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Landgericht Berlin Urteil vom 10.10.2016 - (569) 232 AR 53/16 Ns (67/16) - Vertrauen auf ärztliches Attest
LG Berlin v. 10.10.2016: Krankheit als Entschuldigungsgrund und Vertrauen auf ärztliches Attest
Das Landgericht Berlin (Urteil vom 10.10.2016 - (569) 232 AR 53/16 Ns (67/16)) hat entschieden:
- Leidet ein Angeklagter lediglich unter Magenschmerzen und allgemeiner Erschöpfung, so ist ihm die Teilnahme an einer amtsgerichtlichen Hauptverhandlung mit einem einfach gelagerten Sachverhalt, zu dem lediglich zwei Zeugen geladen wurden, durchaus zuzumuten.
- Das Vertrauen auf ein ärztliches Attest entschuldigt den Angeklagten nicht in subjektiver Hinsicht, wenn ihm wegen einer leichten Erkrankung lediglich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, ohne dass die Frage der Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung angesprochen wird.
Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren
Gründe:
I.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht Tiergarten in Berlin am 03.03.2016 den Einspruch der Angeklagten gegen den wegen Beleidigung gegen sie erlassenen Strafbefehl vom 08.12.2015 verworfen, da die Angeklagte im Hauptverhandlungstermin ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben war.
Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte mit Schriftsatz ihres Verteidigers form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel, mit dem sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht erstrebt hat, bleibt ohne Erfolg.
II.
Die erneute Hauptverhandlung hat aufgrund der Vernehmung des Zeugen Dr. R. und der Verlesung des von der Angeklagten zu den Akten gereichten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 01.03.2016 zu der Feststellung geführt, dass die Angeklagte am Verhandlungstag lediglich an einer Gastritis und einem Erschöpfungszustand gelitten, die keine über Magenschmerzen und Appetitlosigkeit hinausgehenden Symptome hervorgerufen haben.
Die Angeklagte hat sich dahin eingelassen, sie habe Schmerzen gehabt und sei erschöpft gewesen und sei zum Arzt gegangen, um eine Bescheinigung zu erhalten, die sie dann auch bekommen habe.
Der Zeuge Dr. med. R., Facharzt für Innere Medizin, hat glaubhaft bekundet, die Angeklagte habe sich am 01.03.2016 eigenständig in seine ärztliche Behandlung begeben und über seit einigen Tagen zunehmende Schmerzen im Oberbauch, weicheren Stuhlgang und weniger Appetit als sonst geklagt. Darüber hinaus habe sie ihren Allgemeinzustand als erschöpft bezeichnet. Aufgrund einer Tastuntersuchung habe er normale Darmbewegungen und diffus verteilten Druckschmerz, speziell über dem Magenbereich, festgestellt. Er habe eine Gastritis diagnostiziert und die Angeklagte aufgrund ihrer Angaben rückwirkend vom 29.02.2016 bis zum 07.03.2016 krankgeschrieben. Laboruntersuchungen habe er nicht durchgeführt. Insoweit sei die Angabe ICD-10: K29. 7 G (Gastritis, hervorgerufen durch Helicobacter pylori) auf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unzutreffend, da die Ursache der Gastritis nicht festgestellt worden sei. Er habe der Angeklagten das gegen Magenentzündungen übliche Medikament Pantoprazol 40 mg verschrieben und geraten, mit der Kost vorsichtig zu sein, insbesondere nichts Fettes zu sich zu nehmen. Von einem Gerichtstermin sei bei der Untersuchung nicht die Rede gewesen.•Seinem Eindruck nach habe es sich um eine durchschnittliche Gastritis gehandelt, die der Teilnahme an einem Gerichtstermin nicht entgegengestanden habe. Wie es sich insoweit in Bezug auf die von der Angeklagten behauptete Erschöpfung verhalten habe, könne er heute mangels konkreter Erinnerung an das Erscheinungsbild der Angeklagten am 01.03.2016 nicht mehr sagen. Am 07.03.2016 habe sie ihn ein weiteres Mal aufgesucht. Zu diesem Zeitpunkt seien die Gastritissymptome rückläufig, aber noch vorhanden gewesen. Aufgrund einer Sehnenscheidenentzündung sei die Krankschreibung an diesem Tag bis einschließlich 11.03.2016 verlängert worden. Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben des Zeugen, bei dem die Angeklagte auch bereits vor dem 01.03.2016 in Behandlung war, hat die Kammer nicht.
III.
Die Berufung der Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da nach dem Vorstehenden die Voraussetzungen des § 412 StPO zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vorlagen. Denn eine Krankheit entschuldigt nur, wenn sie nach ihrer Art und ihren Auswirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen eine Beteiligung an der Hauptverhandlung unzumutbar macht (vgl. KG, Beschluss vom 21.02.2001 - 3 Ws 70/01 - mit weit. Nachweisen). Entscheidend ist dabei, in welchem Ausmaß eine Erkrankung die dem Betroffenen in der konkreten Verfahrenssituation zu gewährleistenden Mitwirkungsmöglichkeiten beeinträchtigt. Dabei hat das Gericht die Schwierigkeit des Verhandlungsgegenstandes und den jeweiligen Verfahrensstand in seine Beurteilung einzubeziehen (vgl. KG, Beschluss vom 02.06.2015 - 3 Ws (B) 124/15 - mit weit. Nachweisen). Danach war der Angeklagten, die lediglich unter Magenschmerzen und Erschöpfung litt, die Teilnahme an der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung, die einen einfach gelagerten Sachverhalt zum Gegenstand hatte und zu der lediglich zwei Zeugen geladen worden waren, nach Überzeugung der Kammer ohne weiteres zuzumuten.
Die Kammer verkennt nicht, dass ein Angeklagter auch in subjektiver Hinsicht entschuldigt sein kann, wenn er etwa im Vertrauen auf ein ärztliches Attest davon ausgegangen ist, ein Erscheinen sei ihm krankheitsbedingt nicht zuzumuten (vgl. KG a.a.O.). Dazu ist es aber nicht ausreichend, wenn dem Angeklagten - wie hier - wegen einer leichten Erkrankung lediglich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wird, ohne dass die Frage einer Teilnahme an einer Gerichtsverhandlung angesprochen und vom Arzt bejaht wird. Letzteres war nach den auch insoweit glaubhaften Angaben des Zeugen Dr. R. hier nicht der Fall.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.