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BGH Urteil vom 13.05.1993 - 4 StR 183/93 - Feststellung der Alkoholisierung bei unklaren Trinkmengenangaben

BGH v. 13.05.1993: Zur Feststellung der Alkoholisierung bei unklaren Trinkmengenangaben




Der BGH (Urteil vom 13.05.1993 - 4 StR 183/93) hat entschieden:

   Wenn die Feststellung der Anknüpfungstatsachen für eine Blutalkoholberechnung auch schwierig ist, entheben lückenhafte Angaben zu Trinkmengen und -zeiten den Tatrichter nicht in jedem Fall von der Verpflichtung, eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit anzustellen. Vielmehr ist diese aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses ermöglichen.

Siehe auch
Rückrechnung / Hochrechnung der alkoholischen Beeinflussung aus der BAK oder aus Trinkmengen
und
Stichwörter zum Thema Verkehrsstrafsachen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist, hat zum Strafausspruch Erfolg.

1. Der Angeklagte suchte am Abend des 17. März 1992 in Stendal zunächst eine Gaststätte auf, in der er "alkoholhaltige Getränke, zu deren Menge und Beschaffenheit er keine Angaben machte" (UA 3), zu sich nahm. Anschließend begab er sich in einen Nachtclub, wo er "mehrere" Gläser Whisky trank. Dort hielt sich auch Rechtsanwalt G. (das spätere Tatopfer) auf. Gegen 2 Uhr bot der ebenfalls in dem Nachtclub anwesende Heiko E. Rechtsanwalt G. an, ihn in seinem Pkw zum Hotel zu bringen. Rechtsanwalt G. war derart betrunken, dass er während der Fahrt einschlief. Der Angeklagte, der mitgefahren war, entschloss sich nunmehr, die Wehrlosigkeit des Rechtsanwalts auszunutzen und diesem "Wertvolles" wegzunehmen (UA 3). Er forderte E. deshalb auf, "eine Umleitung zu fahren" und dirigierte ihn zu einem Parkplatz am Friedhof, wo er den Rechtsanwalt aus dem Pkw zog und ihn im Scheinwerferlicht vor das Fahrzeug legte. Dort versetzte er ihm Schläge und Tritte gegen den Kopf und Oberkörper und nahm ihm die Brieftasche weg, in der sich unter anderem ca. 500 DM befanden. Anschließend fuhr er mit E. zu dem Nachtclub zurück. Den Geschädigten ließ er verletzt liegen.

Im Rahmen der Prüfung der Schuldfähigkeit des Angeklagten führt die Strafkammer aus, dessen Einlassungen zur Trinkmenge seien "sehr unklar" geblieben und ergäben keinen Anlass, "auf eine Blutalkoholkonzentration zurückzurechnen, die das Vorliegen des § 21 StGB begründet" (UA 9). Auf die uneingeschränkt bestehende Schuldfähigkeit des Angeklagten schließt das Landgericht allein aus dessen "zielstrebig und abgeklärt" vollzogener Entschlussfassung und Tatbegehung.

2. Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer bei dem Angeklagten eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB verneint, begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.




a) Aufgrund der in den Urteilsgründen mitgeteilten Einlassung des Angeklagten lässt sich sein Alkoholkonsum vor der Tatbegehung nicht sicher feststellen. Das Urteil teilt nicht mit, weshalb "auch anhand anderer Beweise die Trinkmenge nicht nachvollziehbar" (UA 9) war. Der Senat vermag daher nicht zu beurteilen, ob hinreichende Anknüpfungstatsachen für eine Blutalkoholberechnung fehlen. Wenn dies im Einzelfall auch schwierig sein mag, entheben lückenhafte Angaben zu Trinkmengen und -zeiten den Tatrichter nicht in jedem Fall von der Verpflichtung, eine Berechnung der Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit anzustellen (BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 23). Vielmehr ist diese aufgrund von Schätzungen unter Berücksichtigung des Zweifelssatzes auch dann vorzunehmen, wenn die Einlassung des Angeklagten sowie gegebenenfalls die Bekundungen von Zeugen zwar keine sichere Berechnungsgrundlage ergeben, jedoch eine ungefähre zeitliche und mengenmäßige Eingrenzung des Alkoholgenusses ermöglichen. In einem solchen Fall muss der Tatrichter angeben, von welchem höchstmöglichen Blutalkoholwert (zu dessen Berechnung: Salger DRiZ 1989, 174) er ausgeht und auf welchen Berechnungsgrundlagen (Alkoholmenge, Trinkzeit, Körpergröße und -gewicht des Angeklagten, Alkoholabbau, Resorptionsdefizit) er diesen feststellt. Der so ermittelte Blutalkoholwert hat bei der Prüfung, ob die Schuld des Täters zur Tatzeit erheblich eingeschränkt war, eine gewichtige Indizfunktion, weil bei einem Blutalkoholgehalt von 2 Promille an eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB zumindest in Betracht kommt (BGHSt 35, 308, 312; 36, 286, 288; 37, 231, 239; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 4, 13, 23). Demgegenüber schließen die vom Landgericht aufgeführten Umstände die Möglichkeit einer alkoholbedingt erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit nicht aus. Planmäßiges, zielstrebiges und folgerichtiges Vorgehen des Täters hat in erster Linie Beweiswert für die Frage der Einsichtsfähigkeit des Täters, steht einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit aber nicht entgegen (BGHSt 37, 231, 242; BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 4, 11, 15).

b) Der Schuldspruch wird von diesem Rechtsfehler nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass der Tatrichter in einer neuen Hauptverhandlung zu Feststellungen gelangt, die die vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 20 StGB belegen könnten.




3. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass den Trinkmengenangaben von Angeklagten häufig mit Vorsicht zu begegnen sein wird. Der Tatrichter ist nicht gezwungen, derartige Angaben ohne weiteres hinzunehmen. Vielmehr hat er sich im Rahmen freier Beweiswürdigung aufgrund aller im konkreten Fall gegebenen Erkenntnismöglichkeiten seine Überzeugung von der vom Angeklagten vor der Tat genossenen Alkoholmenge zu verschaffen (BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 22 m. zahlr. w. Nachw.). Sieht er Trinkmengenangaben eines Angeklagten als nicht widerlegt an, vermag er sich aber nicht davon zu überzeugen, dass diese zu dem errechneten Maximalwert geführt haben, so gebietet der Zweifelssatz, im Bereich zwischen dem theoretisch höchsten und dem niedrigsten Wert gegebenenfalls mit Hilfe eines Sachverständigen die höchstmögliche Tatzeit-​Blutalkoholkonzentration zu bestimmen, die unter Berücksichtigung gesicherter wissenschaftlicher Erfahrungssätze und des konkreten Tatgeschehens bei dem Angeklagten nicht ausschließbar gegeben war (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 1, 7, 8, 18). Der neue Tatrichter wird auch die von der Revision vermisste nachträgliche Gesamtstrafenbildung zu prüfen haben. Kommt die Bildung einer Gesamtstrafe in Betracht, so darf diese grundsätzlich nicht dem Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen werden (std. Rspr.; BGHSt 23, 98, 99).

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