Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin Urteil vom 13.12.1982 - 12 U 2001/82 - Volle Haftung, wenn Vorfahrberechtigter bei Dunkelheit ohne Licht fährt
KG Berlin v. 13.12.1982: Volle Haftung, wenn Vorfahrberechtigter bei Dunkelheit ohne Licht fährt
Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 13.12.1982 - 12 U 2001/82) geht bei einem Vorfahrtfall, bei dem der Vorfahrtberechtigte ohne Licht fährt, von voller Haftung des Vorfahrtberechtigten aus:
- Wird ein Kfz zur Nachtzeit von einem vorfahrtsberechtigten Kraftfahrer ohne Benutzung der Beleuchtungseinrichtungen geführt, so spricht bei einem Zusammenstoß mit einem von einem wartepflichtigen Kraftfahrer geführten Fahrzeug der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der Unfall von dem Vorfahrtberechtigten schuldhaft verursacht worden ist.
- Lässt sich in einem solchen Fall ein für den Unfall ursächlich gewordenes Verschulden des Wartepflichtigen nicht feststellen, so kommt die volle zivilrechtliche Hartung des Vorfahrtberechtigten in Betracht.
Siehe auch Das Vorfahrtrecht und Stichwörter zum Thema Vorfahrt
Zum Sachverhalt: Der Kl. befuhr am 20.6.1981 gegen 23.45 Uhr in S. bei regnerischem Wetter mit seinem Pkw die K.-Straße in nördlicher Richtung; er wollte nach links in die durch Verkehrszeichen als bevorrechtigt ausgewiesene R.-Straße abbiegen. Zu derselben Zeit befuhr der Bekl. zu (2) mit dem bei der Bekl. zu (3) haftpflichtversicherten und der Bekl. zu (1) gehörenden Pkw die R.-Straße in östlicher Richtung. Der Bekl. zu (2), der unter starkem Alkoholeinfluss stand (die um 1.08 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,5 ‰), hatte die Beleuchtung des von ihm geführten Fahrzeugs nicht eingeschaltet. Der Kl. bemerkte das sich nähernde Fahrzeug der Bekl. zu (1) daher nicht, als er nach einem vorübergehenden Halt an der Sichtlinie der K.-Straße zur R.-Straße weiterfuhr. Sein Fahrzeug stieß unmittelbar nach dem Wiederanfahren mit der Vorderfront gegen die rechte Seite des Wagens der Bekl. zu (1); das Fahrzeug des Kl. erlitt hierbei einen Totalschaden.
Die Bekl. zu (3) zahlte auf den dem Kl. entstandenen Sachschaden von insgesamt 16.748,50 DM vorprozessual 8.000,00 DM. Mit der Klage machte der Kl. daraufhin den Restbetrag von 8.748,50 DM geltend.
Das LG hat die Bekl. zur Zahlung von 374,25 DM nebst Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen abgewiesen. Es ging lediglich von Schadensteilung aus. Die Berufung des Kl. hiergegen hatte Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Bekl. haben den Kl. den bei dem Unfall vom 20.6.1981 entstandenen Sachschaden entgegen der Meinung des LG in voller Höhe zu erstatten.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Unfall für den Kl. ein unabwendbares Ereignis i. S. von § 7 Abs. 2 StVG gewesen ist. Die volle Haftung der Bekl. ist jedenfalls deshalb anzunehmen, weil das Schadenereignis in derart überwiegendem Maße von dem Bekl. zu (2) verursacht und verschuldet worden ist, dass die Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Kl., die allein zu dessen Lasten ins Feld geführt werden kann, nicht ins Gewicht fällt. ...
Der Ausgangspunkt der Erwägungen des LG, es handele sich um einen typischen Kreuzungszusammenstoß, ist verfehlt. Von einem solchen kann nur bei den Fällen die Rede sein, bei denen dem Verkehrsverstoß des Wartepflichtigen entweder überhaupt kein oder nur ein geringes Verschulden des Vorfahrtberechtigten mit der Folge gegenübersteht, dass der Wartepflichtige für den entstandenen Schaden nach § 17 StVG allein zu haften hat (vgl. Sprenger, KVR von A Z, "Vorfahrt, Zivilrechtliche Auswirkungen", Erläuterungen 1, S. 2-4 zu II. 2). Um einen solchen Fall handelte es sich hier, wie noch näher darzulegen sein wird, nicht.
Ebensowenig zutreffend ist die weitere Annahme des LG, für ein Verschulden des Kl. spreche der Beweis des ersten Anscheins. Zwar ist es richtig, dass beim Zusammenstoß zweier Fahrzeuge im Kreuzungs- oder Einmündungsbereich zweier Straßen die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins zu Lasten des Wartepflichtigen in Betracht kommen (Sprenger aaO S. 16f. zu III. 3; BGH VersR 1982, 903 = DAR 82, 326f.). Sie greifen hier aber deshalb nicht ein, weil es sich nicht um einen typischen Kreuzungszusammenstoß gehandelt hat, sondern vielmehr um einen Fall, bei dem der Beweis des ersten Anscheins für eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Vorfahrtberechtigten streitet. Denn der Bekl. zu (2) hatte trotz Dunkelheit entgegen § 17 Abs. 1 StVO die Beleuchtungseinrichtung des Fahrzeugs der Bekl. zu (1) nicht eingeschaltet, was nach der Lebenserfahrung dafür spricht, dass hierdurch der Unfall verursacht worden ist (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1975, 143 (144); Jagusch, Straßenverkehrsrecht 25. Aufl. § 17 StVO Rdnr. 38).
Der Verursachungsbeitrag des Bekl. zu (2) wiegt deshalb besonders schwer, weil es sich bei dem Fahren ohne Licht um einen Verkehrsverstoß handelt, der die Gefahr eines Unfalls zur Nachtzeit außerordentlich wahrscheinlich macht. Denn die Sehleistung des menschlichen Auges erreicht zur Nachtzeit nur rund 1/20 des am Tag vorhandenen Werts(Hartmann DAR 76, 326ff.). Es kommt hinzu, dass das vom Bekl. zu (2) geführte Fahrzeug von grüner, also nicht von auffälliger Farbe war (vgl. Hartmann aaO S. 336) und dass die Straßenbeleuchtung an der Einmündung der K.-Straße in die R.-Straße bei regnerischem Wetter nur unzureichend war.
Schließlich fällt auch die alkoholbedingte Fahruntauglichkeit des Bekl. zu (2) ins Gewicht. Zwar lässt sich nicht feststellen, ob ein nüchterner Fahrer auf das in die vorfahrtberechtigte R.-Straße einfahrende Fahrzeug des Kl. noch unfallverhütend hätte reagieren können. Jedoch wurde die durch das Fahren ohne Licht ohnehin erhöhte Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Bekl. zu (1) (vgl. Jagusch aaO § 17 StVG Rdnr. 15) hier durch die starke alkoholische Beeinflussung des Bekl. zu (2) noch weiter verstärkt; denn der Bekl. zu (2) war praktisch außerstande, auf überraschende Verkehrsvorgänge sachgerecht reagieren zu können.
Ein für den Unfall ursächlich gewordenes Verschulden des Kl. lässt sich dagegen nicht feststellen. Er brauchte nicht damit zu rechnen, dass auf der K.-Straße ein anderer Verkehrsteilnehmer mit einem Pkw ohne Licht fahren werde (OLG Düsseldorf VRS 5, 317f.; OLG Hamm VRS 28, 303 (305); Mühlhaus DAR 69, 1 (5); Mühlhaus/Janiszewski, StVO 9. Aufl. § 17 Anm. 2 a; Sprenger aaO S. 14 zu II. 2 b nn). Außerdem gilt es zu beachten, dass regnerisches Wetter herrschte und die Beleuchtung durch Straßenlaternen nur unzureichend war.
Schließlich fällt zugunsten des Kl. der oben in anderem Zusammenhang bereits erwähnte Umstand ins Gewicht, dass das vom Bekl. zu (2) geführte Fahrzeug der Bekl. zu (1) keine auffällige Farbe hatte. Angesichts dieser Umstände fehlt es an jedem Anhaltspunkt dafür, dass der Kl. das andere Fahrzeug rechtzeitig hätte bemerken können. ...
Die vorzunehmende Schadenabwägung muss nach alledem zur vollen Haftung der Bekl. führen (vgl. Sprenger aaO). ..."