Das Verkehrslexikon
OLG Hamm Urteil vom 17.06.1993 - 27 U 55/93 - Treibstoffmangel und grobe Fahrlässigkeit
OLG Hamm v. 17.06.1993: Das Liegenbleiben auf der Autobahn infolge Treibstoffmangels kann den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen
Das OLG Hamm (Urteil vom 17.06.1993 - 27 U 55/93) hat entschieden:
Das Liegenbleiben auf der Autobahn infolge Treibstoffmangels kann den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründen.
Siehe auch Liegenbleiben infolge von Treibstoffmangel und Die grobfahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls
Zum Sachverhalt: Die Klägerin hat vollen Ersatz von Unfallschäden begehrt, die ihr am 13. 7. 1991 um 9.55 Uhr als Halterin eines Mietwagens VW-Bus auf der R.-Brücke der A 2 dadurch entstanden sind, dass der Bekl. - ein Mitarbeiter der Mieterin Fa. G. - angeblich wegen Benzinmangels liegengeblieben und ein Sattelzug aufgefahren war.
Die KI. hat gemeint, der Bekl. habe grob fahrlässig gehandelt, und hat sich deshalb für berechtigt gehalten, ihn trotz des bei Anmietung vereinbarten Haftungsausschlusses „nach den Grundsätzen einer Vollkaskoversicherung” entsprechend § 61 VVG in Regress nehmen zu können.
Das LG hat der Klage bis auf einen Teil der Zinsforderung stattgegeben. Die Berufung der Bekl. blieb ohne Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Zutreffend hat das LG der Kl. vollen Ersatz zugesprochen, da auch der Senat die Auffassung vertritt, dass der Bekl. den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat (1), - ohne dass der Kl. ein Eigenverantwortungsanteil anzulasten ist (2)...
1.... Die Feststellung des Polizeibeamten C, der Tank des VW Bus sei restlos leer gewesen, spricht für sich. Bezeichnend ist auch, dass der Bekl. die anhaltenden Fahrzeugführer jeweils um einen Reservekanister befragt hat und schließlich sich zur Tankstelle hat bringen lassen. Diese unstreitigen Umstände tragen ohne weiteres die Feststellung, dass der Bekl. den Wagen „leergefahren” hat.
Bereits deshalb ist der Bekl. dem Vorwurf ausgesetzt, den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt zu haben. Das Maß der vorsorglichen Sorgfalt bestimmt sich nach den drohenden Gefahren. Die Risiken des Liegenbleibens auf der Autobahn sind enorm. Das gilt insbesondere für stark befahrene Strecken mit vielen Anschlüssen und Brückenbauwerken. Deshalb hätte der Bekl. sich intensiv darum kümmern müssen. dass ausreichend Treibstoff im Tank war. Dass er insoweit gar nichts unternommen hat und sich allein auf die Tankuhr verlassen haben will, bedeutet einen objektiv schweren Verstoß gegen die gebotene Vorsicht. Die Unzuverlässigkeit allein der Angaben von Frau R, auf der Fahrt vorher für 50 DM getankt zu haben, sowie der angeblich nicht auffälligen Tankanzeige für die Einschätzung des wirklichen Tankinhalts drängten sich auf und hätten sofort jedem verantwortungsvollen Fahrzeugführer eingeleuchtet. Der Bekl. hat sich indes offenbar keine Gedanken darüber gemacht und sogar ein vorübergehend blinkendes Warnlicht unbeachtet gelassen, obwohl er es mit dem Tankinhalt in Verbindung gebracht hat. Das stellt auch subjektiv ein schwerwiegendes Versagen dar. Die Unfallgefahr bei einem Liegenbleiben auf der Autobahn lag auf der Hand. Der Bekl. hatte zwar erst gute 15 Monate seine Fahrerlaubnis und war daher - trotz angeblich guter Fahrpraxis - womöglich noch nicht durch eigene Erfahrungen hinreichend vorgewarnt. Es gehört aber zur Grundausbildung von Fahrschülern, dass sie über die besonderen im übrigen auch auf der Hand liegenden Risiken von Autobahnfahrten unterrichtet werden und beispielsweise auch den Sinn des absoluten Halteverbots auf der Autobahn (§ 18 VIII StVO) erklärt bekommen.
Letztlich kommt es allerdings nicht darauf an, ob allein schon der Leichtsinn, mit einem fremden Fahrzeug ohne Überprüfung des Tankinhalts trotz geringer Anzeige der Uhr eine längere Autobahnfahrt durchzuführen, für sich betrachtet als grob fahrlässig gesetzte Unfallursache zu qualifizieren ist. Denn entgegen der Berufung bestimmt sich das Gewicht des Verschuldens anhand einer Gesamtwürdigung des Fehlverhaltens. Es geht um die persönliche Verantwortung für den Eintritt der rechtswidrigen Rechtsgutverletzung und nicht um die Beurteilung von Einzelursachen. Deshalb ist auch das Verhalten des Bekl. nach dem Liegenbleiben in die Betrachtung einzubeziehen, soweit er dadurch schuldhaft weitere Unfallursachen gesetzt hat.
Dies trifft zumindest für das Nichtaufstellen des Warndreiecks zu .. . Der Bekl. will auch um die Bedeutung dieser Schutzmaßnahme gewusst und das Aufstellen lediglich der Aufregung wegen vergessen haben. Dadurch hat er den Unfall ebenfalls verschuldet. Die Sicherungspflicht gem. § 15 S. 2 StVO soll vor allem das Auffahrrisiko verringern. Deshalb spricht bei einem Verstoß gegen diese Anordnung eine tatsächliche Vermutung für den Kausalzusammenhang mit einem nachfolgenden Auffahrunfall, weil speziell der an sich abzuwehrende Schaden eingetreten ist. Jedenfalls in Verbindung mit diesem weiteren Schuldvorwurf erweist sich die Herbeiführung des Unfalls durch den Bekl. als grob fahrlässig.
2. Die KI. musste nicht von sich aus auf den Gedanken kommen, dass ein berechtigter Fahrer wegen Benzinmangels auf der Bundesautobahn liegenbleiben könnte. Das Fahrzeug hatte einen Tankanzeiger, so dass jederzeit Vorsorge möglich war. Ohne konkrete Anhaltspunkte, die sich bei ihrer Mieterin - der Fa. G. - nicht vorfanden, musste die Kl. nicht vorsichtshalber ein auf Leichtsinn beruhendes Schadensrisiko in Erwägung ziehen. Um diesem zu begegnen, hätte es hier außerdem nur eines Hinweises auf das Erfordernis rechtzeitiger Betankung des Fahrzeugs bedurft; die Anschaffung eines Reservekanisters war insoweit nicht notwendig.
Die KI. braucht auch nicht für das Fehlverhalten des Lkw-Fahrers G einzustehen, der auf ihren liegengebliebenen Mietwagen aufgefahren ist. Eine Zurechnungsnorm für Fremdverschulden ist nicht ersichtlich. Auf die Gewichtung nach § 17 StVG im Verhältnis der Unfallbeteiligten zueinander kommt es vorliegend nicht an. Die Kl. und der Bekl. stehen als Halterin bzw Fahrzeugführer auf derselben Seite. In diesem Innenverhältnis haftet der Bekl. voll. Ob er im Außenverhältnis zum Unfallgegner (teilweise) Rückgriff nehmen kann, ist nicht zu entscheiden. ..."