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Kammergericht Berlin Beschluss vom 16.03.2017 - 3 Ws (B) 68/17 - 122 Ss 30/17 - Umfang der Entbindung von der Präsenzpflicht

KG Berlin v. 16.03.2017: Zum Umfang der Entbindung von der Anwesenheitspflicht m Ordnungswidrigkeitenverfahren


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 16.03.2017 - 3 Ws (B) 68/17 - 122 Ss 30/17) hat entschieden:
Ist der Betroffene von der Verpflichtung des persönlichen Erscheinens in der "heutigen Hauptverhandlung" entbunden worden, so gilt dies jedenfalls dann auch für Fortsetzungstermine, wenn kein besonderer Anlass dafür ersichtlich ist, dass der Bußgeldrichter den Betroffenen bewusst nur für einen Teil einer - eventuell - mehrtägigen Hauptverhandlung entbinden wollte.


Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Bußgeldverfahren / Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:

Mit Bußgeldbescheid vom 20. September 2016 hat der Polizeipräsident in Berlin gegen den Betroffenen wegen fünf tatmehrheitlich begangener Ordnungswidrigkeiten Geldbußen von 90, 15, 10, 10 und 5 Euro festgesetzt. Zu dem auf seinen Einspruch anberaumten Hauptverhandlungstermin ist der Betroffene nicht erschienen, wohl aber sein Verteidiger. Dessen Antrag, den Betroffenen von der Verpflichtung, persönlich erscheinen zu müssen, zu entbinden, hat das Amtsgericht entsprochen. Die Hauptverhandlung ist, nachdem der Verteidiger einen Beweisantrag gestellt hat, unterbrochen und am 11. Januar 2017 fortgesetzt worden. Zu diesem Termin ist der Betroffene, nicht aber die geladenen Entlastungszeugin erschienen, woraufhin das Amtsgericht beschlossen hat: „Die Hauptverhandlung wird ausgesetzt“, „Neuer Termin wird anberaumt auf den 25. Januar 2017, 13.00 Uhr (…)“ und „Die Dolmetscherin (…) ist zum Fortsetzungstermin zu laden“. Zum nächsten Termin, im Protokoll als Fortsetzungstermin bezeichnet, sind weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen, woraufhin das Amtsgericht den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid durch Urteil nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat. Hiergegen wendet sich der Zulassungsantrag des Betroffenen, mit dem er die Verletzung rechtlichen Gehörs geltend macht.

Der Senat lässt die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zu. Das Amtsgericht hat den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt, indem es dessen Einspruch im Fortsetzungstermin ohne weitere Verhandlung zur Sache nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen hat.

1. Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den Einspruch des Betroffenen unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, ist ordnungsgemäß ausgeführt.

Die Rechtsmittelschrift legt dar, welcher Vorwurf gegen den Betroffenen erhoben wird. Auch teilt sie den Entbindungsbeschluss im Wortlaut mit, und schließlich führt sie auch aus, was der Betroffene – gegebenenfalls durch seinen Verteidiger – geltend gemacht hätte, wenn weiterhin zur Sache verhandelt worden wäre.

2. Die Rüge ist auch begründet. Das Amtsgericht hätte den Einspruch am dritten Verhandlungstag nicht verwerfen dürfen. Zwar waren weder der Betroffene noch sein Verteidiger zu diesem Termin erschienen. Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 2 OWiG lagen aber gleichwohl nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann der Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid bei Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nur verworfen werden, wenn dieser nicht genügend entschuldigt ist und von seiner Präsenzpflicht nicht entbunden war. Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Das Amtsgericht hatte den Betroffenen durch Beschluss vom 21. Dezember 2016 vom persönlichen Erscheinen entbunden. Die Freistellung des Betroffenen wirkt für die gesamte, unmittelbar bevorstehende Hauptverhandlung (vgl. Senat NZV 2013, 99). Wird sie ausgesetzt, ist stets ein neuer Entbindungsantrag erforderlich. Etwas anderes gilt indes in den Fällen, in denen die Hauptverhandlung unterbrochen wurde. Hier befreit die einmal erfolgte Entbindung den Betroffenen auch für nachfolgende Fortsetzungstermine von seiner Präsenzpflicht (vgl. Senat aaO; OLG Bamberg DAR 2006, 218; OLG Hamm SVR 2006, 232 [Volltext bei juris]; OLG Thüringen VRS 117, 342).

3. Nichts anderes ergibt sich daraus, dass das Amtsgericht den Betroffenen am 21. Dezember 2016 von der Verpflichtung entbunden hat, in der „heutigen Hauptverhandlung“ zu erscheinen. Denn bei einem Fortsetzungstermin handelt es sich lediglich um einen unselbständigen zeitlichen Abschnitt einer – dann mehrtägigen – Hauptverhandlung (vgl. Senat aaO). Dass der Bußgeldrichter einen besonderen Anlass gehabt haben könnte, den Betroffenen bewusst nur für einen Teil einer – eventuell – mehrtägigen Hauptverhandlung zu entbinden, ist nicht ersichtlich.

4. Auch der Umstand, dass das Amtsgericht in seinem Beschluss formuliert hat, die Hauptverhandlung werde „ausgesetzt“, gebietet keine andere Betrachtung. Hierbei handelte es sich ersichtlich um eine irrtümliche Falschbezeichnung. Tatsächlich wollte der Richter die Hauptverhandlung unterbrechen, und ebendies ist auch geschehen. Dies ergibt sich sowohl daraus, dass in den weiteren Aussprüchen des Beschlusses von „Unterbrechung“ die Rede ist, als auch daraus, dass das vom Vorsitzenden unterzeichnete Protokoll die Sitzung als „3. Verhandlungstag“ ausweist und mit „Fortsetzung der Hauptverhandlung in der Bußgeldsache …“ überschrieben ist.

5. Das angefochtene Urteil war deshalb auf die zugelassene Rechtsbeschwerde aufzuheben, und die Sache war zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Eine andere Abteilung des Amtsgerichts mit der Sache zu befassen, wie durch den Rechtsmittelführer beantragt, bestand kein Anlass.



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