Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Neustadt Urteil vom 10.10.2017 - 5 K 1164/16.NW - Mobiles Haltverbot ohne behördliche Anordnung

VG Neustadt v. 10.10.2017: Keine Umsetzungsgebühren bei nicht rechtmäßig angeordnetem mobilem Haltverbot


Das Verwaltungsgericht Neustadt (Urteil vom 10.10.2017 - 5 K 1164/16.NW) hat entschieden:
Wird ein mobiles Halteverbotsschild von einem Privaten (hier den Mitarbeitern einer privaten Firma) zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum aufgestellt, ohne dass dem eine nach Ort und Zeit konkretisierte Anordnung oder Genehmigung der Verkehrsregelung durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde zugrunde liegt, ist das Halteverbot nicht rechtswirksam angeordnet. Vom Halter eines dort geparkten Fahrzeugs kann die Behörde den Ersatz von Abschleppkosten nicht verlangen.


Siehe auch Abschleppkosten bei Halt- und Parkverstößen und Stichwörter zum Thema Abschleppkosten


Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu Abschleppkosten und Verwaltungsgebühren in Höhe von 188,51 €.

Am 13. Mai 2016 um 8:41 Uhr war sein Fahrzeug mit dem Kennzeichen …-​.. … in der A-​Straße in Neustadt/Weinstraße auf dem Gehweg geparkt. Zu diesem Zeitpunkt waren dort ausweislich der aktenkundigen Lichtbilder mehrere Verkehrszeichen aufgestellt: Ein fest installiertes Verkehrszeichen Nr. 315 (Parken auf dem Gehweg) und ca. 1 Meter davor ein mobiles Verkehrsschild mit dem Zeichen 283-​10 (Halteverbot Beginn), einem Zusatzzeichen der Gruppe 1040 bis 1049 (ab 12.05.16 v. 7:00 Uhr bis 18:00 Uhr, Baumarbeiten) und dem Zusatzzeichen 1052-​37 (durchgestrichener PKW auf dem Seitenstreifen). Die Aufstellung der mobilen Schilder erfolgte durch die Firma R. Diese hatte zuvor den Auftrag für die Baumarbeiten von der Beklagten erhalten und vor Beginn der Arbeiten am 10. Mai 2016 einen Plan per email eingereicht, in dem die Verkehrszeichen 283-​10 bis 283-​20 mit dem handschriftlichen Zusatz „v. 12.-​13.05.16“ entlang der A-​Straße eingezeichnet waren. Eine Rücksprache mit der Firma R ergab, dass die Schilder am 9. Mai 2016 aufgestellt worden seien. Darüber wurde von einem ihrer Mitarbeiter eine (nicht unterschriebene) Vornotierung ausgefüllt mit den Bemerkungen „Verkehrszeichen-​Nr.: 283-​10/-​20/-​30“ sowie „gestellt: ab 12./13.05.16“. Am 12. Mai 2016 war eine Hilfspolizistin der Beklagten vor Ort, Abschleppmaßnahmen fanden an diesem Tag noch nicht statt.

Die Beklagte ließ das Fahrzeug des Klägers am 13. Mai 2016 um 9:28 Uhr wegen Behinderung der Baumpflegearbeiten abschleppen und setzte dem Kläger gegenüber mit Bescheid vom 20. Juni 2016 Abschleppkosten sowie Verwaltungs- und Zustellungsgebühren in Höhe von insgesamt 188,51 € fest.

Der Kläger erhob Widerspruch gegen den Bescheid und trug vor: Die Haltverbotszeichen seien zu dem Zeitpunkt, in dem er sein Fahrzeug an der streitgegenständlichen Stelle geparkt habe, noch nicht aufgestellt gewesen, wofür er Zeugenbeweis anbot.

Nach erfolgter mündlicher Erörterung in Abwesenheit des Klägers und seines Bevollmächtigten – ein Empfangsbekenntnis über die Ladung war nicht zurückgesandt worden – wies der Stadtrechtsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück mit der Begründung, die Voraussetzungen für eine Ersatzvornahme seien erfüllt gewesen. Hierfür komme es nicht darauf an, ob der Kläger das Verkehrszeichen tatsächlich wahrgenommen habe, wenn es, wie hier, so aufgestellt worden sei, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer es bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt und ungestörten Sichtverhältnissen durch einfache Umschau erkennen könne. Es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen oder ersichtlich, dass die Verkehrsschilder möglicherweise verstellt oder entfernt worden seien. Die pauschale Behauptung des Klägers sei in keiner Weise belegt. Die angeordnete Ersatzvornahme sei auch ermessensgerecht und angemessen. Die vor Ort anwesende Hilfspolizeibeamtin sei nicht gehalten gewesen, den Kläger vor Einleitung der Abschleppmaßnahme ausfindig zu machen.

Der Widerspruchsbescheid vom 18. November 2016 wurde dem Bevollmächtigten des Klägers am 22. November 2016 zugestellt.

Am 22. Dezember 2016 hat er Klage erhoben.

Er trägt vor: Der Widerspruchsbescheid sei aufgrund wesentlicher Verfahrensmängel ergangen, da er zur Verhandlung des Stadtrechtsausschusses nicht ordnungsgemäß geladen gewesen sei. Dadurch sei auch sein Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden. Beim Abstellen des Fahrzeugs am 13. Mai 2016 gegen 5:30 Uhr seien keine Halteverbotszeichen – auch keine mobilen – aufgestellt gewesen, was zwei von ihm benannte Zeugen bestätigen könnten. Aus den Unterlagen der Beklagten gehe nur hervor, dass ein Halteverbot geplant gewesen sei, dadurch werde in keiner Weise belegt, dass und zu welchem Zeitpunkt Halteverbotsschilder aufgestellt worden seien. Des Weiteren sei es der Beklagten zumutbar gewesen, ihn vor Einleitung der Abschleppmaßnahme als Fahrzeughalter ausfindig zu machen. Er hätte sodann sein Fahrzeug wegbewegen können, da eine Zugfahrt von Ludwigshafen nach Neustadt nicht mehr als 30 Minuten Zeit in Anspruch nehme, was in etwa der Dauer des Abschleppvorgangs gleich komme.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2016 und den Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses vom 18. November 2016 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich auf den Widerspruchsbescheid und legt ergänzend Unterlagen zur Aufstellung der Halteverbotsschilder vor, namentlich einen E-​Mail-​Verkehr mit der Firma R aus April und Mai 2016. Sie verweist auf einen Beschluss des Stadtrats vom 12. November 2015 über die Vergabe des Auftrags „Baumpflege und Baumfällungen“ und einen Auszug aus dem Leistungsverzeichnis, aus dessen Ziffer 6 sich ergebe, dass sie den Auftragnehmer zur Durchführung erforderlicher Absperrmaßnahmen verpflichtet habe.

Die Beteiligten haben nach rechtlichen Hinweisen des Gerichts vom 4. Oktober 2017 auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf ihre Schriftsätze einschließlich der Anlagen sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungs- und Widerspruchsakten verwiesen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden wird, ist zulässig und begründet.

Der Kostenbescheid der Beklagten vom 20. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. November 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Dabei kann dahinstehen, ob der Widerspruchsbescheid vom 18. November 2016 unter einem wesentlichen Verfahrensfehler leidet, der zu seiner alleinigen Aufhebung führen oder sich sogar auf die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids auswirken könnte, weil der Kläger möglicherweise nicht ordnungsgemäß zur Widerspruchsverhandlung geladen und dadurch im Verfahren nicht ausreichend angehört wurde. Ebenso offen bleiben kann, ob die Verkehrszeichen 283-​10/-​20/-​30 mit den o.g. Zusatzzeichen am 13. Mai 2016 um 5:30 Uhr überhaupt und für den Kläger ausreichend sichtbar aufgestellt waren, als er sein Fahrzeug auf dem Gehweg der A-​Straße in Neustadt geparkt hat. Die Beklagte kann nämlich die streitgegenständlichen Abschleppkosten und Verwaltungsgebühren nur dann vom Kläger verlangen, wenn die durchgeführte Ersatzvornahme gemäß § 63 LVwVfG rechtmäßig war. Das setzt wiederum voraus, dass der Pkw des Klägers im Zeitpunkt der Anordnung der Ersatzvornahme in einem rechtswirksam angeordneten Halteverbot geparkt und deshalb unverzüglich zu entfernen war (vgl. OVG Hamburg, Urteil vom 29. Januar 2008 – 3 Bf 253/04 – juris). Daran fehlt es hier, denn das Halteverbot für den Gehweg der A-​Straße war am 13. Mai 2016 nicht wirksam durch die Beklagte angeordnet worden.

Rechtsgrundlage für die Anordnung des Halteverbots als Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG zur Durchführung der erforderlichen Arbeiten an den Baumbeständen der Straße ist § 45 Abs. 1 Straßenverkehrsordnung - StVO -. Danach können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken zur Durchführung von Arbeiten im Straßenraum beschränken oder verbieten. Zur Wirksamkeit einer solchen straßenverkehrsrechtlichen Maßnahme, die durch Aufstellen der entsprechenden Verkehrszeichen umgesetzt wird, bedarf es einer Anordnung der zuständigen Behörde. Allein die tatsächliche Aufstellung der Verkehrsschilder durch einen Privaten, wie hier die Firma R, die mit der Durchführung der Baumarbeiten beauftragt war, genügt dafür nicht. Ihre Tätigkeit ist nämlich schon kein behördliches Verwaltungshandeln gemäß § 35 VwVfG (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1970 – 7 C 10.70 –, BVerwGE 35, 334 sowie Urteil vom 6. April 2016 – 3 C 10/15 –, juris; VGH Baden-​Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 1 S 3263/08 –, juris, m.w.N.). Nur wenn eine nach Ort und Zeit individualisierte und konkretisierte behördliche Anordnung mit Regelungswirkung nach außen zu Grunde liegt, kann die tatsächliche Umsetzung durch Aufstellen der Verkehrsschilder durch den Privaten erfolgen. Davon geht auch § 45 Abs. 6 StVO aus, wonach der Unternehmer vor dem Beginn von Arbeiten, die sich auf den Straßenverkehr auswirken, von der zuständigen Behörde Anordnungen nach den Absätzen 1 – 3 u. a. darüber einzuholen hat, ob und wie der Verkehr zu beschränken ist. Fehlt es an einer solchen straßenverkehrsrechtlichen Anordnung durch die zuständige Behörde, liegt lediglich ein sog. „Schein-​Verwaltungsakt oder Nichtakt“ vor (vgl. zum Ganzen erneut VGH Baden-​Württemberg, a.a.O.). So liegt der Fall hier.

Aus den Verwaltungsakten und den ergänzend eingereichten Unterlagen der Beklagten ist nicht erkennbar, dass die zuständige Behörde die verkehrsrechtliche Anordnung der konkreten Halteverbotsregelung für die A-​Straße am 12. und 13. Mai 2016 selbst getroffen hat.

In den Unterlagen existiert lediglich ein von der Firma R bei der Beklagten per E-​Mail – im Übrigen erst am 10. Mai 2016 – gemäß § 45 Abs. 6 StVO vorgelegter Verkehrszeichenplan, dessen Inhalt nicht erkennbar mit Regelungswirkung nach außen hin durch die Beklagte angeordnet, sondern nur intern zur Abteilung „Parken“ weiter geleitet wurde. Selbst wenn man von der Möglichkeit einer behördlichen Anordnung durch stillschweigende Zustimmung oder Genehmigung des Verkehrszeichenplans ausgehen könnte (vgl. dazu die Nachweise aus der Rspr. im Urteil des VGH Baden-​Württemberg, a.a.O.), enthielt dieser Plan nur das Verkehrszeichen 283 (mit den vorgesehenen zeitlichen Beschränkungen), das nach dem Wortlaut des § 41 Abs. 2 Nr. 8 StVO ausschließlich für die Fahrbahn gilt und für Gehwege nicht verwendet werden kann (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, jetzt 43. Auflage 2015, § 41 StVO Rdnr. 248j und § 12 StVO Rdnr. 28b; BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 3 C 29/03 –, juris Rdnr. 20 zum Zeichen 286; VG Regensburg, Urteil vom 30. Oktober 2014 – Urteil vom 30. Oktober 2014 – RN 5 K 14.946 –, juris). Zusatzschilder für den hier maßgeblichen Gehweg der A-​Straße waren in dem Plan nicht eingezeichnet. Dort ist das Parken indessen gemäß § 42 Abs. 4 StVO durch das Zeichen 315 erlaubt. Dieses Verkehrszeichen war am 13. Mai 2016 nicht entfernt oder verdeckt worden und galt deshalb grundsätzlich weiter. Für eine zeitliche Einschränkung dieser Erlaubnis bedurfte es mithin einer besonderen verkehrsrechtlichen Anordnung, die im Verkehrszeichenplan nicht enthalten war.

Der weitere im Klageverfahren vorgelegte E-​Mail-​Verkehr zwischen der Beklagten und der Firma R betraf andere Verkehrsanlagen als die A-​Straße und andere Baumpflegearbeiten, offenbar im April 2016.

Auch eine wirksame straßenverkehrsrechtliche Anordnung oder Genehmigung der aufgestellten Verkehrsschilder durch die städtische Hilfspolizeibeamtin, die am 12. Mai 2016 vor Ort war, weil Fahrzeuge auf dem Gehweg geparkt waren, kommt nach Überzeugung des Gerichts nicht in Betracht. Sie ist nämlich für die Anordnung der Verkehrsregelungen nicht zuständig. Ihr Einsatz war vielmehr dem Bereich der Vollstreckung zuzuordnen, im konkreten Fall der Entscheidung über mögliche Abschleppmaßnahmen (vgl. VGH Baden-​Württemberg, a.a.O.).

Schließlich ergibt sich weder aus dem Stadtratsbeschluss über die Vergabe der Baumpflegearbeiten an die Firma R vom November 2015 noch aus Ziffer 6 des Leistungsverzeichnisses eine konkrete Anordnung des streitgegenständlichen Halteverbots. Vielmehr wird im Leistungsverzeichnis gerade darauf hingewiesen, dass die Auftragnehmerin die erforderlichen Genehmigungen bei der Beklagten einzuholen hat. Das entspricht dem oben zu § 45 Abs. 6 StVO Ausgeführten.

War nach alledem schon aus den genannten Gründen ein Halteverbot im Zeitpunkt des Parkvorgangs des Klägers und der Abschleppmaßnahme nicht wirksam angeordnet, kommt es nicht mehr darauf an, ob das Zusatzzeichen 1052-​37 das Gehwegparken überhaupt (zeitweise) untersagen konnte. Denn dieses Zusatzzeichen bezieht sich gemäß § 41 Abs. 2 Nr. 8 StVO und Ziffer 62.1 der Anlage 2 zu § 41 StVO nur auf den Seitenstreifen der Fahrbahn, der gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, § 12 Abs. 4 und Abs. 4a StVO vom Gehweg zu unterscheiden ist. Insoweit könnte es der Beschilderung, insbesondere in Verbindung mit dem weiterhin vorhandenen Zeichen 315 für den Gehweg, aus Sicht der betroffenen Verkehrsteilnehmer auch an der erforderlichen Klarheit und Eindeutigkeit gefehlt haben (vgl. dazu Hentschel/König/Dauer, a.a.O., § 39 StVO Rdnrn. 31a, 33 und 34, m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten ergibt sich aus § 167 Abs. 2 VwGO.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 188,51 € festgesetzt (§§ 52, 63 Abs. 2 GKG).