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Amtsgericht München Urteil vom 19.06.2015 - 191 C 8106/15 - Geschuldete Beschaffenheit bei Veräußerung eines als „scheckheftgepflegt“ bezeichneten Pkw

AG München (Urteil vom 19.06.2015: Geschuldete Beschaffenheit bei Veräußerung eines als „scheckheftgepflegt“ bezeichneten Pkw


Das Amtsgericht München (Urteil vom 19.06.2015 - 191 C 8106/15) hat entschieden:
  1. Bezeichnet der Verkäufer in seinem Verkaufsangebot den angebotenen Gebrauchtwagen (wahrheitswidrig) als „scheckheftgepflegt“, hat diese Angebotsbeschreibung nicht lediglich werbenden Charakter, sondern bestimmt von vornherein seine Pflichten als Verkäufer. Die Scheckheftpflege eines Fahrzeuges stellt eine Beschaffenheit dar, da sie ein wertbildender Faktor des Fahrzeugs und damit eine Eigenschaft der Sache ist. Daher haben die Vertragsparteien die Eigenschaft „scheckheftgepflegt" auch dann als Beschaffenheit wirksam vereinbart, wenn diese im Kaufvertrag nicht mehr explizit aufgeführt wird.


    Der Verkäufer kann sich nicht auf einen vereinbarten Gewährleistungsausschluss berufen, wenn die Parteien eine Beschaffenheit i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB vereinbart haben. Eine ausdrücklich vereinbarte Beschaffenheit wird von einem zugleich vereinbarten Gewährleistungsausschluss nicht erfasst.

Siehe auch Gewährleistung und Garantie beim Gebrauchtwagenkauf und Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Tatbestand:

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein gebrauchtes Fahrzeug in Anspruch.

Auf Grundlage eines vom Beklagten geschalteten Angebots auf der Internetplattform „m....de" erwarb die Klägerin am 08.11.2014 das Fahrzeug VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen …, Fahrzeug-​Ident.-​Nr. … zu einem Kaufpreis von 1.950,00 EUR. Das Inserat wies zur Beschreibung des Fahrzeuges unter anderem das Jahr der Erstzulassung als 09/1997, die Leistung des Fahrzeuges mit 55 KW und bei der Ausstattung u. a. die Eigenschaft als „scheckheftgepflegt" aus.

Am 08.11.2014 schlossen die Parteien unter Zuhilfenahme des ADAC Vordrucks für den privaten Verkauf von gebrauchten Fahrzeugen einen Kaufvertrag, in welchem das Datum der Erstzulassung von 09/1997 auf 09/1996 korrigiert wurde. Unterhalb der Kaufpreisangabe findet sich der Hinweis, dass das Fahrzeug „unter Ausschluss der Sachmängelhaftung" verkauft wird.

Die Klägerin ließ das Fahrzeug am 13.01.2015 in einer Werkstatt untersuchen. Dabei konnten einzelne Durchrostungen sowie weitere Mängel an dem Fahrzeug festgestellt werden.

Mit Anwaltsschreiben vom 29.01.2015 wurde der Beklagte zur Mängelbeseitigung bis spätestens 09.02.2015 aufgefordert. Der Beklagte wies dies mit Anwaltsschreiben vom 04.02.2015 zurück. Mit Schreiben vom 05.03.2015 erklärte die Klägerin daraufhin den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Beklagten dazu auf, bis spätestens 16.03.2015 das Fahrzeug bei ihr abzuholen, Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr stehe ein Rücktrittsrecht zu, da das Fahrzeug zum Zeitpunkt der Übergabe nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufgewiesen habe. Das Fahrzeug sei entgegen der Anzeige nicht scheckheftgepflegt und weise zudem eine Motorleistung von lediglich 44 KW statt 55 KW auf. Zudem seien Durchrostungen an Schweller, Kotflügel vorne links und Radläufe hinten, Hilfsrahmen und Radhausschale vorhanden.

Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.950,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2015 Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeuges VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen …, Fahrzeug-​Ident-​Nr. …, sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass aufgrund des Alters des Fahrzeuges hinsichtlich sämtlicher gerügter Mängel von altersbedingtem Verschleiß auszugehen sei. Der Beklagte trägt ferner vor, dass das Fahrzeug von der Klägerin und dem Bruder der Klägerin vor dem Kauf genau angeschaut und auch lange Zeit Probe gefahren worden sei. Er ist der Meinung, dass damit die Gewährleistung nach § 442 Abs. 1 S. 1 BGB ausgeschlossen sei. Schließlich sei auch ein wirksamer Gewährleistungsausschluss vereinbart worden.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der Zulassungsbescheinigungen Teil I und II des streitgegenständlichen Fahrzeuges. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 05.05.2015 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 05.05.2015 verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.

I. Das Amtsgericht München ist sowohl örtlich als auch sachlich zuständig, §§ 12, 13 ZPO, § 23 Nr. 1 GVG.

II. Der Klägerin steht gegen den Beklagten gemäß §§ 346 Abs. 1 ‚ 437 Nr. 2, 434, 323 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges zu.

1. Die Parteien schlossen am 08.11.2014 einen Kaufvertrag über den Pkw VW Polo mit dem amtlichen Kennzeichen … zum Preis von 1.950,00 EUR.

2. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Rückgewähr der empfangenen Leistungen zu, da das bezeichnete Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe nicht die vertraglich vereinbarte Beschaffenheit aufwies und damit mangelhaft war, § 434 Abs. 1 S. 1 BGB. Eine Beschaffenheitsvereinbarung lag hinsichtlich der Eigenschaft „scheckheftgepflegt" sowie der Motorleistung des Fahrzeuges vor.

Unter Beschaffenheit i.S.d. § 434 Abs. S. 1 BGB fällt jede Eigenschaft und jeder der Sache anhaftende tatsächliche, wirtschaftliche oder rechtliche Umstand. Vereinbart ist die Beschaffenheit, wenn der Inhalt des Kaufvertrages von vornherein oder nachträglich die Pflicht des Verkäufers bestimmt, die gekaufte Sache in dem Zustand zu übereignen und zu übergeben, wie ihre Beschaffenheit im Vertrag festgelegt ist. Eine vom Vertragsinhalt umfasste Beschreibung der Beschaffenheit der Sache genügt. Bloß einseitige Erwartungen oder Vorstellungen einer Partei reichen für die Vereinbarung einer Beschaffenheit in der Regel nicht aus (Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Auflage, § 434 Rn. 14, 15).

Dabei können Erklärungen des Verkäufers in der Werbung bei der Auslegung des Kaufvertrages berücksichtigt werden, wenn sie eine Erwartungshandlung des Käufers begründen (vgl. OLG Hamm NJW-​RR 2009, 485, 487; KG Berlin, Urt. v. 01.09.2011, Az. 8 U 42/10; BGH NJW 1981, 2295).

a. Die Parteien haben die Eigenschaft „scheckheftgepflegt" als Beschaffenheit wirksam vereinbart, auch wenn diese im Kaufvertrag vom 08.11.2014 nicht mehr explizit aufgeführt wurde. Die Scheckheftpflege eines Fahrzeuges stellt eine Beschaffenheit dar, da sie einen wertbildenden Faktor des Fahrzeugs und damit eine Eigenschaft der Sache ist. Die Angebotsbeschreibung bei m....de hat nicht lediglich werbenden Charakter, sondern soll von vornherein die Pflicht des Beklagten bestimmen. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass im Kaufvertragsformular eine nähere Beschreibung des Fahrzeuges hinsichtlich Ausstattung und Zustand des Fahrzeugs nicht mehr im Detail erfolgt. Die Scheckheftpflege als Beschaffenheit des Fahrzeuges stellt auch nicht bloß eine einseitige Erwartung der Klägerin dar, da der Beklagte ohne Anlass darauf im Internetangebot hinweist und somit die Erwartung nicht einseitig von der Klägerin ausging. Für die Klägerin war die Angabe, dass das Fahrzeug scheckheftgepflegt ist, maßgebend für den Kaufentschluss. Sie konnte erwarten, dass die vorgeschriebenen Inspektionen von einer hierzu autorisierten Fachwerkstatt durchgeführt und im Scheckheft dokumentiert sind.

Die Kaufsache entspricht nicht der vereinbarten Beschaffenheit. Ein Scheckheft ist für das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig nicht vorhanden. Dem Beklagten gelang auch nicht der Nachweis, dass die vorgeschriebenen Inspektionen von einer hierzu autorisierten Fachwerkstatt durchgeführt wurden.

Der Beklagte wurde in der mündlichen Verhandlung vom 05.05.2015 angehört und gab hierzu an, dass er das Fahrzeug für seine Mutter verkauft habe. Seine Mutter sei maximal eineinhalb Jahre Eigentümerin des Fahrzeuges gewesen. In dieser Zeit habe sie das Fahrzeug einmal zur Inspektion gebracht. Die Vorbesitzerin habe ihm nur mündlich zugesichert, dass das Fahrzeug regelmäßigen Inspektionen unterzogen worden sei. In welchen Abständen diese bei der Vorbesitzerin erfolgt seien, könne er jedoch nicht sagen.

Die Klägerin legte dem Gericht als Beweis die Zulassungsbescheinigungen Teil I und II vor, die mit den Parteien in Augenschein genommen wurden. Aus diesen geht hervor, dass die Mutter des Beklagten über drei Jahre und nicht nur eineinhalb Jahre Eigentümerin des Fahrzeugs gewesen ist, so dass die Angaben des Beklagten insoweit nicht den Tatsachen entsprachen.

Ein Vermerk im Internetangebot aus dem hervorgeht, dass die Scheckheftgepflegtheit des Fahrzeuges allein auf Angaben aus dritter Hand beruht, also bloße Wissensvermittlung darstellt, fehlt jedoch gänzlich. Die Angaben des Beklagten erfolgten demnach ohne gesicherte Grundlage „ins Blaue" hinein.

b. Eine weitere Beschaffenheitsvereinbarung im Sinne des § 434 Abs. 1 S. 1 BGB haben die Parteien über die Motorleistung des Fahrzeugs in Höhe von 55 KW getroffen. Obwohl im Kaufvertrag vom 08.11.2014 auf die Motorleistung nicht erneut eingegangen wurde, hat die Angabe im Angebot auch hier nicht nur werbenden Charakter, sondern bestimmt die geschuldete Leistungspflicht des Beklagten.

Aus den in Augenschein genommenen Zulassungsbescheinigungen Teil I und II des streitgegenständlichen Fahrzeugs stellte das Gericht fest, dass die Leistung des Fahrzeugs lediglich 44 KW, anstatt der im Angebot zugesicherten 55 KW beträgt.

c. Ob die weiteren klägerseits vorgetragenen Sachmängel bloße Verschleißerscheinungen darstellen, kann für die vorliegende Entscheidung dahinstehen, da aufgrund der fehlenden Beschaffenheit ein Mangel vorliegt.

3. Unabhängig davon, dass eine Fristsetzung zur Nacherfüllung aufgrund der hier vorliegenden fehlenden Beschaffenheit entbehrlich wäre, wurde dem Beklagten eine Frist zur Nacherfüllung bis zum 09.02.2015 gesetzt, welche fruchtlos verstrichen ist.

4. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 05.03.2015 vom Kaufvertrag zurückgetreten, § 349 BGB.

5. Auf einen Gewährleistungsausschluss kann sich der Beklagten nicht berufen, da die Parteien vorliegend eine Beschaffenheit i.S.d. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB vereinbart haben. Eine ausdrücklich vereinbarte Beschaffenheit wird von einem zugleich vereinbarten Gewährleistungsausschluss nicht erfasst (BGH NJW 2007, 1346, 1349).

Abgesehen davon müsste sich der Beklagte bei einem Gewährleistungsausschluss den Vorwurf der Arglist gefallen lassen und könnte sich gemäß § 444 BGB wegen der vorbezeichneten Mängel nicht auf den Haftungsausschluss berufen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt ein Verkäufer arglistig, wenn er zu Fragen, deren Beantwortung erkennbar maßgebliche Bedeutung für den Kaufentschluss seines Kontrahenten hat, ohne tatsächliche Grundlagen ins Blaue hinein unrichtige Angaben macht (BGH, NJW 2006, 2839 m.w.N.). Zumindest davon ist hier auszugehen.

Der Beklagte hat das Fahrzeug als scheckheftgepflegt angeboten, ohne den Nachweis dafür zu erbringen, obwohl er wissen musste, ob die nach den Herstellerangaben erforderlichen Wartungen durch eine autorisierte Fachwerkstatt regelmäßig durchgeführt worden sind. Dass die Klägerin nicht sofort nach dem Scheckheft gefragt hat, lässt nicht den Schluss zu, dass die Scheckheftpflege für sie keine maßgebliche Bedeutung gehabt hätte. Vielmehr durfte die Klägerin sich auf die Angaben des Beklagten in dessen Angebot verlassen; dass sie es nicht sofort überprüft hat, hat nicht zur Folge, dass sie sich ihrer diesbezüglichen Rechte begeben hat.

6. Ein Ausschluss nach § 442 BGB scheidet vorliegend ebenfalls aus, da die Klägerin den Mangel nicht kannte oder ihr dieser infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist. Im Übrigen kann sich der Beklagte nicht auf § 442 BGB berufen, da er sich den Vorwurf der Arglist gefallen lassen müsste.

III. Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 280 Abs. 1‚ Abs. 2, 286 Abs. 1‚ 288 Abs. 1 BGB. Der Beklagte befindet sich seit dem 17.03.2015 mit der Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises in Verzug.

Infolge des Verzugs sind auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 255,85 Euro zu zahlen, §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1 BGB.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.