Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

BayObLG Beschluss vom 30.12.1985 - 2 Ob OWi 291/85 - Wer der abknickenden Vorfahrt folgt, muss blinken

BayObLG v. 30.12.1985: Wer der abknickenden Vorfahrt folgt, muss blinken


Das BayObLG (Beschluss vom 30.12.1985 - 2 Ob OWi 291/85) hat entschieden:
  1. Wer die in einen Linksbogen führende Vorfahrtstraße, deren Verlauf nach StVO § 42 Abs 2 durch Zeichen 306 mit Zusatzschild bekanntgegeben ist, geradeaus fahrend verlässt, biegt (nach rechts) ab.

  2. Wer als Abbieger Radfahrer nicht durchfahren lässt, verstößt gegen StVO § 9 Abs 3 S 1, nicht gegen StVO § 5 Abs 4, wenn er in zu geringen Abstand vor den durchfahrenden Radfahrern abbiegt.

Siehe auch Das Vorfahrtrecht und Stichwörter zum Thema Vorfahrt


Zum Sachverhalt:

Die Betroffene befuhr mit ihrem Pkw innerorts eine Bundesstraße in Richtung zu einer Kreuzung. In dieselbe Richtung fuhren vor ihr zwei Radfahrerinnen. Im Kreuzungsbereich verläuft die Bundesstraße in einem Linksbogen. Die rechte Fahrbahnbegrenzung ist im Bereich dieses Bodens durch eine weiße Blockmarkierung gekennzeichnet. Vor der Kreuzung ist das Zeichen 306 mit Zusatzschild, das den nach links abbiegenden Verlauf der Vorfahrtstraße bekannt gibt, angebracht. Am Beginn des Linksbogens mündet nahezu rechtwinklig von rechts eine Straße ein, an die sich. leicht nach rechts versetzt, die ausfahrt in den Nordring anschließt. In letzteren fährt nahezu geradlinig ein, wer dem Linksbogen der bevorrechtigten Bundesstraße nicht folgt Die Radfahrerinnen fuhren hintereinander in den Kreuzungsbereich ein und folgen der Vorfahrtstraße, wobei sie sich knapp links neben der Blockmarkierung bewegten. Die Betroffene, die die Vorfahrtstraße geradeausfahrend in Richtung Nordring verlassen wollte, überholte die Radfahrerinnen im Kreuzungsbereich, überfuhr die Blockmarkierung und streifte dabei mit der rechten Seite ihres Fahrzeugs das Vorderrad der vorausfahrenden und der Linkskurve folgenden Radfahrerin.

Auf Grund dieses Sachverhalts hat das AG gegen die Betroffene wegen dreier in Tateinheit begangener fahrlässiger Ordnungswidrigkeiten des fehlerhaften Abbiegens, des Schädigens eines anderen und des fehlerhaften Überholens eine Geldbuße festgesetzt.

Die zugelassene Rechtsbeschwerde der Betroffenen hatte teilweise Erfolg.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Die (zugelassene) Rechtsbeschwerde ist nur zum Teil begründet.

a) Zu Recht ist das AG davon ausgegangen, dass die Betroffene beim Einfahren in den Nordring als Rechtsabbieger nach § 9 Abs. 3 StVO verpflichtet war, die der Vorfahrtstraße folgenden Radfahrer vorbeifahren zu lassen.

Unter Abbiegen ist zwar allgemein das Verlassen der bisher befahrenen Straße nach der Seite zu verstehen; in der Regel wird es durch einschlagen eines mehr oder weniger großen Bogens geschehen, was dem Wortsinn entspricht. Auf den Fall der sog. abknickenden Vorfahrt nach § 42 Abs. 2 StVO Zeichen 306 mit Zusatzschild passt eine solche Umschreibung aber nur bedingt. Entspricht die Vorfahrtregelung dem vorgegebenen Straßenverlauf, dient die Kennzeichnung nur der Verdeutlichung. Wer der so gekennzeichneten Straße nicht folgt, verlässt sie. Wird aber durch Zeichen 306 mit Zusatzschild die Vorfahrt abweichend vom natürlichen Straßenverlauf bestimmt, kann von einem Verlassen der bisherigen Straße im natürlichen Sinn nicht gesprochen werden.

Es liegt auf der Hand, dass aus Gründen der Verkehrssicherheit eine rechtlich unterschiedliche Bewertung danach, ob die Vor-fahrt dem natürlichen Straßenverlauf folgt oder nicht, ausscheiden muss. Aus der notwendigen rechtlichen Gleichbehandlung ergibt sich vielmehr, dass im Rechtssinn auf derselben Straße weiterfährt, wer dem durch Zeichen bekannt gegebenen Verlauf der Vorfahrtstraße folgt. Das bedeutet: wer dem als Vorfahrtstraße ausgewiesenen Straßenverlauf folgt, biegt nicht ab, wer ihn verlässt, biegt im Rechtssinne ab.

Wie sich der Abbiegende zu verhalten hat, ist in § 9 StVO geregelt. Da der dem bekannt gegebenen Verlauf der Vorfahrtstraße folgende Verkehrsteilnehmer nicht abbiegt, bedurfte es einer ergänzenden Regelung, wenn von ihm ein bestimmtes Verhalten zu verlangen ist, das den Besonderheiten und Gefahren der abknickenden Vorfahrt Rechnung trägt. So ist in § 42 Abs. 2 St-VO bestimmt, dass, wer dem Verlauf der Vorfahrtstraße folgen will, das rechtzeitig und deutlich anzeigen muss; dabei sind die Richtungsanzeiger zu benützen.

Die Pflichten des Abbiegenden bleiben durch diese Sonderregelung grundsätzlich unberührt. Allerdings darf, wer geradeaus weiterfährt, aber im rechtlichen Sinne abbiegt, ein Richtungszeichen nicht setzen. Denn für die Weiterfahrt in derselben Richtung ist ein Richtungszeichen nicht vorgesehen. Ein Richtungszeichen würde zudem jedenfalls dort, wo Seitenstraßen einmünden und ein seitliches Abbiegen möglich ist, irreführen. Von dieser Ausnahme abgesehen, muss der, der die bekanntgegebene Vorfahrtstraße geradeausfahrend verlässt, sich so verhalten wie in § 9 StVO beschrieben. Er muss u.a. nach Abs. 3 Satz 1 Radfahrer durchfahren lassen, wenn sie auf der Fahrbahn oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren, was =bei abknickender Vorfahrt heißt, wenn sie dem bekanntgegebenen Verlauf der Vorfahrtstraße folgen.

Demnach hat die Betroffene dadurch gegen § 9 Abs. 3 StVO verstoßen, dass sie beim Abbiegen in den Nordring den Radfahrerinnen nicht die Durchfahrt überlassen hat, was hier bedeutet, dass sie deren Weiterfahrt auf der Vorfahrtstraße nicht abgewartet hat.

Es kann die Betroffene nicht entschuldigen, dass die Radfahrerinnen ihre Absicht, der Vorfahrtstraße zu folgen, nicht rechtzeitig und deutlich angekündigt haben, wie es § 42 Abs. 2 StVO vorschreibt. Nach den Feststellungen folgten sie dem Bogenverlauf der Blockmarkierung. Die Betroffene durfte nicht ohne weiteres davon ausgehen, auch sie würden aus der Vorfahrtstraße abbiegen. Insbesondere durfte sie nicht darauf vertrauen, dass sie rechtzeitig und deutlich ankündigen würden, dass sie der Vorfahrtstraße folgen wollten (BayObLGSt 1974, 80/82; Mühlhaus/Janiszewski StVO 10. Aufl. § 9 Anm. 9, § 8 Anm. 8a; Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 27. Aufl. §9 Rdnr. 19, §8 Rdnr. 43). Denn die Beobachtung im Straßenverkehr zeigt, dass viele Verkehrsteilnehmer heute noch die vorgeschriebene Richtungsanzeige unterlassen, sei es weil sie die gesetzliche Regelung nicht kennen, sei es weil sie ihre Notwendigkeit nicht einsehen oder darauf vergessen. ..."



Datenschutz    Impressum