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OLG Jena Urteil vom 12.05.1999 - 4 U 1639/98 - Keine versicherungsrechtlichen Beweiserleichterungen bei Geltendmachung eines Wildschadens

OLG Jena v. 12.05.1999: Keine versicherungsrechtlichen Beweiserleichterungen bei Geltendmachung eines Wildschadens


Das OLG Jena (Urteil vom 12.05.1999 - 4 U 1639/98) hat entschieden:
Allein die nicht unwahrscheinliche Konstellation, dass dem Versicherungsnehmer bei einem Wildschaden keine Zeugen oder Spuren zum Beweis zur Verfügung stehen, rechtfertigt es nicht, - wie bei den Entwendungsfällen in der Fahrzeugversicherung - dem Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen zuzubilligen.


Siehe auch Darlegungs- und Beweislast bei Wildschäden und Rettungskosten und Stichwörter zum Thema Beweisprobleme


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Wer die im Versicherungsvertrag versprochene Leistung fordert, muß darlegen und beweisen, daß der Versicherungsfall eingetreten ist. Die Anforderung an die Beweisführung für das Vorliegen des Versicherungsfalls sind nicht einheitlich. So kann die Art des Versicherungszweiges nahelegen, daß die Parteien des Versicherungsvertrages eine nach ihrer Interessenlage von vornherein anzunehmende Verschiebung des Eintrittsrisikos zugunsten des Versicherungsnehmers wollten und bedingungsgemäß vereinbart haben. Eine solche dem Vertrag innewohnende, materielle Risikozuweisung hat Beweiserleichterungen zur Folge. Das ist für Entwendungsfälle in der Sachversicherung (Einbruchdiebstahlversicherung, Kraftfahrtversicherung) anerkannt (siehe BGH, VersR 84, 29). Gerade in Entwendungsfällen ist es oft nicht möglich, einen typischen Geschehensablauf konkret festzustellen. Es kann nicht angenommen werden, daß hier die Diebstahlversicherung von vornherein nicht eintreten soll, obwohl doch der Versicherungsnehmer sich gerade auch für solche Fälle mangelnder Aufklärung versichern wollte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß der Versicherer und der Versicherungsnehmer nach dem Inhalt des Versicherungsvertrages den versicherten Entwendungsfall schon bei hinreichender Wahrscheinlichkeit als nachgewiesen ansehen wollen.

Diese Beweiserleichterung kann nicht auf die Wildschadensfälle in der Teilkaskoversicherung übertragen werden. Anders als beim Entwendungsgeschehen ist der Versicherungsnehmer in der Regel bei einem Wildschadensfall nicht von vornherein und unabwendbar in Beweisnot. Das gilt natürlich vor allem für die Fälle, bei denen es zu einem Zusammenstoß mit dem Wild gekommen ist und Spuren am Auto oder auf der Fahrbahn gesichert werden können. Aber auch in den Fällen, wo es zu keiner Berührung kam, ist der Nachweis oft durch Zeugenangaben (Beifahrer, nachfolgende Auto- bzw. Motorradfahrer etc.) zu führen. Allein die nicht unwahrscheinliche Konstellation, daß dem Versicherungsnehmer keine Zeugen oder Spuren zum Beweis zur Verfügung stehen, rechtfertigt es nicht, wie bei den Entwendungsfällen, von einer von den Parteien des Versicherungsvertrages nach ihrer Interessenlage gewollten Verschiebung des Eintrittsrisikos auszugehen. Der Versicherungsnehmer ist hier in der typischen Situation eines Anspruchstellers, der die Voraussetzungen für das Vorliegen des Anspruchs nachweisen muß. Daß er sich hierbei möglicherweise in Beweisnot befindet, reicht für sich allein nicht aus, um Beweiserleichterungen anzunehmen. Der BGH hat bisher zu der vorliegenden Problematik - soweit ersichtlich - noch nicht Stellung genommen. Die herrschende Meinung geht davon aus, daß den Versicherungsnehmer für den Ersatz von Rettungskosten die volle Beweislast ohne Beweiserleichterung trifft (siehe OLG Hamburg ZfS 92/377; OLG Hamm NZV 91, 71; Knappmann, VersR 89, 113; Prölss/Martin, VVG, 26. Auflage, § 12 AKB Rdnr. 43; Feyock/Jacobsen, Kraftfahrtversicherung, § 12 AKB Rdnr. 105). Aus den oben angeführten Gründen folgt der Senat der herrschenden Meinung.

Der Kläger konnte nicht nachweisen, daß er vor einem Reh ausgewichen ist. Das eingeholte Sachverständigengutachten bestätigte lediglich, daß der Kläger eine Ausweichbewegung nach links vollbrachte. Der Grund für diese Ausweichbewegung steht nicht fest. Es gibt auch keinen Anscheinsbeweis dahingehend, daß Autofahrer nur vor großem Haarwild ausweichen. Ebenso sind dem Senat zahlreiche Fälle bekannt, wo Autofahrer auch vor Kleintieren wie Katzen, Kaninchen etc. auswichen.

Soweit der Kläger sich auf Urteile des OLG Schleswig (r+s 94, 450) und des OLG Oldenburg (Az.: 2 U 67/90) beruft, lagen in den dortigen Fällen weitaus mehr Indizien für das Vorliegen eines Versicherungsfalles vor, die es den Senaten nach ihren Auffassungen ermöglichten, den von den Klägern geschilderten Geschehensablauf mit hinreichender Sicherheit für wahr zu erachten (§ 286 ZPO). So lag beispielsweise dem Urteil des OLG Schleswig zugrunde, daß der Versicherungsnehmer als Versicherungsmakler (früherer Angestellter der Beklagten) bei Tageslicht einem Reh auswich, diesen Vorgang dem Versicherer schilderte und sich auch damit abfand, daß nach der damaligen Rechtsprechung kein Versicherungsschutz bestand. Der Versicherungsnehmer hatte überhaupt keinen Anlaß, das Reh zu "erfinden", da es damals für ein solches Ausweichmanöver keinen Versicherungsschutz gab. Im Urteil des OLG Oldenburg konnte immerhin eine Zeugenaussage eines nachfolgenden Autofahrers verwertet werden, der ein größeres Tier als Schatten wahrgenommen hatte, welches unmittelbar vor dem Auto des Klägers die Straße überquert hatte. Unmittelbar nach dem Ausweichmanöver hatte der Kläger dem Zeugen mitgeteilt, daß er einem Reh ausgewichen sei. Im vorliegenden Fall spricht für den Kläger lediglich seine eigene Unfallschilderung (§ 141 ZPO) sowie die Feststellung des Gutachters, daß er ein Ausweichmanöver nach links vollführte. Dies reicht dem Senat nicht aus, um mit der hinreichenden Sicherheit (§ 286 ZPO) feststellen zu können, daß der Kläger tatsächlich einem Reh ausgewichen ist.

Es gab auch keine Veranlassung, eine Parteivernehmung des Klägers anzuordnen. Dafür ist Voraussetzung, daß ein Anfangsbeweis geführt worden ist. Es genügt für die Anwendbarkeit des § 448 ZPO nicht, daß der Klagevortrag ebenso wahr wie unwahr sein könnte (siehe BGH VersR 92, 867). Vorliegend kommt - wie bereits gesagt - sowohl ein Ausweichmanöver wegen eines Kleintieres (Katze oder ähnliches) wie auch eines Haarwilds in Betracht. Damit scheidet eine Parteivernehmung aus. ..."



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