Das Verkehrslexikon

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OLG Koblenz Urteil vom 26.01.2004 - 12 U 1439/02 - Haftungsanteil von 2/3 zu Lasten eines Motorradfahrers, der zwei langsam fahrende eingeordnete Pkw überholt, von denen einer links blinkt

OLG Koblenz v. 26.01.2004: Haftungsanteil von 2/3 zu Lasten eines Motorradfahrers, der zwei langsam fahrende eingeordnete Pkw überholt, von denen einer links blinkt


Das OLG Koblenz (Urteil vom 26.01.2004 - 12 U 1439/02) hat die Haftung im Verhältnis 2/3 zu 1/3 zu Lasten eines Kradfahrers verteilt, der zwei Pkw überholte, die beide langsam und zur Mitte eingeordnet fuhren und von denen an einem Fahrzeug das linke Blinklicht eingeschaltet war:
Haben zwei vorausfahrenden Kraftfahrzeuge ihre Geschwindigkeit herabgesetzt und sich nach links zur Fahrbahnmitte eingeordnet und hat das vordere Fahrzeug überdies den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt, liegt eine unklare Verkehrslage i.S.d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vor. Überholt ein Motorradfahrer trotzdem in dieser Situation links und es kommt zu einer Kollision mit dem vorderen Fahrzeug, als dieses zum Linksabbiegen ansetzt, haftet der Überholende mindestens zu 2/3 für den entstehenden Schaden.


Siehe auch Überholen allgemein und Stichwörter zum Thema Überholen


Zum Sachverhalt:: Der Kl. befuhr am 19. 5. 1995, einem Freitag, gegen 17.05 Uhr in T. mit seinem Motorrad Marke BMW 750 die L.-Straße ... . Die L. -Straße verläuft an der Unfallstelle gerade. Die etwa 8,20 m breite gepflasterte Fahrbahn war zur Unfallzeit nicht mit einem Mittelstreifen versehen. Vor dem Kl. fuhr der Zeuge D. mit seinem Pkw VW Golf Cabrio (mit geöffnetem Verdeck), davor der Erstbeklagte mit dem Pkw VW Golf, dessen Halterin die Zweitbeklagte und das bei der Drittbeklagten gegen Haftpflicht versichert ist, in dieselbe Richtung. Die Pkws fuhren dicht hintereinander. Sowohl der Zeuge D. als auch der Erstbeklagte wollten nach links auf das Betriebsgelände der Firma U. abbiegen ... . Beide Pkws hatten deshalb ihre Fahrgeschwindigkeit deutlich verlangsamt. Der Erstbeklagte hatte sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, fuhr nur noch mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h und hatte den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Der Kl. überholte das Fahrzeug des Zeugen D und setzte — für den Erstbeklagten erkennbar — auch zum Überholen des weiteren Fahrzeugs an. Er fuhr etwa mit 50 km/h. Der Kl. machte eine Vollbremsung und kam zu Fall, als der Erstbeklagte zum Abbiegen ansetzte; der Kl. rutschte mit seinem Motorrad gegen das Auto des Erstbeklagten.

Das LG hat der Klage nach Maßgabe einer Haftungsquote von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Kl. statt-gegeben: Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

Nach dem fehlerfrei festgestellten Sachverhalt sind die Wertungen des LG und seine Bestimmung der Schadenshöhe, soweit diese von der Berufung überhaupt angegriffen wird, nicht zu beanstanden.

1. Die Haftungsquote ist vom LG im Ergebnis zu Recht auf Haftungsanteile von 1/3 zu 2/3 zu Lasten des Kl. bestimmt worden.

Den Erstbeklagten trifft ein Verschulden insoweit, als der Kl. für ihn erkennbar gewesen wäre. Bog er gleichwohl ab, so hat er § 9 Abs. 1 und Abs. 5 StVO verletzt. Der Kl. hin-gegen hat § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO verletzt. Eine unklare Verkehrslage, die nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO ein Überholen verbietet, liegt vor, wenn nach allen Umständen mit einem gefahrlosen Überholen nicht gerechnet werden darf (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 5 StVO Rdn. 34). Sie ist auch dann gegeben, wenn sich nicht sicher beurteilen lässt, was der Vorausfahrende sogleich tun wird (KG NJW '1987, 1251). Dies ist dann der Fall, wenn bei einem vorausfahrenden Fahrzeug der linke Fahrtrichtungsanzeiger betätigt wird und dies der nachfolgende Verkehrsteilnehmer erkennen konnte. Dagegen liegt eine unklare Verkehrslage nicht schon dann vor, wenn das vorausfahrende Fahrzeug verlangsamt, selbst wenn es sich bereits etwas zur Fahrbahnmitte eingeordnet haben sollte. Ein solcher Fall lag nach den vom LG fehlerfrei getroffenen Feststellungen nicht vor. Denn danach hatte der Erstbeklagte sich nicht nur zur Fahrbahnmitte nach links eingeordnet; er hatte auch seine Fahrgeschwindigkeit deutlich verringert und den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt. Hinzu kam, dass kurz hintereinander zwei Fahrzeuge vorausfuhren. Dann aber lag eine Verkehrslage vor, bei der dem Kl. das Überholen nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO untersagt war.

Die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen gem. § 17 StVG ergibt in dieser Lage nach den Maßstäben der Rspr. Folgendes: Wer bei unklarer Verkehrslage überholt, haftet selbst grundsätzlich mindestens nach einer Quote von einem Drittel, so wenn der Abbieger zwar blinkt, vor dem Abbiegen aber die zweite Rückschau (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) unterlässt. Die Haftung des Überholers kann sich auf zwei Drittel (KG VerkMitt 1993, 59 = NZV 1993, 272) oder sogar auf drei Viertel (KG VerkMitt 1995, 92) steigern, wenn der Abbieger blinkt, sich zur Mitte einordnet, aber die zweite Rückschau versäumt und in dieser Situation nur rechts hätte überholt werden dürfen (KG Urteil vom 1. 2. 1999 — 12 U 8772/97). So lag es hier; wobei hinzukommt, dass dem Kl. zwei Fahrzeuge mit gleichermaßen erkennbarer Einordnung und Geschwindigkeitsreduzierung vorausfuhren. Auch das Überholen mehrerer vorausfahrender Fahrzeuge bei unklarer Verkehrslage wird in der Rspr. zum Anlass genommen, die Mithaftungsquote des Überholers zu erhöhen (vgl. OLG Hamm NZV 1993, 313).

Nach allem ist die Annahme des LG, die Mithaftung des Kl. belaufe sich auf zwei Drittel, jedenfalls nicht zu seinem Nachteil fehlerhaft (vgl. OLG Saarbrücken OLG-Report Saarbrücken 1999, 255 f.).







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