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OLG Jena Beschluss vom 01.02.2004 - 1 Ss 80/04 - Die Beschädigung eines geparkten Fahrzeugs fällt nicht in den Schutzbereich des § 9 Abs. 5 StVO
OLG Jena v. 01.02.2004: Die Beschädigung eines geparkten Fahrzeugs fällt nicht in den Schutzbereich des § 9 Abs. 5 StVO
Das OLG Jena (Beschluss vom 01.02.2004 - 1 Ss 80/04) hat entschieden:
Es liegt kein Verstoß gegen § 9 V StVO i.V. mit § 49 I Nr. 9 StVO, 24 StVG vor, wenn beim Rückwärtsfahren auf der Fahrbahn ein am Fahrbahnrand geparktes Fahrzeug beschädigt wird.
Siehe auch Rückwärtsfahren
Gründe
I.
Das Thüringer Polizeiverwaltungsamt setzte durch Bußgeldbescheid vom 06.06.2003 gegen den Betroffenen wegen einer am 02.05.2003 begangenen Ordnungswidrigkeit des sorgfaltswidrigen Rückwärtsfahrens mit Unfallfolge eine Geldbuße von 60,- € fest. Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 11.06.2003 zugestellt. Am 18.06.2003 legte der Betroffene durch seinen Verteidiger Einspruch ein. In der Hauptverhandlung vom 01.12.2003 verurteilte das Amtsgericht Gera den Betroffenen in Anwesenheit wegen Zuwiderhandlung gegen § 9 Abs. 5, 1 Abs. 2 StVO zu einer Geldbuße von 60,- €. Am 08.12.2003 beantragte der Betroffene durch seinen Verteidiger, die Rechtsbeschwerde zuzulassen und begründete die Rechtsbeschwerde sogleich. Das mit Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger des Betroffenen am 28.01.2004 zugestellt. Der Betroffene rügt die fehlerhafte Anwendung des § 9 Abs. 5 StVO.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 05.04.2004 beantragt, den Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Gera vom 01.12.2003 zuzulassen mit der Maßgabe, dass gegen den Betroffenen wegen fremdsachenschädigenden Außer-Acht-Lassens des im Verkehr der erforderlichen Sorgfalt ein Bußgeld von 35,- € festgesetzt wird (§§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 2 Nr. 1 StVO), zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 1.2.2005 hat der Senat die Rechtsbeschwerde zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache teilweise Erfolg.
Das Amtsgericht hat zur äußeren Tatseite folgende Feststellungen getroffen:
„Am 02.05.2003 fuhr der Betroffene gegen 19.05 Uhr mit dem Lkw MAN die M.- Straße in G. Nach Erreichen des Kreuzungsbereichs R.-B.-Straße/P.- Straße fuhr der Betroffene rückwärts ohne Einweiser in die R.-B.-Straße ein und kollidierte dort mit dem am rechten Fahrbahnrand abgestellten Pkw BMW des Zeugen R. S. Durch den Unfall entstand am Pkw BMW ein Schaden von 2.000,- €.“
Diesen Sachverhalt hat das Amtsgericht rechtlich dahin gewürdigt, dass der Betroffene damit einen anderen Verkehrsteilnehmer beim Rückwärtsfahren fahrlässig gefährdet habe im Sinne des § 9 Abs. 5 StVO.
Das ist rechtsfehlerhaft. Es liegt lediglich ein Verstoß gegen das allgemeine Sorgfaltsgebot des § 1 Abs. 2 StPO vor.
Die Vorschrift des § 9 Abs. 5 StVO dient nach allgemeiner Rechtsansicht dem Schutz des fließenden Verkehrs (siehe nur OLG Stuttgart NZV 2004, 420; OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 154; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 9 StVO Rn. 51). Das Rückwärtsfahren stellt regelmäßig einen für den allgemeinen Verkehrsfluss atypischen Vorgang dar, dem wegen der vom Normalbetrieb abweichenden technischen Handhabung des rückwärts bewegten Fahrzeugs eine erhöhte Gefährlichkeit anhaftet. Dies rechtfertigt erhöhte Sorgfaltsanforderungen zum Schutz anderer Teilnehmer am fließenden Verkehr (siehe OLG Hamburg VRS 98, 223, 224; OLG Stuttgart a.a.O. S. 420; OLG Koblenz a.a.O. S. 154 f).
Diesem speziellen Schutzzweck der Norm entsprechend ist ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO nicht gegeben, wenn der Rückwärtsfahrende aus Unachtsamkeit ein parkendes Fahrzeug gefährdet oder beschädigt, eine Gefährdung von Teilnehmern des fließenden Verkehrs aber ausgeschlossen ist.
Dementsprechend hat das Oberlandesgericht Stuttgart (a.a.O.) einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO in einem Fall verneint, in dem der Betroffene beim Zurücksetzen aus einer Parkbucht ein benachbartes parkendes Fahrzeug streifte. Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von diesem Fall nur dadurch, dass der Betroffene hier nicht aus einem Bereich des ruhenden Verkehrs in eine dem fließenden Verkehr vorbehaltene Verkehrsfläche einfuhr, sondern sich rückwärts auf einer dem fließenden Verkehr dienenden Fläche fortbewegte und dabei ein dem ruhenden Verkehr zuzuordnendes parkendes Fahrzeug beschädigte. Dieser Unterschied ist jedoch rechtlich bedeutungslos. In Anbetracht des oben genannten Schutzzweckes der Norm ist allein maßgeblich, dass kein Teilnehmer am fließenden Verkehr gefährdet wurde (so auch OLG Koblenz a.a.O. S. 154 f; zur Erforderlichkeit einer konkreten Gefahr siehe Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 9 Rn. 150; vgl. auch OLG Köln NJW 1983, 2953; Hentschel, a.a.O., § 3 StVO Rn. 56, beide zu § 3 Abs. 2a StVO; Nr. 44 BKat). An einer solchen Gefährdung des fließenden Verkehrs fehlt es hier nicht minder als in dem der Entscheidung des OLG Stuttgart zugrunde liegenden Sachverhalt.
Einer Aufhebung des Urteils unter Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht bedurfte es nicht. Da keine weiteren als im Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu erwarten sind, konnte der Senat gem. § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst entscheiden.
Für die vom Betroffenen fahrlässig begangene Ordnungswidrigkeit nach § 49 Abs. 1 Nr. 1, § 1 Abs. 2 StVO, § 24 StVG erscheint als Rechtsfolge eine Geldbuße in Höhe des Regelsatzes gem. § 1 BKatV, Nr. 1.4. BKat angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO, § 46 Abs. 1 OWiG.