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OLG Hamm Beschluss vom 13.04.2017 - I-32 SA 6/17 - Gerichtsstandswahl des Klägers und unzulässige Verweisung

OLG Hamm v. 13.04.2017: Gerichtsstandswahl des Klägers und unzulässige Verweisung des Rechtsstreits


Das OLG Hamm (Beschluss vom 13.04.2017 - I-32 SA 6/17) hat entschieden:
Wird eine Schadensersatzklage aus einem Verkehrsunfall gegen zwei Beklagte (Fahrer/Halter und Haftpflichtversicherer) mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen im allgemeinen Gerichtsstand eines der Beklagten erhoben, kann das angerufene Gericht die Klage nicht insgesamt weiterverweisen, um eine einheitliche Verhandlung und Entscheidung vor einem anderen Gericht, vor dem ein Gerichtsstand gegen beide Beklagten begründet wäre, zu gewährleisten. Dem steht die bereits vorgenommene, bindende Gerichtsstandswahl des Klägers in Bezug auf einen der Beklagten entgegen (§ 35 ZPO). Ein die getroffene Gerichtsstandswahl missachtender, beide Beklagten betreffender Verweisungsbeschluss kann grob rechtsfehlerhaft und nicht verbindlich sein.


Siehe auch Zuständigkeit bei Auslandsunfall und Stichwörter zum Thema Zivilprozess


Gründe:

I.

Der Kläger macht mit seiner beim Amtsgericht Lippstadt eingereichten Klage unter 5.000 EUR liegende Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 20.07.2015 in T ereignet haben soll. Dabei nimmt er den im Bezirk des Amtsgerichts Lippstadt wohnhaften Beklagten zu 1 als Halter und Fahrer des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs und die in L ansässige Beklagte zu 2 als dessen Haftpflichtversicherung in Anspruch.

In der Klageerwiderung haben die Beklagten gerügt, dass hinsichtlich der Beklagten zu 2 eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Lippstadt nicht zu erkennen sei. Gemeinsamer Gerichtsstand der Beklagten sei Soest. Die Zuständigkeitsbedenken hat das Amtsgericht Lippstadt in seiner Terminverfügung geteilt und angefragt, ob Verweisung an das Amtsgericht Soest beantragt werde. Dies hat der Kläger getan. Mit Beschluss vom 15.11.2016 hat sich das Amtsgericht Lippstadt für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Soest verwiesen. Zur Begründung hat es unter Benennung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts und des Kammergerichts ausgeführt, dass der Kläger hinsichtlich des Beklagten zu 1 zwar verbindlich sein Wahlrecht ausgeübt habe, dass die Verweisung aber dennoch zulässig sei, wenn hierdurch erreicht werden solle, dass gegen mehrere Streitgenossen einheitlich in einem Prozess verhandelt werde.

Mit Verfügung vom 29.11.2016 hat das Amtsgericht Soest um Überprüfung der Verweisung gebeten, da die Entscheidung des Kammergerichts einen anderen Fall betreffe. Daraufhin hat das Amtsgericht Lippstadt die Parteien mit Verfügung vom 06.12.2016 zum weiteren Vorgehen angehört, insbesondere dazu, ob die Verfahren gegen die Beklagten getrennt werden sollen. Der Kläger hat daraufhin beantragt, die Sache dem Oberlandesgericht zur Bestimmung vorzulegen. Mit Beschluss vom 07.01.2017 hat das Amtsgericht Soest die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache zurück an das Amtsgericht Lippstadt verwiesen, da das Amtsgericht Lippstadt hinsichtlich der Klage gegen den Beklagten zu 1 zuständig und der Kläger an diese Gerichtsstandswahl gebunden sei.

Mit Beschluss vom 13.01.2017 hat das Amtsgericht Lippstadt die Sache dem Senat zur Entscheidung über die Frage der Zuständigkeit vorgelegt, da das Amtsgericht Soest die Übernahme des Rechtsstreits insgesamt abgelehnt habe. Das Amtsgericht Lippstadt führt aus, die Bindungswirkung der Gerichtsstandswahl hinsichtlich des Beklagten zu 1 aufgrund eines Missverständnisses der Rechtsprechung des Kammergerichts und auch aufgrund prozessökonomischer Überlegungen versehentlich übersehen zu haben. Es selbst sehe sich aber wegen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht in der Lage, diesen aufzuheben.

Im Verfahren vor dem Senat hat der Kläger mitgeteilt, er habe beim Amtsgericht Lippstadt die Abtrennung des Rechtsstreits gegen die beklagte Versicherung beantragt. Die Beklagten haben daraufhin mitgeteilt, dass sie an der Zuständigkeitsrüge nicht länger festhielten, um Folgeprobleme aus der getrennten Verhandlung des Rechtsstreits zu vermeiden.


II.

Die Entscheidung beruht auf § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO.

1. Das Amtsgericht Lippstadt hat die Sache dem Senat gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Die Voraussetzungen für eine solche Zuständigkeitsbestimmung liegen formal vor. Verschiedene ordentliche Gerichte, die Amtsgerichte Soest und Lippstadt, haben sich jeweils für unzuständig erklärt. Das Oberlandesgericht Hamm ist gemäß § 36 Abs. 1 ZPO zur Entscheidung berufen, da es das im Verhältnis zu beiden Gerichten nächst höhere Gericht ist.

Im Rahmen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist das Amtsgericht Lippstadt als das zuständige Gericht zu bestimmen, soweit sich die Klage gegen die Beklagte zu 1 richtet. Insoweit folgt seine Zuständigkeit bereits aus der bindenden Gerichtsstandswahl gem. § 35 ZPO durch die Einreichung der Klage beim gem. §§ 12,13 ZPO zuständigen Gericht.

Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Soest für die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage folgt auch nicht aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Lippstadt vom 15.11.2016. Dieser Verweisungsbeschluss ist nicht bindend gemäß § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO. Die Bindungswirkung wird zwar nicht schon durch die bloße Unrichtigkeit der Beurteilung der Zuständigkeitsfrage infolge eines einfachen Rechtsirrtums des verweisenden Gerichts in Frage gestellt, wie etwa beim Übersehen eines besonderen Gerichtsstands, der sich nicht aufdrängte und von den Parteien nicht thematisiert wurde. Unbeachtlich ist ein solcher Beschluss aber, wenn er schwere offensichtliche Rechtsmängel aufweist. Ein solcher Fall liegt hier vor:

Die Auffassung des Amtsgerichts Lippstadt, insgesamt, also auch hinsichtlich der Entscheidung über die gegen den im Bezirk des Amtsgerichts Lippstadt wohnhaften Beklagten zu 1 gerichtete Klage örtlich unzuständig zu sein, ist grob fehlerhaft, da sie den eindeutigen und allseits bekannten allgemeinen Gerichtsstand gem. §§ 12, 13 ZPO und die erfolgte Ausübung des Wahlrechts übergeht (vgl. Zöller/Greger, 31. Auflage 2016, § 281 ZPO Rn. 17 m.w.N.; Senat, Beschl. v. 02.01.2017 - 32 Sa 72/16 - veröffentlicht in juris). Zwar ist anzuerkennen, dass das Amtsgericht die Ausübung des Wahlrechts erkannt und die parallele Verhandlung des Rechtsstreits durch zwei Amtsgerichte verhindern wollte, allerdings kann ein solches Übergehen des gesetzlichen Richters aus Gründen der Prozessökonomie den Vorwurf der groben Fehlerhaftigkeit nicht mildern.

Dabei hält auch der Senat die gemeinsame Verhandlung über die Ansprüche, die gegen Fahrer, Halter und Haftpflichtversicherung geltend gemacht werden, für vorzugswürdig. Gründe der Prozessökonomie können die rechtliche Verbindlichkeit des gesetzlichen Richters aber nicht verdrängen. Vielmehr ist es in einer Situation wie der vorliegenden erforderlich, dass eine Partei sich dazu durchringen kann, die Voraussetzungen für eine gemeinsame Verhandlung herbeizuführen, wie dies im vorliegenden Fall die Beklagten durch die Aufgabe der Zuständigkeitsrüge getan haben.

Auch der Umstand, dass das Amtsgericht Lippstadt für seine Rechtsauffassung zwei obergerichtliche Entscheidungen zitiert, führt zu keiner anderen Einstufung der Fehlerhaftigkeit. Beide Entscheidungen stützen die erfolgte Verweisung nicht, was den jeweiligen Entscheidungsgründen unschwer zu entnehmen ist. So weist die zitierte Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschl. v. 14.03.2000 - 4Z AR 21/00 - zitiert nach juris - insbesondere Tz. 15) ausdrücklich darauf hin, dass die Verweisung unter Übergehung einer bindenden Gerichtsstandswahl jeder rechtlichen Grundlage entbehrt. Dass das Bayerische Oberste Landesgericht in dem konkret von ihm zu entscheidenden Fall in der Gesamtwürdigung noch eine Bindungswirkung der fehlerhaften Entscheidung angenommen hat, kann nicht als Argument für deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden. Dass das Amtsgericht Lippstadt in Kenntnis dieser Entscheidung, die ausdrücklich die Fehlerhaftigkeit der Verweisung betont, eine Verweisung vornimmt, hat in der Abwägung durch den Senat vielmehr eine nicht unerhebliche Rolle für die Einstufung der Verweisung als grob fehlerhaft gespielt. Die ebenfalls zitierte Entscheidung des Kammergerichts (Beschl. v. 02.09.1999 - 28 AR 90/99 - zitiert nach juris, dort insbesondere Tz. 10) benennt eine deutlich andere Fallkonstellation, in der dem Kläger erst nach Klageerhebung ein weiterer potentieller Schuldner bekannt wird.

Durch die nicht bindende Verweisung der gegen den Beklagten zu 1. gerichteten Klage ist der Beschluss vom 15.11.2016 insgesamt wirkungslos. Ihm lässt sich nicht etwa ein wirksamer und bindender Teil hinsichtlich der Verweisung der gegen die Beklagte zu 2 gerichteten Klage entnehmen. Eine hierzu erforderliche Abtrennung dieses Teils der Klage war erkennbar nicht das Ziel des Klägers und auch nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Amtsgerichts Lippstadt. Vielmehr hat der Kläger auch noch nach dem Hinweis vom 06.12.2016 nicht die Prozesstrennung, sondern die Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat beantragt. Dennoch kann im Rahmen der Entscheidung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO lediglich eine bindende Entscheidung hinsichtlich der Zuständigkeit des Amtsgerichts Lippstadt für die Klage nur insoweit getroffen werden, als sie sich gegen den Beklagte zu 1 richtet, da eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Lippstadt für die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage unter keinem Gesichtspunkt erkennbar ist.

2. Damit liegt der in § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO geregelte Fall vor, dass mehrere Beklagte mit unterschiedlichen allgemeinen Gerichtsständen als Streitgenossen in Anspruch genommen werden sollen. Die Bestimmung eines für die gegen beide Beklagten gerichtete Klage einheitlich zuständigen Gerichts nach dieser Norm kommt allerdings nicht in Betracht. Ein entsprechender Antrag ist nicht zulässig, da für die Beklagten grundsätzlich ein gemeinsamer Gerichtsstand am Unfallort in Soest bestanden hat, den der Kläger hinsichtlich des Beklagten zu 1 durch die Ausübung seines Wahlrechts verloren hat (vgl. Zöller/Vollkommer, 31. Aufl. 2016, § 36 ZPO Rn. 15 unter dd)).

3. Da sich die Beklagte zu 2 im Schriftsatz nunmehr darauf eingelassen hat, den Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Lippstadt zu führen, ist davon auszugehen, dass dessen Zuständigkeit gem. § 39 ZPO durch rügelose Verhandlung zur Hauptsache begründet werden wird.