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Landgericht Marburg Urteil vom 17.01.2006 - 2 0 80/05 - Ausweichmanöver vor einem Fuchs zur Vermeidung eines Wildschadens

LG Marburg v. 17.01.2006: Ausweichmanöver vor einem Fuchs zur Vermeidung eines Wildschadens


Das Landgericht Marburg (Urteil vom 17.01.2006 - 2 0 80/05) hat entschieden:
  1. Von einem Kraftfahrer, der bei Dunkelheit eine Straße in waldreichem Gebiet befährt, kann verlangt werden, dass er - trotz Erschreckens - sachgerecht auf ein plötzlich Auftauchen eines kleineren Tieres auf der Fahrbahn reagiert.

  2. Ausweichmanöver wegen eines Fuchses beurteilen sich objektiv aus der Sicht des VN zum Zeitpunkt seiner Reaktion (hier verneint bei einem Mercedes S 500 L, Leergewicht 1875 kg, bei 80-100 km/h).

Siehe auch Wildschäden


Zum Sachverhalt: Der Kl. begehrt von der Bekl. die Versicherungsleistung aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag.

Der Kl. behauptet, er habe mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug, dessen Eigentümer er sei, am 21. 4. 2004 gegen 21.55 Uhr die K 117 aus Richtung Fuß- und Radweg kommend in Richtung E befahren. In Höhe des km 1,200 sei vor ihm ein Fuchs von rechts nach links über die Fahrbahn gelaufen. Er sei dem Tier ausgewichen und mit seinem Pkw gegen die rechte Leitplanke geprallt, an der ein Sachschaden in Höhe von 200,- Euro entstanden sei. Eine Berührung mit dem Tier habe nicht stattgefunden. Auf Grund des Anpralls an die Leitplanke sei das Fahrzeug insbesondere auch im Bereich der Fahrzeugunterseite erheblich beschädigt worden, wobei sich die entstandenen Schäden im Einzelnen aus dem Gutachten vom 28. 4. 2004 ergäben. Für die Reparatur der Schäden fielen Kosten in Höhe von 18. 318,97 Euro an.

Von angeblichen Vorschäden des Fahrzeuges habe er nur insoweit Kenntnis gehabt, als der Verkäufer angegeben habe, dass die Front gewechselt, beide Scheinwerfer ausgetauscht und ein Innenlicht eingebaut worden seien. Sein Vater habe das Fahrzeug im reparierten Zustand für ihn erworben.

Die Klage blieb erfolglos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Dem Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf die Versicherungsleistung aus dem mit der Bekl. abgeschlossenen Vollkaskoversicherungsvertrag nicht zu.

Ein derartiger Anspruch auf Zahlung von 18.318,97 Euro ergibt sich nicht aus § 12 I Nr. 1 d AKB, da es danach zu einem Zusammenstoß mir Haarwild im Sinne des § 2 I Nr. 2 Bundesjagdgesetz gekommen sein muss. Die demnach erforderliche Voraussetzung, dass es zu einer Berührung mit dem Wild gekommen ist, die Ursache für den Unfallschaden geworden ist, ist vorliegend nicht gegeben, da der Kl. selbst nicht vorgetragen hat, dass anlässlich des von ihm behaupteten Unfallgeschehens eine Berührung mit dem Fuchs stattgefunden habe.

Dem Kl. steht die geltend gemachte Entschädigungsleistung auch nicht unter dem Gesichtspunkt von Rettungskosten im Sinne von §§ 62 I 1, 63 I 1 VVG i. V. m. § 12 I Nr. 1 AKB gegen die Bekl. zu.

Nach diesen Vorschriften fallen dem Versicherer Aufwendung zur Last, die der Versicherungsnehmer bei Eintritt eines Versicherungsfalles zur Abwendung und Minderung des Schadens gemacht hat, soweit er sie den Umständen nach für geboten halten durfte. Diese Voraussetzungen liegen hier indes nicht vor. Zwar setzt die in § 62 VVG normierte Rettungspflicht nicht voraus, dass der Versicherungsfall bereits eingetreten ist, sondern es genügt, dass er unmittelbar bevorstand. Das bedeutet, dass es bereits ausreicht, wenn das Wild zu dem Fahrzeug in eine so enge zeitliche und räumliche Beziehung kommt, dass ein Zusammenstoß sicher erwartet werden kann.

Vorliegend kann offen bleiben, ob die im April 2004 an dem versicherten Fahrzeug festgestellten Schäden tatsächlich auf das vom Kl. behauptete Unfallereignis auf der K 117 zurückzuführen sind, wobei der Kl. hinsichtlich des von ihm behaupteten Unfallherganges keinen Beweis angeboten hat, was angesichts des Bestreitens der Bekl. indes erforderlich gewesen wäre.

Ein Anspruch des Kl. besteht jedoch schon deshalb nicht, weil sein angebliches Ausweichmanöver wegen eines Fuchses objektiv nicht geboten war, um einen Schaden an dem Fahrzeug zu vermeiden. Erforderlich wäre die Rettungsmaßnahme nämlich nur gewesen, um anderenfalls entstehende höhere Kosten für die Beseitigung von Schäden abzuwenden. Dabei ist die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme objektiv aus der Sicht des Versicherungsnehmers zum Zeitpunkt seiner Reaktion zu beurteilen. Die Gefahr, die jedoch von einem so kleinen und verhältnismäßig leichten Tier wie einem Fuchs ausgeht, ist so gering, dass es unverhältnismäßig ist, das hohe Risiko eines ungleich höheren Schadens durch eine plötzliche Fahrtrichtungsänderung in Kauf zu nehmen (vgl. BGH, VersR 1997, 351).

Diesem Risiko, das sich letztlich im vorliegenden Fall durch die erheblichen Beschädigungen an dem Pkw durch den Aufprall auf die Leitplanke verwirklicht hat, hätte die Möglichkeit eines kleinen Schadens am Fahrzeug gegenübergestanden, wenn der Kl. mit dem Pkw Mercedes-Benz S 500 L, dessen Leergewicht allein schon 1875 kg beträgt, bei einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h dem Fuchs nicht ausgewichen wäre. Insbesondere bestand unter diesen Umständen mit Sicherheit nicht die Gefahr, dass das Fahrzeug des Kl. durch einen Zusammenstoß mit dem Fuchs von der Fahrbahn abkommen würde oder dass der Fuchs in Richtung Windschutzscheibe hätte hoch geschleudert werden können.

Auch Tierschutzaspekte können eine Gebotenheit nach § 63 VVG nicht begründen, da der Versicherer nur für Schäden einzustehen hat, die dem Versicherungsnehmer entstanden sind, weil er anderen, unter Umständen größeren, jedenfalls aber versicherten Schaden vermeiden wollte. Mit der Kaskoversicherung ist jedoch nicht das Leben eines Tieres versichert.

Allerdings gewährt § 63 I 1 VVG Ersatz der Aufwendungen des Versicherungsnehmers auch bei objektiv nicht gebotenen Rettungsmaßnahmen dann, wenn der Versicherungsnehmer die Aufwendungen nach den Umständen ohne grobe Fahrlässigkeit für geboten halten durfte.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenem Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt. Fehlreaktionen und Fehleinschätzungen sind also nur bis zur Grenze der groben Fahrlässigkeit unschädlich und stehen einem Ersatzanspruch nicht entgegen. In der Rechtsprechung ist grobe Fahrlässigkeit bejaht worden bei einem Pkw-Fahrer, der auf Grund Auftauchens eines Fuchses ein Ausweichmanöver durchführt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 16. 6. 1998 m. w. Nachw. zitiert nach Juris). In einem solchen Fall steht regelmäßig der zu vermeidende Schaden in keinerlei Verhältnis zu dem durch das Fahrmanöver drohenden Schaden, so dass der Versicherungsnehmer mit der Einleitung eines riskanten Ausweichmanövers sowohl objektiv als auch subjektiv grob fahrlässig handelt. Ein Pkw-Fahrer, der bei einer Geschwindigkeit von 80 bis 100 km/h einem Kleintier wie einem Fuchs auszuweichen versucht und das damit verbundene hohe Risiko in Kauf nimmt, verletzt seine Sorgfaltspflichten in ungewöhnlich hohem Maße. In der Regel kann man bei einer so hohen Geschwindigkeit ohne ein besonderes Fahrtraining die Folgen einer plötzlichen Fahrtrichtungsänderung kaum beeinflussen. Lenkt der Pkw-Führer seinen Pkw dennoch unvermittelt zur Seite, lässt er sowohl ein hohes Risiko für sein Fahrzeug, als auch für sein Leben und seine Gesundheit, unbeachtet. Es muss daher jedem Kraftfahrer einleuchten, dass er dieses hohe Risiko nicht ohne Not eingehen darf, auch wenn es darum geht, einem Tier auszuweichen, mit dem ein Zusammenstoß anderenfalls unmittelbar bevorstünde. Vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes kann auf die inneren Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (vgl. BGH, aaO). Demgegenüber hat der Kl. vorliegend keine entlastenden Umstände vorgetragen. Vielmehr kann von einem Kraftfahrer, der bei Dunkelheit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Straße in waldreichem Gebiet befährt, verlangt werden, dass er auch dann - selbst wenn er erschrocken ist -, wenn ein kleines Tier plötzlich auf der Fahrbahn auftaucht, noch eine hinreichende Konzentration aufbringt, um darauf sachgerecht zu reagieren. Dass nämlich unter diesen äußeren Umständen ein Fuchs die Fahrbahn kreuzt, ist kein so ungewöhnliches Ereignis, dass ein objektiv grob fahrlässiges Ausweichmanöver subjektiv eine mildere Beurteilung verdiente. ..."