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OLG Hamm Beschluss vom 11.04.2016 - III-4 RBs 74/16 - Zulassungsvoraussetzungen einer Rechtsbeschwerde

OLG Hamm v. 11.04.2016: Zur Beweiswürdigung im tatrichterlichen Urteil hinsichtlich der Fahreridentifizierung auf der Grundlage eines Lichtbilds


Das OLG Hamm (Beschluss vom 11.04.2016 - III-4 RBs 74/16) hat entschieden:
  1. Zu den Zulassungsvoraussetzungen einer Rechtsbeschwerde.

  2. Zu den Anforderungen an die Beweiswürdigung im tatrichterlichen Urteil hinsichtlich der Fahreridentifizierung auf der Grundlage eines Lichtbilds (Radarfotos).

Siehe auch Lichtbildbeweis - Radarfoto und Die Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen


Gründe:

Der Antrag des Betroffenen vom 20.01.2016 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdinghausen vom 18.01.2016, mit welchem er wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zu einer Geldbuße von 125,00 EUR verurteilt worden ist, ist gem. § 80 Abs. 3 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig.

In der Sache ist der Antrag aber unbegründet, da es nicht gemäß § 80 Abs. 1 OWiG geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Das vorliegende Verfahren bietet keinen Anlass, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 OWiG zur Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts oder zur rechtsschöpferischen Ausfüllung von Gesetzeslücken aufzustellen oder zu festigen (OLG Hamm NZV 2008, 417; NZV 2006, 217; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80 OWiG Rn. 3). Demnach kommt die Fortbildung des Rechts nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet der vorliegende Einzelfall keinen Anlass, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die Anforderungen an die Urteilsgründe bei der Identifizierung eines Betroffenen als Fahrer eines Pkws zum Zeitpunkt eines Verkehrsverstoßes anhand eines bei dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes sind in der Rechtsprechung hinreichend geklärt.

Darüber hinaus bietet das vorliegende Verfahren auch keinen Anlass, die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 OWiG zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder Fortbestehen würden (Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80 OWiG Rn. 4). Dabei kommt es darauf an, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. Die Zulassung einer Rechtsbeschwerde kommt allerdings nicht nur bei entscheidungserheblichen und klärungsbedürftigen Rechtsfragen, sondern auch in den Fällen in Betracht, in denen die Urteilsgründe der angefochtenen Entscheidung besorgen lassen, dass der jeweils entscheidende Tatrichter auch zukünftig die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht beachten wird. Bei einer Fehlentscheidung, die sich nur im Einzelfall auswirkt, ist die Einheitlichkeit der Rechtsprechung allerdings noch nicht gefährdet, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist (OLG Hamm NZV 1993, 204; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80 OWiG Rn. 5). Vielmehr muss hinzukommen, dass die Entscheidung in einer grundsätzlichen Frage getroffen worden ist, dass sie schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsanwendung auslösen würde oder dass ohne die höchstrichterliche Entscheidung mit weiteren Fehlentscheidungen in gleich gelagerten Fällen gerechnet werden kann, wobei dabei die Frage der Wiederholungsgefahr der maßgebliche, wenngleich nicht der einzige, Gesichtspunkt ist.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze bietet der vorliegende Einzelfall keinen Anlass, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Entgegen der Ausführungen des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdebegründung weicht die angefochtene Entscheidung weder von der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung ab noch sind elementare Verfahrensgrundsätze verletzt worden.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch und genügen insbesondere - entgegen der Ausführungen des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdebegründung - den Anforderungen an die Feststellungen, welche bei der Verwendung eines standardisierten Messverfahrens an die Darstellung einer Abstandsunterschreitung zu stellen sind. Bei der Anwendung eines standardisierten Messverfahrens reicht es grundsätzlich aus, dass im Urteil das angewendete Messverfahren und das Messergebnis mitgeteilt wird (vgl. OLG Bremen DAR 2011, 35; OLG Dresden DAR 2005, 637; NStZ-​RR 2005, 117). Dies bedeutet, dass in den Feststellungen - wie hier - neben dem angewendeten Messverfahren grundsätzlich nur die gemessene Geschwindigkeit nebst Toleranzabzug sowie der ermittelte vorwerfbare Abstandswert mitgeteilt werden müssen. Dabei weist der Senat ergänzend darauf hin, dass eine Abstandsmessung mit dem Verkehrs-​Kontroll-​System Typ VKS 3.0 (Auswerteprogramm Softwareversion VKS 3.2 3D) des Herstellers Vidit Systems GmbH von den erstinstanzlichen Gerichten bereits mehrfach als standardisiertes Messverfahren bewertet worden ist (vgl. AG Castrop-​Rauxel, Urteil vom 22.01.2016, Az. 6 OWi - 265 Js 2202/15 - 200/15; AG Groß-​Gerau, Urteil vom 03.06.2013, Az. 30 OWi - 8000 Js 15439/13). Auch die früheren Softwareversionen sind in der obergerichtlichen Rechtsprechung als standardisierte Messverfahren bewertet worden (vgl. OLG Bremen DAR 2011, 35; OLG Dresden DAR 2005, 637).

Weiter genügt die angefochtene Entscheidung auch den in der obergerichtlichen Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an die Urteilsgründe bei der Identifizierung eines Betroffenen als Fahrer eines Pkws zum Zeitpunkt eines Verkehrsverstoßes anhand eines bei dem Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes. Danach müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht überprüfen kann, ob das jeweilige Lichtbild überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er - wie hier - in den Urteilsgründen gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO (ausdrücklich) auf das sich in der Verfahrensakte befindliche Lichtbild Bezug nimmt. Durch die Bezugnahme, welche deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden muss, wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe und das Rechtsbeschwerdegericht hat insoweit die Möglichkeit, das Lichtbild aus eigener Anschauung zu würdigen und zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung generell tauglich ist (BGH NJW 1996, 1420 m. w. N.). Macht der Tatrichter von dieser Möglichkeit Gebrauch, so sind darüber hinaus - entgegen der Ausführungen des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdebegründung - keine weiteren Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers oder aussagekräftiger Identifizierungsmerkmale in den Urteilsgründen erforderlich. Dies setzt allerdings voraus, dass das Lichtbild zur Identifizierung des Betroffenen uneingeschränkt geeignet ist (BGH a. a. O.). Das Amtsgericht ist hier ausweislich der Entscheidungsgründe davon ausgegangen, dass das Lichtbild trotz der Verdeckung der Haare des Fahrzeugführers und der von diesem auf dem Bild getragenen Sonnenbrille dennoch qualitativ und inhaltlich ausreichend ist, um ein Wiedererkennen bzw. eine Identifizierung des Fahrzeugführers zu ermöglichen. Auch der Senat teilt diese Auffassung. Das sich in der Verfahrensakte befindliche Lichtbild des Fahrzeugführers zum Zeitpunkt des Verkehrsverstoßes ist qualitativ und auch inhaltlich trotz der Verdeckung seines Haaransatzes und der von ihm getragenen Sonnenbrille aufgrund der übrigen zu erkennenden Identifizierungsmerkmale (jedenfalls noch) ausreichend, um eine einwandfreie Identifizierung des Fahrzeugführers zu ermöglichen. Insoweit bedurfte es in den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung keiner weiteren Ausführungen dazu, aufgrund welcher (auf dem Lichtbild erkennbaren) Identifizierungsmerkmale das Amtsgericht die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat. Ist das Lichtbild aber - wie hier - aufgrund seiner Qualität und seines Inhalts zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet, kann von dem Betroffenen im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht gerügt werden, dass er entgegen der Überzeugung des Tatrichters nicht mit der auf dem jeweiligen Lichtbild abgebildeten Person identisch sei. Eine Überprüfung der tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich untersagt (BGH NJW 1996, 1420; NJW 1979, 2318). Dies folgt auch daraus, dass eine solche Überprüfung eine Inaugenscheinnahme des Betroffenen voraussetzte, was aber ohne eine unzulässige (teilweise) Rekonstruktion der Hauptverhandlung nicht möglich wäre.

Schließlich ist das Urteil auch nicht gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Insbesondere stellt die Ablehnung des Beweisantrages des Betroffenen vom 18.01.2016 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Identität des Betroffenen bzw. des Fahrers, keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Sinne des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, die mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden muss, liegt nur dann vor, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Verfahrensmangel beruht, der seinen Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811; OLG Hamm NZV 2008, 417; NZV 2006, 217; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80 OWiG Rn. 16a). In der fehlerhaften Ablehnung eines Beweisantrages kann eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör demnach nur liegen, wenn die Ablehnung des Beweisantrages willkürlich ist, also ohne eine nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückführbare Begründung erfolgt und unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und es sich aufdrängt und nicht zweifelhaft erscheint, dass das Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht deshalb nicht standhalten würde (vgl. OLG Hamm NZV 2008, 417; NZV 2006, 217; OLG Hamm, Beschluss vom 30.01.2012, Az. III-​3 RBs 382/11; Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80 OWiG Rn. 16a). Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass dem Betroffenen die Gelegenheit gegeben werden muss, sich dem Gericht gegenüber zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen, und dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss. Unabhängig von der Frage, ob die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs hier überhaupt in der erforderlichen Form erhoben worden ist, ist sie jedenfalls in der Sache unbegründet. Von einer Versagung des rechtlichen Gehörs kann im vorliegenden Verfahren insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen in den Urteilsgründen zu dem hier in Rede stehenden Beweisbegehren nicht ausgegangen werden. Der § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG lässt die Ablehnung eines Beweisantrages zu, wenn das erkennende Gericht aufgrund der bereits durchgeführten Beweisaufnahme den Sachverhalt für so eindeutig geklärt hält, dass nach pflichtgemäßem Ermessen beurteilt die beantragte Beweiserhebung die eigene Beurteilung der Sachlage nicht ändern vermöchte. Davon ist das Amtsgericht hier aufgrund des Ergebnisses der bereits durchgeführten Beweisaufnahme offenbar ausgegangen und hat die beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens abgelehnt. Die Ablehnung des hier in Rede stehenden Beweisantrages erfolgte insoweit - entgegen der Ausführungen des Betroffenen - weder willkürlich noch aus sachfremden Erwägungen. Dabei konnte die Ablehnung des Beweisantrages des Betroffenen vom 18.01.2016 in der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2016 - wiederum entgegen der Ausführungen des Betroffenen in der Rechtsbeschwerdebegründung - hier gemäß § 77 Abs. 3 OWiG sehr wohl zunächst darauf beschränkt werden, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit aus Sicht des Amtsgerichts nicht erforderlich war, da die Ablehnung des Beweisantrages im Rahmen der Beweiswürdigung in den Gründen des angefochtenen Urteils nachfolgend in einer Form begründet worden ist, welche eine Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht ermöglicht (Göhler, OWiG, 16. Auflage, § 77 OWiG Rn. 26). Die Begründung in den Urteilsgründen im Anschluss an einen zuvor mit einer Kurzbegründung nach § 77 Abs. 3 OWiG abgelehnten Beweisantrag ist bereits dann ausreichend, wenn ihr - wie hier - im Zusammenhang entnommen werden kann, dass der Sachverhalt aufgrund der bereits durchgeführten Beweisaufnahme aus Sicht des Amtsgerichts so eindeutig geklärt war, dass die zusätzlich beantragte Beweiserhebung an der Überzeugung des Gerichts nichts geändert hätte und insoweit für die weitere Aufklärung des Sachverhalts entbehrlich gewesen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 473 Abs. 1 StPO.