Das Verkehrslexikon

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Verwaltungsgericht Berlin Urteil vom 30.08.2004 - VG 11 A 174.04 - Zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht nach einem erstmaligen Parkverstoß bei einem Volljuristen

VG Berlin v. 30.08.2004: Zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht nach einem erstmaligen Parkverstoß bei einem Volljuristen


Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 30.08.2004 - VG 11 A 174.04) hat zur Anordnung einer Teilnahme am Verkehrsunterricht entschieden:
Die Anordnung der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht ist auch nach einem erstmaligen Parkverstoß bei einem Volljuristen rechtmäßig, wenn dies nötig ist, um einen Kraftfahrer, der nicht nur geringfügige Lücken in der Kenntnis der Verkehrsregeln zeigt oder deren Bedeutung verkennt oder aus charakterlichen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Erkenntnissen gemäß zu handeln, erzieherisch zur Beseitigung der bestehenden Mängel zu beeinflussen.


Siehe auch Verkehrsunterricht und Befolgungsanordnung und Stichwörter zum Thema Fahrerlaubnis und Führerschein


Zum Sachverhalt: Der 1968 geborene, aus der Türkei stammende Kläger parkte den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen B ... am 28. Juni 2003 in der John-Foster-Dulles-Allee in 10557 Berlin verkehrswidrig (Parken im eingeschränkten Haltverbot sowie fehlende Sicherung des Fahrzeuges gegen unbefugte Benutzung).

Der PKW DB, schwarz, 190 alt, Kennzeichen B ... , stand mit offenem Fahrerfenster, geöffnetem Schiebedach und unverschlossen in der John-Foster-Dulles-Allee im eingeschränkten. Haltverbot. Es befanden sich diverse Papiere und andere persönliche Gegenstände im Fahrzeug. Das Fahrzeug stand entgegen der Fahrtrichtung, schräg zum Bordstein, in Richtung Spreeweg, ca. 20 m vor der Kreuzung. Auf der regulären Fahrbahnseite Richtung Spreeweg herrschte starker Fahrzeugverkehr. Dadurch entstand ein Rückstau des gesamten einbiegenden Fahrzeugverkehrs aus dem Spreeweg bzw. Paulstraße.

Bei einer Auseinandersetzung mit dem die Anzeige aufnehmenden Polizeibeamten äußerte er sinngemäß:
„Das ist eine Frechheit von euch, die ganze Stadt abzusperren. Von diesem stressigen Verkehr werde ich ganz krank. Ihr wagt es, mich bei meiner Grillparty zu stören. Was soll das Ganze hier? Wo ist das Problem?"
Nach erfolgtem Vorwurf des Verstoßes mit rechtlicher Belehrung und Verwarnungsgeldangebot durch PHM K. sagte der Betroffene sinngemäß:
„Ich bezahle nicht, darauf lass ich es ankommen. Ich werde vor Gericht gehen, denn was ihr macht, ist unmöglich. Ich habe keine Lust, mit der Polizei zu sprechen. Das Ganze hier ist mir sowieso egal. Ich parke, wo ich will."
Mit Bescheid vom 3. November 2003 ordnete der Polizeipräsident in Berlin daraufhin die Teilnahme des Klägers am Verkehrsunterricht an, um das Verantwortungsbewusstseins des Klägers zu stärken.

Widerspruch und Anfechtungsklage blieben erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die gemäß § 42 Abs. 1, 1. Alternative VwGO statthafte Anfechtungsklage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Beklagte hat den Kläger zu Recht zur Teilnahme an einem Verkehrsunterricht aufgefordert. Rechtsgrundlage hierfür ist § 48 StVO. Danach ist, wer Verkehrsvorschriften nicht beachtet, auf Vorladung der Straßenverkehrsbehörde verpflichtet, an einem Unterricht über das Verhalten im Straßenverkehr teilzunehmen.

Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor, da der Kläger am 28. Juni 2003 einen Pkw verkehrswidrig, weil im eingeschränkten Haltverbot und ohne Sicherung gegen unbefugte Benutzung, abgestellt und damit gegen §§12 Abs. 1 und 14 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Die Straßenverkehrsbehörde hat daher ein Ermessen, ob sie den Betreffenden zu einem Verkehrsunterricht vorlädt. Von diesem Ermessen hat die beklagte Behörde ermessensfehlerfrei im Sinne von § 114 Satz 1 VwGO Gebrauch gemacht. Maßgebend für diese Beurteilung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier des Widerspruchsbescheides vom 26. Januar 2004. Zweck der Vorschrift ist es, die Sicherheit und Ordnung auf den Straßen durch Belehrung solcher Personen, die im Verkehr Fehler begangen haben, zu heben. Die Vorladung darf keinen Strafcharakter besitzen und keine zusätzliche Maßregelung desjenigen darstellen, der Verkehrsvorschriften übertreten hat. Die bloße Tatsache, dass es zu einer Verkehrsübertretung gekommen ist, genügt daher nicht. Die Vorschrift ist vielmehr dazu bestimmt, einen Kraftfahrer, der nicht nur geringfügige Lücken in der Kenntnis der Verkehrsregeln zeigt oder deren Bedeutung verkennt oder aus charakterlichen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Erkenntnissen gemäß zu handeln (vgl. hierzu BVerwGE 36, 119), erzieherisch zur Beseitigung der bestehenden Mängel zu beeinflussen. Bei einem Wiederholungstäter besteht regelmäßig Anlass hierzu, weil der Betreffende durch die Wiederholungstat gezeigt hat, dass der Anstoß durch die strafgerichtliche oder behördliche Ahndung seiner Tat nicht ausreichen wird. Aber auch bei Ersttätern können die Umstände der Tatbegehung, das Verhalten nach der Tat oder die Einlassung des Täters zur Tat Anlass zur Anordnung von Verkehrsunterricht sein, wenn besondere Anhaltspunkte dafür bestehen, dass bei dem Betreffenden ein spezielles Erziehungsbedürfnis vorhanden ist (vgl. Bayr. VGH, Urteil vom 22. Oktober 1990, NZV 1991, 207).

Nach diesen Maßstäben war die Anordnung des Beklagten frei von Ermessensfehlern. Auch wenn die Behörde nur einen einmaligen Verkehrsverstoß des Klägers - den vom 28. Juni 2003 - zum Anlass für ihre Anordnung genommen und ihn daher als „Ersttäter" behandelt hat (aus dem Verwaltungssteitverfahren VG 27 A 289.96 ergibt sich, dass der Kläger bereits 1995 mit einem Rotlichtverstoß aktenkundig geworden ist und daher gegen ihn ein Entziehungsverfahren eingeleitet wurde), bestehen besondere Anhaltspunkte für die Notwendigkeit, erzieherisch auf ihn einzuwirken. Nach den Feststellungen der Polizei hat der Kläger den Pkw nicht bloß unter Missachtung des eingeschränkten Haltverbots am Fahrbahnrand verkehrswidrig abgestellt, sondern zudem entgegengesetzt der Fahrtrichtung und darüber hinaus schräg zur Fahrbahnkante. Darüber hinaus hat sich der Kläger zunächst geweigert, den Pkw zu entfernen, vielmehr seine Ehefrau mehrfach vorgeschickt und ausrichten lassen, er wolle nicht beim Grillen gestört werden. Seine Ehefrau gab ferner an, dass ihr Mann sich nie um Parkplätze kümmere, und einfach da parke, wo er mit dem Fahrzeug anhält. Es bedurfte erst längerer Diskussion seitens der Polizeibeamten, um den Kläger zu bewegen, (nach 10 Minuten) überhaupt erst am Fahrzeug zu erscheinen. Selbst dann war er nicht bereit, das Fahrzeug unverzüglich zu entfernen, sondern beschimpfte die Polizeibeamten wie im Tatbestand aufgeführt. Erst nach weiteren 10 Minuten fuhr er den Pkw weg. Sein Verhalten bot damit ausreichend Anlass zu der Annahme,, dass er die Bedeutung und Tragweite von Verkehrsvorschriften wie auch von Anweisungen von Polizeibeamten im Straßenverkehr nicht erfasst. Es musste sich nach Auffassung des Gerichts geradezu aufdrängen, dass der uneinsichtige und renitente Kläger auf Grund seiner zu Tage getretenen Einstellung Gefahren für den Straßenverkehr bietet, denen (zunächst) mit Verkehrsunterricht entgegengewirkt werden kann.

...

Im Übrigen führt auch das Vorbringen des Klägers im Klageverfahren zu keiner anderen Beurteilung. Der Einzelrichter vermag dem Kläger schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung sowie der langjährigen Erfahrung in einer für Straßenverkehrsrecht zuständigen Kammer nicht darin zu folgen, bei allen Volljuristen sei davon auszugehen, dass ihnen auf Grund ihrer langen Ausbildungszeit die Folgen von Verkehrsverstößen wohlbekannt sind (wobei ohnehin die Folgen von Verkehrsverstößen schon kein Lehr- oder Prüfungsstoff der juristischen Ausbildung sein dürften). Jedenfalls kann das Gericht angesichts des Verhaltens des Klägers am 28. Juni 2003 nicht erkennen, dass er - und nur hierauf kommt es an -ausreichende Kenntnisse der Verkehrsvorschriften hat. Im Übrigen wäre auch dann, wenn der Kläger die Verkehrsvorschriften, gegen die er verstoßen hat, genau kennt, ein Verkehrsunterricht sinnvoll, weil er offensichtlich die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschriften nicht erfasst und mit dem Verkehrsunterricht sein Verantwortungsbewusstsein gestärkt werden könnte (vgl. VGH Kassel, VM 75, 76, OVG Bremen, DAR 61, 95). ..."