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BGH Urteil vom 23.10.1984 - Vl ZR 30/83 - Zur Wirkung eines Anerkenntnisses der Versicherung als Feststellungsurteil

BGH v. 23.10.1984: Zur Wirkung eines Anerkenntnisses der Versicherung als Feststellungsurteil


Der BGH (Urteil vom 23.10.1984 - Vl ZR 30/83) hat zur Wirkung eines Anerkenntnisses des Haftpflichtversicherers entschieden:
  1. Hat der Schädiger dem Unfallverletzten für die verspätete Aufnahme eines Fachhochschulstudiums einzustehen, so haftet er grundsätzlich auch für Verzögerungen des Studiums durch einen allgemeinen Vorlesungsstreik der Studenten, denen der Verletzte ohne den Unfall nicht ausgesetzt gewesen wäre.

  2. Erteilt der Haftpflichtversicherer des Schädigers dem Geschädigten ein schriftliches Anerkenntnis, mit dem er dessen materiellen Zukunftsschaden dem Grunde nach anerkennt, um ihm eine Feststellungsklage zu ersparen, so kann das Anerkenntnis unter Umständen ein Feststellungsurteil über die Schadenersatzpflicht mit der Folge "ersetzen", dass sich die Verjährung der Ersatzansprüche des Geschädigten für den Zukunftsschaden nach § 218 BGB richtet.

Siehe auch Abfindungsvergleich und Verjährung der Schadensersatzansprüche und Stichwörter zum Thema Personenschaden


In den Gründen des Urteils führt der BGH zum Anerkenntnis des Schädigers aus:

"... b) Von Rechtsfehlern beeinflusst ist jedoch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass auch das Schreiben des Haftpflichtversicherers des Bekl. vom 21.7.1970 der Verjährung nicht entgegenstehe. Mit diesem Schreiben hatte der Versicherer dem Kl. hinsichtlich des bis Januar 1970 geltend gemachten Restschadens die Klageerhebung anheimgestellt, im übrigen aber in Ziff.4 des Schreibens besonders hervorgehoben: "Ein weiter gehender materieller Zukunftsschaden wird dem Grund nach anerkannt."

aa) Nicht zu beanstanden ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des Anerkenntnisses dahin, dass der Haftpflichtversicherer damit keine selbständige Grundlage für den Schadenersatzanspruch des Kl. im Sinne eines sogenannten konstitutiven Anerkenntnisses schaffen wollte. Der Begründung eines solchen neuen Anspruchs bedurfte es hier nach den gesamten Umständen schon deshalb nicht, weil die Schadenersatzpflicht des Bekl. dem Grunde nach von jeher außer Streit war. Insoweit hat das Berufungsgericht deshalb das Anerkenntnis unter Berücksichtigung der Interessen der Beteiligten rechtsfehlerfrei nicht für schuldbegründend (konstitutiv), sondern lediglich für schuldbestätigend (deklaratorisch) gehalten.

bb) Mit dieser Auslegung ist jedoch die Tragweite des Anerkenntnisses nicht erschöpft. Wie das Berufungsgericht richtig sieht, wollte der Haftpflichtversicherer des Bekl. den Kl. hinsichtlich des materiellen Zukunftsschadens klaglos stellen. Dies konnte sich nach der gesamten Sachlage nur auf die Entbehrlichkeit einer Feststellungsklage beziehen, da der Zukunftsschaden des Kl. seinerzeit noch nicht mit einer Leistungsklage gerichtlich geltend gemacht werden konnte. So hat auch der Bekl. selbst in seinem Schriftsatz vom 15.2.1982 noch einmal ausdrücklich betont, der Zweck des Anerkenntnisses habe darin gelegen, dem Kl. zu ersparen, das Gericht zur Feststellung seiner Ansprüche anzurufen. Das Schreiben des Haftpflichtversicherers vom 21.7.1970 war somit von der Absicht des Haftpflichtversicherers getragen, den Kl. hinsichtlich seiner Ersatzansprüche für den ihm ab Februar 1970 entstehenden Schaden materiell-rechtlich so zu stellen, als ob er eine gerichtliche Feststellung der Ersatzpflicht des Bekl. erwirkt hätte.

In dieser Weise hat der Kl. das Schreiben auch verstanden, wie sich aus seinem Vorbringen in der Klageschrift ergibt, dass sich in Anbetracht des Anerkenntnisses eine Feststellungsklage erübrige. Damit ist durch das Anerkenntnis und seine spätestens mit der Klageschrift erfolgte Annahme durch den Kl. eine vergleichsähnliche Vereinbarung zwischen den Parteien zustande gekommen, durch die der Kl. auf die Erlangung eines Feststellungsurteils und der Bekl. auf eine gerichtliche Feststellung der gegen ihn gerichteten Ersatzansprüche bezüglich des Zukunftsschadens verzichteten (vgl. BGH vom 19.9.1963 - III ZR 121/62 = VersR 63, 1198 (1200) = NJW 63, 2316 (2317). Dem steht auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, der Umstand entgegen, dass der Bekl. sich in seiner Klageerwiderung auf Verjährung berufen hat.

Abgesehen davon, dass die vorgenannte Vereinbarung der Parteien zu diesem Zeitpunkt bereits zustande gekommen war, bezog sich die Verjährungseinrede des Bekl. ausschließlich auf den zur damaligen Zeit allein rechtshändigen Erwerbsschaden des Kl. von 1965 bis Januar 1970, nicht aber auf den erst später eingeklagten Verdienstausfall von Februar 1970 bis Dezember 1978. Dieser unterteil vielmehr der genannten Vereinbarung der Parteien, die auf deren Rechtsbeziehungen insoweit "konstitutiv" einwirkte, als sie den Anspruch des Kl. auf Ersatz des Zukunftsschaden wie bei einem erwirkten Feststellungsurteil gem. § 218 Abs.1 BGB von der Verjährungseinrede des Bekl. aus § 852Abs.1 BGB befreite (vgl. BGH vom 24.3.1976 - IV ZR 222/74 - NJW 76, 1259 (1260); Senatsurteil vom 8.5.1979 - Vl ZR 207/77 - = VersR 79, 646 (648). Dies hat das Berufungsgericht bei der Auslegung verkannt. Da es jedoch die für die Auslegung erforderlichen Tatsachenfeststellungen getroffen hat, weitere Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen und die Parteien zur Auslegung der Vereinbarung in den in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätzen vom 10. und 15.2.1982 ausführlich Stellung genommen haben, kann der erkennende Senat die Auslegung mit dem dargelegten Ergebnis selbst vornehmen.

cc) Bei der verjährungsrechtlichen Auswirkung des Anerkenntnisses vom 21.7.1970 ist allerdings zu beachten, dass dieses - wie dargelegt - zwar ein rechtskräftiges Feststellungsurteil i. S. des § 218 Abs.1 BGB zu "ersetzen", gerade deshalb aber auch keine weiter gehenden Wirkungen zu entfalten vermochte. Ein Feststellungsurteil lässt es gem. § 218 Abs. 2 BGB für regelmäßig wiederkehrende, erst künftig fällig werdende Leistungen bei der vierjährigen Verjährung des § 197 BGB ab jeweiliger Fälligkeit (§ 198 BGB) bewenden.

Ob und inwieweit der vom Kl. erst im Verlauf des Rechtsstreits geltend gemachte und nachträglich erweiterte Anspruch auf Ersatz des ihm nach dem 1.2.1970 entstandenen Verdienstausfalls und der vermehrten Bedürfnisse solche mehr als vier Jahre vor der jeweiligen Rechtshängigkeit fällig gewordenen und deshalb gem. §§ 197, 218 Abs.2 BGB verjährten Rückstände regelmäßig wiederkehrender Leistungen betrifft, hat das Berufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht festgestellt. Diese Feststellung wird es nachzuholen haben. Sie ist nicht etwa, wie die Revision meint, deshalb entbehrlich, weil der Bekl. sich nach Treu und Glauben auf die insoweit eingetretene Verjährung nicht berufen dürfe. Die Grundsätze von Treu und Glauben stehen der Einrede der Verjährung nur dann entgegen, wenn der Schuldner in dem Gläubiger das Vertrauen erweckt, dass er dessen Anspruch allein mit materiellen Einwendungen bekämpfen werde, so dass es der gerichtlichen Geltendmachung vor Eintritt der Verjährung nicht bedürfe (vgl. BGH vom 5.3.1981 - IVa ZR 196/80 - = VersR 81, 471 und vom 25.2.1982 - III ZR 26/81 - = VersR 82, 444 (445). Für ein solches Vertrauen des Kl. fehlt es hier an der sachlichen Grundlage. Da der Kl., wie bereits gesagt, dem Anerkenntnis die Bedeutung eines Feststellungsurteils beigemessen hat, kann er auch hinsichtlich der Verjährung der Rückstände nicht bessergestellt werden, als er bei einem solchen Urteil stehen würde. ..."