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OLG Nürnberg (Urteil vom 22.12.2006 - 5 U 1921/06 - Zur Haftungsverteilung zwischen dem Halter eines nachts unbeleuchtet abgestellten Anhängers und dem Fahrer eines Motorrollers
OLG Nürnberg v. 22.12.2006: Zur Haftungsverteilung zwischen dem Halter eines nachts unbeleuchtet abgestellten Anhängers und dem Fahrer eines Motorrollers
Das OLG Nürnberg (Urteil vom 22.12.2006 - 5 U 1921/06) hat entschieden:
Zur Haftungsverteilung zwischen dem Halter eines nachts unbeleuchtet auf einer Gemeindeverbindungsstraße abgestellten landwirtschaftlichen Anhängers und dem Fahrer eines Motorrollers, der gegen das Sichtfahrgebot verstößt (70:30 zu Lasten des Hindernisbereiters).
Siehe auch Fahrzeugbeleuchtung / Fahren ohne Licht / unbeleuchtete Hindernisse
Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten um die Haftung für einen Verkehrsunfall, der sich am 25. Oktober 2004 kurz nach 21.00 Uhr auf der Gemeindeverbindungsstraße von R. nach O. ereignete.
Der Kläger befuhr die nur 3 m breite Straße mit der bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit seines Motorrollers von 50 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht. Er prallte ungebremst gegen Deichsel und Bordwand des 1,52 m breiten, auf der vom Kläger aus gesehen rechten Fahrbahnseite unbeleuchtet abgestellten landwirtschaftlichen Anhängers des Beklagten zu 1). Bei einer Geschwindigkeit von bis zu 25 - 30 km/h hätte der Kläger den landwirtschaftlichen Anhänger rechtzeitig gesehen und ihm ausweichen können; bei der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit war der Unfall für ihn unvermeidbar.
Das Landgericht hat die Beklagten durch Endurteil vom 25. Juli 2006, auf das wegen der näheren Einzelheiten verwiesen wird, dazu verurteilt, den materiellen und immateriellen Schaden des Klägers unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 80% zu ersetzen.
Die Berufung der Beklagten hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Beklagten haften nach § 7 Abs. 1 StVG, § 3 Nrn. 1, 2 PflVG als Gesamtschuldner für die durch den streitgegenständlichen Unfall verursachten materiellen und immateriellen Schäden des Klägers. Diese Haftung ist jedoch nach § 17 StVG auf 70 % des Schadens beschränkt, da dieser auch vom Kläger mit verursacht wurde und der Unfall für keine der Parteien ein unabwendbares Ereignis war.
a) Unabwendbar war der Unfall insbesondere für den Kläger schon deshalb nicht, weil er gegen das in § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO normierte Sichtfahrgebot verstoßen hat.
Im Hinblick auf die zumindest unklaren Ausführungen zu diesem Thema sowohl in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils wie in der Berufungsbegründung des Klägers hält der Senat folgende Klarstellung für geboten: Das Sichtfahrgebot ist die wichtigste Regel für die Fahrgeschwindigkeit (Burmann in Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 9. Aufl. § 3 Rdnrn. 4ff). Der Bundesgerichtshof hat es als „goldene Regel" bezeichnete (BGHSt. 16, 145). Sie gilt ausnahmslos auf allen Straßen und für alle Fahrzeugarten, auch für Fahrradfahrer (OLG Nürnberg NZV 2004, 358), bei Tag, Dunkelheit und unter allen Witterungsverhältnissen (BGH VRS 67, 195). Fahren auf Sichtweite bedeutet, dass der Fahrer in der Lage sein muss, vor einem Hindernis, das sich bereits auf der Straße befindet, innerhalb der übersehbaren Strecke anzuhalten (BGH NJW-RR 1987, 1235). Mit solchen, auch unbeleuchteten Hindernissen wie Fußgängern oder stehenden, unbeleuchteten Fahrzeugen (BGHSt. a. a. 0.; NZV 1988, 57) auf dem nicht einsehbaren Teil seiner Fahrbahn muss der Fahrzeugführer immer rechnen (BGH VRS 6, 296; 35, 117).
Anderes gilt nur für auf der Fahrbahn befindliche Gegenstände, deren Erkennbarkeit in atypischer Weise besonders erschwert ist. Diese sind, wie etwa ein Splitthaufen oder ein Reifenprotektor (BGH VersR 1972, 1067; VersR 1984, 741), durch fehlenden Kontrast und hohe Lichtabsorption gekennzeichnet. Der streitgegenständliche Anhänger zählt ebenso wenig wie ein unbeleuchteter, mit einem Tarnanstrich versehener Panzer (BGH DAR 1937, 325), ein Lkw-Reifen (OLG Jena OLGR 2006, 96), Papierrollen (OLG Koblenz NZV 2006, 198) oder dunkel gekleidete Fußgänger (OLG Nürnberg OLGR 2003, 230) zu diesen Ausnahmefällen; er ist hierfür schon viel zu groß.
Das Sichtfahrgebot zeigt die höchstzulässige Geschwindigkeit an und wird durch den Vertrauensgrundsatz nur dahin beschränkt, dass der Kraftfahrer nicht damit rechnen muss, dass ein Entgegenkommender mit einer ins Gewicht fallenden Geschwindigkeit verkehrswidrig auf ihn zufährt und dass während seiner für andere sichtbaren Annäherung von der Seite her keine Hindernisse in die Fahrbahn gelangen (BGH NJW 1985, 1950).
Wenn der Kläger, ob bauartbedingt oder aus anderen Gründen mit Abblendlicht fuhr, war er verpflichtet, seine Geschwindigkeit an dessen kürzere Reich- und Sichtweite anzupassen (BGH VM 63, 52; BGHSt. a. a. O.; OLG Frankfurt DAR 1991, 99; OLG Hamm NZV 1992, 407). Ihm ist also nicht vorzuwerfen, dass sein Roller nur über Abblendlicht verfügt, sondern dass er seine Fahrweise nicht an diese Gegebenheiten angepasst hat.
b) Für den Beklagten zu 1) war der Unfall wegen der von ihm eingeräumten Verstöße gegen die StVO ebenso wenig unvermeidbar; sein Verursachungsanteil wiegt sogar deutlich schwerer als der des Klägers.
aa) Der Beklagte zu 1) hat zunächst gegen § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO verstoßen, der jegliches Halten und damit erst recht Parken an engen Straßenstellen verbietet. Eng in diesem Sinne ist eine Straßenstelle, wenn der neben dem parkenden. Fahrzeug zur Durchfahrt frei bleibende Raum einem Fahrzeug mit der regelmäßig höchstzulässigen Breite von 2,50 m (§ 32 Abs. 1 Satz 1 StVZO) nicht die Einhaltung des Sicherheitsabstandes von 0,50 m von dem abgestellten Fahrzeug gestattet und damit ein gefahrloses Vorbeifahren ohne ungewöhnliche Schwierigkeiten ermöglicht. Der Haltende muss. daher eine Fahrbahnbreite von wenigstens ca. 3m bis 3,50 m zum gegenüberliegenden Fahrbahnrand freihalten (BayObLG NJW 1960, 1484; OLG Düsseldorf NZV 2000, 339/ Hess in Janiszewski/Jagow/Burmann, a. a. O., § 12 Rdnr. 6).
Der 1,52 m breite Anhänger des Beklagten zu 1) bildete für den Verkehr auf der nur 3 m breiten Gemeindeverbindungsstraße ein Hindernis, das von einem gewöhnlichen Pkw nicht nur nicht leicht, sondern nahezu überhaupt nicht ohne Inanspruchnahme der neben der Straße liegenden landwirtschaftlichen Nutzflächen umfahren werden konnte. Da der Anhänger zudem für mehrere Stunden während der Dunkelheit abgestellt war, wiegt dieser Verkehrsverstoß außergewöhnlich schwer.
bb) Der Beklagte zu 1) hat seinen Anhänger zudem entgegen § 14 Abs. 4 Satz 1 StVO nicht mit einer eigenen Lichtquelle beleuchtet. Angesichts der Größe des Anhängers und der geringen Breite der Gemeindeverbindungsstraße erscheint dieses Verhalten des Beklagten zu 1) kaum verständlich.
cc) Schließlich hat der Beklagte zu 1) die von ihm hervorgerufene erhebliche Gefahr für den Verkehr noch dadurch weiter vergrößert, dass er entgegen § 12 Abs. 4 StVO seinen Anhänger nicht rechts sondern links parkte, ohne dass die hierfür in Satz 4 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen gegeben waren.
So hatte der herannahende Kläger ebenso wie andere Verkehrsteilnehmer nicht einmal die Chance durch die Wirkung der roten Rückstrahler das Hindernis früher zu erkennen. Stattdessen ragte ihm die Anhängerdeichsel entgegen.
Die Summe der vom Anhänger des Beklagten zu 1) ausgehenden und sich beim Unfall auswirkenden Gefahren -Parken auf der linken Seite, Parken an einer Engstelle und fehlende Beleuchtung - ist erheblich größer als die vom Motorroller des Klägers ausgehende Gefahr, die nur durch die wenn auch erheblich überhöhte Geschwindigkeit vergrößert wurde.
Wegen der Wichtigkeit einer ordnungsgemäßen Fahrzeugbeleuchtung für die Erkennbarkeit durch andere Verkehrsteilnehmer kann sich der Verkehr grundsätzlich darauf verlassen, dass Fahrzeuge unter den in § 17 StVO genannten Umständen ordnungsgemäß beleuchtet sind. Bei Unfällen, die auf dem Verstoß eines Verkehrsteilnehmers gegen die Beleuchtungspflicht beruht, wird daher vielfach dessen alleinige oder doch überwiegende Haftung bejaht (KG DAR 1983, 82; OLG Hamm Schaden-Praxis 1996, 339; VersR 1999, 898/900; OLG Köln VersR 1988, 751; OLG Stuttgart Schaden-Praxis 1996, 272). Hier kommt die im Verhältnis zum Straßenquerschnitt außergewöhnliche Breite des unbeleuchteten Anhängers und des Parken entgegen der Fahrtrichtung hinzu.
Das Gewicht des Verursachungsbeitrags des Beklagten zu 1) wird noch weiter erhöht durch den Grad des ihm anzulastenden Verschuldens (BGH NZV 2005, 249). Ihm unterlief anders als dem Kläger nicht nur eine im fließenden Verkehr infolge ungenügender Aufmerksamkeit immer wieder vorkommende Verletzung von Verkehrsvorschriften. Er ließ seinen Anhänger bewusst als ein angesichts der Dunkelheit gefährliches Hindernis für die anderen Verkehrsteilnehmer stehen. Wenn er auch gewiss nicht mit einem Unfall wie dem streitgegenständlichen gerechnet hat, so offenbart dieses Verhalten doch ein besonderes Maß an Rücksichtslosigkeit gegenüber den Interessen der anderen Verkehrsteilnehmer, die während mehrerer Stunden diese Gemeindeverbindungsstraße zumindest mit Pkws nur dann benutzen konnten, wenn sie bereit und in der Lage waren über den Acker zu fahren.
Nur weil andererseits der Kläger nahezu doppelt so schnell unterwegs war als erlaubt, hält der Senat hier die beim Auffahren auf ein unbeleuchtetes Hindernis weithin übliche Haftungsverteilung von 70 % zu 30 % zu Lasten desjenigen der das Hindernis zu verantworten hat, für angemessen. ..."