Das Verkehrslexikon

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OLG Schleswig Beschluss vom 01.04.1986 - 1 Ss OWi 55/86 - Zur Auslegung des Zusatzschildes "Frei für landwirtschaftlichen Verkehr"

OLG Schleswig v. 01.04.1986: Zur Auslegung des Zusatzschildes "Frei für landwirtschaftlichen Verkehr" - Betreiben von Stallungen für Trabrennpferde


Das OLG Schleswig (Beschluss vom 01.04.1986 - 1 Ss OWi 55/86) hat entschieden:
  1. Ein Verkehrsteilnehmer, der die Bedeutung eines ihn begünstigenden Zusatzschildes, das noch vorhanden, aber nicht mehr lesbar ist, kennt, kann sich auf die Ausnahmeerlaubnis berufen (So auch OLG Braunschweig, 1956-01-27, Ss 5/56, VRS 11, 295 (1956)).

  2. Ein dem Zusatzschild entsprechendes Verhalten gilt so lange als erlaubt, wie die Behörde den in diesem Schild manifestierten begünstigenden Akt nicht beseitigt.

  3. Auf einem Hof, in dem Pferde gehalten werden, fallen im Zusammenhang mit der Bewegung, Versorgung, Ernährung und Entsorgung dieser Tiere auch Arbeiten an, die dem Begriff der Landwirtschaft im weiteren Sinne entsprechen, so dass der zur Erledigung dieser Arbeiten notwendige Verkehr von der Ausnahmegenehmigung des Zusatzschildes "Frei für landwirtschaftlichen Verkehr" erfasst wird.

Siehe auch Vorfahrtrecht und Sorgfaltsanforderungen bei Feld-, Wald- und landwirtschaftlichen Wegen und Zusatzzeichen - Zusatzschilder


Gründe:

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 200,– DM festgesetzt. Mit dem Antrag, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, macht der Betroffene Ausführungen, die der Senat versteht als Rüge der Verletzung sachlichen Rechts sowie als Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn freizusprechen.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 OWiG). Die form- und fristgerecht angebrachte Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

Der Betroffene ist wegen Verstoßes gegen § 41 Abs. 1 Nr. 3 WaldG-​Schleswig-​Holstein verurteilt worden. Nach dieser Vorschrift verhält sich ordnungswidrig, wer "entgegen § 22 im Walde unbefugt außerhalb der dort genannten Wege und Straßen fährt". § 22 enthält jedoch keine Verbotsnorm, sondern gestattet u.a. das Fahren mit Fahrrädern auf Waldwegen, "sofern sie nicht gesperrt sind (§ 30)". In Frage kommt allenfalls ein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 Nr. 5 WaldG. Danach ist ordnungswidrig das Fahren im Wald "entgegen § 23 Abs. 1 Nr. 5"; diese Vorschrift verbietet u.a. "das Fahren, ausgenommen nach § 22, ... soweit dafür keine besondere Befugnis besteht".

Nach den Feststellungen bewohnt der Betroffene einen Hof, der an einen Erholungswald i.S. des Landeswaldgesetzes grenzt. Auf dem Hof befinden sich Stallungen für Trabrennpferde, die der Betroffene an Rennen in H-​B teilnehmen lässt. Von diesem Hof aus führt ein öffentlicher Weg in den Wald, an dem Weg befindet sich ein verwittertes Verkehrsschild (Zeichen 250 zu § 41 StVO), an dem ferner – jetzt nicht mehr lesbar – der Zusatz "Frei für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr" angebracht war. Am 1. April 1984 befuhr der Betroffene gegen 11 Uhr diesen Weg mit einem aus einem Pferd und einem Fohlenwagen bestehenden Gespann.

Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung nach den Vorschriften des Landeswaldgesetzes nicht. Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass sich das Verhalten des Betroffenen innerhalb der Grenzen der Ausnahmegenehmigung bewegt hat.

1. Die Ausnahmegenehmigung ("Frei für landwirtschaftlichen Verkehr") war für den Betroffenen wirksam. Soweit die Verurteilung des Betroffenen schon auf das Fehlen einer Ausnahmeerlaubnis gestützt und dieses Fehlen mit dem "ausdrücklichen Hinweis" darauf begründet wird, dass das nicht mehr lesbare und verwitterte Verkehrsschild an dem von seinem Hof zum Wald führenden Wege "erkennbar ohne rechtliche Bedeutung und überholt" sei, ist dies nicht frei von Rechtsirrtum.
Im Verkehrsrecht ist es ausgetragen, dass auch verwitterte, verrottete oder sonst inhaltlich nicht ohne weiteres erkennbare Verkehrszeichen, die ein Gebot oder Verbot enthalten, jedenfalls für denjenigen verbindlich sind, der ihre ursprüngliche Bedeutung kennt. Für Zusatzschilder, die eine Ausnahmeerlaubnis beschreiben, muss aber das Entsprechende gelten: Ein Verkehrsteilnehmer, der die Bedeutung eines ihn begünstigenden Zusatzschildes, das noch vorhanden, aber nicht mehr lesbar ist, kennt, kann sich auf die Ausnahmeerlaubnis berufen (vgl. OLG Braunschweig, VRS 11, 295).

Auch der in dem angefochtenen Urteil erwähnte Umstand, dass dem Verfahren eine langjährige Auseinandersetzung zwischen dem Betroffenen und den Verwaltungsbehörden zugrundeliegt, ist nicht geeignet, das Verhalten des Betroffenen als verbotswidrig erscheinen zu lassen. Was bei Verbots- und Gebotsschildern anerkannt ist, nämlich, dass sie den einzelnen Verkehrsteilnehmer auch dann verpflichten, wenn der ihnen zugrundeliegende Verwaltungsakt anfechtbar ist, muss auch auf Zusatzschilder übertragen werden, in denen ein begünstigender Verwaltungsakt in Form einer Ausnahmegenehmigung zum Ausdruck kommt. Danach gilt ein dem Zusatzschild entsprechendes Verhalten solange als erlaubt, wie die Behörde den in diesem Schild manifestierten begünstigenden Akt nicht beseitigt.

2. Das angefochtene Urteil musste aufgehoben und die Sache zurückverwiesen werden, weil der Tatrichter den Begriff "Frei für landwirtschaftlichen Verkehr" verkannt hat.

Zwar äußert sich das angefochtene Urteil nicht ausdrücklich zu der Frage, ob die Aktivitäten des Betroffenen, der einen Hof mit Stallungen für Trabrennpferde betreibt, überhaupt der Landwirtschaft zuzuschreiben sind. Der Senat geht jedoch davon aus, dass auf einem Hof, in dem Pferde gehalten werden, im Zusammenhang mit der Bewegung, Versorgung, Ernährung und Entsorgung dieser Tiere jedenfalls auch Arbeiten anfallen, die dem Begriff der Landwirtschaft im weiteren Sinne (s. dazu OLG Köln VRS 69, 76) entsprechen, so dass der zur Erledigung dieser Arbeiten notwendige Verkehr von der genannten Ausnahmegenehmigung erfasst wird. Das Urteil spricht nur von forstwirtschaftlichen Zwecken, die zwar hier mit Sicherheit ausscheiden, aber nur einen Teilaspekt der Verkehrserlaubnis betreffen. Nach dem Urteilszusammenhang kommen nur landwirtschaftliche Zwecke in Betracht.

Das Urteil ist jedoch rechtsfehlerhaft, soweit die Verurteilung des Betroffenen darauf gestützt wird, dass er bei seiner Fahrt am 1. April 1984 nicht, wie er behauptet, einen Sack Hafer für ein Pferd befördert habe. Zwar muss jede einzelne Fahrt, die ausnahmsweise erlaubt sein soll, dem landwirtschaftlichen Verkehr dienen. Dem landwirtschaftlichen Verkehr dient eine Fahrt jedoch immer dann, wenn sie unternommen wird zur Erreichung eines Zwecks, der mit dem konkreten landwirtschaftlichen Betrieb in engem Zusammenhang steht. Da es mithin wesentlich ankommt auf die mit dem jeweiligen Verkehrsvorgang seitens des Betroffenen verfolgten konkreten Absichten, haben bestimmte äußere Gegebenheiten allenfalls die Bedeutung von Indizien für das Vorhandensein oder Fehlen einer solchen Absicht.

Die Feststellung des Tatrichters, dass der Fohlenwagen nicht mit Hafer beladen gewesen ist, ist deshalb kein hinreichender Beweis dafür, dass die Fahrt einem mit der Landwirtschaft des Betroffenen im Zusammenhang stehenden Zweck nicht gedient hat: Auch wenn der Betroffene unterwegs gewesen wäre, um den Hafer erst noch abzuholen, oder wenn er von einem Gespräch mit einem Bauern über erst noch zu liefernden Hafer zurückkehrte, hätte eine solche Fahrt seinen landwirtschaftlichen Zwecken gedient.

Nach alledem reichen die bislang vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen für eine Verurteilung des Betroffenen nicht aus. Da weitere Feststellungen möglich erscheinen, dass die beanstandete Fahrt von dem Betroffenen ohne den dargestellten engen Zusammenhang mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb unternommen worden ist, war die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.