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OLG Hamm Beschluss vom 09.03.2017 - 5 RBs 29/17 - Zulassungsvoraussetzungen der Rechtsbeschwerde

OLG Hamm v. 09.03.2017: Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und Gehörsverletzung durch Ablehnung eines Beweisantrags


Das OLG Hamm (Beschluss vom 09.03.2017 - 5 RBs 29/17) hat entschieden:
  1. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Es muss deshalb eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage vorliegen.

  2. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei hat, und wenn durch die Entscheidung zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt wird (vgl. hierzu BVerfG, NJW 1992, 2811). Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicher-stellen, dass einem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich dem Gericht gegen-über zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen und dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss.

  3. Zwar kann die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags die Gehörsrüge begründen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat, und wenn durch sie zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt wird.

Siehe auch Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren und Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Brilon hat den Betroffenen mit Urteil vom 07. Dezember 2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 80,00 EUR verurteilt.

Der Betroffene hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 14. Dezember 2016, eingegangen beim Amtsgericht Brilon per Telefax am selben Tage, die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen dieses Urteil beantragt. Die schriftlichen Urteilsgründe sind dem Verteidiger des Betroffenen am 04. Januar 2017 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 03. Februar 2017, eingegangen beim Amtsgericht Brilon per Telefax am selben Tag, hat der Verteidiger seinen Antrag vom 14. Dezember 2016 begründet. Er führt aus, eine Verletzung rechtlichen Gehörs liege vor. Der seitens der Verteidigung in der Hauptverhandlung gestellte Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei zu Unrecht abgelehnt worden. Das Urteil lasse jegliche inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Beweisantrag vermissen. Zudem werde die Verletzung sachlichen Rechts gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 17. Februar 2017 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Der Betroffene hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.


II.

Der form- und fristgerecht eingereichte Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zwar zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

Da das Amtsgericht den Betroffenen zu einer Geldbuße von nicht mehr als 100,00 EUR verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren nicht und wegen der Anwendung von materiellen Rechtsnormen nur zur Fortbildung des Rechts oder wegen der Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen.

1. Zur Fortbildung des Rechts ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen. Es muss deshalb eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und abstraktionsfähige Rechtsfrage vorliegen (vgl. Göhler, OWiG, 16. Aufl., § 80, Rn. 3).

Die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge führt nicht zur Aufdeckung einer solchen klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Frage. Dass es sich bei dem Messverfahren TraffiStar S 350 um ein sog. standardisiertes Messverfahren handelt, ist inzwischen obergerichtlich entschieden (vgl. Beschluss des Senats vom 31. März 2016 - Az. 5 RBs 38/16 -; OLG Schleswig, Beschluss vom 11. November 2016 - Az. 2 SsOWi 161/16 - zitiert nach burhoff.de). Die Sachrüge führt im Übrigen nicht zur Aufdeckung einer entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfrage. Die Rechtsbeschwerde zeigt eine solche auch nicht auf.

2. Aber auch unter dem Aspekt der Verletzung rechtlichen Gehörs dringt der Betroffene mit der Rüge der fehlerhaften Behandlung seines Beweisantrages nicht durch.

Eine Verletzung rechtlichen Gehörs ist nur dann gegeben, wenn die erlassene Entscheidung des Tatrichters auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Partei hat, und wenn durch die Entscheidung zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt wird (vgl. hierzu BVerfG, NJW 1992, 2811). Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicher-​stellen, dass einem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich dem Gericht gegen-​über zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen und dass das Gericht seine Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen muss. Da der Zulassungsgrund wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs nicht dazu dient, gleichsam ungeachtet der eingeschränkten Zulassungsvoraussetzungen der §§ 79 ff. OWiG eine umfassende Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu ermöglichen, kommt die Aufhebung des Urteils wegen Versagung des rechtlichen Gehörs nur in solchen Fällen in Betracht, in denen es sich aufdrängt und nicht zweifelhaft erscheint, dass ein Urteil einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten würde (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 27. März 2014 - Az. 5 RBs 51/14 - und vom 14. Februar 2014 - Az. 5 RBs 23/14 -). Dies gilt selbst dann, wenn das Amtsgericht einen vom Betroffenen gestellten Beweisantrag entgegen den Grundsätzen der §§ 77 OWiG, 244 StPO abgelehnt hat (vgl. NK - Gesamtes Verkehrsrecht, 1. Auflage 2014, § 80 OWiG Rdn. 12).

Zwar kann die fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrags die Gehörsrüge begründen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Entscheidung auf einem Verfahrensfehler beruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat, und wenn durch sie zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verkürzt wird. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll - als Prozessgrundrecht - sicherstellen, dass einerseits dem Betroffenen Gelegenheit gegeben wird, sich dem Gericht gegenüber zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern, Anträge zu stellen und Ausführungen zu machen, und soll andererseits das Gericht dazu verpflichten, seine Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811; Beschlüsse des hiesigen 2. Bußgeldsenats v. 13. Februar 2009 - Az. 2 Ss OWi 53/09 - und v. 25. Mai 2005 - Az. 2 Ss OWi 335/05-​). Da die Auslegung und Anwendung des Verfahrensrechts vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht zu überprüfen sind, liegt in der rechtsfehlerhaften Anwendung des § 77 Abs. 2 OWiG - für sich genommen - noch nicht eine zur Zulassung der Rechtsbeschwerde führende Gehörsverletzung (vgl. OLG Hamm, a. a. O.). Anderes gilt nur dann, wenn das Gericht den Beweisantrag ohne nachvollziehbare, auf das Gesetz zurückzuführende Begründung abgelehnt hätte und die Zurückweisung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre (vgl. BVerfG, a. a. O.; Beschluss des hiesigen 3. Bußgeldsenats vom 15. September 2009 - Az. 3 Ss OWi 689/09-​).

Eine Gehörsverletzung ist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben nicht gegeben. Vorliegend hat das Amtsgericht den Antrag des Betroffenen zur Kenntnis genommen und diesen in der Hauptverhandlung durch einen Ablehnungsbeschluss mit der nach § 77 Abs. 2 OWiG zulässigen Kurzbegründung als auch im Urteil mit einer Begründung, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung seiner Ermessensentscheidung ermöglicht, abgelehnt. Das Amtsgericht hat ausgeführt, dass konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung im Einzelfall nicht vorgebracht worden seien. Der Betroffene begründe den Antrag damit, dass bei dem verwendeten Gerät die Messwertbildung und die Messwertzuordnung verschlossen bleibe. Es fehle die Möglichkeit, die Messung auf Plausibilität zu prüfen. Dies sei unter Berücksichtigung der Einordnung des Messverfahrens als standardisiertes Verfahren nicht geeignet, die Einholung eines Gutachtens zu rechtfertigen. Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-​Technische Bundesanstalt komme insofern die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu. Der pauschale Vortrag, eine Überprüfung der ermittelten Geschwindigkeit sei nur durch eine gutachterlicher Überprüfung möglich, sei daher nicht geeignet, die Einholung eines Gutachtens zu rechtfertigen. Das Amtsgericht hat sich damit erkennbar mit dem Vorbringen des Beweisantrages auseinandergesetzt; die Ausführungen sind in sich schlüssig und nachvollziehbar.

Anhaltspunkte für eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sind damit insgesamt nicht ersichtlich.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.