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OLG Düsseldorf Urteil vom 23.04.2007 - I-1 U 204/06 - Bei fiktiver Schadensabrechnung findet eine Verzinsung der Ersatzforderung erst ab Verzug statt
OLG Düsseldorf v. 23.04.2007: Bei fiktiver Schadensabrechnung findet eine Verzinsung der Ersatzforderung erst ab Verzug statt
Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 23.04.2007 - I-1 U 204/06) hat entschieden:
Anders als in den echten Totalschadensfällen, bei denen sich eine Reparatur des Fahrzeuges wirtschaftlich nicht mehr lohnt, weil die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, ist der Geschädigte dann, wenn die Reparaturkosten unter dem Wiederbeschaffungswert liegen, nicht von vorneherein auf eine Totalschadensabrechnung beschränkt. Verzichtet er auf eine Reparatur und veräußert das Fahrzeug, so kann dies der von § 849 BGB gemeinten "Entziehung" der Sache nicht gleichgestellt werden, der "Entzug" ist insoweit freiwillig und nicht durch den Schadensfall bedingt, so dass die Ersatzleistung nicht schon vom Unfallzeitpunkt an, sondern erst ab Verzug zu verzinsen ist.
Siehe auch Zinsen / Kreditkosten / Zwischenfinanzierung
Zum Sachverhalt: Der Kläger machte gegen die Beklagten Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom 26. Juli 2002 in Mülheim a.d. Ruhr geltend, bei dem der von ihm gehaltene Pkw Mercedes Benz, 350 S Diesel erheblich beschädigt wurde. Seiner Schadensberechnung hat er insgesamt 11.878,56 € zugrundegelegt.
Der Kläger vertrat die Ansicht, dass dieser Betrag gemäß § 849 BGB ab dem Unfalltag zu verzinsen sei und hat dementsprechend Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit diesem Tag ersetzt verlangt.
Das Landgericht hat auf eine vollständige Einstandspflicht der Beklagten erkannt. Hinsichtlich der Schadenshöhe hat es insgesamt einen Schaden von
10.274,17 € zuzüglich SV-Kosten zuerkannt.
Zinsen hat es erst ab Rechtshängigkeit zugesprochen. Die Voraussetzungen eines weitergehenden Zinsanspruches seien nicht gegeben. Insbesondere komme ein Anspruch aus § 849 BGB nicht in Betracht, weil die Vorschrift allein Beträge erfasse, die als Ersatz für eine verbleibende Wertminderung geschuldet würden, nicht aber sonstige Ansprüche wegen Beschädigung der Sache, wie sie vorliegend geltend gemacht würden.
Die Berufung des Klägers richtete sich gegen die Aberkennung der Zinsforderung für den Zeitraum vom 26.07.02 bis zum 07.01.04, er forderte insofern einen kapitalisierten Betrag von 1.023,66 €. Er führte an, dass sich die Zinsregelung nach § 849 BGB auch auf den vorliegenden Fall beziehe, in dem der Wiederbeschaffungswert eines total beschädigten Fahrzeuges ersetzt verlangt werde. Darüber hinaus stützte er seinen Zinsanspruch auf Verzug.
Das Rechtsmittel des Klägers hatte teilweise Erfolg.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die Berufung ist ... überwiegend begründet, nämlich in Höhe eines Zinsbetrages von 882,78 €.
Dieser Zinsbetrag errechnet sich aus dem zugesprochenen Gesamtschadensbetrag von 10.274,17 € für den Zeitraum vom 01.10.02 bis 07.01.04. Insoweit kann der Kläger Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus Verzug verlangen (§§ 286, 288 BGB). Denn die beklagte Versicherung hat mit Schreiben vom 01.10.2002 eine Ersatzleistung endgültig abgelehnt (Bl. 304 GA). Auf eine Verspätung des diesbezüglichen Sachvortrags können sich die Beklagten nicht mit Erfolg berufen, weil dieses Schreiben unstreitig geblieben ist und daher nicht dem Ausschluss nach § 531 ZPO unterliegt.
Ein weitergehender Zinsanspruch besteht allerdings nicht; insbesondere hat das Landgericht - im Ergebnis - zu Recht eine Verzinsung gemäß § 849 BGB abgelehnt.
Die Voraussetzungen des § 849 BGB sind auch unter Beachtung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NJW 83, 1614 = VersR 83, 555) nicht erfüllt. Hiernach greift § 849 BGB zwar auch im Rahmen der Gefährdungshaftungstatbestände nach §§ 7, 18 StVG und dort bei einer Schadensabwicklung auf Totalschadensbasis ein. Denn bei einem technischen oder wirtschaftlichen Totalschaden wird dem Eigentümer das Kraftfahrzeug entzogen. In diesem Fall steht der Wert des Fahrzeugs in Frage, woran § 849 BGB anknüpft.
Das Vorliegen eines technischen Totalschadens kann vorliegend allerdings nicht festgestellt werden; vielmehr dürfte die Herstellung (Instandsetzung) des Pkw Mercedes ohne weiteres möglich gewesen sein. In Betracht kommt insoweit allenfalls ein "wirtschaftlicher Totalschaden". Hierfür kennt die Kfz-Schadenpraxis mindestens vier verschiedene Definitionen dieses Begriffes. Welche dieser Definitionen dem BGH in der vorzitierten Entscheidung vor Augen gestanden hat, erschließt sich nicht unmittelbar, zumal die Höhe der Reparaturkosten nicht mitgeteilt wird. In vorangegangenen wie in nachfolgenden Entscheidungen hat der BGH unter einem "wirtschaftlichen Totalschaden" einen Schaden verstanden, bei dem die Herstellung zwar (technisch) möglich, aber (wirtschaftlich) unsinnig ist, weil sie unverhältnismäßig hohe Aufwendungen erfordert (siehe BGHZ 111, 375 = NJW 92, 305 mit Hinweisen auf die Urteile vom 17.11.1961, VersR 62, 137 und vom 20.06.1972, NJW 72, 1800). In allen genannten Fällen lagen die kalkulierten Reparaturkosten jeweils über dem Wiederbeschaffungswert.
Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch das Urteil des BGH vom 05.03.1985 (NJW 85, 2469). Auch hier wird die Unwirtschaftlichkeit einer Reparatur als Kennzeichen eines "wirtschaftlichen Totalschadens" betont und deutlich gemacht, wo die Wirtschaftlichkeitsgrenze" verläuft, nämlich bei Reparaturkosten, die den Aufwand der Ersatzbeschaffung um 30 % übersteigen. Dementsprechend wird ein "wirtschaftlicher Totalschaden" vielfach erst dann angenommen, wenn die 130 %-Grenze überschritten ist. Ob dem zu folgen ist, kann hier offen bleiben. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der BGH in der Entscheidung vom 05.03.1985 (a.a.O.) mit einem wirtschaftlichen Totalschaden "im strengen Sinn" eine Totalschadensvariante ins Spiel bringt, bei der die Wirtschaftlichkeitsgrenze nicht bei 130 %, sondern niedriger anzusiedeln ist. Dass sie unter 100 %, d.h. unter dem Wiederbeschaffungswert, liegen soll (wirtschaftlicher Totalschaden in nicht strengem Sinn), kann dem Urteil nicht entnommen werden.
Jedenfalls hat der Senat keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der BGH in der Grundsatzentscheidung zu § 849 BGB (NJW 83, 1614) unter einem "wirtschaftlichen Totalschaden" auch einen solchen Schadensfall verstanden haben könnte, bei dem die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert unterschreiten. Darin bestärkt ihn die damalige Aussage des BGH, (auch) beim wirtschaftlichen Totalschaden stehe der Ersatz des Wertes des Fahrzeuges in Frage. Bei sogenanntem wirtschaftlichem Totalschaden greift nicht § 251 Abs. 1 BGB, sondern (allenfalls) § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB ein (so BGHZ 111, 375). Nach der BGH-Entscheidung vom 20.04.2004 (NJW 04, 1943) ist auf Fälle wirtschaftlichen Totalschadens (§ 249 BGB, insbesondere die Umsatzsteuerregelung Abs. 2 Satz 2) anzuwenden. Das entspricht der langjährigen Einschätzung des BGH, wonach es in Fällen wirtschaftlichen Totalschadens regelmäßig nicht um Wertersatz (Kompensation), sondern um Naturalrestitution geht.
Im Streitfall liegen die geschätzten Reparaturkosten deutlich unter dem Wiederbeschaffungswert, gleichviel, ob man auf den Betrag im Schadensgutachten oder auf den vom Gerichtssachverständigen ermittelten Wert abstellt. Damit handelt es sich nicht um einen Fall eines wirtschaftlichen Totalschadens (so auch Greiner, ZfS 06, 63, 65).
Allerdings haben die Parteien den Schaden "auf Totalschadensbasis" abgerechnet, nachdem der Kläger den Unfallwagen unrepariert veräußert und dabei als Erlös einen Betrag i.H.d. geschätzten Restwertes (4.800 €) erzielt hat. Bei dieser Sachlage war der Ersatzanspruch des Klägers in der Tat auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert) beschränkt. Richtig ist auch, dass der Kläger infolge des Unfalls und der anschließenden Veräußerung außerstande war, seinen Wagen weiter zu nutzen. Gleichwohl rechtfertigt dies nicht, ihm eine Verzinsung nach § 849 BGB zuzubilligen. Denn es ist schon fraglich, ob nicht in Wirklichkeit auf Basis fiktiver Reparaturkosten mit Begrenzung auf den Wiederbeschaffungsaufwand abgerechnet worden ist (so für einen vergleichbaren Fall: BGH NJW 85, 2469). Auch wenn man den Begriff "fiktive Reparaturkosten" in einem solchen Fall besser vermeidet und stattdessen von "Totalschadensabrechnung" spricht, muss es dem Kläger versagt bleiben, in den Genuss der Verzinsung nach § 849 BGB zu gelangen. Anders als in den echten Totalschadensfällen, bei denen sich eine Reparatur des Fahrzeuges wirtschaftlich nicht mehr lohnt, weil die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, ist der Geschädigte nämlich hier, wo die Reparaturkosten unter dem Wiederbeschaffungswert liegen, nicht von vorneherein auf eine Totalschadensabrechnung beschränkt. Er hätte vielmehr bei Durchführung der Reparatur den Ersatz der Reparaturkosten verlangen können. Verzichtet er hierauf, so kann dies der von § 849 BGB gemeinten "Entziehung" der Sache nicht gleichgestellt werden, der "Entzug" ist insoweit freiwillig und nicht durch den Schadensfall bedingt.
Anzumerken bleibt, dass selbst bei Anwendbarkeit des § 849 BGB in dem vorliegenden Fall die diesbezüglichen Zinsen allenfalls auf den zuerkannten Wiederbeschaffungsaufwand i.H.v. 6.700 € (nicht etwa auch für die übrigen zuerkannten Schadenspositionen) hätten verlangt werden können. Darüber hinaus ist ein entsprechender Anspruch für den Zeitraum vom 26.07.02 bis 14.08.02 jedenfalls ausgeglichen. In dem Zeitraum vom 26.07.02 bis 10.08.02 hat der Kläger nämlich einen Mietwagen in Anspruch genommen; die ihm insoweit entstandenen Kosten hat das Landgericht zugesprochen. Für die Zeit vom 10.08. bis 14.08.02 hat das Landgericht dem Kläger eine Nutzungsausfallentschädigung zugesprochen. Zinsen aus § 849 BGB könnte der Kläger darüber hinaus für diese Zeiträume nicht verlangen. Denn diese werden nur anstelle (und nicht zuzüglich) des Schadens für die entzogenen Nutzungen gewährt. ..."