungsstelle für Fahreignung beizubringen. Nach Vorliegen des geforderten Gutachtens des TÜV SÜD LIFE GmbH, Mannheim, vom 7. März 2016 entschied die Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Fahrerlaubnis entsprechend den Empfehlungen der Gutachter, die sie als Auflagen der Fahrerlaubnis beifügte, zu belassen.
Gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts wie Auflagen ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aber Widerspruch bzw. Anfechtungsklage gegeben (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2000 – 11 C 2.00 –, BVerwGE 112, 221). Die in dem Bescheid vom 13. April 2016 als Auflage zur Fahrerlaubnis gemachte Gutachtensanordnung ist danach ein anfechtbarer Verwaltungsakt.
Der selbständigen Anfechtbarkeit der hier streitigen Auflage steht nicht die Ausnahmevorschrift des § 44a VwGO entgegen. Wird eine Fahrerlaubnis mit Auflagen verbunden, durch die dem Begünstigten ein bestimmtes Tun vorgeschrieben wird, so ist dies keine bloße behördliche Verfahrenshandlung, sondern Teil der abschließenden Sachentscheidung, gegen die alle auch sonst gegen eine solche Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfe geltend gemacht werden können (OVG RP, Urteil vom 29. August 1989 – 7 A 9/89 -, NJW 1990, 1194, 1195; VGH BW, Beschluss vom 4. Juli 1996 – 10 S 975/95 –, NZV 1997, 136).
2. Dem Widerspruch vom 9. Mai 2016 gegen den Bescheid vom 13. April 2016 kommt nach § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung zu, da die Antragsgegnerin diesen Bescheid nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO für sofort vollziehbar erklärt hat.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Auflagen in Ziffer 1 Unterziffern I und II hätte hier, damit die Antragstellerin verpflichtet gewesen wäre, die Auflagen fristgerecht zu erfüllen, gleichzeitig mit deren Anordnung in dem Bescheid vom 13. April 2016 erfolgen müssen. In dem Bescheid vom 13. April 2016 wurde aber die sofortige Vollziehung der Auflagen nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet, im Übrigen auch nicht in einem späteren Bescheid nach Widerspruchseinlegung, aber vor Verstreichen der der Antragstellerin in dem angefochtenen Bescheid gesetzten Fristen.
Unter Ziffer 2 des Bescheides vom 13. April 2016 heißt es:
„Die Fahrerlaubnis wird entzogen und die sofortige Vollziehung angeordnet, wenn den Auflagen nach Nr. 1 nicht nachgekommen wird.“
Damit wurde entgegen der im Anhörungsschreiben der Antragsgegnerin vom 16. Februar 2017 geäußerten Auffassung nicht die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 Unterziffern I und II des Bescheides vom 13. April 2016 angeordnet. Die soeben zitierte Ziffer 2 enthält lediglich Ankündigungen für den Fall („wenn“), dass den Auflagen nicht Folge geleistet werde. Die Formulierung „und die sofortige Vollziehung angeordnet“ bezieht sich aufgrund des nachgestellten Konditionalsatzes eindeutig auf die Fahrerlaubnisentziehung, die bei Eintritt der Bedingungen erfolgen würde und deren sofortige Vollziehbarkeit dann angeordnet würde.
Die Antragsgegnerin hatte dem Bescheid vom 13. April 2016 im Übrigen auch keine nach § 80 Abs. 3 VwGO notwendige Begründung für eine sofortige Vollziehbarkeit beigefügt.
Da der Bescheid vom 13. April 2016 auf Grund des gegen ihn eingelegten Widerspruchs nicht bestandskräftig ist und seine sofortige Vollziehung von der Antragsgegnerin nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde, sind die der Antragstellerin in dem Bescheid gemachten Auflagen nicht vollstreckbar.
Damit kann die Antragsgegnerin aus der Nichtbefolgung der Auflagen, d. h. der Weigerung das unter Ziffer 1 Unterziffer I angeordnete ärztliche Gutachten beizubringen, nicht gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf die Ungeeignetheit der Antragstellerin zum Führen von Kraftfahrzeugen der Gruppe 1 schließen.
Die Entziehung der Fahrerlaubnis der Antragstellerin, also der Aberkennung des Rechts von ihrer polnischen Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Gebrauch zu machen, erweist sich somit als rechtswidrig.
Es besteht damit auch keine Verpflichtung der Antragstellerin zur Vorlage ihres Führerscheins bei der Antragsgegnerin zwecks Eintrags eines Vermerks entsprechend Ziffer 1 des Bescheides vom 2. März 2017.
Das private Interesse der Antragstellerin an dem Erhalt ihrer polnischen Fahrerlaubnis, d.h. des Rechts von ihr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Gebrauch machen zu dürfen, überwiegt das öffentliche Interesse, weil es an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kein besonderes öffentliches Interesse geben kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz – GKG – (vgl. Nr. 1.5 i. V. m. Nrn. 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i. d. F. vom 18. Juli 2013 [NVwZ 2013 Beilage 58]).