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OLG München Beschluss vom 21.12.2016 - 10 U 4448/16 - Unfall beim Ausscheren aus einer Kolonne zum Überholen
OLG München v. 21.12.2016: Haftungsverteilung bei Unfall durch Ausscheren aus einer Kolonne zum Überholen
Das OLG München (Beschluss vom 21.12.2016 - 10 U 4448/16) hat entschieden:
Schert ein Kfz-Führer aus einer Kolonne aus, um sich durch Überholen an deren Spitze zu setzen, und kommt es dabei zu einer Kollision mit einem nachfolgenden - ebenfalls überholwilligen Kfz -, weil der Ausscherende sich nicht genügend sorgfältig über von hinten herannahenden Verkehr vergewissert hat oder jedenfalls willens war, das Überholen noch vor dem von hinten herannahenden Fahrzeug zu beenden, so trifft ihn die Schuld an dem Unfall, wobei sein Haftungsanteil lediglich wegen der von dem von hinten Herannahenden ausgehenden Betriebsgefahr auf 80% vermindert wird.
Siehe auch Überholen einer Kolonne und Stichwörter zum Thema Überholen
Siehe auch das hierzu gehörende Urteil des OLG München vom 24.02.2017das
Verfügung:
I.
Vor einer Sach- oder Verfahrensentscheidung wird den Beklagten gemäß § 521 II 1 ZPO eine Frist zur Berufungserwiderung bis zum 20.01.2017 gesetzt.
Die Beklagten werden gemäß §§ 521 II 2, 277 ZPO darauf hingewiesen, dass bei Versäumung der vorgenannten Frist eine Zurückweisung der Angriffs- und Verteidigungsmittel gemäß §§ 530, 296 I, IV ZPO erfolgen kann.
Gründe:
II.
Es wird gem. § 139 ZPO auf Folgendes hingewiesen:
1.) Zur Haftungsverteilung:
Ausgehend von den vom Erstgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellten und daher den Senat gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindenden Tatsachen ist weder eine Haftungsverteilung im Verhältnis 60 : 40 zu Lasten der Beklagten (so das Erstgericht) noch eine solche im Verhältnis 100 : 0 zu Lasten der Beklagten (so der Kläger und Berufungskläger) zutreffend, sondern eine solche von 80 : 20 zu Lasten der Beklagten. Denn während der Beklagten zu 1) ein Verschulden an dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall nachgewiesen worden ist, ist dem Kläger kein Verschulden nachgewiesen worden. Allerdings tritt die allgemeine, mit 20% zu bewertende Betriebsgefahr des klägerischen Pkws nicht zurück. Im Einzelnen:
a) Der Beklagten zu 1) ist ein Verschulden am streitgegenständlichen Verkehrsunfall nachgewiesen worden, nämlich ein Verstoß gegen das in § 5 IV 1 StVO normierte Gebot, sich beim Überholen so zu verhalten, dass eine Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs ausgeschlossen ist. Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob sie gegen dieses Gebot dadurch verstoßen hat, dass sie sich schlicht nicht hinreichend vergewissert hatte, dass sie zum Überholen ausscheren konnte, ohne den nachfolgenden Verkehr zu gefährden, worauf die klägerische Version vom Unfallhergang hindeutet, oder ob es so war, wie sie selbst vorgetragen hat, dass sie nämlich den bereits im Überholvorgang befindlichen klägerischen Pkw erkannt hatte und gleichwohl - unter grober Verkennung der Umstände - nach links ausscherte, um noch vor dem klägerischen Pkw ihrerseits das erste Fahrzeug der Kolonne zu überholen.
b) Entgegen den Ausführungen im Ersturteil ist demgegenüber dem Kläger kein Verschulden nachgewiesen worden. Soweit das Erstgericht ein solches in einem vermeintlichen Verstoß des Klägers gegen das in § 5 III Nr. 1 StVO normierte Verbot, bei unklarer Verkehrslage zu überholen, sieht und dies damit begründet, dass es angesichts der Gesamtumstände (erlaubte 100 km/h, ungehinderte Sicht nach vorne, kein Gegenverkehr, Geschwindigkeit des vordersten Fahrzeugs nur 80 km/h) „überaus nahe“ gelegen habe, dass auch weitere in der Kolonne fahrende Fahrzeugführer zum Überholen ansetzen würden, entspricht dies nicht der ständigen Rechtsprechung, wonach das Überholen einer Kolonne als solches noch keinen Fall des Überholens bei unklarer Verkehrslage darstellt, sondern dass dafür besondere Umstände hinzukommen müssen (vgl. König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 5 StVO, Rdnr. 34 m.w.N.). Die o.g. vom Erstgericht genannten Umstände stellen keinesfalls solche besonderen Umstände dar. Anders würde es sich beispielsweise verhalten, wenn - wie in dem vom Senat mit Urteil vom 09.04.2010, Az.: 10 U 4406/09, juris, entschiedenen Fall - die zu überholenden Fahrzeuge langsamer werden und nach links blinken oder - wie in dem vom OLG Karlsruhe mit Urteil vom 26.07.2001, Az.: 9 U 195/00, NZV 2001,473, entschiedenen Fall - die Kolonne nur mit ca. 25 km/h fährt und ein Überholen zuvor durch eine durchgezogene gerade Linie auf der Fahrbahnmitte untersagt war.
c) Die mit 20 % zu bewertende allgemeine Betriebsgefahr des klägerischen Pkws tritt nicht zurück. Denn zum einen war der Unfall für den Kläger bereits deswegen nicht unvermeidbar, weil das Überholen der Kolonne zwar nicht unzulässig war, ein Idealfahrer dies jedoch angesichts der mit derartigem Kolonnenspringen verbundenen abstrakten Selbst- und Fremdgefährdung unterlassen hätte. Zum anderen ist das Verschulden der Beklagten zu 1) auch nicht dermaßen überwiegend, dass unter diesem Gesichtspunkt nur eine Haftung im Verhältnis von 100 : 0 angemessen wäre. Dabei kann abermals dahin gestellt bleiben, ob die Beklagte zu 1) schlicht unaufmerksam war oder ob sie aufmerksam war, aber die Umstände grob verkannte. Denn beide Alternativen sind als gleichgewichtig zu bewerten. In jedem Fall stand diesem Fehlverhalten der Beklagten zu 1) das Kolonnenspringen durch den Kläger gegenüber, welches zwar nicht zu einer Erhöhung des Betriebsgefahr des klägerischen Pkws führt, diese aber eben auch nicht zurücktreten lässt.
2.) Zur Anspruchshöhe:
a) Auszugehen ist - entsprechend den insoweit nicht zu beanstandenden Ausführungen im Ersturteil - von einem Gesamtschaden in Höhe von 7.901,20 €. 80 % hiervon sind 6.320,96 €.
b) Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten ergibt sich folgende Rechnung: (405,00 € x 1,3 + 20,00 €) x 1,19 = 650,34 €.