Das Verkehrslexikon
OLG Koblenz Urteil vom 17.01.2005 - 12 U 193/04 - Ein Überholen bei unklarer Verkehrslage wiegt besonders schwer, wenn der Überholer mehrere Fahrzeuge passieren will
OLG Koblenz v. 17.01.2005: Ein Überholen bei unklarer Verkehrslage wiegt besonders schwer, wenn der Überholer mehrere Fahrzeuge passieren will
Das OLG Koblenz (Urteil vom 17.01.2005 - 12 U 193/04) hat Alleinhaftung des überholenden - fahrerlaubnislosen und mehrfach einschlägig vorbestraften - Motorradfahrers angenommen, der trotz unklarer Verkehrslage eine extrem langsame und unsichere Kfz-Führerin, hinter der bereits ein anderes Fahrzeug verharrte, überholt hat:
Ein Überholen bei unklarer Verkehrslage wiegt besonders schwer, wenn der Überholer mehrere Fahrzeuge passieren will. Dahinter kann das mitwirkende Verschulden eines Überholten zurücktreten.
Setzt der Überholer sich zudem zu wiederholten Male über das Verbot des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinweg und erleidet er bei dem im Rahmen der verbotenen Fahrt verursachten Verkehrsunfall Verletzungen, so ist dies bei der Abwägung der Haftungsanteile zu berücksichtigen. Der Grundsatz von Treu und Glauben lässt es tendenziell nicht zu, dass der verbotswidrig Fahrende andere Verkehrsteilnehmer zur Rechenschaft zieht, ohne dabei auch zu berücksichtigen, dass er selbst die gefährliche Lage mit geschaffen hat.
Die generelle Unzuverlässigkeit des vielfach verkehrsstrafrechtlich verurteilten Verkehrsteilnehmers kann auch ein Indiz für einen Fahrfehler sein.
Siehe auch Überholen allgemein und Stichwörter zum Thema Überholen
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Nach den Feststellungen hat der Kläger § 5 Abs. 3 Nr. 1 und Abs. 4 Satz 2 StVO verletzt. Die Zeugin B... hatte ihre Geschwindigkeit reduziert und wollte abwarten, weil ihr das Fahrmanöver der Erstbeklagten unklar erscheinen war. Der Kläger aber wollte beide Fahrzeuge trotz ihrer deutlichen Geschwindigkeitsreduzierung und der erkennbaren Orientierung der Erstbeklagten zur Fahrbahnmitte überholen. Infolge der Schrägstellung ihres Fahrzeugs war es für den Kläger von der Heckansicht des Fahrzeugs der Erstbeklagten nicht vollständig verdeckt. Die unklare Verkehrslage war, auch mit Blick auf die Geschwindigkeitsverringerung der Zeugin B..., erkennbar. Ein Überholen bei unklarer Verkehrslage war dem Kläger dann nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO untersagt. Die Verletzung von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO durch ihn lässt hier ein Verschulden der Erstbeklagten zurücktreten. Denn den Überholer mehrerer Fahrzeuge bei unklarer Verkehrslage trifft ein überwiegendes Mitverschulden gegenüber dem Verschulden des sich gegebenenfalls unter Vernachlässigung der Rückschaupflicht links orientierenden Verkehrsteilnehmers (vgl. Senat, Urteil vom 15. März 2004 - 12 U 319/03). Hinzu kommt, dass der Kläger das Fahrzeug der Zeugin B... mit zu geringem Seitenabstand überholte; dadurch hat er auch gegen § 5 Abs. 4 Satz 2 StVO verstoßen. Er wollte noch auf der rechten Fahrspur trotz unklarer Verkehrslage zwei Fahrzeuge überholen. Die Erstbeklagte hat, wenn sie nicht bereits gestanden hatte, §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2 StVO verletzt. Das wiegt - gegebenenfalls - nicht so schwer wie das Verschulden des Klägers und tritt dahinter zurück.
Der Gesichtspunkt des Handelns des Klägers auf eigene Gefahr ist nach dem Gesagten bereits nicht mehr entscheidungserheblich; er käme sonst ergänzend hinzu. Dem Kläger war das Führen von Kraftfahrzeugen bei Strafandrohung verboten (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG). Setzte der Kläger sich insoweit zu wiederholten Male bewusst über das Verbot des Fahrens ohne Fahrerlaubnis hinweg und erlitt er bei dem Unfall im Rahmen der verbotenen Fahrt Verletzungen, so ist nach §§ 242, 254 BGB darüber zu entscheiden, welchen Einfluss dies auf die Haftung der Beklagten hat. Zwar bleibt die Kausalität des konkreten Verkehrsverhaltens unberührt, jedoch ist es der Grundsatz von Treu und Glauben, der es tendenziell nicht zulässt, dass der Geschädigte die erstbeklagte Schädigerin zur Rechenschaft zieht, ohne dabei im Rahmen der Abwägung auch zu berücksichtigen, dass er selbst die gefährliche Lage mit geschaffen hat (vgl. BGHZ 34, 355, 363; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 16 StVG Rn. 10, 11). Die Tat nach § 21 StVG vergrößert den Mithaftungsanteil des Klägers. ..."