Das Verkehrslexikon
OLG Brandenburg Urteil vom 17.03.2005 - 12 U 163/04 - Kein teilweiser Ersatz kompatibler Schäden bei unklarer Abgrenzung von Alt- und Neuschäden
OLG Brandenburg v. 17.03.2005: Kein teilweiser Ersatz kompatibler Schäden bei unklarer Abgrenzung von Alt- und Neuschäden
Das OLG Brandenburg (Urteil vom 17.03.2005 - 12 U 163/04) hat entschieden:
- Hatte ein unfallbeschädigtes Kfz bereits mehrere Vorschäden und kann nicht ausgeschlossen werden, dass die festgestellten Schäden teilweise auf diesen Vorschäden beruhen, hat der Geschädigte auch für die kompatiblen Schäden, die durch den letzten Unfall entstanden sein können, keinen Ersatzanspruch.
- Bei der Schadenregulierung auf der Basis fiktiver Reparaturkosten, ist der Schadensersatzanspruch nach oben durch den Wiederbeschaffungsaufwand, das ist der Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes, begrenzt. Die Darlegungs- und Beweislast für diese Differenz liegt beim Geschädigten.
- Zwar sind durch die Einschaltung eines Sachverständigen entstandene Kosten grundsätzlich gemäß § 249 BGB erstattungsfähig. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Privatgutachten unbrauchbar ist und der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Gutachtens selbst verschuldet hat, indem er Vorschäden nicht angegeben hat
Siehe auch Alt- bzw. Vorschäden am Fahrzeug und Altschäden - Vorschäden
Gründe:
1. Die Berufung ist zulässig. Die Beklagte zu 2. war gemäß § 67 ZPO als unselbständige Streithelferin des Beklagten zu 1. berechtigt, für den in erster Instanz anwaltlich nicht vertretenen Beklagten zu 1. das Urteil des Landgerichts mit der Berufung anzufechten (vgl. BGH NJW-RR 1993, 765; BGH NJW 1990, 190, 191). Die Berufung ist durch die Beklagte zu 2. form- und fristgemäß gemäß §§ 517 ff. ZPO eingelegt und begründet worden.
2. Die Berufung hat auch in dem nach der in der mündlichen Verhandlung erklärten teilweisen Berufungsrücknahme verbleibenden Umfang Erfolg. Da der Beklagte zu 1. im Berufungsverfahren anwaltlich nicht vertreten ist, war die Beklagte zu 2. berechtigt, das Rechtsmittel auch mit Wirkung für den Beklagten zu 1. zu beschränken (vgl. BGH NJW-RR 1999, 285, 286; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 67, Rn. 5 a.E.).
Dem Kläger stehen über die von der Beklagten zu 2. infolge der teilweisen Berufungsrücknahme anerkannte Unkostenpauschale in Höhe von 20,45 € keine weitergehenden Ansprüche gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfall vom 21.02.2001 zu.
a) Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG a.F., 3 Nr. 1 PflVG ist zwischen den Parteien in der Berufungsinstanz nicht mehr im Streit, nachdem die Beklagte zu 2. ihren ursprünglichen Einwand, dass es sich um einen vorgetäuschten Unfall gehandelt habe, nicht aufrechterhalten hat. Auch ist die Aktivlegitimation des Klägers auf Grund seiner Eigentümerstellung in zweiter Instanz unstreitig, da die Beklagte zu 2. die entsprechenden Ausführungen des Landgerichts, das zu Gunsten des Klägers die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 und 3 BGB eingreife, mit der Berufung nicht angegriffen hat. Es kann dahinstehen, ob der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, den Zeugen W., ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG a.F. gewesen ist. Jedenfalls würde im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 S. 2 StVG a.F. vorzunehmenden Haftungsabwägung die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges hinter dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1. gegen § 8 Abs. 2 StVO in vollem Umfang zurücktreten.
b) Der Kläger hat einen Schadenersatzanspruch jedoch der Höhe nach nicht schlüssig dargelegt. Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch ist, dass der Kläger darlegen und beweisen kann, dass der Beklagte zu 1. durch den Unfall am 21.02.2001 die geltend gemachten Schäden ganz oder teilweise herbeigeführt hat. Er hat jedoch nicht schlüssig dargetan, dass wenigstens ein bestimmter, näher abgrenzbarer Teil des Schadens auf dem Zusammenstoß mit dem von dem Beklagten zu 1. geführten Pkw zurückzuführen ist (vgl. zu dem Abgrenzungserfordernis in diesem Sinne OLG Köln NZV 1996, 241; VSR 1999, 865, 866). Im Streitfall waren an dem Pkw des Klägers unstreitig zumindest drei verschiedene Altschäden vorhanden, und zwar einerseits die bereits vor dem 09.01.2001 vorhandenen, von der Sachverständigen R. bei der Besichtigung am 18.01.2001 festgestellten Beschädigungen am Stoßfänger, dem vorderen linken Kotflügel sowie einer Delle an der hinteren linken Tür (vgl. Bl. 94 GA), andererseits die durch den Radfahrerunfall am 09.01.2001 verursachten Schäden am Kotflügel links, an der Motorhaube und am Kotflügel vorne rechts (Bl. 98 ff. GA), die auch bei der erneuten Besichtigung des Fahrzeuges durch die Sachverständige R. am 21.03.2001 noch vorhanden waren, und schließlich die am 17.02.2001 entstandenen Schäden, die der Kläger in der Klageschrift als "Anstoß zwischen den Türen und an diesen selbst" beschrieben hat (Bl. 4 GA). Kann dabei nicht ausgeschlossen werden, dass die von dem Sachverständigen A. festgestellten Schäden auch bereits durch die unstreitigen Vorschäden verursacht worden sein können, kann der Kläger selbst kompatible Schäden, d.h. solche Schäden, die an sich durch die Kollision mit dem von dem Beklagten zu 1. gesteuerten Pkw entstanden sein können, nicht ersetzt verlangen (vgl. OLG Köln, a.a.O.; OLG Hamburg, R+S 2001, 455, 456). So liegt der Fall hier. Dem Kläger ist der Nachweis nicht gelungen, dass Schäden gleicher Art und im gleichen Umfange nicht schon früher vorhanden waren. Er hat den Umfang des nach seinen Angaben am 17.02.2001 entstandenen Vorschadens nicht schlüssig und insbesondere nicht von den insgesamt nach dem Unfall vom 21.02.2001 festgestellten Schäden abgrenzbar dargelegt. Seine Angabe in der Klageschrift, am 17.02.2001 sei ein "Anstoß zwischen den Türen und an diesen selbst" erfolgt, ist bereits völlig unzureichend. Die Sachverständige R. ist in ihrem Plausibilitätsgutachten vom 25.04.2001 zu dem Ergebnis gekommen, dass die linksseitigen Streifspuren in verschiedenen Höhen verlaufen und bei nur einmaliger Kollision nicht möglich sind, und dass Kollisionsspuren im Bereich der Türen links und des Schwellers links vorlägen, die auf ein nahezu im rechten Winkel auftretendes Hindernis schließen lassen. Diese Streifspuren, die auch in dem gerichtlichen Gutachten des Sachverständigen B. fotografisch festgehalten worden sind (Bl. 231 GA), ziehen sich über den gesamten Bereich der linken Fahrzeugseite und können nach Angaben der Sachverständigen R. nicht aus einer einzigen Kollision herrühren. Diese Streifspuren können somit nicht durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall am 21.02.2001 allein verursacht worden seien. Durch den behaupteten Unfall vom 17.02.2001 sollen jedoch nach Angaben des Klägers lediglich die Türen und der Schweller betroffen worden seien. Diese Annahme lag auch dem Beweisbeschluss des Landgerichts vom 01.11.2003 zu Grunde. Der Kläger hat jedoch nicht dargelegt, dass sämtliche nach den Feststellungen der Sachverständigen R. vorhandenen Streifspuren durch den behaupteten Vorfall vom 17.02.2001 entstanden sind. Der Zeuge W. hat in seiner Vernehmung vor dem Landgericht ebenfalls keine konkreten Angaben machen können. Er hat lediglich von einem Streifschaden an den linken Türen gesprochen, ansonsten habe er sich das Auto nicht mehr angeguckt. Als der zweite Unfall passiert war, habe er nicht mehr sagen können, welche Beule aus dem ersten Unfall passiert sei (Bl. 151 GA). Es kann danach nicht ausgeschlossen werden, dass die von der Sachverständigen R. festgestellten Streifspuren nicht durch den streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 21.02.2001 entstanden sind, sondern bereits vorher vorhanden waren; sei es dass sie entweder durch den behaupteten Vorfall vom 17.02.2001 oder einem weiteren, bisher noch nicht näher aufgeklärten Zusammenstoß verursacht worden sind. Bei dieser Sachlage kann nicht ohne vernünftige Zweifel im Sinne des § 286 ZPO ausgeschlossen werden, dass von den unstreitigen Vorschäden noch weitere Teile betroffen worden sind, die über den vom Sachverständigen B. berechneten Anteil von 3.700,40 € hinausgehen.
Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers annimmt, dass der am 17.02.2001 verursachte Altschaden auf den Bereich der beiden linken Türen und des linken Schwellers abgrenzbar ist und von den geltend gemachten Reparaturkosten lediglich die von dem Sachverständigen B. errechneten Beträge herauszurechnen wären, steht der Umfang des Schadens damit nicht fest. Der Kläger hat sein Fahrzeug unstreitig nicht reparieren lassen. Aus der mit dem Schriftsatz vom 19.07.2004 vorgelegten Abmeldebescheinigung ist ersichtlich, dass das Fahrzeug seit dem 23.11.2001 stillgelegt ist. In diesem Fall ist der Kläger gehalten, von den beiden Möglichkeiten der Naturalrestitution, Reparatur oder Ersatzbeschaffung, diejenige zu wählen, die in einer ihm zumutbaren Weise den geringsten Aufwand erfordert (vgl. BGH NJW 1992, 302, 303; BGH NJW 1992, 305, 306). Rechnet der Kläger wie hier auf der Basis fiktiver Reparaturkosten ab, ist sein Schadensersatzanspruch nach oben durch den Wiederbeschaffungsaufwand, also den Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes, begrenzt. Der Kläger muss sich daher bei der Geltendmachung der Kosten für die nicht durchgeführte Reparatur des Fahrzeuges in den Grenzen halten, die durch eine Abrechnung nach den Wiederbeschaffungskosten gezogen werden. Danach besteht der zu ersetzende Schaden nur in der Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert des beschädigten Fahrzeuges (vgl. BGH NJW 1992, 903; Palandt/Heinrichs, BGB 63. Aufl., § 249, Rn. 28). Dabei liegt die Darlegungs- und Beweislast beim Kläger als Geschädigten, da die Schadensersatzpflicht von vornherein nur insoweit besteht, als sich die Aufwendungen im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten (vgl. BGH NJW 1992, 302, 304). Der Kläger hat im vorliegenden Fall jedoch zur Höhe des Restwertes des beschädigten Fahrzeuges nichts vorgetragen. Auch das von ihm vorgelegte Gutachten A. weist keine Angaben zu einem vorhandenen Restwert aus. Die Beklagte hat jedoch bereits mit der Klageerwiderung behauptet, dass das Fahrzeug noch einen erheblichen Restwert habe, den sich der Kläger anzurechnen habe. Unter diesen Umständen hätte der Kläger näher darlegen müssen, dass der Restwert des Fahrzeuges jedenfalls nicht mehr als 9.532,97 € (13.800 abzüglich 4.260,03) beträgt. Seitens des Klägers ist jedoch dazu nicht weiter vorgetragen worden, obwohl die Beklagte zu 2. nach Vorlage des Sachverständigengutachtens auf diese Problematik noch einmal mit Schriftsatz vom 27.02.2004 ausdrücklich hingewiesen hat. Eines weiteren Hinweises durch den Senat bedurfte es aus diesem Grunde nicht.
Auch die geltend gemachten Gutachterkosten in Höhe von 607,88 € kann der Kläger nicht mit Erfolg ersetzt verlangen. Dabei kann dahinstehen, ob dem Kläger insoweit ein Anspruch in eigener Person entstanden ist, weil er die Kosten des von ihm beauftragten Sachverständigen bereits gezahlt hat, worauf die Formulierung in der Klageschrift hindeutet (Bl. 3 GA). Zwar sind durch die Einschaltung eines Sachverständigen entstandene Kosten grundsätzlich gemäß § 249 BGB erstattungsfähig. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Privatgutachten unbrauchbar ist und der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Gutachtens selbst verschuldet hat, indem er Vorschäden nicht angegeben hat (vgl. OLG Hamm, NZV 1993, 149; NZV 1993, 228; Becker/Böhme/Biela, Kraftfahrzeughaftpflichtrecht 22. Aufl., Rn. D 27; Geigel/Rixecker, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., § 3, Rn. 114). Ein solcher Fall ist hier gegeben. Der Kläger hat unstreitig gegenüber seinem Sachverständigen A. sowohl die durch den Unfall mit dem Radfahrer am 09.01.2001 entstandenen Schäden als auch die von der Sachverständigen R. am 18.01.2001 festgestellten Vorschäden am Stoßfänger und dem linken vorderen Kotflügel sowie an der hinteren linken Tür zumindest fahrlässig nicht angegeben. Durch das Verschweigen dieser dem Kläger unstreitig bekannten Altschäden ist das Gutachten des Sachverständigen A. für die Schadensabwicklung unbrauchbar geworden, indem nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme diese Altschäden zu einer um einen Betrag von 916, 13 € überhöhten Schadenskalkulation geführt haben. Das Gutachten des Sachverständigen A. war daher bereits aus diesem Grunde für die Schadensabwicklung ungeeignet. Diese Unbrauchbarkeit hat der Kläger auch zu vertreten, indem er zumindest fahrlässig dem Gutachter diese ihm unstreitig entstandenen Altschäden verschwiegen hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Auch weicht der Senat nicht von bestehender höchst- oder obergerichtlicher Rechtsprechung ab, so dass die Zulassung der Revision auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gemäß § 3 ZPO i.V.m. § 47 Abs. 1 S. 1 GKG n.F. auf 4.895,36 € festgesetzt.